Zygmunt Bauman - Die Angst vor den anderen/Strangers at Our Door

  • Ein Essay über Migration und Panikmache


    Original: Englisch, 2016


    HINFÜHRUNG:

    Wenn in kurzer Zeit Hunderttausende Menschen ins Land kommen, stellt das für jede Nation eine gewaltige Herausforderung dar. Und dennoch wirkt es befremdlich, dass Migration praktisch alle anderen Themen von den Titelseiten verdrängt. Den Klimawandel. Die Ungleichheit. Zerfallende Staaten. Also die eigentlichen Ursachen der Migration. Zygmunt Bauman spricht angesichts der emotionalen Debatte von einer moralischen Panik. Und er stellt die Frage, wer von dieser Panik (oder Panikmache?) profitiert. Nicht zuletzt, so der Soziologe, populistische Politiker, die endlich klare Kante zeigen können – zumindest solange sie nicht in der Verantwortung stehen.


    Inmitten der Hysterie und der zunehmenden Xenophobie plädiert Bauman für Gelassenheit und Empathie. In einer Welt, in der Geld, Bilder und Waren frei zirkulieren und ob deren Kugelform sich die Menschen »nicht ins Unendliche zerstreuen können« (Kant), werden wir lernen müssen, mit den anderen zusammenzuleben.

    (Quelle: Suhrkamp)


    GLIEDERUNG UND INHALTE:

    Sechs Kapitel (+8 Seiten Anmerkungen, Quellenangaben):


    1. Migrationspanik – wie man sie nutzt (und missbraucht): Schon überzieht ein Schleier des Vergessens das Schicksal der Flüchtlinge. Die daheim eine “Überflüssigkeit” darstellen, sind es auch bei uns. Sie werden hier wie da zu Sündenböcken. Die prekäre Situation der Migranten schafft hier Vorteile für die Arbeitgeber UND das Gefühl der Angst, Bedrohung bei einfachen Arbeitnehmern. Für diese sind die M. ein willkommener Grund um ihre Situation leicht zu erklären (die vorher schon bestand!) und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Für andere aus der Mittelschicht herrscht oft die Angst vor dem Abgleiten und dem Verlust der Errungenschaften.


    2. Frei flottierende Unsicherheit auf der Suche nach einem Anker: Die erwähnte Labilität und Unsicherheit wird zum Wasser auf den Mühlen um bei manchen eine bestimmte Politik zu fördern. Die Migration wird dort als Unsicherheitsgrund angegeben, und gerade dieser gesellschaftliche Ausschluss in allen Bereichen leistet einen enormen Beitrag zur eventuellen Radikalisierung einiger junger Muslime in der EU


    3. Auf den Spuren starker Männer (oder starker Frauen): Das Prekariat und die verängstigte Mittelschicht drohen abzurutschen. Es gibt oft zwei Optionen: die des “starken Mannes/Frau” oder die des starken Volkes. Dazu kommt (wqirtschaftlich-gesellschaftlicher Kontext als auch psycholog.Faktoren), dass gleichzeitig die Unsicherheit privatisiert wird: der Einzeln versagt, ist schuldig, unfähig, erfolglos etc. Machthaber spielen damit um selbst an der Macht zu bleiben.


    4. Zusammen und dicht gedrängt: Einerseits ist Migration ein fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte: unsere Vorfahren waren Nomaden! Aber andererseits gilt auch, dass bis vor Kurzem die Menschheit in überschaubaren Gruppen lebte, wo jeder jeden kannt. Wie folgt unser Bewusstsein der objektiv schon bestehenden Globalität? Es ist/wäre nicht zulässig, bestimmte Menschengruppen aus dem Bereich des absoluten Anspruches moralischer Verantwortung auszuschliessen.


    5. Lästig, störend und unerwünscht – und deshalb abzuweisen: Die auftauchenden Migrante, zwingen uns, die bisher unsichtbaren und verdrängten Aspekte der Realität unserer Welt wahrzunehmen.


    6. Anthropologische und zeitbedingte Wurzeln des Hasses: Es herrscht eine Kluft zwischen moralischem Wissen und moralischem Handeln, man geht dem moralischen Imperativ aus dem Weg, sucht und findet Entschuldigungen, Vorwände, Sündenböcke um sich und seine Gleichgültigkeit zu rechtfertigen. Doch der einzige Weg ist der des unvermeidlichen Gesprächs zwischen Menschen mit unterschiedlichen Lebensweisen auf einem begrenzten Erdenrund.


    BEMERKUNGEN:

    Der Philosoph und Soziologe Baumann stellt klar und deutlich Zusammenhänge heraus von der Ankunft von Flüchtlingen, Ressentiments, gar Panik einerseits, und Ausnützen eben dieser Angst seitens populistischer Politiker. Da das Buch 2016 geschrieben wurde, findet zB ein Donald Trump (berechtigt) eine Sonderstellung. Auch Orban, Le Pen werden erwähnt. Leider jedoch scheinen die oben angedeuteten Mechanismen derzeit immer weitverbreiteter zu sein.


    Allein der Buch- und Untertitel, wie auch die Kapitelüberschriften zeigen direkt an, in welche Richtung hier Bauman mit seiner Analyse und Kritik geht. Er ist ziemlich klar positioniert und hat hier und da manchmal den Ton der Empörung. In einer Atmosphäre, wo Populisten öffentlich oft den Ton angeben und leichter zu hören sind, ist mir diese eindeutige und fundierte Positionierung lieb und recht. Jedoch frage ich mich, wer diese Nachricht hören wird von jenen, die nicht sowieso schon für “die gute Sache” engagiert sind... Er hilft uns jedoch, manche Zusammenhänge besser zu verstehen.


    AUTOR:

    Zygmunt Bauman (geboren am 19. November 1925 in Posen, Polen; gestorben am 9. Januar 2017 in Leeds, England) war ein polnisch-britischer Soziologe und Philosoph. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges lebte er im westpolnischen Posen. Bei der deutschen Besetzung floh seine jüdische Familie in die Sowjetunion. Dort besuchte er ein Internat und trat der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol bei. 1942 begann Bauman ein Studium in Gorki. 1944 wurde er mobilisiert, als Inspektor der Miliz nach Moskau abkommandiert und später als Politoffizier bei einem aus deportierten Polen bestehenden Regiment der Polnischen Streitkräfte in der Sowjetunion eingesetzt.

    Zwischen 1945 und 1953 war er politischer Offizier (zuletzt als Major) im Korpus Bezpieczeństwa Wewnętrznego (Internes Sicherheitskorps des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit), das unter anderem den polnischen antikommunistischen Widerstand bekämpfte. Gleichzeitig war er in den Jahren 1945–1948 unter dem Decknamen „Semjon“ als Agent des Militärischen Informationsdienstes (Informacja Wojskowa) registriert.


    Wegen der Westkontakte seines zionistische Positionen vertretenden Vaters wurde er 1953 entlassen. Er selbst lehnte dessen Positionen ab. Nach 1956 promovierte er und habilitierte sich 1960 an der Universität Warschau. Dort war er bereits seit 1954 Dozent für Soziologie und wurde 1962 als Professor Nachfolger von Julian Hochfeld (1911–1966), der neben Stanisław Ossowski zu seinen akademischen Lehrern gehörte. Anfang Januar 1968 trat er aus Protest aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei aus, deren Mitglied er seit seinen Studienzeiten gewesen war. Nach den März-Unruhen 1968 und der einsetzenden antisemitischen Hetzkampagne verlor er seine Anstellung an der Universität Warschau und emigrierte nach Israel.


    1971 erhielt Bauman einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Soziologie an der University of Leeds in Großbritannien, den er bis 1990 innehatte. Bis zu seinem Tod lebte Bauman als emeritierter Professor in Leeds und ging seiner Publikationstätigkeit nach. Er war 61 Jahre lang mit der Autorin Janina Bauman (gestorben 2009) verheiratet. Seit ihrem Tod lebte er mit Aleksandra Jasińska-Kania, der Tochter des ehemaligen polnischen stalinistischen Parteichefs Bolesław Bierut, zusammen.

    (Quelle: wikipedia)


    Publisher ‏ : ‎ Suhrkamp Verlag; Deutsche Erstausgabe edition

    Erscheinungsdatum: 11 Sept. 2016

    Language ‏ : ‎ German

    Paperback ‏ : ‎ 125 pages

    ISBN-10 ‏ : ‎ 3518072587

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3518072585

    Dimensions ‏ : ‎ 13.6 x 1.2 x 21.6 cm

  • Originalausgabe also auf Englisch:


    Strangers at our door

    Refugees from the violence of wars and the brutality of famished lives have knocked on other people's doors since the beginning of time. For the people behind the doors, these uninvited guests were always strangers, and strangers tend to generate fear and anxiety precisely because they are unknown. Today we find ourselves confronted with an extreme form of this historical dynamic, as our TV screens and newspapers are filled with accounts of a 'migration crisis', ostensibly overwhelming Europe and portending the collapse of our way of life. This anxious debate has given rise to a veritable 'moral panic' - a feeling of fear spreading among a large number of people that some evil threatens the well-being of society.


    In this short book Zygmunt Bauman analyses the origins, contours and impact of this moral panic - he dissects, in short, the present-day migration panic. He shows how politicians have exploited fears and anxieties that have become widespread, especially among those who have already lost so much - the disinherited and the poor. But he argues that the policy of mutual separation, of building walls rather than bridges, is misguided. It may bring some short-term reassurance but it is doomed to fail in the long run. We are faced with a crisis of humanity, and the only exit from this crisis is to recognize our growing interdependence as a species and to find new ways to live together in solidarity and cooperation, amidst strangers who may hold opinions and preferences different from our own.

    (Quelle: amaz.uk)


    ASIN ‏ : ‎ 1509512179

    Publisher ‏ : ‎ Polity; 1st edition (29 April 2016)

    Language ‏ : ‎ English

    Paperback ‏ : ‎ 120 pages

    ISBN-10 ‏ : ‎ 9781509512171

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-1509512171

    Dimensions ‏ : ‎ 12.19 x 1.27 x 18.8 cm