Einleitung:
Mit dieser Rezension melde ich mich aus langer Inaktivität zurück. Ich habe es im Oktober auf einer Reise gelesen, auf Englisch.
Curtain ist ein außergewöhnliches Buch, das man als Agatha-Christie-Fan gelesen haben sollte. Auch hier gilt wie bei fast allen Christie-Romanen: Bitte nicht spoilern lassen. Das Werk hat eine der außergewöhnlichsten Auflösungen, die den Vergleich mit dem Orient-Express, Alibi oder anderen Meisterwerken nicht scheuen muss. Ich würde sogar behaupten, dass sie noch besser ist. Man muss das aber selbst erlebt (gelesen) haben. Die Wikipedia-Beschreibung z.B. würde das Ende wohl (ich kenne sie nicht) billig erscheinen lassen.
Man sollte hier schon ein echter Poirot-Fan sein, einem Anfänger würde ich das Buch nicht empfehlen. Der Grund erschließt sich, wenn man den Roman gelesen hat. Wer aber schon ein paar Bücher mit Poirot kennt, darf sich hier gerne heranwagen. Nur: Ihr werdet den Roman immer im Kopf behalten, wenn ihr danach auf Poirot stößt.
Inhalt:
Hastings und Poirot arbeiten viele Jahre nach ihren großen gemeinsamen Fällen noch einmal zusammen. Poirot lädt Hastings, der inzwischen Witwer ist, nach Styles ein, dem Haus, in dem sie ihren ersten gemeinsamen Fall Das fehlende Glied in der Kette erlebt hatten. Styles ist inzwischen eine Pension, in der sich einige illustre Gestalten aufhalten, darunter auch Hastings erwachsene Tochter. Poirots Gesundheitszustand hat sich sehr verschlechtert, seit Hastings, der den Roman noch einmal in der Ich-Perspektive schildert, ihn vor einem Jahr zuletzt gesehen hat. Er sitzt im Rollstuhl, hat Herzprobleme und sein Tod scheint nicht weit zu sein. (Ich denke, es ist kein großer Spoiler zu schreiben, dass er am Ende wirklich stirbt, da das von Anfang an und auch im Titel angedeutet wird. Die Frage ist, auf welche Weise er stirbt. Ein natürlicher Tod oder Mord?)
Trotzdem eröffnet er Hastings, dass es noch einen letzten Fall zu lösen gilt. Da er selbst nur sehr eingeschränkt handlungsfähig ist, braucht er Hastings Hilfe. Es gilt einem Mörder das Handwerk zu legen. Dieser Mörder (genannt X) war in fünf Mordfällen, die für sich betrachtet völlig klar zu sein scheinen, am Tatort, ohne dass ein Verdacht auf ihn fiel. Poirot schließt daraus, dass das kein Zufall ist und will diese Person, die in Styles anwesend ist, mit Hastings Hilfe fassen. Er verrät Hastings aber nicht, welche Person er meint und welchen Pläne er verfolgt. Dieser beginnt daran zu zweifeln, ob Poirot noch bei klarem Verstand ist. Poirot sagt voraus, dass es einen Mord geben wird. Es kommt im Verlauf tatsächlich zu mehreren mysteriösen Morden bzw. Mordversuchen auf Styles. Doch kann dahinter wirklich ein Mr. X stecken? Wenn ja, wer ist es? Am Ende des Buches hat Hastings eine schlüssige Theorie. Doch in einem Brief den er posthum von Poirot erhält, bekommen er und der Leser eine völlig andere Lösung präsentiert...
Meine Meinung:
Dieser Roman ließ mich nicht mehr los. Eine beklemmende Stimmung zieht sich durch, die sich zu einem großen Finale steigert. Psychologisch hat Agatha Christie hiermit für sie völlig neues Terrain betreten, wie sich in der Auflösung zeigt, die einige besondere Aha-Effekte enthält. (Immer, wenn man denkt, das war jetzt der große Knaller, setzt sie noch einen oben drauf.)
Ein echtes Meisterwerk, das ich momentan als meinen Lieblings-Christie bezeichnen würde. Die Auflösung muss man aber erst verarbeiten.
Zum Hintergrund dieses Romans:
1926 war ein furchtbares Jahr für Agatha Christie. Ihre Mutter starb und ihr Mann Archibald Christie verließ sie für eine andere Frau. Zwar hatte sie in diesem Jahr mit Alibi ihren bis dato größten Erfolg und endgültig Bekanntheit erreicht, doch durch die Ereignisse in ihrem Privatleben, hatte sie das erste und einizige Mal eine Schreibblockade. (Im Dezember kam es zudem zum recht bekannten, bis heute ungeklärten 10-tägigen Verschwinden Christies.) Da sie durch einen Vertrag dazu gezwungen war, jährlich ein Buch abzuliefern, musste sie dennoch schreiben. Herauskam der Poirot-Roman Die großen Vier, den Christie selbst furchtbar fand, ein trashiger Spionageroman, den man nur mit dem Wissen um die Hintergründe lesen kann, ohne enttäuscht zu sein. Von da an begleitete die Angst, irgendwann noch einmal schreiben zu müssen, ohne es zu können, Christie, weshalb sie Anfang der 40er zwei Romane in einem Tresor hinterlegte: Vorhang und der Miss-Marple-Roman Ruhe unsanft. Sie schwor sich, diese Romane herauszuholen, wenn sie nochmals nicht mehr schreiben könnte und damit ihre Karriere zu beenden. (Das erkärt auch den Tod Poirots, während man dem Marple-Krimi nicht anmerkt, dass er als letzte Fall gedacht ist.) Da diese Situation nicht wiederkehrte, gab sie erst kurz vor ihrem Tod die Veröffentlichung der beiden Romane in Auftrag. Vorhang erschien 1975, Ruhe unsanft posthum 1976.
Die New York Times druckte daraufhin eine Todesanzeige für Poirot ab, womit er die einzige fiktive Figur ist, die diese Ehre bekam.
Ich finde es gut, dass ein Roman aus den 40ern, Christie schriftstellerischen Hochphase der letzte Fall Poirots ist. Die letzten Romane, die sie kurz vor ihrem Tod schrieb, sind nicht mehr so gut, manche behaupten, sie habe an Alzheimer gelitten.
(Eine Version dieser Rezension erschien zuerst in einer nicht öffentlichen Literaturcommunity.)