Sympathischer Krimi
Das war eine wirklich "nette" Lektüre! Sicher keine Weltliteratur, aber doch mehr als reine Unterhaltung. Die Autorin hat ein originelles Konzept entwickelt, Krimi und Zeitgeschichte miteinander zu verbinden.
Es gibt eine Mordserie im London des Jahres 1895, und der leitende Ermittler ist heillos überfordert und inkompetent. Zum Glück gibt es die Gentlemen des „Sebastian Club“, vier Herren mit jeweils einem Spezialgebiet (zwei Lords, ein Professor und ein Doktor), die es sich zur Aufgabe gemacht haben, im Hintergrund zu wirken, und Fälle zu lösen, bei der die Polizei nicht weiter weiß. Sie erkennen Parallelen zwischen den Fällen, und decken schnell Hintergründe auf. Dabei geht es – auch – um eine Reise in Londons Parallelwelten, wie Armut, Prostitution und Kinderarbeit. Dickens lässt grüßen. Eine besondere Würze erhält das Buch dadurch, dass ein fünfter junge Gentleman, der eigentlich eine Frau ist (die Nichte eines der Lords), in den exklusiven Kreis eingeführt wird…
Zunächst einmal ist das Buch wunderhübsch aufgemacht! Das Cover ganz in Grüntönen; der Buchschnitt ebenfalls in Grün, eine angenehm lesbare Schrifttype, und stilvolle Vignetten jeweils zu Kapitelbeginn. Wenn man genau auf das Cover hinschaut, kann man – im Nachhinein – schon das Mordmotiv erkennen…
Es handelt sich hier um keine nervenzerfetzende Spannung, aber das habe ich auch nicht erwartet. Die Ermittler machen immer wieder Ausflüge in die Londoner Halbwelt, bestechen betagte, arme Mitbewohner (nein, geben ihnen einen finanziellen Anreiz!), setzen Bordellbesitzer unter Druck, erforschen familiäre Hintergründe. Die Spannung ist eher subtil, und ergibt sich aus gefahrvollen Situationen – wenn zum Beispiel ein Ermittler hinter einem Buchregal kauert, vor dem der Täter gerade steht – und er nur seine Schuhe sieht.
Man bewegt sich mit Droschken vorwärts, und trifft sich immer wieder im „Sebastian Club“. Ich muss sagen, das Buch hat mir richtig Lust gemacht, einmal einen solchen legendären Club zu besuchen! Die gediegene Atmosphäre, geheime Räume, gutes Essen, exzentrische Lords, die am Kamin einschlafen … einfach herrlich! Überhaupt hat mir das Zeitkolorit gut gefallen. Nur manchmal wirkt es etwas angestrengt. Es ist richtig, dass zu jener Zeit der Prozess um Oscar Wilde stattfand – aber um das Thema Homosexualität geht es in dem Buch ja eigentlich gar nicht. Schon mehr Sinn macht da der Bezug auf „Jack the Ripper“. Lustig wiederum fand ich den Bezug auf manch technische Neuerungen, die gerade erst Einzug halten. Da wird im Club debattiert, ob man elektrisches Licht installieren lassen soll. Freddie, die eigentlich eine Frau ist, ruft an einer Stelle aus „Ist das etwa so ein neumodisches Telephon…?“ Einfach süß. Und sie macht im Buch die erste Autofahrt ihres Lebens…
Ja, Freddie… ich wusste ja aus dem Klappentext, dass es eine – heimliche – weibliche Ermittlerin geben würde. Dennoch hat mich die Einführung – und vor allem die Lösung – dieses Erzählstrangs nicht restlos überzeugt. Es gibt ein paar Verwechslungssituationen, die eher unbeholfen wirkten. Insgesamt scheint mir die Dialogführung zwischen Nichte und Lord auch eher zeitgenössisch zu sein. Und dass es auch noch eine Liebesgeschichte geben musste… das hätte für mich definitiv nicht sein müssen. Doch das wird ansatzweise wieder aufgewogen durch das Verhalten der anderen Clubmitglieder, die nämlich… doch das verrate ich nicht… Sehr nett auch der offene Schluss. Die Autorin lässt sich eine mehr als deutliche Hintertür offen für eine Fortsetzung.
Insgesamt habe ich das Buch genossen, und freue mich darauf, wenn es weitergeht. Ein reiner Krimi ist es für mich allerdings nicht. Durch die eher behäbige Erzählweise, und die breit ausgeführten Hintergrundinformationen, ist es für mich eine Kreuzung aus Dickens und Conan Doyle.
Meine Wertung: 4/5