Angelika Rehse - Josses Tal

  • Kurzmeinung

    Bartie
    gut recherchiert, authentisch dargestellt, regt zum Nachdenken an
  • Kurzmeinung

    Emili
    Einsame Kindheit, schuldbeladene Jugend in Nazideutschland. Empfehlenswert.
  • Zur Autorin (Quelle HP):


    Angelika Rehse wurde in Sande/ Kreis Friesland geboren und wohnt heute mit ihrer Familie in Bad Salzuflen. Sie wuchs in einem Umfeld von Heimatvertriebenen auf. Unter dem Eindruck der erzählten und verschwiegenen Geschichten der Generation ihrer Eltern hat sie in einer späten Lebensphase mit „Josses Tal“ einen poetisch kraftvollen und politisch hellsichtigen Roman geschrieben.


    Klappentext:


    1930

    Der unehelich geborene Josef ist eine Schande für seinen Großvater und bekommt dies täglich zu spüren. Seine Kindheit ist geprägt von Angst und fehlender Nähe. Erst nach einem Umzug erfährt er in einer neuen Nachbarsfamilie Anerkennung und Zuneigung. Da ist vor allem Wilhelm, der ihn fördert und schützt, und Josefs Leben scheint sich endlich zum Guten zu wenden.
    Aber der arglose Junge ahnt nicht, dass hinter Wilhelms Freundlichkeit mehr steckt. Der aufstrebende SA-Mann formt Josef zu seinem ergebenen Helfer und benutzt ihn dazu, die Bewohner des Ortes auszuspionieren. Josef geht voller Stolz in dieser Mission auf. Doch dann erfährt er etwas, das sein bisheriges Leben aus den Fugen geraten lässt.



    Mein Hör-Eindruck:

    Der Roman erzählt die Geschichte eines jungen Verführten in den 30er Jahren und seinen radikalen Bruch mit dem Nationalsozialismus.


    Josef, der Protagonist, lebt mit seiner Mutter bei seinen Großeltern in einem kleinen Dorf in Schlesien. Wegen seiner unehelichen Geburt wird er von den Kindern des Dorfes ständig gehänselt und malträtiert und von seinem Großvater misshandelt. Als die Familie der Schande wegen in ein anderes Dorf umzieht, wird die Lage für Josef nicht besser.

    Schließlich findet er in Wilhelm, dem ältesten Sohn der Nachbarsfamilie, einen Beschützer, der ihm wohlwollend entgegentritt und in dessen Familie Josef zum ersten Mal in seinem Leben auf Zuneigung und Wertschätzung trifft. Zugleich aber nordet ihn Wilhelm subtil und stetig in Richtung Nationalsozialismus ein.

    Auch als Wilhelm zum Studium nach Berlin zieht, bleibt der enge Kontakt bestehen, und Josef übernimmt Schritt für Schritt als Hitlerjunge die Aufgaben, die Wilhelm ihm im Interesse der „Reinheit“ seiner Gemeinde und seines Kreises zuweist. Josef bespitzelt nun die Leute und legt Dossiers an, die er an einem geheimen Ort für Wilhelm hinterlegt. Bei diesen Bespitzelungen hört er allerdings auch Dinge, die ihn befremden und irritieren wie z. B. über die Anlage des Konzentrationslagers Groß-Rosen in der Nähe seines Dorfes. Josef wird unsicher und fragt sich, welche Ziele Wilhelm mit seiner Betreuung eigentlich verfolgt. Als er erkennt, dass er als „Versuchskaninchen“ für Wilhelm fungierte – Kaninchen spielen eine wichtige Rolle in dem Roman, siehe auch Titelbild! - , kommt es zum radikalen Bruch.


    Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Zeitebenen. Josef lebt inzwischen als Einsiedler Josse in einem abgeschiedenen Tal in Norwegen und erzählt seine Geschichte einer jungen Frau, die dem Leben ihrer Urgroßmutter nachspürt. Folgerichtig wird daher die Geschichte zunächst aus Josefs Perspektive erzählt. Um die Perspektive der Erwachsenen unterzubringen, gibt die Autorin immer wieder Gespräche wieder, die Josef belauscht hat: vertrauliche Unterhaltungen anderer Jugendlicher, von Nonnen des nahegelegenen Waisenhauses, von Versammlungen beim Pfarrer, von Lehrern, seinen Nachbarn und so fort. Dieser erzählerische Kunstgriff wird zu oft angewandt und ermüdet daher, vor allem weil immer zufällig die Tür offensteht, die eigentlich geschlossen sein sollte, oder das richtige Fenster stets geöffnet ist und so fort. Zugleich werden in diesen Gesprächen mehr oder weniger schlüssig Erklärungen zur Zeitgeschichte untergebracht. Das hemmt einerseits die Dynamik der Handlung, aber andererseits kann man die Erläuterungen auch als geschichtlichen Nachhilfe-Unterricht betrachten, der sicher einigen Leuten nicht schadet.


    Einige Erzählelemente überzeugen jedoch nicht. Nur zwei Beispiele: Darf Josef tatsächlich die Schule für 8 Tage verlassen, um die Bücherverbrennung in Berlin zu erleben? Hat er alle Papiere und Zeugnisse dabei, wenn er lediglich Wilhelm beim Kistenauspacken helfen soll? Überhaupt kommt das Ende des Romans zu temporeich daher und wirkt aufgesetzt so wie Josefs romantische Entscheidung, als bäuerlicher Einsiedler Josse in einem abgeschiedenen norwegischen Tal zu leben.


    Dennoch halte ich das Buch für lesenswert. Die Recherchearbeit der Autorin verdient Respekt, auch wenn sie meiner Meinung nach bei der Ausgestaltung deutlichere Schwerpunkte hätte setzen müssen. Zudem zeigt sie sehr deutlich den inneren Kampf des älteren Josef und alten Josse um die Frage seiner Mitschuld.


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    Die Sprecherin des Hörbuches verdient ein besonderes Lob. Ihre warme und melodische Stimme macht das Hörbuch zu einem Vergnügen! Perfekt eingelesen!


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    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).