Emilia (Spitzname Lämpchen) und ihr Vater Augustus leben im Leuchtturm. Bei Flut ist der Weg dahin meist überspült, aber bei Ebbe ist der Ort in der Nähe leicht zu erreichen. Weil der Leuchtturmwärter ein Bein verloren hat, muss Emilia jeden Tag die Treppen ins Lampenhaus hinaufsteigen und mit Streichhölzern das Leuchtfeuer anzünden. Für ein kleines Mädchen, das lieber Muscheln und Treibholz sammelt, ist das eine zu verantwortungsvolle Aufgabe. Eines Tages vergisst Emilia, rechtzeitig Streichhölzer zu kaufen und schafft es nicht rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit in den Leuchtturm zurück. Ein Schiff strandet, der Schaden ist gewaltig und Vater und Tochter müssen beide 7 Jahre lang arbeiten, um den Schaden zu ersetzen. Emilia kommt als Dienstmädchen in das unheimliche Haus des Admirals, in dem es ein Monster geben soll. Doch zunächst ist die wirklich noch kleine Emilia eine willkommene Aufmunterung für Martha die Haushälterin, ihren Mann und deren behinderten, erwachsenen Sohn Lennie.
Der kräftige Lennie, der nicht spricht, nimmt Emilia die schweren Hausarbeiten ab, er blüht dabei sichtlich auf und auch sein Vater scheint wieder Freude am Leben zu finden. Wer hätte gedacht, dass Emilia sich – voller Sehnsucht nach einem Blick auf den Leuchtturm - in das stets abgeschlossene Turm-Zimmer mit dem "Monster" traut. Unter dem Bett findet sie Edward, einen verängstigten jungen Meermann mit grünlichen Haaren und besonderen Augen; Fisch nennt Emma ihn. Der Junge wird vom Admiral gefangen gehalten und soll seine Muskeln kräftigen, um endlich laufen zu können. Bevor Emilia ins Haus kam, hatte ein kluger Betreuer Edward unterrichtet. Edward bemerkt gleich, dass Emilia nicht lesen kann und will es ihr sofort beibringen. Als der Admiral seine Rückkehr von großer Fahrt ankündigt, will Lämpchen schnell noch gemeinsam mit Edward etwas erledigen – und bringt sich und den ganzen Haushalt damit in Schwierigkeiten. In einem Buch für Zehnjährige kann man sich drauf verlassen, dass Probleme lösbar sind und Kinder sich zu helfen wissen – so ist es auch hier.
Annett Schaap, die vor ihrem Erstling bereits als Illustratorin gearbeitet hat, schafft mit Lämpchen eine hinreißende, unerschrockene Heldin. Ihr ist ein spannendes, bewegendes, mit seinen zarten Illustrationen auch optisch ansprechendes Buch gelungen, das komplizierte Probleme für die 10-jährige Zielgruppe in verständliche Sprache fasst. Mit der Stimme der verstorbenen Mutter im Hintergrund, die ihrer Tochter stets Rückhalt bietet, über Emilias Freundschaft mit Piraten bis zu der Botschaft, dass Kinder in Schwierigkeiten geraten, weil sie nicht lesen oder nicht schwimmen können, ist „Emilia und der Junge aus dem Meer“ ein Kinderbuch, das sich auch direkt an Erwachsene richtet. Es geht um die Kunst, selbst in schwierigen Situationen ein guter Mensch zu bleiben und um falsche Geheimnisse, die Menschen erst in Schwierigkeiten bringen. Schaap erzählt von der Widerstandskraft von Kindern, die unter schwierigen Verhältnissen aufwachsen, vom unseligen Zwang, dem Bild der Eltern zu entsprechen, und dass gut gemeinte Hilfe noch lange nicht gut gemacht sein muss. Erwachsene und Kinder dürfen bei Schaap Fehler haben und ihre Nebenfiguren sind bis in die Details ausgearbeitet.
Ein preiswürdiges Buch, dem ich viele Leser wünsche.