Der Fluch der Muskatnuss: Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr
Buch von Amitav Ghosh, Sigrid Ruschmeier

Titel: Der Fluch der Muskatnuss: Gleichnis f...
Amitav Ghosh (Autor) , Sigrid Ruschmeier (Übersetzer)
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: Gebundene Ausgabe
Seitenzahl: 334
ISBN: 9783751820011
Termin: Neuerscheinung Oktober 2023
Aktion
Zusammenfassung
Inhaltsangabe zu Der Fluch der Muskatnuss: Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr
Auf einer indonesischen Insel fällt eine Öllampe zu Boden, kurz danach begehen niederländische Soldaten ein Massaker an den Inselbewohnern. Wie hängen diese beiden Geschehnisse zusammen und was geschah danach? Mit dieser Frage beginnt Amitav Ghosh seine Recherche auf den Spuren der Muskatnuss. Heute alltägliches Gewürz, galt sie im 17. Jahrhundert als Luxusgut ‒ allein eine Handvoll davon reichte aus, um einen Palast zu erbauen ‒; denn die seltene Frucht wuchs nur auf jener Insel, die niederländische Truppen vornehmlich deshalb in Besitz nahmen, um das Handelsmonopol für die Niederländische Ostindien-Kompanie zu sichern. Während Amitav Ghosh die Reise der Muskatnuss nachzeichnet, veranschaulicht er eindrucksvoll die Mechanismen von Kolonialismus und Ausbeutung der Einheimischen sowie der Natur durch westliche Länder. Mitreißend stellt er dabei die Verbindung geschichtlicher Entwicklungen mit aktuellen Realitäten her, verkettet niederländische Stillleben und die Nomenklatur nach Linné mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, der Covid-Pandemie und der Standing Rock Sioux Reservation, um zu zeigen, dass der heutige Klimawandel in einer jahrhundertealten geopolitischen Ordnung verwurzelt ist, die vom westlichen Kolonialismus und seiner mechanistischen Weltsicht – die Erde als bloßem Ressourcenlieferant für die Menschheit – geschaffen wurde.
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Der Fluch der Muskatnuss: Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr wurde bisher einmal bewertet.
Rezensionen zum Buch
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Rezension zu Der Fluch der Muskatnuss: Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr
- Buchdoktor
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24. November 2024 um 12:15
Klappentext/VerlagstextWeiterlesen
Auf einer indonesischen Insel fällt eine Öllampe zu Boden, kurz danach begehen niederländische Soldaten ein Massaker an den Inselbewohnern.
Wie hängen diese beiden Geschehnisse zusammen und was geschah danach? Mit dieser Frage beginnt Amitav Ghosh seine Recherche auf den Spuren der Muskatnuss. Heute alltägliches Gewürz, galt sie im 17. Jahrhundert als Luxusgut ‒ allein eine Handvoll davon reichte aus, um einen Palast zu erbauen ‒, denn die seltene Frucht wuchs nur auf jener Insel, die niederländische Truppen vornehmlich deshalb in Besitz nahmen, um das Handelsmonopol für die Niederländische Ostindien-Kompanie zu sichern. Während Amitav Ghosh die Reise der Muskatnuss nachzeichnet, veranschaulicht er eindrucksvoll die Mechanismen von Kolonialismus und Ausbeutung der Einheimischen sowie der Natur durch westliche Länder. Mitreißend stellt er dabei die Verbindung geschichtlicher Entwicklungen mit aktuellen Realitäten her, verkettet niederländische Stillleben und die Nomenklatur nach Linné mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, der Covid-Pandemie und der Standing Rock Sioux Reservation, um zu zeigen, dass der heutige Klimawandel in einer jahrhundertealten geopolitischen Ordnung verwurzelt ist, die vom westlichen Kolonialismus und seiner mechanistischen Weltsicht – die Erde als bloßem Ressourcenlieferant für die Menschheit – geschaffen wurde.
Der Autor
Amitav Ghosh, 1956 in Kolkata geboren, lebt heute als Autor und Essayist in New York. Seine Romane wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und zahlreich ausgezeichnet, unter anderem gewann „Der Glaspalast“ 2001 den Frankfurt eBook Award und „Das mohnrote Meer“ stand 2008 auf der Shortlist für den Man Booker Prize. 2018 war er der erste Autor, der mit einem englischsprachigen Werk mit dem höchsten indischen Literaturpreis, dem Jnanpith Award, ausgezeichnet wurde. „Der Fluch der Muskatnuss“ ist sein zweites Sachbuch, in dem er die Klimakrise thematisiert.
Inhalt
Amitav Ghosh, bekannt durch seine in Asien spielende historische Ibis-Trilogie, erzählt über die im 17. Jahrhundert unvorstellbar kostspieligen Muskatnuss, die damals allein auf den Bandainseln östlich des heutigen Indonesien geerntet werden konnte. Gewürze waren so knapp wie begehrt, häufig wurde ihnen eine heilende Wirkung nachgesagt. Weil die Niederlande (in Konkurrenz zu den Kolonialmächten Spanien und Portugal) auf den Gewürzinseln kein Handelsmonopol für das begehrte Gewürz durchsetzen konnten, vernichteten sie 1620 in einem Genozid die Bevölkerung der Insel Lonthor/Banda Besar und ihre Lebensgrundlage. Der christliche Glaube legitimierte die Kolonialmacht dazu, Menschen anderer Kulturen als minderwertig zu beurteilen, auszurotten und sich ihre Lebensgrundlage anzueignen.
Am Beispiel des Muskatnussbaums (Myristica fragrans) zeigt Amitav Ghosh den ideellen Wert, ein Ökosystems zu begreifen aus Bodenart, Standort in Vergesellschaftung mit einheimischen Pflanzen, Klima, Erfahrung und Vernunft der Nutzer, Früchte nicht über den eigenen Verbrauch hinaus zu entnehmen. Im Handel mit den Nachbarinseln dienten Muskatnüsse als Tauschwährung für Waren, die man selbst nicht erzeugte. Das begehrte Ziel eines Muskat-Monopols für die niederländische Kolonialmacht ließ sich allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchsetzen, weil der Bevölkerung die Tauschware gefehlt hätte. Eine der Inseln zu roden, die Bäume auf Plantagen zu pflanzen und von Sklaven ernten zu lassen, war ebenso absurd, weil die Pflanze ohne ihr Ökosystem und die Vernunft des Sammlers nicht gedeihen konnte. Ghosh sieht auf das Herabsehen auf die Beseelung der Natur in Glauben und Überlieferungen indigener Völker (hier: was braucht mein Baum) ein entscheidendes Tabu der Moderne; denn wer sich selbst für das einzige beseelte Wesen hält, legitimiert damit seiner Ansicht nach die Zerstörung ganzer Ökosysteme.
Jede Ausrottung indigener Bewohner durch ein sich zivilisierter fühlendes Volk lässt sich aus heutiger Sicht als religiös bemäntelte Gier nach Resourcen erklären (racial capitalism). Ohne Verständnis ökologischer und sozialer Zusammenhänge muss der Griff nach den „Reichtümern“ anderer Völker jedoch scheitern.
Die einprägsame Geschichte der Muskatnussbäume, ihrer Insel und deren Bewohner dient Ghosh als Rahmen für umfassende Kritik an kolonialem Handeln, das Menschen und Resourcen allein nach ihrem möglichen materiellen Wert beurteilt. Von der Maßlosigkeit vergangener Kolonialreiche schlägt er einen Bogen in die Gegenwart, in der wieder Resourcen zerstört werden, die Kindern und Enkeln als Lebensgrundlage dienen sollten. Er wandert in seiner Argumentation zu den Anrainern des Indischen Ozeans mit seinen Sonderwirtschaftszonen als Hauptschauplatz globaler Wirtschaftsaktivität, als „Schlachtfeld und Sweatshop“ = hohe militärische Präsenz und ausgesetzte Arbeitnehmerrechte in der Warenproduktion. Weiter geht es zur Vorstellung des Weltraums als zu besiedelndem Leerraum, zum Terraforming, der Aneignung von Landschaft im Dienst der Infrastruktur, den Lehren aus der Corona-Krise, Flucht und Arbeitsmigration, sowie der generellen Einstellung, westliche Staaten und Werte legitimierten die Diskriminierung Armer, Indigener, Schwarzer und Hispanics. Die überhebliche Einteilung der Welt in Zivilisierte und Wilde, sowie pathologischer Egoismus, wie er uns mit seinem Muskatnuss-Gleichnis nahebringt, seien nach Ghoshs Einschätzung Grund der derzeitigen weltumspannenden Krise. Die Corona-Krise hätte gezeigt, dass uns freiwilliger Verzicht und Krisenbewältigen durch Vernunft und Kooperation verloren gegangen sind. Außer der Forderung, jemanden über Bord zu werfen, wenn das Boot voll ist, muss es für die aktuelle Krise jedoch andere Lösungen geben.
Fazit
Mit dem einprägsamen Gleichnis der Muskatnussbäume auf den Bandainseln zeigt Amitav Gosh große Zusammenhänge auf und demonstriert zugleich Macht und Einfluss eindringlich erzählter Geschichten. Ohne Geschichten könne keine Empathie entstehen und Geschichten müssten daher im Mittelpunkt globaler Politik stehen. Das Denken in ökologischen und sozialen Zusammenhängen lässt sich anhand des Schicksals der Insel Banda Besar lernen, allerdings setzt Ghoshs Mäandern zu wirtschaftlichen und militärischen Entwicklungen geduldige Leser:innen voraus.
Ausgaben von Der Fluch der Muskatnuss: Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr
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Update: 1. April 2025 um 14:59