Susan Choi - Vertrauensübung / Trust Exercise

  • Kurzmeinung

    drawe
    Kunstvoll erzählte Geschichte mit einem aufwühlenden Kern, leider bisschen langatmig
  • Kurzmeinung

    Emili
    Herausfordernd, außergewöhnlich, unvergesslich. Verdiente Preisverleihung von Nation Book Award
  • Klappentext:


    Freundschaft, Liebe, Sex und Macht: »Vertrauensübung« ist ein intensiver Roman, der mutmaßliche Wahrheiten erdrutschartig mit sich reißt. Sarah und David gehören zu den Auserwählten, die an der Elite-Schauspielschule CAPA aufgenommen werden. Sarah stammt aus einfachen Verhältnissen, David aus reichem Elternhaus. Wie ihre Mitschüler:innen konkurrieren sie um die Sympathien ihres Lehrers Mr Kingsley, dem eigentlichen Star der Schule. Kingsley ist ein Charismatiker, der jeden Raum zum Leuchten bringt und dann durchschneidet wie eine Messerklinge. Selbst die Eltern haben keinen Einfluss darauf, was innerhalb der Schulmauern geschieht. Als Sarah und David ihren Unterschieden zum Trotz eine Beziehung anfangen, ziehen sie alle Aufmerksamkeit auf sich – und setzen damit eine Dynamik in Gang, die der Welt außerhalb der Schule über Jahre Rätsel aufgibt. Bis zwei Außenseiterinnen sich Gehör verschaffen und unseren Blick auf das, was damals geschah, auf Intimität und Inszenierung, Fakt und Fiktion, Geltung und Gewalt radikal verändern.



    Mein Hör-Eindruck:


    Eine Schauspielschule, eine Eliteschule in den 80er Jahren im ländlichen Süden der USA, die ihren Schülern den Sprung auf die großen Bühnen der Welt ermöglicht: so sieht sich die Schule. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, und darum geht es in diesem Roman.


    Die Autorin nutzt konsequent die Elemente von Theater und Bühne für ihr Erzählen


    Im I. Akt lernt der Hörer eine Anfängerklasse kennen, die stolz darauf ist, von Mr. Kingsley unterrichtet zu werden. Mr. Kingsley ist ein charismatischer Lehrer, ein Freund seiner Schüler, fordernd und auch fördernd, das Aushängeschild der Schule. Mit seinen Schülern veranstaltet er sog. Vertrauensübungen. Solche Vertrauensübungen sind tatsächlich die Basis jedes kreativen Prozesses, und gerade die Theaterarbeit erfordert ein hohes Maß an Angstfreiheit und Vertrauen des einzelnen Spielers zu seinen Mitspielern. Mr. Kingsleys Übungen jedoch führen weder zu Angstfreiheit noch zu gegenseitigem Vertrauen. Im Gegenteil. Sie gleiten sofort ins Übergriffige ab und zeigen bedrohliche Elemente sexueller Aggression. Damit wird ein Grundakkord dieses Romans angeschlagen: Sexualität als lebensbestimmendes Handlungsstimulans dieser jungen Leute.


    Die erzählten Szenen wirken wie Theaterszenen. Sie spielen auch großenteils auf der Bühne, und auch für Intimes und Privates wird die Öffentlichkeit als Bühne gesucht. Unter der Regie von Mr. Kingsley spielt sich auch ein Liebesdrama auf der Bühne ab, wenn der Lehrer seine Schüler mit seinen manipulativen an ihre emotionalen Grenzen bringt, ohne dass sie aber ihr Inneres öffnen können. In quälend langen Konfrontationen behalten sie ihre Fassaden bei, es entsteht kein Vertrauen, und man fragt sich als Leser, inwieweit die eigenen Wahrnehmungen belastbar sind: stimmt das alles, was wir lesen?


    Der II. Akt wird belebt durch eine Theatergruppe aus England, die die Klasse aufmischt. Sie bieten eine Vorstellung von „Candide“, die durch eine Fülle an sexuellen Provokationen nicht wiederholt werden darf. Und die sexuelle Erhitzung, die sich hier auf der Bühne zeigte, wird anschließend in das wirkliche Leben übertragen. Die Grenzen zwischen Schülern und Lehrern verwischen sich, sexuelle Abhängigkeiten entstehen, die Außenwelt wie z. B. die Eltern haben kaum mehr Zugriff auf die Schüler.


    Im II. Akt tritt eine bisherige Nebenfigur ins Rampenlicht. Sie relativiert alles bisher Geschehene. Die bisher aufgetretenen Personen werden als Konstrukte entlarvt. Die Wahrnehmungsebenen werden vermischt, die Wirklichkeit wird als „Theater“, d. h. als Simulation enttarnt, und als Leser weiß man nicht mehr, welchen Wahrnehmungen man Glauben schenken darf, v. a. auch deshalb, weil sie die Erzählerin als unzuverlässig entpuppt.


    Eines aber wird dem Hörer klar: diese Person erlebt sich als Opfer und ist schwer traumatisiert. Sogar in der Sprache spürt sie Doppeldeutigkeiten und dem Verhältnis von Täter und Opfer nach. Überhaupt versichert sie sich ständig der Wirklichkeit, wie sie sich daran erinnert, indem sie Begriffe präzise definiert.


    Die Autorin spielt hier souverän mit dem Wesen des Theaters: der Erzeugung von Illusion. Dieses Spiel mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen ist durchaus kunstvoll, aber für den Leser sehr schwierig. Er kann das bisher Gehörte nicht überprüfen, aber er muss es vollständig in Frage stellen. Damit wird der Hörer so wie die Schüler einer besonderen Form von Vertrauensübung unterzogen.


    Zugleich wird der Hörer einer Geduldsübung unterzogen. Akribisch lange Beschreibungen bringen die Handlung nicht voran, und der Roman hätte durch rabiate Kürzungen nur gewinnen können.


    Was aber bleibt, ist ein wirres Spiel von sexuellen Beziehungen unterschiedlichster Intensität, die Manipulation von Heranwachsenden und v. a. der nach wie vor existente Machtmissbrauch in hierarchischen Strukturen.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Susan Choi - Vertrauensübung“ zu „Susan Choi - Vertrauensübung / Trust Exercise“ geändert.