Charles Dickens - Eine Geschichte aus zwei Städten / A Tale of Two Cities (Start: 1. Februar 2019)

  • Hier lässt er sich über die Zustände in den Gefängnissen aus:

    Das scheint eines seiner Lieblingsthemen zu sein, oder? Ich erinnere mich an seine Schilderungen in David Copperfield, wo er einerseits die Zustände im Schuldengefängnis satirisch wiedergab mit dem regen gesellschaftlichen Leben, das sich dort entwickelte, dem Gesangverein, dem Debattierclub etc., und wo er aber andererseits die Reformbestrebungen sarkastisch karikierte. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an die Milch-Debatte.

    summende Schmeißfliegen.

    Das Bild kommt mehrfach, es scheint dem Erzähler (und dem Autor) ein Anliegen zu sein.

    Ist es heute anders...? :(

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Nach drei anstrengenden Tagen bin ich auch wieder etwas wacher hier, nur leider noch nicht ganz so weit... aber das macht nichts, das Wochenende naht :dance:

    Vielen Dank für die Erklärung. Auf Polstermöbel wäre ich nie gekommen. Und jetzt werde Ihr wahrscheinlich lachen, aber meine Vorstellung ging eher in Richtung "pelziger" Schrank, von daher die Frage.

    Ein Schrank mit Pferdeschwanz :loool:

    Allerdings finde ich sie ziemlich pathetisch in der Wiedersehens-Szene am Ende von Book One

    Zumal sie ja gar keinen Bezug zu ihrem Vater haben kann, außer dem rein biologischen. (Und der allein macht ja nun keine Beziehung aus.) Auf den ersten Blick wirkt es auf mich recht klischeehaft: die mitfühlende zarte Frauenseele und die recht unbeholfen daneben stehenden Männer. Aber es wäre ja nicht Dickens, wenn da nicht noch mehr dahinterstecken würde. Wir werden sehen...

    Das ist das, was ich mir eben auch denke - er schreibt nichts ohne Grund. :wink:


    Bisher muss ich sagen, dass ich wie erwartet nicht alles verstehe, aber den groben Inhalt und vereinzelte "Spielereien". Ich liebe ja die vielen und ausführlichen Vergleiche die Dickens verwendet :loool:

    Dickens im Original zu lesen ist allerdings auch eine Herausforderung, aber es lohnt sich schon allein aufgrund des brillanten Schreibstils.

    Wobei ich dieses Buch tatsächlich auch als schwieriger zu lesen empfinde als die anderen drei vorher. Aber ich weiß, dass ich mich einlese, mit jedem Kapitel wird es leichter. Trotzdem ist es thematisch wie sprachlich für mich das am meisten fordernde Buch von allen, die ich gelesen habe.


    in das sehr anschaulich beschriebene, alte, verstaubte und erzkonservative Bankhaus Tellsons machen, wo alles so gemacht wird, wie es wahrscheinlich schon immer gemacht wurde und jeder Fortschritt im Keim erstickt wird. Ein schöner Seitenhieb auf die gesamte Gesellschaft war Dickens' Anmerkung "In dieser Beziehung erging es dem Hause gerade wie England, das sehr oft seine Söhne enterbte, weil sie Verbesserungen an Gesetzen und Bräuchen beantragten, die nichts weniger als löblich, aber eben deshalb umso achtbarer waren."

    Das ist so typische Dickens und so wunderbar geschrieben, mit Sarkasmus und Brillanz - deswegen liebe ich ihn so :pray:


    Ich habe mich an zwei Stellen gedanklich im zweiten Buch bei den ersten beiden Kapitel "festgebissen". Ich rätsel die ganze Zeit über, was damit gemeint sein kann.


    Dieses Ekelpaketchen eines Boten namens Jerry Cruncher geht mit "sauberen" Stiefeln nach Hause und hat nach dem schlafengehen "schmutzige" Stiefel? Wie geht das?


    Dann hat er Rost an sich. Erst dachte ich an Tuberkolose, aber als er im Gerichtssaal "eifrig den Rost von seinen Fingern gesogen hat" (Seite 93) wäre ich mit meinem Interpretationslatein am Ende. Habt ihr da eine Idee was damit gemeint sein könnte?


    Achtung Farast interpretiert wieder lustig vor sich hin: Kann das ein Sinnbild von Blut sein? Klebt da so viel an seinen Händen an ihn? Der netteste Zeitgenosse ist er ja sichtlichst nicht gerade. :-k

    Wirklich helfen kann ich Dir da nicht, aber die Stiefel können wörtlich bedeuten, dass er nachts sich noch herumtreibt und bildlich vielleicht eben, dass er tagsüber sauberen und nachts eben schmutzigen Geschäften nachgeht. :-k Die Szene mit dem Rost muss ich erst noch lesen, aber möglich wäre deine Spekulation ja schon.

    Da serviert uns Dickens einmal wieder so ein erzählerisches Glanzstück, dass der Leser den Moder und Schimmel praktisch schon riecht.

    Ausgerechnet Schimmel :puker::-# Ja, ich hab ihn gerochen, aber ich verneige mich vor dieser Art zu schreiben, vor dieser Kunst, den Leser wirklich mitten hinein zu setzen in solche Szenen :pray:


    Übrigens scheint Mr. Lorry gar nicht in das üble Bild dieser Bande hineinzupassen. Da erscheint er ja beinahe wie ein Lichtblick im heuchlerischen Dunkel des Hauses.

    Stimmt, und man wundert sich schon über diese Diskrepanz. Er war - wenn ich das richtig verstanden habe - zwar sehr lange Zeit in der Niederlassung in Paris, aber das ist ja auch fast zwanzig Jahre her. Warum bleibt jemand wie er bei so einer Bank? Und erklärt das vielleicht auch seine Mantra "es ist alles nur Geschäft", ist es die innere Distanz zu seinem Beruf und seinem Arbeitgeber?


    Dickens hat, soweit ich weiß, einige Gerichtsverhandlungen besucht und seine Meinung dazu hat er in seinen Romanen (besonders Bleak House)

    gründlich kundgetan. Bei einem Besuch bei einer öffentlichen Hinrichtung hat ihn die Blutgier und das schändliche Verhalten des Volkes so angeekelt, dass er es öffentlicht angeprangert hat.

    Im dritten Kapitel, in der die Gerichtsverhandlung gegen Charles Darney stattfindet bezeichnet er die anwesenden Zuschauer wiederholt als

    summende Schmeißfliegen. Vielleicht auch einer der Gründe, warum dieser historische Roman bei vielen Lesern nicht so gut ankam. Vielleicht

    haben sich da so einige wiedererkannt. Erst lange nach seinem Tod erhielt der Roman die ihm gebührende Aufmerksamkeit.

    So deutlich möchte halt niemand den Spiegel vorgehalten bekommen. Hat Dickens bei Bleak House zwar auch das Rechtssystem angeprangert, so handelte es sich dort jedoch um einen Erbschaftsprozess - also eine Angelegenheit, die nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung betraf und auch nicht ganz so die Schaulustigen anzog. Hier jedoch handelt es sich um das, was wir heute als "Gaffer" und "Schaulustige" im negativen Sinn bezeichnen, und damit möchte sich niemand identifizieren.

    An Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit hat Dickens ja nie gespart, aber ich finde, dass er in diesem Roman deutlicher

    und direkter auf diese Zustände reagiert.

    Deutlich fand ich ihn immer, aber direkter ist er hier auf jeden Fall. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Heute ist Charles Dickens 207. Geburtstag! Wie passend.


    Ich habe jetzt bis Buch 2, Kapitel 6 gelesen.


    Das Lesen fällt mir mittlerweile tatsächlich leichter, da deutlich Bewegung in die Geschichte gekommen ist und ich mich auch in den Stil eingefunden habe. Mir gefallen die teils sehr sarkastischen Beschreibungen wirklich ausgenommen gut. Ich habe mir einige der Textstellen markiert, die hier auch schon erwähnt wurden. Etwas überrascht hat mich, wie explizit der Gerichtsdiener die angesetzte Strafe durch Vierteilen - oder besser gesagt, durch Erhängen, Aufschneiden, Ausnehmen, Verbrennen und Köpfen - beschrieben hat. Derart blutige Details hatte ich nicht erwartet, aber es passt zu der von Dickens geäußerten Kritik an der damaligen Justiz, ihren Urteilen und an der Sensationslust der Masse.


    Gut gefallen haben mir tatsächlich auch die langen Passagen, die in Buch 2, Kapitel 2 und 3 das Gerichtsverfahren einleiten, da sie eine ziemliche Sprachgewalt zeigen.


    Außerdem lernen wir einige neue interessante Charakter kennen: den vordergründig sympathischen, aber undurchsichtigen Charles Darney; den zunächst undurchsichtigen aber gar nicht so unsympathisch Sydney Carlton, der optisch Darney's Doppelgänger, charakterlich aber sein genaues Gegenteil zu sein scheint; den ehrgeizigen Anwalt Stryver; und letztlich auch endlich Miss Pross.


    Die Sache mit Jerrys Schuhen wird übrigens noch geklärt, zumindest, wenn ich es richtig verstanden habe. Was es mit dem Rost an seinen Fingern auf sich hat, ist mir aber auch noch nicht klar.


    Wenn ich mir eure Kommentare hier so durchlese, kommt mir übrigens der Verdacht, ich lese zu viel Noir und Dystopisches. Mir wäre die düstere Grundstimmung nämlich gar nicht als weiter bemerkenswert aufgefallen, wenn ihr sie hier nicht mehrmals erwähnt hättet. :wink:

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • Dieses Ekelpaketchen eines Boten namens Jerry Cruncher geht mit "sauberen" Stiefeln nach Hause und hat nach dem schlafengehen "schmutzige" Stiefel? Wie geht das?

    Ich denke auch, dass er sich nachts noch rumtreibt, seinen Verdienst verjubelt und morgens dann seine Frau für sein fehlendes Vorankommen verantwortlich macht. :wuetend:

    Dann hat er Rost an sich. Erst dachte ich an Tuberkolose, aber als er im Gerichtssaal "eifrig den Rost von seinen Fingern gesogen hat" (Seite 93) wäre ich mit meinem Interpretationslatein am Ende. Habt ihr da eine Idee was damit gemeint sein könnte?

    Das fragt sich ja sogar sein wohlgeratener Sohn, wo der ganze Rost herkommt. Vielleicht kaut er seine Fingernägel blutig bis aufs Nagelbett herunter, um die Ekelhaftigkeit dieser Figur noch hervorzuheben? :scratch: Der Gedanke mit dem Blut an den Händen ist natürlich auch nicht schlecht.

    Übrigens scheint Mr. Lorry gar nicht in das üble Bild dieser Bande hineinzupassen. Da erscheint er ja beinahe wie ein Lichtblick im


    heuchlerischen Dunkel des Hauses.

    Das war auch mein Gedanke, dass Mr. Lorry in diesen vermoderten Sumpf doch gar nicht so richtig hineinpasst. Ein wenig ist er hier das Licht zu dem ganzen Übel.

    Bei einem Besuch bei einer öffentlichen Hinrichtung hat ihn die Blutgier und das schändliche Verhalten des Volkes so


    angeekelt, dass er es öffentlicht angeprangert hat.


    Im dritten Kapitel, in der die Gerichtsverhandlung gegen Charles Darney stattfindet bezeichnet er die anwesenden Zuschauer wiederholt als

    summende Schmeißfliegen.

    Schlimm ist ja, dass sich die Menschen gar nicht so sehr geändert haben, wenn z. B. heutzutage Rettungskräfte und Polizei massiv von Gaffern und Schaulustigen in ihrer Arbeit behindert werden. :(

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

    :study: Taylor Jenkins Reid - Daisy Jones & The Six

  • Heute ist Charles Dickens 207. Geburtstag!

    Gut aufgepasst.:thumleft: Na dann Happy Birthday :birthday: und ein Hoch auf Mr. Dickens. :anstossen:

    Wenn ich mir eure Kommentare hier so durchlese, kommt mir übrigens der Verdacht, ich lese zu viel Noir und Dystopisches. Mir wäre die düstere Grundstimmung nämlich gar nicht als weiter bemerkenswert aufgefallen, wenn ihr sie hier nicht mehrmals erwähnt hättet. :wink:

    Ich finde das so faszinierend, wie unterschiedlich ein Buch auf verschiedene Leser mit unterschiedlichen Lesevorlieben wirken kann - total super. Toll, dass wir eine so vielseitige Truppe sind und so viele spannende Sichtweisen und Denkansätze zusammenkommen. :thumleft:

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

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  • undurchsichtigen Charles Darney;

    Ja, da blicke ich auch nicht durch.


    Hat jemand verstanden, wieso er freigesprochen wird? Erst droht ihm eine üble Art der Hinrichtung - und

    dann hat er plötzlich doch nicht Hochverrat begangen, obwohl sein Verhalten gegen ihn spricht.

    Den Schwenk habe ich nicht verstanden.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Heute ist Charles Dickens 207. Geburtstag!

    Gut aufgepasst.:thumleft: Na dann Happy Birthday :birthday: und ein Hoch auf Mr. Dickens. :anstossen:

    Ich hatte es auf Twitter mitbekommen, ansonsten hätte ich es auch nicht gewusst :)

    Ja, da blicke ich auch nicht durch.


    Hat jemand verstanden, wieso er freigesprochen wird? Erst droht ihm eine üble Art der Hinrichtung - und

    dann hat er plötzlich doch nicht Hochverrat begangen, obwohl sein Verhalten gegen ihn spricht.

    Den Schwenk habe ich nicht verstanden.

    Ich hatte es so verstanden, dass er seinen Freispruch tatsächlich Mr. Carltons Aussage bzw. der Ähnlichkeit zwischen den beiden zu verdanken hat. Zumindest ein Zeuge wurde unglaubwürdig, weil er nicht mit Sicherheit sagen konnte, wen von beiden er denn bei verdächtigen Handlungen beobachtet hat.

    Diese Doppelgängergeschichte ist auch noch einmal mysteriös. Ich bin gespannt, ob es dafür noch eine Erklärung gibt.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • So hatte ich es auch verstanden, dass die Ähnlichkeit mit Sydney Carton das Zünglein an der Waage zu seinen Gunsten war. Obwohl die vermeintlichen Zeugen ja auch nicht gerade glaubwürdig waren, wie der Bedienstete, der einen silbernen (oder plattierten) Senftopf gestohlen hat oder der Bekannte, der noch Spielschulden bei Mr. Darnay hat. So ganz schlüssig waren die Beweise der Staatsanwaltschaft nicht. :-k

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

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  • die Ähnlichkeit mit Sydney Carton das Zünglein an der Waage zu seinen Gunsten war

    Und seine geheimen Gespräche auf dem Schiff, sein undurchsichtiges Verhalten, der Austausch von Schriftstücken?

    Und was bewog diese merkwürdige Existenz Sydney Carlton eigentlich, sich für ihn ins Zeug zu legen?

    Sydney scheint ja ein recht altruistischer Mensch zu sein.


    Ich merke, dass ich hier einige Fäden noch nicht verknüpfen kann.

    vermeintlichen Zeugen ja auch nicht gerade glaubwürdig waren,

    Nein, das waren sie wirklich nicht - und deswegen frage ich mich, in wessen Auftrag sie denn diese Aussagen machen? So wie sie geschildert werden, werden sie für die Aussagen bezahlt oder bekommen irgendeine Vergünstigung, was weiß ich.

    Aber es ist ja unsere zarte Pflanze, das Manettchen, das ihn belastet! Sie ist ja diejenige, die sein konspiratives Verhalten beobachtet hat.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ich merke, dass ich hier einige Fäden noch nicht verknüpfen kann.

    Natürlich nicht, wir sind ja auch noch ganz am Anfang der Geschichte :lol:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Und seine geheimen Gespräche auf dem Schiff, sein undurchsichtiges Verhalten, der Austausch von Schriftstücken?

    Und was bewog diese merkwürdige Existenz Sydney Carlton eigentlich, sich für ihn ins Zeug zu legen?

    Sydney scheint ja ein recht altruistischer Mensch zu sein.

    Seine geheimnisvollen Besuche in Frankreich schreibe ich eher irgendwelchen familiären Verstrickungen zu. Obwohl er - wenn ich es jetzt so betrachte :scratch: - auch andere Gründe haben könnte, die sich aber erst in den nächsten Kapiteln andeuten. Es ist geheimnisvoll um ihn, aber ob es wirklich Landesverrat oder nicht doch etwas anderes ist, werden wir vermutlich erst später wissen.

    Sydney Cartons Engagement für Mr. Darnay klärt sich in den nächsten Kapiteln auf. Ich bin aber bei dir, dass er wirklich eine ziemlich altruistische Ader hat.

    Nein, das waren sie wirklich nicht - und deswegen frage ich mich, in wessen Auftrag sie denn diese Aussagen machen? So wie sie geschildert werden, werden sie für die Aussagen bezahlt oder bekommen irgendeine Vergünstigung, was weiß ich.

    Stimmt, da steckt irgendwas dahinter. Obwohl der hübsche Mr. Darnay ja auch nicht so ganz sauber zu sein scheint.

    Aber es ist ja unsere zarte Pflanze, das Manettchen, das ihn belastet! Sie ist ja diejenige, die sein konspiratives Verhalten beobachtet hat.

    Wissentlich oder absichtlich macht sie es aber nicht, sie gibt nur ganz unschuldig die Begegnung an Bord mit seiner äußerst hilfsbereiten Art aber eben auch seinen regierungskritischen Äußerungen wider. :loool: Aber vielleicht verhilft ihm gerade ihre Unschuld und Unbedarftheit auch mit zur Freiheit. :-k

    Liebe Grüße,
    Tine


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  • Sydney Cartons Engagement für Mr. Darnay klärt sich in den nächsten Kapiteln auf. Ich bin aber bei dir, dass er wirklich eine ziemlich altruistische Ader hat.

    Noch halte ich Mr. Carlton für eine eher zwiespältige Figur in diesem Spiel. Ich hätte ihn eher für gleichgültig und an der Sache desinteressierten

    Menschen eingeschätzt. Als selbstlos hätte ich ihn nicht bezeichnet. Aber Studentine hat recht, denn weitere Charakterzüge deckt Dickens ja erst

    in den nächsten Kapiteln auf. Da spielt der Herr Dickens wieder ein wenig mit dem geneigten Leser und lässt den Charakter etwas klarer erscheinen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Hach, ich bin sicher, wenn ich längere Lesezeit am Stück hinkriegen würde, würde ich mich einfinden. Aber im Moment ist so viel im Kopf unterwegs und die Zeit immer nur kurz... Das führt dazu, dass ich nicht so gern zum Buch greife. Dabei ist die Geschichte sicher interessant, und auch die Zeit damals. [-(

    Wundert euch nicht, wenn ich wenig schreibe. Ich habe allzu oft das Gefühl, nicht recht durch die Geschichte durchzusteigen. :-k

  • Bin mit dem ersten Abschnitt (bis Buch 2, einschl. Kap. 6) durch.

    Auch mir geht es so, dass ich Dickens (den ich allerdings schon vor einigen Jahren gelesen habe, letzthin kaum, dieses Buch noch nicht) als relativ düster empfinde. Wobei natürlich das Thema das zwangsläufig mit sich bringt.

    Dickens selbst scheint ja ein Meister im Wechseln der gefühlsmäßigen Ebenen zu sein, für ihn ist es wohl normal, dunkle Themen zu beschreiben und gleich darauf direkt dieser Situation oder einer anderen komische Aspekte abgewinnen zu können. Kann mir aber vorstellen, dass ein dauerndes Hin- und Herspringen zwischen amüsanten Beschreibungen und Ernstem die Leser auch überfordern könnte.

    Trotzdem merkt man den Humor des Erzählers

    Das dachte ich mir schon in der Szene mit den sich den Hügel hinaufquälenden Pferden:

    "nicht weil den Umständen nach ein Spaziergang besonderes Vergnügen gewährte, sondern weil die Steigung so stark, das Pferdegeschirr so lästig, der Schlamm so tief und die Kutsche so schwer war, daß die Rosse schon dreimal hatten halten müssen und außerdem einmal sogar die meuterische Absicht verraten hatten, mit Sack und Pack wieder nach Blackheath umzukehren. Aber Zügel und Peitsche und Postknecht und Kondukteur kannten den Kriegsartikel, der ein solches Unternehmen verbot, mochte es auch noch so sehr zugunsten der Annahme sprechen, daß manche Tiere Vernunft im Leibe haben." :D

    Das Bild der Zeit ist dunkel und voller Vorahnungen.

    Da ja am Anfang betont wird, dass die heutige (also die Zeit von Dickens) der damaligen nicht unähnlich sei, wollte er damit vielleicht seine Mitmenschen in der Gegenwart warnen? Steht dazu zufällig was in den Notes?

    Lauern da vielleicht doch, tief im Herzen, ein paar unerwünschte Gefühle in Mr. Lorry?

    Vielleicht so ein klitzekleinesbisschen ... :-, Immerhin wird ja beschrieben, wie seine Augen sich erst im Laufe der Zeit dem dem Geschäft angemessenen Ausdruck anpassen konnten. Wenn man in Buch 2 die Beschreibung von Tellson und Kompanie liest, wundert einen nicht, dass das einem jungen Mann schwer gefallen sein muss, seinen (hoffentlich mal vorhandenen) jugendlichen Überschwang und seine Lebendigkeit so stark zu verbergen. Noch dazu, da er vor Manettes Einkerkerung schon zwanzig Jahre in Frankreich verbracht hatte.

    Ich hab das Gefühl, dass in diesem Verhalten auch eine Art Selbstschutz liegen könnte. Ganz sicher war er ja in die Geschehnisse um Mr Manette verwickelt, er war auf jeden Fall zu der Zeit in Paris, als dieser verschwand. Und er muss schon einen wichtigen Bezug dazu haben, sonst hätte man ihm wohl kaum das kleine Kind anvertraut, damit er es sicher nach England zurück bringt. [...] aber vielleicht hat er sich nach den Pariser Ereignissen in sich selbst zurückgezogen, sich von menschlichen Bindungen fern gehalten um nicht noch mehr zu leiden? O:-)

    also für mich steht fest, dass er da eine sehr, sehr starke persönliche Beziehung zu dem ganzen hat und da liegst du vielleicht mit der Spekulation "Liebe zur Mutter" in meinen Augen gar nicht so falsch

    Alles deutet sehr stark darauf hin. Bin gespannt, ob es da noch eine unerwartete Wendung geben wird.

    Zu Mr. Lorry: Ich habe sein Verhalten als eine Art Selbstversicherung interpretiert. Im Gespräch mit der jungen Miss fühlt befindet er sich doch deutlich außerhalb seiner Komfortzone, ich hatte das Gefühl, dass er sich mit seiner Wiederholung, es würde sich nur um "etwas Geschäftliches" handeln, wieder auf gewohntes Terrain zurückführen wollte.

    Ja, das Gefühl hatte ich auch, im Prinzip spricht er dabei hauptsächlich mit sich selbst.

    Also ich will jetzt den Roman nicht mit einem antiken Epos vergleichen, aber diese Wiederholungen erinnern mich an das epitheton ornans, mit dem z. B. in der Ilias die Figuren versehen werden ("Odysseus der Listenreiche"). :wink:

    Also wäre Mr. Lorry dann "Mr. Lorry der ausschließlich geschäftsmäßig zu empfinden Vorgebende"? :wink:

    In den ersten Kapiteln sind mir zunächst die sehr ausschweifenden Beschreibungen aufgefallen

    Die haben bei mir den Effekt, dass ich mich geistig mittendrin befinde - ob nun auf der schlammigen Straße, im Hotel in Dover oder in der Gosse in Paris. Da setzt Dickens mich mittenrein ins Geschehen, wenn er so die Szenerie ins Bild setzt :)

    Ich finde das schön und mag es so ausführlich.

    Nur scheinen in diesem Buch die Übersetzungsmöglichkeiten ins Deutsche manchmal recht sperrig zu sein und da muss man dann mehrfach lesen, bis man versteht, was gemeint sein könnte.

  • Vielleicht wurde er kritisiert, weil er mit seinen düsteren Beschreibungen und allzu deutlichen Wahrheiten den Finger an die Stellen legt, wo es wehtut. Die von dir schon genannten Bilder des kommenden Blutes und des Hungers und ganzen Elends der Bevölkerung hat Dickens so plastisch, detailliert und anschaulich geschrieben, dass seine (vermutlich betuchten und in sozialer Sicherheit lebenden) Leser davon gar nicht so genau wissen wollten. :-k

    Ganz bestimmt. Dazu könnte man auch sehr ironisch sagen, dass da auch unsere heutige Zeit dem nicht unähnlich ist ... :-,

    Den Gedanken hatte ich auch mehrmals, sowohl bei seinen Schilderungen der englischen unsicheren Straßen als auch bei dem Elend in dem Pariser Vorort. :pale: Keinerlei Jane-Austen-Romantik, für die Dickens allerdings ja sowieso nicht so berühmt war. :ergeben:

    Oho, da wird wieder Jane Austen verkannt! :shock::lol::friends:JA konnte es sich (als Frau ohne eigenes sicheres Einkommen, von Verwandten abhängig) ja nicht leisten, so deutlich darauf hinzuweisen. Sie hat allerdings recht raffiniert Probleme in den oberen Schichten beschrieben, gerade so, dass man ihr keinen Strick draus drehen konnte. Hätte sie länger gelebt und sich dann tatsächlich von ihren Buchverkäufen ernähren können, wäre sie da sicher auch noch weiter gegangen.

    sie "sieht nichts", sprich sie schweigt über alles, was sie sie sieht und hört, was im Lokal gesprochen wurde. Diese Weinlokale waren wohl weit verbreitet v.a. in den ärmeren Stadtteilen und die Treffpunkte für Menschen mit aufrührerischen Gedanken.

    Eine Jacquerie war ein Aufstand der Bauern, ein Jacques dementsprechend ein Aufrührer :-,

    Ja, ich dachte mir auch, dass Madame D. absichtlich nichts sieht, auch damit sie keine Zeugin sein kann.


    Und neben dem "Jacques" als Codewort für Aufständische denke ich mir noch, dass es dann für unerwünschte Zuhörer schwerer ist, jemanden zu verraten - denn den richtigen Namen weiß man ja erst mal nicht.

    Zumindest die Defarges stehen über den armen Teufeln draußen, die schier am Verhungern sind. Der Weinhändler besitzt einen eigenen Laden und ich vermute, auch das Haus gehört ihm - er ist also im Verhältnis wohlhabend mit einer sicheren Existenz. Dafür spricht auch sein Umgang mit dem geplatzten Faß: er steht nur da mit dem Kommentar "das haben die vom Markt verbockt, das geht mich nichts an", der Schaden juckt ihn also gar nicht. Er strahlt damit eine gewisse Selbstsicherheit aus, die den anderen in seiner Umgebung fehlt. Er ist nicht wirklich einer von ihnen.

    Ja, und außerdem sind sowohl er als auch seine Frau wohlgenährt und eher stämmig, er friert auch nicht, dafür kann sie sich einen Pelz leisten ... alles spricht dafür, dass diese Personen eher die Gastgeber (gegen irgendeine Art von Lohn) von Aufrührern sind.

  • Da ja am Anfang betont wird, dass die heutige (also die Zeit von Dickens) der damaligen nicht unähnlich sei, wollte er damit vielleicht seine Mitmenschen in der Gegenwart warnen? Steht dazu zufällig was in den Notes?

    Tut mir leid, dazu wurde bisher nichts explizit gesagt. Vermutlich in der Einleitung oder im Appendix, aber wenn ich die jetzt lese, kenne ich wohl die gesamte Geschichte ohne das Buch lesen zu müssen. :-?

    Sie hat allerdings recht raffiniert Probleme in den oberen Schichten beschrieben, gerade so, dass man ihr keinen Strick draus drehen konnte.

    Und das konnte sie sehr gut. Ich finde auch, dass Jane Austen immer viel harmloser dargestellt wird als es ihre Werke wirklich sind. Und auch sie war eine Meisterin der Sprache!

    Ja, ich dachte mir auch, dass Madame D. absichtlich nichts sieht, auch damit sie keine Zeugin sein kann.

    Interessanterweise ist mir erst heute aufgefallen, dass das Cover meines Buches mit den Tricoteuse in Zusammenhang steht - es sind nämlich lauter Stricknadeln mit Schal abgebildet :loool: Ich hatte mich gefragt, was das sollte, aber bis heute gebraucht um es zu verstehen :pale:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Als selbstlos hätte ich ihn nicht bezeichnet.

    Wieso hilft er dem Anwalt und damit auch dem Mr. Darney? Das wirkt vordergründig selbstlos. Aber ich könnte mir auch denken, dass

    er damit ein Ziel verfolgt, allerdings ist es für uns als Leser noch unklar.

    Auf der anderen Seite: warum soll es nicht Menschen geben, denen Recht und Gerechtigkeit unabhängig vom eigenen Vorteil ein Anliegen ist?


    ich bin gespannt, wie die Charaktere weiter entwickelt werden, vor allem, da die Anlage der Charaktere schon Stoff für Diskussionen gibt.


    Also wäre Mr. Lorry dann "Mr. Lorry der ausschließlich geschäftsmäßig zu empfinden Vorgebende"?

    Äh - ja - so in der Art - war nur eine spontane Assoziation.

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  • Wieso hilft er dem Anwalt und damit auch dem Mr. Darney?

    Ich beziehe mich da auf sein gleichgültiges Verhalten (er starrt dauernd an die Decke) während und auch kurz nach der Verhandlung.

    Aber wir wissen ja noch nicht mehr von ihm und jetzt, da ich noch ein paar Kapitel weiter bin und Dickens nun etwas weiter auf diesen

    Charakter eingeht, sieht die Sache schon etwas anders aus. Dazu dann später............

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

  • Wieso hilft er dem Anwalt und damit auch dem Mr. Darney? Das wirkt vordergründig selbstlos.

    Zum Anwalt scheint es ja schon eine längere Beziehung zu geben; wenn ich das richtig verstanden habe, hat Carton sich schon immer eher im Hintergrund gehalten. Und wenn das Gegenüber einem da nicht raushilft (der Anwalt nutzt das ja eher aus), dann bleibt man auch im Verborgenen. Kann es sein, dass der Anwalt aus niedrigeren Verhältnissen stammt und Carton aus reicheren? Vielleicht so eine Art Schuldgefühl? Während der Anwalt sich hocharbeiten musste? Vielleicht wurde ihm gerade von so jemandem, der nicht reich geboren wurde, eingeredet, dass er deshalb ein böser Mensch und verachtenswert sei?

    Nicht zuletzt besticht der Anwalt ihn ja auch mit Alkohol, evtl. spielt die Sucht da auch noch eine Rolle.


    Die Hilfe für Mr. Darney könnte einfach Mitgefühl gewesen sein, ein Identifizieren mit dem Anderen (wenn der ihm auch noch so ähnlich sieht). Auch, dass dessen Tod auf grausame Art für ein nicht gar so schweres Verbrechen ja schon festzustehen scheint, könnte den (ja eigentlich wohl schon fähigen) Juristen dazu bringen, dem Gericht einen Knüppel zwischen die Beine werfen zu wollen.

    Überhaupt war ja der Richter in seiner Meinung schon recht festgefahren; vielleicht brachte es Carton Genugtuung, es ihm nicht gar so einfach zu machen.


    Äh - ja - so in der Art

    :pale:


    Interessanterweise ist mir erst heute aufgefallen, dass das Cover meines Buches mit den Tricoteuse in Zusammenhang steht - es sind nämlich lauter Stricknadeln mit Schal abgebildet :loool: Ich hatte mich gefragt, was das sollte, aber bis heute gebraucht um es zu verstehen :pale:

    #-oStimmt! Gerade letztens hab ich das noch gesehen, aber dann wieder vergessen.

  • Dickens nun etwas weiter auf diesen

    Charakter eingeht, sieht die Sache schon etwas anders aus. Dazu dann später........

    Ich bin noch nicht so weit, erst am Wochenende.

    Aber, wie gesagt: das finde ich sehr spannend, wie Dickens einen Charakter erst mit einigen wenigen

    Pinselstrichen andeutet und dann erst vor den Augen des Lesers entwickelt.


    So - dann gehe ich jetzt mal aufholen, damit ich den guten An-die-Decke-Gucker besser kennenlerne!

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


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