Shelley Read - Soweit der Fluss uns trägt / Go as a River

  • Kurzmeinung

    drawe
    Endlose Wiederholungen, larmoyant, kitschig - nichts für mich.
  • Kurzmeinung

    kleine_hexe
    Stilsicher und ergreifend, fantastische Naturbeschreibungen
  • Die anfangs 17jährige Victoria lebt Ende der 1940er Jahre zusammen mit ihrem Vater, ihrem Bruder und ihrem Onkel auf einer Farm am Rande der Kleinstadt Iola in Colorado und muss seit dem frühen Unfalltod ihrer Mutter auf der Farm viel mitarbeiten und auch den kompletten Haushalt führen. Eines Tages begegnet sie in Iola einem fremden dunkelhäutigeren Jungen, zu dem sie sich sofort hingezogen fühlt, der aber von allen anderen im Ort vehement abgelehnt wird. Victoria lässt sich in ihren Gefühlen nicht beirren. Sie ahnt nicht, welches Unglück bald hereinbrechen und sie zwingen wird, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben für immer verändert werden.


    Die Geschichte wird aus Victorias Perspektive in der Ich-Form erzählt und umfasst den Zeitraum zwischen 1948 und 1971. Victorias Schicksal hat mich sehr berührt, und ich habe beim Lesen oft innegehalten und überlegt, wie ich in dieser Situation, in dieser Zeit und unter diesen familiären und gesellschaftlichen Umständen gehandelt hätte. Stellenweise ist das Buch so tieftraurig, dass ich gelegentlich eine Pause eingelegt und das Buch entgegen meiner Gewohnheit über mehrere Tage gelesen habe.


    Der Schreibstil des Buches hat mir besonders gut gefallen. Victorias Situation, ihre Gedanken und Gefühle und ihre Entwicklung sind sehr detailliert, lebendig und gut nachvollziehbar geschildert, Victoria war mir sofort sehr nahe und ich konnte mit ihr mitfühlen. Sehr ausführlich und stimmungsvoll beschreibt Read Shelley auch die raue und karge Landschaft Colorados und der Big Blue Wilderness.


    Die Geschichte macht trotz vieler trauriger Momente Mut, auf die eigene Stärke zu vertrauen, die Hoffnung nicht aufzugeben und zu seinen Entscheidungen zu stehen. Er zeigt auch, wie wichtig es ist, genau hinzusehen, nicht vorschnell zu urteilen und hinter die Fassaden der anderen zu blicken.


    Ich wurde auf das Buch eher zufällig aufmerksam und wurde absolut positiv überrascht - "Soweit der Fluss uns trägt" ist für mich ein wirklich bemerkenswerter Debütroman, den ich nur weiterempfehlen kann!

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Shelley Read - Soweit der Fluss uns trägt“ zu „Shelley Read - Soweit der Fluss uns trägt / Go as a River“ geändert.
  • Die kleine Gemeinde Iola am Gunnison River am Fuße der Berge Colorados Ende der 1940er-Jahre: Auf einer alten, abgeschiedenen Pfirsichfarm lebt die 17-jährige Victoria Nash mit ihrem Vater und ihrem Bruder. Das Schicksal hat es nicht immer gut mit ihr gemeint. Dann kommt der Tag, an dem sie Wilson Moon begegnet und der alles für sie verändert. Victoria ist gezwungen, ihr bisheriges Leben aufzugeben und in die Wildnis zu fliehen.


    „So weit der Fluss uns trägt“ ist der Debütroman von Shelley Read.


    Meine Meinung:

    Nach einem Prolog gliedert sich der Roman in mehrere Teile. Diese wiederum bestehen aus diversen Kapiteln. Die Handlung beginnt 1948 und umspannt einige Jahre. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive aus der Sicht von Victoria. Der Aufbau ist unkompliziert und funktioniert prima.


    Die Sprache des Romans hat mich auf Anhieb überzeugt. Der Stil ist bildstark, anschaulich und atmosphärisch. Vor allem die Naturbeschreibungen empfinde ich als sehr gelungen.


    Die Protagonistin ist ein interessanter und realitätsnaher Charakter. Ich konnte mich gut in ihre Gedanken und Gefühle hineinversetzen. Trotz ihrer anfänglich naiven Art ist sie eine Sympathieträgerin. Auch die übrigen Figuren wirken weitestgehend plausibel.


    Inhaltlich handelt es sich vordergründig um eine Liebesgeschichte. Auf den zweiten Blick ist das Themenspektrum weitaus breiter. Die Geschichte beleuchtet Rassismus, Vorurteile, Intoleranz und ähnliche Aspekte. Damit trifft sie den Zeitgeist und macht auf wichtige Probleme aufmerksam. Darüber hinaus spielen Verluste, Zugehörigkeit und andere existenzielle Themen eine Rolle.


    Auf den rund 350 Seiten entfaltet sich die Handlung in ruhigem Tempo. Dennoch hat mich die Geschichte bei der Stange halten können.


    Das deutsche Cover spricht mich nicht so sehr an wie das der amerikanischen Originalausgabe. Der deutsche Titel ist sinngemäß nah am Original („Go as a River“). Beide Formulierungen passen gut zum Inhalt.


    Mein Fazit:

    Mit „So weit der Fluss uns trägt“ ist Shelley Read ein empfehlenswerter Roman gelungen. Ein emotional bewegendes, psychologisch ausgefeiltes Debüt.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Was wäre wenn?

    Was wäre wenn Victorias Mutter, Tante Viv und Cousin Cal nicht tödlich verunglückt wären? Hätte die Mutter es vermocht, den wilden und brutalen Seth beizeiten zu zähmen, ihn zu beruhigen?

    Was wäre wenn Victorias Mutter Seth bestraft hätte, weil er die Nachbarin Ruby-Alice Akers mit Steinen beworfen und verletzt hatte? Aber die streng gläubige Mutter, immer mit einem passenden Bibelspruch zur Hand, hat Seths Tat sogar sanktioniert. Die Nachbarin wich von der von den Yola-Bewohnern etablierten Norm ab, also galt sie als Freiwild, genau wie Jahre später Wilson Moon. Wil war Indianer, kam von außerhalb, also war er schuldig, ergo Freiwild.

    Was wäre wenn der Vater zu Victoria gehalten hätte, sie mehr in Schutz genommen hätte, vor Seth und Ogden? Hätte sie dann noch fliehen müssen? Die Schwangerschaft geheim halten müssen? Oder hätte sie das Kind daheim entbinden und sogar behalten können? Was wäre wenn der Vater Seth und Ogden aus dem Haus geschmissen hätte, ehe Victoria fliehen musste?

    Was wäre wenn der Großteil der Bewohner von Yola nicht solch ein verlogener bigotter Haufen gewesen wäre, in dem Andersdenkende, Andersartigkeit und Schwache toleriert wurden? Es nicht gut hießen, Menschen mit Steinen zu bewerfen und Indianer verjagt würden? Aber Yolas Bewohner sind schnell dabei, über andere den Stab zu brechen, Böses über sie zu kolportieren, ihnen den Rücken zu kehren. Als Victoria Haus und Grundstück verkauft und Ruby-Alice Akers bei sich aufnimmt, verurteilt sie die Stadt, macht sie zur Außenseiterin. Doch Victoria ist schon durch eine harte Schule gegangen. Sie kümmert sich nicht um diese selbstgerechten Menschen. Sie verfolgt unbeirrt ihre Ziele und baut sich eine neue Existenz in Paonia auf. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre geliebten und wertvollen Pfirsichbäume.

    In all diesen Jahren denkt sie ständig an ihren Sohn, sucht die Wiese im Wald auf, in der sie ihr halb verhungertes Baby in ein fremdes Auto gelegt hat.

    Was wäre wenn die andere Frau das fremde Kind nicht angenommen hätte?

    Interessant, wie sowohl Victoria als auch Lucas jeweils einen hartherzigen, aggressiven und verlogenen Bruder haben, Seth und Maxwell, die Victoria und Lucas das Leben schwer machen.

    Was wäre wenn? Ganz einfach, dann hätten wir dieses wunderbare Buch in der meisterhaften Übersetzung von Wibke Kuhn nicht in den Händen.

    Shelley Read greift in ihrem Buch schwere Themen auf: die untergeordnete und rechtlose Rolle der Frau in den 40ern bis Ende der sechziger Jahre in der Gesellschaft, Rassismus und die Misshandlung der Native People in den USA, als ob der Slogan des 19. Jahrhunderts - nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer - auch Mitte des 20. Jahrhunderts noch gültig ist. Ein weiteres Thema ist die Behandlung behinderter Menschen, entweder mit psychischen oder physischen Problemen. Wenn Präsident Roosevelt sich öffentlich mit dem Rollstuhl gezeigt hätte, wäre die Akzeptanz der behinderten Menschen, ob kriegsversehrt oder Andersartigkeit, in der breiten Masse der Bevölkerung gestiegen.

    Die phantastischen Naturbeschreibungen im Buch, das Mädchen, das allein gegen die Gesellschaft kämpfen muss, und dann als Siegerin hervorgeht, erinnert an "Der Gesang der Flußkrebse", aber dann hören auch die Gemeinsamkeiten auf. Höchstens, dass beide Bücher stilsicher und herzergreifend gut sind.