Jarka Kubsova - Marschlande

  • Kurzmeinung

    Bartie
    vor allem der historische Teil sehr interessant
  • Kurzmeinung

    Luli
    Feministisches Manifest, das mich persönlich - v.a. im Gegenwartsteil - nicht abholen konnte. Einseitig, klischeehaft.
  • Schon mit „Bergland“, ihrem 2021 erschienen Romandebut, hatte mich Jarka Kubsova beeindruckt. Es ging um einen Hof in Südtirol, dem höchstgelegenen im Umkreis, auf dem starke Frauen lebten und wirtschafteten und nicht nur versuchten, sich gegen eine oftmals unbarmherzige Natur zu stemmen, sondern auch gegen gewaltätige, gleichgültige, vorurteilsbehaftete Männer. Über mehrere Generationen dehnte sich Kubsovas Porträt des Hofs und seiner Bewohner, wobei der Fokus immer auf den Frauen lag: ihren Kämpfen, ihren Ängsten, ihre Hoffnungen.


    Jetzt, zwei Jahre später, legt Kubsova mit „Marschlande“ ihren zweiten Roman vor und die Themen sind wieder ähnlich. Trotzdem entgeht sie mit Leichtigkeit der Falle, schlicht mehr vom selben zu präsentieren. Von Südtirol geht es jetzt ins Hamburger Vorland, in die titelgebenden Marschlande. Auch hier kämpf(t)en und behaupte(te)n sich Frauen. Kubsova beweist eindrücklich, dass diese Schicksale es wert sind, erzählt und gehört zu werden.


    Britta (verheiratet, zwei Kinder, sinnloser Halbtagsjob) und ihr Mann (erfolgreich, in irgendeiner ungenannten Firma in Leitungsfunktion) wollen von Hamburg aufs Land ziehen. Lange suchen sie vergeblich, doch dann wird es – auf Initiative ihres Mannes hin – das bei den Einheimischen als „Eispalast“ bekannte Haus: ein wärmepumpenbetriebener, seelenloser, bis in die letzte Ecke durchgestylter Neubau, der so gar nicht dem entspricht, was sich Britta erhofft vom Landleben hatte. Während ihr Mann sich nun an seinem schicken, vorzeigbaren Statussymbol erfreut, fällt es Britta schwer, überhaupt emotional in diesem neuen Leben anzukommen. Erst, als sie über die historisch verbürgte Albeke Bleken stolpert, die ganz in der Nähe einen Hof betrieb und schließlich im 16. Jahrhundert als Hexe verbrannt wurde, findet Britta einen Anknüpfungspunkt.


    Und so erzählt Kubsova auf zwei Zeitebenen sowohl von Brittas Leben als Ehefrau und Mutter als auch von Albeke, die einen florierenden Hof von ihrem Vater erbte, den sie jahrelang allein (und erfolgreich) führte, weil sie schlicht nicht heiraten mochte. Erst eine schwere Sturmflut wendet das Blatt: Der Deich, der an ihr Grundstück grenzt, bricht. Das Gesetz besagt, dass sie den Schaden zu beheben hat. Das Gesetz besagt allerdings auch, dass der Deichvogt ihr Hilfe angedeihen lassen muss (in der Regel in Form von Hilfsarbeitern). Dies unterlässt er. Albeke kann den Deich nicht reparieren. Sie verliert infolgedessen den Hof, die Menschen wenden sich gegen sie und schließlich wird sie als Hexe verbrannt.


    Es scheint Kubsovas Thema zu sein: Der Mensch, wie er sich gegen eine übermächtige Natur stellt und ihr sein Überleben abringt. Es geht um „den Kampf, den man mit dem Land führte und den man nicht immer gewann“ (78). Albekes Marschlande sind eine wilde, aber sehr fruchtbare Gegend. Mit dem Deich wurde der Elbe hervorragendes Ackerland abgetrotzt, doch der Deich kann brechen. Es gilt, Vorzeichen zu lesen, um hier erfolgreich zu sein und überleben zu können: Ist der Sturm schon vorbei? Wird eine Flut kommen? Ist der Winter vorbei und kann man aussäen? Als die Allerheiligenflut von 1570 ein Loch in den Deich reißt, ergießt sich das Wasser springflutartig in die Häuser. Es reißt alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist: Gegenstände, Möbel, Tiere, selbst Kinder in ihren Krippen. Die Natur dringt hier ins Innerste des menschlichen Lebens vor – ins Heim, ins Zuhause.


    Wie anders stellt sich die Situation – zumindest vermeintlich – ein halbes Jahrtausend später dar. Brittas aaltglatter Neubau steht wie ein Fremdkörper in der Landschaft. Das Gebäude ist so durchgeplant und gedämmt, dass man im Inneren den Sturm gar nicht hört, der draußen tobt. Man sieht zwar, dass Äste sich biegen, doch dieses Schauspiel ist durch den fehlenden Sound wie losgelöst von der Realität. So ist das eben heute, die Natur ist gebändigt, geordnet, unterjocht. Zumindest bilden wir uns das gern ein. Und doch: Der Deich ist immer noch da. Und er kann immer noch brechen. Unterschwellig ist dieses Spannungsfeld stets präsent, Kubsovas Frage an den Leser ist: Meins du wirklich, dass die Natur keine Einfluss auf dein Leben mehr hat, nur weil du im zehnten Stock in der Großstadt lebst? Meinst du wirklich, dass du der Natur Vorschriften machen kannst? Sie wird sich aufbäumen, sie wird sich in dein Leben drängen. Denn du kannst nur mit ihr bestehen, nicht gegen sie.


    Kubsovas Stärke sind ganz eindeutig ihre Frauenfiguren. Albeke, die historisch verbürgte Marschländerin, ist der Star dieses Romans. Sie ist tough, resolut, unabhängig – und trotzdem nah- und für den Leser erfahrbar. Bei einer Frau sind das Eigenschaften, die nicht gut ankommen. Schon gar nicht 1570. Die Kämpfe, die Albeke auszustehen hat, werden in Kontrast zu Brittas Leben gesetzt. Klar, Britta läuft nicht Gefahr, auf dem Scheiterhaufen zu landen. Die Herausforderungen sind andere und doch zeigen sich auch hier wieder Abhängigkeiten von Situationen, Umständen (und Männern), die sich nicht so leicht aufbrechen lassen. Britta kommt beim Leser längst nicht so selbstbewusst an wie Albeke. Sie ist bequemer, hat im Leben bisher immer den leichteren Abzweig genommen. Kurzum: Sie hat sich eingerichtet und muss nun in der Mitte ihres Lebens erkennen, dass sie sich in eine Sackgasse manövriert hat. Doch auch sie stellt schließlich fest, dass ihr Kräfte innewohnen, die sie noch nie anzapfen musste.


    Jarka Kubsova ist auch mit ihrem zweiten Roman ein starkes Frauenporträt gelungen. Ihr Anliegen, unbekannte Frauen dem Vergessen zu entreißen, ist löblich, wichtig und pädagogisch. Vor allem aber resultiert es wieder einmal in einem unglaublich gelungenen Roman. Kubsovas eindrückliche literarische Stimme ist eine, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte!

  • Der gestohlene Kessel


    "Wie bin ich hier eigentlich hineingeraten?" (S. 316) Anhand von zwei Frauenschicksalen, die Jahrhunderte auseinanderliegen, führt uns die Autorin vor Augen, was sich seit dem 16. Jahrhundert in Bezug auf Gleichberechtigung bis in unsere Zeit verändert hat - oder nicht.

    Abelke Bleken, einst eine selbstbewusste, reiche Bäuerin mit eigenem Hof, endet als Hexe "überführt" auf dem Scheiterhaufen. Gemeinsam mit Britta, die gerade erst mit ihrer Familie in das Hamburger Marschland gezogen ist, erfahren wir immer mehr über das Schicksal von Abelke. Britta hadert mit ihrer verpassten Unikarriere, dem ständig abwesenden Ehemann, dem modernen Haus (neben all den alten Bauernhäusern), den Kindern und diesem unwirtlichen Landstrich, den sie sich völlig anders vorgestellt hat. Je mehr Britta über Abelkes Leben herausfindet, desto mehr scheint sich auch ihr eigenes zu verändern.

    Jarka Kubsova hat ein Buch geschrieben, das mich von Beginn an gefangen genommen hat. Die Schilderung des bäuerlichen Lebens im 16. Jahrhundert, die Lebensgeschichte von Abelke Bleken ist ihr glänzend gelungen und lässt diese entbehrungsreiche Zeit lebendig werden. Der schleichende Prozess, den die Bäuerin von der Hofbesitzerin zur Hexe durchmacht, ist absolut nachvollziehbar dargestellt. Gleichzeitig ist die Rahmengeschichte um Britta sehr schön konstruiert. Auch wenn diese Figur einige Stereotype enthält, habe ich mich in so manchem Gedanken von Britta wiedergefunden. Die Verbindungen, die die Autorin zwischen diesen Frauen zieht, die Parallelen, die aufscheinen, machen mehr als nachdenklich. In sich abwechselnden Kapiteln aus der frühen Neuzeit und der Gegenwart entwicklen sich diese zwei Leben.

    Abelke Bleken hat es wirklich gegeben und die bisherigen Forschungsergebnisse zu ihrer Person haben Kubsova zu ihrer Figur Abelke inspiriert. Vieles wurde nicht überliefert und Leerstellen mussten durch die Fantasie gefüllt werden, aber durch die erhaltenen Gerichtsakten war ein stabiler Untergrund vorhanden. Das überaus interessante Nachwort macht noch einmal deutlich - auch schon im Roman selbst thematisiert - , wie viele Frauen, die etwas Außergewöhnliches geleistet haben, in Vergessenheit geraten sind. Wie wichtig es ist, über sie zu forschen und ihnen ein angemessenes Andenken zu Teil werden zu lassen. Nicht bewusst waren mir die Zusammenhänge zwischen dem aufkommenden Kapitalismus und der Herabwürdigung der Frauen. Ein sehr spannendes feministisches Thema.

    Besonders gefreut habe ich mich, dass ich den Lorscher Bienensegen nach meinem Studium nochmal gedruckt gesehen habe. Insgesamt waren die historischen und bauhistorischen Elemente sehr gut recherchiert und im Text eingebaut. Mir haben dieses sehr einfühlsam geschriebene Buch und das wunderbar stimmige Cover wirklich gut gefallen. Es wird mich noch einige Zeit beschäftigen. - Was es mit dem gestohlenen Kessel auf sich hat? Lest es einfach nach. Erscheint am 30. August 2023.

  • Ergreifende Geschichte über Abelke Bleken

    Der schlichte Buchtitel „Marschlande“ und das Buchcover mit dem bäuerlichen Motiv ist eher einfach gehalten und beschreibt das kärgliche Leben der Marschländer sehr gut. Vor allem der Klappentext mit der Information von Abelke Bleken hat mich auf das Buch neugierig gemacht. Schon während den ersten Seiten hat mich der Schreibstil der Autorin Jarka Kubsova gepackt und ich war von dem Buch bis zum Schluss gefesselt.

    Die Geschichte beginnt gleich dramatisch mit der Vorbereitung der Büttel einen Scheiterhaufen für Abelke Bleken zu errichten. Dann springt die Geschichte in die Gegenwart. Die promovierte Geographin Britta Stoever, Mutter von zwei Kindern, zieht mit ihrer Familie aus Hamburg in die Marschlande (Ochsenwerder) und hat Probleme sich dort heimisch zu fühlen. Bei einem ihrer Spaziergänge entdeckt sie den Namen Abelke Bleken, die im 16. Jahrhundert als Hexe verbrannt wurde. Je mehr sie über Abelke herausbekommt, desto mehr hält sie deren Schicksal in ihren Bann.

    „Auf einmal wurde ihr (Britta) klar, was an der kahler werdenden Landschaft dieses Unwohlsein in ihr auslöste. Es war, als ob nicht nur in der Natur Dinge freigelegt würden, sondern auch in ihr. Durch die Stille und Leere kam so vieles hoch, was sie in den letzten Jahren immer wieder verdrängt hatte.“ (S. 48)

    Von mir gibt es eine Kauf- und Leseempfehlung.

  • Eine Hexe wird rehabilitiert

    Diese fiktionale Erzählung beinhaltet die Geschichte der real existierenden Abelke Bleken, die im 16. Jahrhundert in Ochsenwerder als Hexe verbrannt wurde. Der zweite Handlungsstrang erzählt die Geschichte der 46 jährigen Britta, die mit ihrer Familie erst vor ein paar Monaten nach Ochsenwerder gezogen ist. Bei einem ihrer langen Spaziergänge entdeckt sie im Neubaugebiet von Ochsenwerder den Abelke-Bleken-Ring sowie die Information über Abelke Bleken. Sie betreibt im Internet Nachforschungen und stellt immer mehr Parallelen zu ihrem eigenen Leben her.

    Das Thema klingt sehr spannend und mir hat die Umsetzung durch die Autorin Jarka Kubova sehr gefallen. Ich war von Anfang an von der Geschichte gefesselt. Mir hat der flüssige Schreibstil und die ständigen Zeitenwechsel zwischen dem 16. Jahrhundert und der Gegenwart gefallen. Die einzelnen Kapitel hatten auch eine angenehme Länge.

    Im Nachwort gibt es noch einige sehr interessante Informationen. Meiner Meinung nach hätte die Gender-Sprache aber nicht sein müssen.

    Fazit:

    Dieses Buch kann ich uneingeschränkt weiterempfehlen.

  • Klappentext/Verlagstext
    Im Hamburger Marschland lebt ums Jahr 1580 Abelke Bleken. Sie führt allein einen Hof, trotzt Jahreszeiten und Gezeiten. Und sie versucht, sich gegen ihre Nachbarn zu behaupten, in einer Zeit, die für unabhängige Frauen lebensgefährlich ist. Fast fünfhundert Jahre später zieht Britta Stoever mit ihrem Mann und ihren Kindern in die Marschlandschaft. Ihre Arbeit als Geografin hat sie für die Familie aufgegeben, das neue Zuhause ist ihr noch fremd. Sie unternimmt lange Spaziergänge durch die karge Landschaft, beobachtet die Natur und lernt, in Bracks und Deichlinien die Spuren der Vergangenheit zu lesen. Dabei stößt Britta auf das Leben der Abelke, auf Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten, die beängstigend aktuell sind. Fasziniert taucht sie tiefer und tiefer ein – und merkt, wie viel sie im Leben der anderen Frau über sich selbst erfährt.


    Die Autorin
    Jarka Kubsova wurde 1977 in Tschechien geboren, seit 1987 lebt sie in Deutschland. Sie arbeitete als Journalistin bei »Financial Times Deutschland«, »Stern« und »DIE ZEIT« sowie als Co-Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher. 2021 erschien ihr Debütroman »Bergland«, der auf der Jahresbestsellerliste stand. Jarka Kubsova lebt in Hamburg. Für »Marschlande« tauchte sie tief in die Geschichte der Stadt und der Vier- und Marschlande ein und forschte in Archiven über Abelke Bleken und ihre Zeit.


    Abelke Bleken

    Wikipedia

    Dokument

    Inhalt

    Als die Geografin Dr. Britta Stoever mit Mann und schulpflichtigen Kindern nach Ochsenwerder an der Elbe zieht, stehen die Stoevers vor dem üblichen Spagat berufstätiger Paare. Philip, dem ihr hochmodernes Haus in den Marschlanden ein wichtiges Anliegen war, fühlt sich als unentbehrliche Führungskraft nicht für Haushalt und Kinder verantwortlich. Britta hat seit Jahren ihre Arbeitszeit reduziert und würde gern neu durchstarten. Eine Lehrtätigkeit an einer Hochschule setzt allerdings ihren vollen Einsatz voraus – und eine Neuverteilung der Care-Arbeit zwischen ihr und Philip. Unzufrieden mit ihrer (voraussehbaren) Situation befasst sich Britta im nebligen Herbst mit der geografischen Lage des Ortes an der Elbe – und mit der historischen Person Abelke Bleken, die 1583 in Hamburg als Hexe verbrannt wurde. Nach Abelke ist in Ochsenwerder eine Straße benannt – und Britta lernt passenderweise Ruth Grotjahn kennen, eine „Hiesige“, die sich dafür einsetzt, die Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit zu verbessern. „Männer erhalten für besondere Leistungen einen Gedenkstein …“, meint Ruth nüchtern zu dem Thema, ‚Frauen wurden eher in die Psychiatrie eingewiesen, wenn sie Ansprüche stellten‘, lässt sich der Gedanke fortsetzen.


    Abelke Bleken war im 16. Jahrhundert eine angesehene, erfolgreiche Bäuerin, die ihren Hof allein führte und sich weigerte, ihren Besitz (zum Profit eines Ehemannes) geschickt durch Heirat zu vergrößern. Ihr Vermögen hatte bereits gierige Blicke auf sich gezogen, als in einer verheerenden Springflut der Deich zwischen ihrem Hof und der Elbe zerstört wird – und die Dorfgemeinschaft von ihr allein die Reparatur des Deichs verlangt. Einem (männlichen) Bauern wären in dieser Situation Tagelöhner zur Hilfe geschickt worden oder er hätte finanzielle Unterstützung erhalten. Dass niemand in der Not einen Finger rührt, wagen die Marschbauern offenbar allein gegenüber Frauen oder Hofbesitzern, die am Ende ihrer Kräfte sind. Das Ausgrenzen einer unbequemen Person aus der Gemeinschaft lässt knallharte finanzielle Interessen der Vereinigung der Deichgeschworenen vermuten, die ursprünglich ein Ehrenamt sein sollte.


    Als Geografin kann Britta die Folgen der damaligen Flut in der Marschlandschaft von heute "lesen" und fängt sofort Feuer angesichts Abelkes Schicksals und der Auswirkung der Hexenverfolgung auf die gesamte Bevölkerung. Parallel zu ihrer Spurensuche führt ein aktueller Mobbing-Fall Britta den klassischen Ablauf von Mobbing vor Augen und die Rolle, die untätige Zuschauer darin spielen. Ein ungewöhnlicher Zufall. Jarka Kubsova demonstriert ihren Leser:innen damit eindringlich, dass es in Hexenprozessen zumeist nicht um konkrete Taten ging oder um Geständnisse, sondern darum, unbequeme Zeitgenoss:innen zu beseitigen.


    Fazit

    Drei Frauen in ihrer Landschaft. Die historische Figur Abelke Bleken, eine berufstätige Mutter der Neuzeit und eine Sozialhistorikerin, die sich für mehr Sichtbarkeit historischer Frauenfiguren einsetzt, führt Jarka Kubsova vor akurat recherchiertem historischem Hintergrund zusammen. Das Ausgeliefertsein der Marschbauern gegenüber den Wettergewalten, die Rolle einer selbstbewussten Hoferbin und die generelle Anerkennung der Leistung von Frauen verknüpft sie in runder, neutraler Sprache - mit wenigen authentischen Mundart-Dialogen.


    Mit einem erhellenden Nachwort, inhaltlich und stilistisch ein hervorragender Roman.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Die Geografin Britta Stoever hat mit ihrer Familie in Hamburg gelebt und der Kinder wegen beruflich zurückgesteckt. Doch nun zieht sie ihrem Mann zuliebe ins Marschland. Das Energieeffizienzhaus, für das er sich ohne Britta entschieden hat, gefällt ihr nicht und auch sonst kommt sie nicht an. Als sie die Gegend erkunden will, fällt ihr ein Straßenschild „Abelke-Bleken-Ring“ ins Auge. Sie will wissen, wer diese Frau war und stößt bei ihren Recherchen auf eine Hexenverbrennung im 16. Jahrhundert.


    Abelke war eine selbstbewusste und selbständige Frau, die sich von niemanden sagen lassen wollte, wie sie ihr Leben zu führen hat. Als Tochter eines reichen Bauern übernimmt sie den Hof nach seinem Tod und bewirtschaftet ihn ohne Ehemann. Das ist in jener Zeit ungewöhnlich und sie hat auch Neider, weil sie das erfolgreich macht. Doch dann schlägt die Natur zu und schnell ist eine Schuldige ausgemacht. Ein Scheiterhaufen wird aufgebaut und Abelke als Hexe verbrannt.


    Je mehr Britta in die Geschichte von Abelke eintaucht, umso mehr erkennt sie, was in ihrem Leben nicht richtig läuft. Die Differenzen zwischen den Ehepartnern werden immer offensichtlicher und schon bald läuft alles auf eine Trennung hinaus.


    Die Autorin Jarka Kubsova hat einen wunderbaren Roman geschrieben über zwei Frauen, die in unterschiedlichen Zeiten leben und beide ein selbstbestimmtes Leben führen möchten. Der Handlungsstrang um Abelke Bleken hat mir dabei viel besser gefallen als der um Britta Stoever. Abelke widersetzt sich den Gepflogenheiten ihrer Zeit und so kommt es, wie es damals kommen musste. Britta dagegen wollte Familie und Beruf unter einen Hut bringen, auch weil ihr Mann sie bedrängt hat, und hat sich dabei selbst vergessen. Beruflich hat sie durch ihre Auszeit keine Chance mehr in ihrem Job.


    Dieser Roman lässt sich sehr angenehm lesen und hat mir gut gefallen.

  • Britta und Abelke Bleken

    Dies ist mein erstes Buch von Jarka Kubsova. Der Schreibstil ist sehr flüssig und ich habe das Buch innerhalb weniger Tage gelesen. Die Autorin hält die Spannung durch die zwei sich ständig wechselnden Zeitebenen in denen die Geschichte erzählt wird.

    Die erste Zeitebene beginnt Ende Oktober (irgendwann in der Gegenwart) und die Geographin Britta ist mit ihrer Familie vor kurzem nach Ochsenwerder gezogen. Die zweite Zeitebene beginnt im Jahr 1583 mit der Vorbereitung, die Hexe Abelke Bleken zu verbrennen. Danach gibt es einen Rückblick auf das Jahr 1570, als an Allerheiligen der Deich bricht und Abelkes Land betroffen ist. Es wird dann ein weiterer Rückblick eingeschoben, um dann wieder zurück auf 1570 zu springen. Anschließend geht es dann chronologisch weiter.

    Da ich sehr gerne historische Romane lese, hat mich vor allem der historische Teil von „Marschlande“ interessiert. Leider fehlen hier im Buch die Jahresangaben. Erst im Nachwort werden einige sehr interessante Eckdaten genannt.

    Obwohl der Schreibstil an sich sehr flüssig zu lesen war, hat mich anfänglich dieses zeitliche Hin- und Hergespringe (im historischen Teil) etwas gestört. Eine (ungefähre) Jahreszahl in der Überschrift wäre für mich hilfreich gewesen.

    Die erste Zeitebene, die in der Gegenwart spielt, hat mir ganz gut gefallen.

    Fazit:

    Es ist ein interessantes Buch, das ich gerne gelesen habe.

  • Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen, einmal in der Vergangenheit und einmal in der Gegenwart.

    Den Vergangenheitsteil finde ich unheimlich toll. Man bekommt gut die Gegebenheiten des Landstrichs vermittelt, wie die Leute ticken und wie hart des bäuerliche Leben zu dieser Zeit gewesen sein muss. Und es wird sehr deutlich, wie schwer es vor allem für eine alleinstehende Frau gewesen sein muss, die es schafft einen Hof selbst zu führen und das auch erfolgreich. Abelkes Geschichte hat mich sehr fasziniert und ihr Schicksal mich sehr berührt. Die Ungerechtigkeiten, die ihr widerfahren, haben mich wütend gemacht und ich wäre am liebsten durch die Seiten gestiegen und hätte Abelke verteidigt.


    Mit dem Gegenwartsteil habe ich so ein wenig meine Probleme. Er ist mir zu sehr gespickt mit Klischees. Das kann funktionieren, aber es fühlt sich für mich an wie eine Auflistung der größten Frauen-/Familienklischees, die man derzeit so finden kann. Dadurch fällt es mir unheimlich schwer, mich in Brittas Probleme hineinzuversetzen. Ich finde den überwiegenden Teil einfach ziemlich belanglos. Erst am Ende wird für mich ein bisschen dessen sichtbar, wie Brittas Geschichte auch hätte erzählt werden können. Ohne Klischees und ohne Feminismus-Keule.


    Ich finde ja selten ein Nachwort wirklich spannend und meistens lese ich es auch tatsächlich nicht. Aber hier ist das Nachwort wirklich gut gemacht. Interessant und informativ, es hat mich wirklich sehr gelockt sich mit einem mir eher unbekannten Thema auseinanderzusetzen, tolle Anreize zur weiteren Lektüre.

    Aber der Gegenwartsteil - der ist mir einfach zu platt, zu plakativ, zu klischeehaft und auch nicht wirklich interessant. Er kann für mich absolut nicht mit der Geschichte um Abelke Bleken mithalten. Aber alleine für diesen Teil würde ich das Buch noch einmal lesen.

  • Britta lebt jetzt mit ihren Kindern, Marscha und Ben und ihrem Mann Philipp in den Marschlanden, einem Bezirk in Hamburg Bergendorf. Sie liebt die Reetdachhäuser von denen sie umgeben sind, Philipp jedoch bevorzugte ein größeres Haus im Neubaugebiet, viel Beton, viele Fenster. Im Gegensatz zu Britta ist Philipp angekommen, sie glaubt noch etwas Zeit zu brauchen. Statt die restlichen Kartons auszupacken, streift sie durch die Gegend, versucht sich die Deichlandschaft zu erschließen.

    Als sie mit Marscha schwanger war, verzichtete sie auf eine Karriere als erfolgreiche Geologin. Philipp arbeitete mehr und brachte ein gutes Einkommen nach Hause. Sicher, sie hatte sich schon etwas mehr Einsatz von ihm gewünscht, um auch einmal Freiräume für sich zu schaffen, es dann aber hingenommen, wie es war. Jetzt ist er so eingespannt, dass er ihr abends nicht mehr zuhört, fast beschleicht sie das Gefühl, dass er sich nicht mehr für sie interessiert.

    Britta fühlt sich in ihrer Umgebung wie eine Fremde, bleibt nirgends zu lange stehen, versucht keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, ein Gefühl beschleicht sie. Ein Gefühl, das sie kennt, als wäre es in ihre Genetik gebrannt. Sie liest den Namen eines Straßenschildes: Abelke Bleken – Straße und der Name geht ihr nicht mehr aus dem Sinn.

    Britta forscht nach, was es mit dieser Frau auf sich hatte, die im fünfzehnten Jahrhundert hier lebte und entdeckt allerlei Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten. Während sie in die Geschichte Abelkes eindringt findet sie Parallelen zu ihrem jetzigen Leben und ihrem Dasein als Frau. Als ihre Tochter durch sexistische Stimmen ihrer neuen MitschülerInnen gemobbt wird schließt sich der Kreis des kaum Aushaltbaren.

    Zitat
    Es reichte eine Frau zu sein, ein Mädchen, das reichte schon, um in Gefahr zu sein, eine Zielscheibe zu sein, erst recht, wenn man sich vorwagte, mit etwas herausragte, aus der Rolle fiel, die falschen Wege betrat oder zur falschen Zeit. S. 166

    Fazit: Wow, was für eine Geschichte, geistreich, kreativ und so gut recherchiert. Jarka Kubsova hat eine Botschaft. Sie vermittelt uns, was ich auch so oft gespürt habe, was es heißt eine Frau zu sein. Es ist als wäre unsere Amygdala (Sitz der Angst unterhalb der Hypophyse) epigenetisch vergrößert, was uns zu vermehrter Angst, Sorge und Vorsicht bringt. Allein wegen unserem Geschlecht, sind wir manigfaltigen Gefahren ausgesetzt. Wenn dann noch patriarchales Machtdenken oder strukturelle Ungerechtigkeiten hinzukommen, werden wir aus der Bahn geworfen.

    Die Technik der Autorin ist große Erzählkunst. Jedes Kapitel wird zu einem Cliffhanger, sie widmet ein Kapitel Britta und unserer Gegenwart, im nächsten schaut sie in Abelkes Vergangenheit. Sie lässt sich Zeit diese Geschichten zu erzählen, mich jedoch nicht ungeduldig zappelnd zurück, sondern hält mir einen interessanten anderen Erzählstrang hin, den ich dankbar annehme. Selten hat mich ein Buch, durch seine bildhafte Sprache so sehr bewegt, wie Marschlande. Danke, Jarka Kubsova, dass ich etwas so mitreißendes, schönes lesen durfte. Chapeau.

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  • Interessant, nachdenklich stimmend


    In dem Roman „Marschlande“ erzählt Jarka Kubsova über zwei Frauen aus dem Hamburger Marschland.


    Eine von ihnen ist die Hufnerin Abelke Bleken, die im 16. Jahrhundert einen großen Hof von ihren Eltern übernommen hatte. Sie liebte ihre Heimat und lebte für ihre Aufgaben als Bäuerin. Ihr florierender Bauernhof war dem anderen Dorfbauern ein Dorn im Auge, der Neid um ihren Erfolg und Besitz wuchs.


    Ein neues Zuhause findet im Marschland Britta Stöver, die mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Ochsenwerder zieht. Ihre Geschichte spielt in der Gegenwart. Britta, die ihren Job als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie aufgegeben hat, um sich der Familie zu widmen, ist zuerst mit dem neuen Zuhause und ihren Aufgaben als nur Hausfrau und Mutter unzufrieden. Doch dann entdeckt sie die Hinweise auf das Leben von Abelke Bleken. Die Geschichte der starken Frau, die sich gegen alle Widrigkeiten ihrer Epoche und dem Hass der Mitmenschen stellen musste, fasziniert Britta.


    Es gibt einige Parallelen in den Geschichten der beiden Frauen. Beide mussten um ihre Ziele und Überzeugungen kämpfen, beide zahlten einen hohen Preis dafür.


    Besonders interessant fand ich die Geschichte über die Hufnerin Abelke, die auf historischen Tatsachen beruht. Im Nachwort zum Buch schreibt die Autorin ausführlich darüber. Nicht nur das Schicksal der Bäuerin hat mich bewegt; auch viele historischen Fakten, wie das damalige Deichrecht oder die Enteignung der Bauern, weckten mein Interesse.


    Etwas mehr dagegen hätte ich von der Geschichte über Britta erwartet. Ich hätte viel mehr über ihr bisheriges Leben, über Beweggründe für ihre Entscheidungen erfahren wollen.


    Genossen habe ich die bildhafte Schreibweise der Autorin, die ausdrucksvoll über die Marschlandschaft schreibt:


    (ein) Stück Land, in dem Glück und Unglück sich abwechselten, wie die Gezeiten,


    wo Überfluss und Verderben kamen und gingen, wie Ebbe und Flut.“
    (103)


    „Marschlande“ ist ein hochinteressanter, nachdenklich stimmender Roman, sehr zu empfehlen!

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