Der weiße Rabe

Buch von Andrzej Stasiuk

Bewertungen

Der weiße Rabe wurde insgesamt 2 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,3 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Der weiße Rabe

    Der Autor (nach Wikipedia und Amazon): Der am 25. September 1960 in Warschau geborene Andrzej Stasiuk ist ein polnischer Essayist, Poet, Autor, Journalist, Herausgeber und Literaturkritiker. Er debütierte 1992 mit dem Erzählband "Mury Hebronu" (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt. Stasiuk wurde 1979 zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten - eher aus Langeweile als aus pazifistischer Überzeugung - und verbüßte seine Strafe in Militär- und Zivilgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Niederen Beskiden. 1994 erschienen "Wiersze milosne i nie" (Nicht nur Liebesgedichte), 1995 "Opowiesci Galicyjskie" (Galizische Erzählungen) und "Bialy Kruk" (Der weiße Rabe), 1996 der Erzählband "Przez rzeke" (Über den Fluss) und 1997 "Dukla" (Die Welt hinter Dukla). 2002 erhält er den von den Partnerstädten Thorn (Polen) und Göttingen gemeinsam gestifteten Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis. Den literarischen Jahrespreis Nike erhielt Andrzej Stasiuk 2005 für sein Buch "Jadąc do Babadag" (Unterwegs nach Babadag). Sein vielfach ausgezeichnetes Werk erscheint in 30 Ländern. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt im Jahr 2016 der Roman "Der Osten" (Wschód, 2015). Der Schriftsteller, der angibt sich der kapitalistischen Welt entziehen zu wollen, besitzt kein Handy und verachtet die reißerischen Reklame-Tafeln der Großstadt. Als seine Vorbilder führt er u.a. Allen Ginsberg, Dylan Thomas, Joseph Brodsky, W. H. Auden, sowie Oskar und Czesław Miłosz an.
    Klappentext (Suhrkamp): Fünf Jugendfreunde im postkommunistischen Warschau, alle Familienväter, alle anfang Dreißig, brechen ins Ungewisse auf. Ihres Alltags überdrüssig, lassen sie sich von dem melancholischen wie charismatischen Wasyl zu einem Abenteuer überreden, das sie in das wilde, spärlich besiedelte Gebiet an der polnisch-slowakischen Grenze führt. Als einer von ihnen einen Zollbeamten niederschlägt, erhält der Winterausflug eine dramatische Wendung. Ein Kreis verschworener Freunde sucht in der eisigen Landschaft der Beskiden nach einem Leben der Extreme. Was wie ein leichtsinniges Abenteuer beginnt, wird zu einer Prozession in den Untergang. "Mit seinem apokalyptischen, zwischen Road Novel und Geisteraustreibung oszillierenden Roman ist Andrzej Stasiuk ein sprachtrunkenes, wodka-durchwehtes Kunstwerk geglückt." (Peter Henning, Focus)
    Klappentext (Rowohlt): Für zwei Wochen aus dem Alltag verschwinden - fünf Jugendfreunde im postkommunistischen Warschau lassen sich von einem gescheiterten Pianisten zu einem Abenteuer überreden. Sie ziehen in ein wildes, spärlich besiedeltes Gebiet der Karpaten. Doch der Überfall auf eien polnischen Grezpolizisten, der die Papiere kontrolliert, gibt dem Ausflug eine dramatische Wendung. "Eine wüste Geschichte von Freundschaft, Scheitern und Tod, atemlos erzählt in der schroffen Sprache der Warschauer Vorstadt, dann wieder in behutsam gezeichneten Bildern von großer Eindringlichkeit." ("Der Spiegel")
    Die polnische Originalausgabe des Romans erschien unter dem Titel "Bialy kruk" 1995 bei OBSERVATOR, Poznań. Die deutsche Übersetzung besorgte Olaf Kühl. Sie erschien 1998 als Hardcover bei Rowohlt Berlin und im Jahr 2000 als rororo-Taschenbuch in Reinbek bei Hamburg. Diese Ausgabe umfasst 348 Seiten. Im Jahr 2011 wurde die Kühl-Übersetzung auch als Taschenbuch bei Suhrkamp veröffentlicht. Die englische Übersetzung von Wiesiek Powaga erschien bereits 1995 unter dem englischen Titel "White Raven".
    Auch wenn der Klappentext eine spannende, existenzialistische Abenteuergeschichte in den polnischen Wäldern der Beskiden verspricht: Dieser Roman ist wahrlich keine Unterhaltungslektüre. Stellenweise fand ich ihn recht schwergängig zu lesen, ohne dass ein Lesefluss aufkommen mag, da die etlichen Szenenwechsel über Zeiten und Orte im Leben der fünf Männer, die sich fast alle schon seit Schulzeiten im Dorf kennen, kaum voneinander abgesetzt werden. Der Leser muss sich selbst zurechtfinden – oder den Drang, sich zurechtfinden zu wollen, aufgeben. Doch der Aufbau des Romans ist kein ungeordnetes Kuddelmuddel, sondern führt direkt hinein in den philosophischen oder soziologischen Kern, der sich spätestens enthüllt, wenn Gedankenspiele über die Zeit angeschoben werden: Was wäre, wenn es keine Zeit gäbe? Wäre dann nicht alles sinnlos? Oder egal? Es gäbe gewissermaßen noch nicht einmal Ereignisse. Keine Entwicklung. Kaum Erkenntnis.
    Ähnlich zeitlos werden Szenen aus dem Leben der Freundesgruppe verwirbelt, auf dass man erkenne, dass diese Männer im Grunde keine Entwicklung durchgemacht haben. Als wären sie charakterlich im Heranwachsenenalter stehen geblieben. Stumme Männer, allein in der Gruppe. Sie warten und fantasieren sich eine Gegenwart voller Gefahr und Nachstellungen. Sind aber unfähig, ein Leben zu planen oder Verantwortung zu übernehmen. Immer nur auf der Suche nach der nächsten Betäubung. Nach Alkohol und Abhängen. Die Arbeit, das sind nur Jobs, um den Lebensstil zu ermöglichen, das Befriedigen momentaner Bedürfnisse und Genüsse. Ein Leben ohne Entwicklung – und die Defizite sind als Motivkette in allen geschilderten Situationen über die letzten Jahrzehnte erkennbar. Aber nun, in einem Alter, in dem die meisten sesshaft und sittsam werden, eine Familie gründen und überhaupt „ernst genommen werden möchten“, bekommen die fünf Romanfiguren in den unwirtlichen Wäldern Polens bei ihrem unüberlegt abenteuerlichen Rucksackurlaub gewissermaßen die Quittung.
    Sie erkennen, dass im Grunde nichts dahinter ist an ihrem Lebensstil, dass sie nur ihre eigene kleine Vergangenheit verklärt und konserviert haben, aber auch, dass Anderssein um des Andersseins willen nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Das hätten die meisten Autoren schön dramatisch aufgemotzt, flankiert von erklärenden Erzählertexten – und gleichmäßig darüber gestreut protophilosophische Kalenderspruch-Weisheiten. Dagegen hat man hier einen Autoren, der diese existenzielle Leere beispielhafter Männer-Leben direkt durch den Aufbau seines Romans verdeutlicht: Keine Entwicklung, man wird sich nicht verändern, man wird immer derselbe sein, stehengeblieben, abwartend. Das ist manchmal schwierig zu genießen, aber weitaus erschütternder und wahrhaftiger als der handlungslogisch einfacher gestrickte Weg, auch, da es nicht das ungetrübte Außen eines Erzählers gibt, der stillschweigend irgendwie auch für eine bessere Alternative steht.
    Nein, hier wird man richtig reingestoßen mit der Nase in den Dreck und die langsam aufkommende Verzweiflung über die verpfuschten Leben mittelalter Männerkinder. Dass sich manche der Figuren einen Kopp um ihr Dasein machen, lässt ihr Dasein nur noch erbärmlicher erscheinen. Jede Sinnsuche scheint in Gefilde zu führen, in denen ihnen die Kräfte schwinden. Die einzige Erkenntnis ist das eigene Ungenügen! Die alte Welt stirbt und nimmt ihre schlecht vorbereiteten Kinder mit. Keine soziale Sicherheit, keine Schönheit, die Natur zeigt sich von ihrer unmenschlichsten Seite.
    Ein spröder, schwer verständlicher Roman in einfachen, aber sehr sprachbewussten Worten. Eine wüste, traurige Schönheit ohne xmal durchgenudelte Sprachbilder. Ein Roman über Männlichkeit, vielleicht auch über gesellschaftliche Endzeiten, auf jeden Fall über charakterliche Talsohlen. Wer mag, kann das Ende des Kommunismus in Polen durchschimmern sehen. Eindrücklich, wie ein Brett, das einem immerfort vor den Kopf geschlagen wird oder wie ein Stein, der sich durch einen löchrigen Schuh in die Fußsohle drückt. Eindrücklich, aber nicht leicht eingängig, da einen keine spannende, klar abstrudelnde Handlung einlullt. Der Roman sträubt sich. Was ja nu wirklich nicht das Schlechteste ist für Literatur! Was man damit anstellt, ist jedem Leser selbst überlassen.
    Weniger als 4 Sterne wäre ein Witz, obwohl ich mir während der Lektüre dann und wann mehr Schwung gewünscht hätte.
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Ausgaben von Der weiße Rabe

Taschenbuch

Seitenzahl: 356

Hardcover

Seitenzahl: 348

Der weiße Rabe in anderen Sprachen

  • Deutsch: Der weiße Rabe (Details)
  • Englisch: White Raven (Details)
  • Französisch: Le Corbeau Blanc (Details)
  • Polnisch: Bialy kruk (Details)

Besitzer des Buches 5

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