Sibir

Buch von Sabrina Janesch

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Sibir

Furchterregend klingt das Wort, das der zehnjährige Josef Ambacher aufschnappt: Sibirien. Die Erwachsenen verwenden es für alles, was im fernen, fremden Osten liegt. Dorthin werden Hunderttausende deutscher Zivilisten – es ist das Jahr 1945 – von der Sowjetarmee verschleppt, unter ihnen auch Josef. Kasachstan ist das Ziel. Dort angekommen, findet er sich in einer harten, aber auch wundersamen, mythenvollen Welt wieder – und er lernt, sich gegen die Steppe und ihre Vorspiegelungen zu behaupten. Mühlheide, 1990: Josef Ambacher wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Woge von Aussiedlern die niedersächsische Kleinstadt erreicht. Seine Tochter Leila steht zwischen den Welten und muss vermitteln – und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie selbst den Spuk der Geschichte zu begreifen und zu bannen versucht. Sabrina Janesch erzählt mitreißend und in leuchtenden Farben die Geschichte zweier Kindheiten, einmal in Zentralasien nach dem Zweiten Weltkrieg, einmal fünfzig Jahre später in Norddeutschland. Dabei spannt sie meisterhaft einen Bogen, der unbekannte, unerzählte Kapitel der deutsch-russischen Geschichte miteinander verbindet. Ein großer Roman über die Suche nach Heimat, die Geister der Vergangenheit und die Liebe, die sie zu besiegen vermag.
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Bewertungen

Sibir wurde insgesamt 4 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,4 Sternen.

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Meinungen

  • Eine Autofiktion wie sie z.Z. pilzartig aus dem Boden schießen

    Marie

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Sibir

    Geschichte und Geschichten
    Ein Kapitel deutscher Geschichte, das die meisten Leser reichlich ratlos zurücklassen dürfte, wird Gegenstand eines Romans.
    Wer ist denn schon während des Schulunterrichts, geschweige denn später mit der deutschen Besiedelung des Ostens, mit der grausamen Verfolgung dieser Minderheit durch das Sowjetregime während des 2. Weltkriegs, mit dem bundesrepublikanischen Angebot der Rückkehr ins Land der Väter in Berührung gekommen?
    Sabrina Janesch gelingt es, in einem feinen Geflecht alle Aspekte dieser Thematik zu verknüpfen. Souverän springt sie zwischen den Zeitebenen hin und her, was bei der Lektüre höchste Aufmerksamkeit erfordert.
    So bemüht sich die erwachsene Protagonistin, die verschütteten Erinnerungen des in der Demenz versinkenden Vaters wieder ans Tageslicht zu befördern, wozu sie als Teenager, in vertrautester Bindung zu ihm, die Jugendjahre in der sozialen Isolation in der norddeutschen Provinz erneut durchlebt. Die enge Beziehung zum Jugendfreund, mit ähnlichem biographischen Hintergrund wiederum weist zurück auf die vergangene Freundschaft des Vaters zum kasachischen Freund während der Deportation.
    Janesch legt eine ungeheure Sprachartistik an den Tag, die alle zeitlichen Ebenen dieses Romans ungemein plastisch hervortreten lässt. Die Kontraste der unterschiedlichen Lebenserfahrungen der einzelnen Personen ziehen den Leser in ihren Bann, historische Momentaufnahmen schaffen schroffe Gegensätze. Gekonnt, wie kleinste Mosaiksteinchen der Autorin den Anlass bieten, wieder und wieder einen rasanten Szenenwechsel zu vollziehen.
    Ein lohnendes Lektüreerlebnis für Leser, die sich von Geschichte ebenso wie von Geschichten fesseln lassen!
    Mein Urteil: 5 Sterne
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  • Rezension zu Sibir

    Sibir ist die Geschichte eines Mannes, der als 10jähriger mit seiner Familie von Stalin in die Steppe Kasachstans zwangsübersiedelt wird und in den 50ger Jahren als Rückkehrer nach Deutschland kommt, um sich in Mühlheide niederzulassen. Sibir ist aber auch die Geschichte seiner Tochter Leila, die ihrem Vater, der sein Gedächtnis zu verlieren scheint, nochmals in diesen dunklen Teil der eigenen Vergangenheit begleitet.
    Mein Vater Josef Ambacher setzte sich sein Leben lang gegen die Geister der Vergangenheit zur Wehr, die Dschinn der Steppe, wie er sie nannte.
    Sibirien ist ein fruchterregendes Wort, das die Erwachsenen für alles verwenden was im fernen, fremden Osten liegt. Dorthin werden Hunderttausende deutscher Zivilisten von der Sowjetarmee verschleppt, unter ihnen ist auch Josef Ambacher. Dort angekommen findet er sich in einer harten, aber auch wundersamen, mythenvollen Welt wieder und lernt, sich gegen die Steppe und ihre Vorspiegelungen zu behaupten.
    Da ist die Steppe, die Erdhütte, der Schneesturm, das Wolfsrudel, da ist der Hunger, die Kälte die übermenschliche Anstrengung. Das alles, zusammengekratzt und zusammengesetzt, das ist, in einem Wort, Sibirien.
    1990 in Deutschland, Josef Ambacher hat sich ein erfolgreiches Leben in Deutschland aufgebaut, wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Woge von Aussiedler die niedersächsische Kleinstadt erreicht.
    Neuankömmlinge, nicht Aussiedler. Er habe ihre Verlorenheit erspüren können, aber auch ihre Kleidung sei ihm vertraut vorgekommen, die Schuhe, die Koffer, die Tüten. Und noch etwas habe er wiedererkannt: Erschöpfung und Schicksalsergebenheit.
    Meine persönlichen Leseeindrücke
    Dieser Roman bietet unheimlich viel: er ist Geschichtsunterricht, wenn er über Maria Theresias Siedlungspolitik, den Gräueltaten des Stalinregimes und von Adenauer erzählt; er unterhält, wenn er die Kindheit der jungen Leila im niedersächsischen Mühlheide widergibt, er bietet Einblicke in die Gesellschaft Kasachstans und Deutschlands; er erzählt über die eurasische Steppe, seinen Einwohnern und das Leben in dieser eigenartigen Zone, und er ist ein Familienroman, denn es geht um die Familie der Autorin.
    Und das alles ist toll geschrieben und überrascht mit Humor und Witz. Russlanddeutsche haben auch ein sonniges Gemüt, denke ich und erinnere mich gerne an den Roman „Nachtbeeren“ von Alina Penner.
    Obwohl sich die Handlungen nur auf zwei konkrete Jahre beziehen, eines ist das Jahr 1945 in Kasachstan und das andere 1990 in Deutschland, sind die Zeitspannen davor und dazwischen bis zur Gegenwart so geschickt mit eingeflochten, dass es trotz des vielen hin und her niemals kompliziert wird, der Geschichte zu folgen.
    Zweifelsohne packen mich die Erinnerung Josef Ambachers an seine in Kasachstans Steppe mehr als Leilas Jugend in Deutschland, denn ich bin dem Reiz dieser endlosen Weite literarisch erlegen, auch wenn ich überhaupt keine Ahnung haben kann, wie es sich tatsächlich anfühlt, dort zu sein.
    Dieser Schmerz, das behauptete mein Vater später, sei durchaus vergleichbar mit der Höhenkrankheit, die Wanderer in den Bergen befiel: nur eben nicht ausgelöst von Sauerstoffmangel, sondern vom Mangel an sich, das Sein ertrug das Nichtsein nicht, daher auch die Unrast aller, die das erste Mal die Steppe betraten.
    Fazit
    Sibir von Sabrina Janesch erzählt mitreißend und in leuchtenden Farben die Geschichte zweier Kindheiten, einmal in Zentralasien nach dem 2. Weltkrieg und einmal fast fünfzig Jahre später in Norddeutschland. Ein Roman, der mich in allem überzeugen konnte und der meine Neugier über Kasachastans Steppe geweckt hat.
    Der Blick geht nach vorn, antwortete Abraham Ambacher. Josef, versteht du das? Der Blick nach hinten macht dich kaputt. Du musst vergessen, was war, wer war. Brich mit dem Alten, geh hin zum Neuen. In der Vergangenheit liegt nichts Gutes für dich.
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Rezensionen zum Hörbuch

  • Rezension zu Sibir

    Klappentext:
    Furchterregend klingt das Wort, das der zehnjährige Josef Ambacher aufschnappt: Sibirien. Die Erwachsenen verwenden es für alles, was im fernen, fremden Osten liegt. Dorthin werden Hunderttausende deutscher Zivilisten – es ist das Jahr 1945 – von der Sowjetarmee verschleppt, unter ihnen auch Josef. Kasachstan ist das Ziel. Dort angekommen, findet er sich in einer harten, aber auch wundersamen, mythenvollen Welt wieder – und er lernt, sich gegen die Steppe und ihre Vorspiegelungen zu behaupten.
    Mühlheide, 1990: Josef Ambacher wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Woge von Aussiedlern die niedersächsische Kleinstadt erreicht. Seine Tochter Leila steht zwischen den Welten und muss vermitteln – und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie selbst den Spuk der Geschichte zu begreifen und zu bannen versucht.
    Sabrina Janesch erzählt mitreißend und in leuchtenden Farben die Geschichte zweier Kindheiten, einmal in Zentralasien nach dem Zweiten Weltkrieg, einmal fünfzig Jahre später in Norddeutschland. Dabei spannt sie meisterhaft einen Bogen, der unbekannte, unerzählte Kapitel der deutsch-russischen Geschichte miteinander verbindet. Ein großer Roman über die Suche nach Heimat, die Geister der Vergangenheit und die Liebe, die sie zu besiegen vermag.
    Mein Hör-Eindruck:
    Sabrina Janesch entführt ihren Leser in eine Welt, die in Geschichtsbüchern eher marginal auftaucht und deren letzte Zeitzeugen allmählich aussterben. Sie stellt uns das Schicksal der deutschen Familie Ambacher vor, die vor Generationen in das Warteland eingewandert war und von dort im II. Weltkrieg nach Sibirien verschleppt wurde – als Zivilgefangene, wie so viele andere deutschstämmige Familien auch. Janesch erzählt von der Verschleppung, dem Leben in Kasachstan und der Rückkehr nach Deutschland in ein Land, das den Rückkehrern fremd geworden ist.
    Die Autorin verteilt die Handlung auf zwei Zeitebenen und auf zwei Protagonisten, beides Kinder: einmal das Kind Josef, aus dessen Perspektive die Zeit in der kasachischen Steppe erzählt wird, und in der Jetztzeit ist es Josefs Tochter Leila, aus deren Sicht wir die Situation der Rückkehrer erleben.
    Die Art und Weise, wie die Autorin diese beiden Ebenen miteinander verbindet, ist bestechend flüssig und geschmeidig. Assoziativ reiht sie die Erlebnisse der beiden Kinder aneinander; ob es ein Sturm in der Steppe ist, der Schamane bzw. die Tante als Heilerin, der Wintereinbruch, der Schulbesuch – die Zeitebenen verzahnen sich bewundernswert leicht ineinander. Dadurch wird deutlich, welche Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen bestehen. Beide leiden unter dem Trauma der Entwurzelung, beide fühlen sich fremd und ausgegrenzt, beide suchen letztlich nach ihrer Identität.
    In der Gegenwart kommt noch eine Facette hinzu. Was zunächst wie ein unmotivierter Kinderstreich aussieht – der Diebstahl von Zahngold -, entpuppt sich als Hinweis auf diejenigen, die für die Verschleppung und die Traumatisierung vieler Menschen verantwortlich waren: die Nationalsozialisten, deren Täter nach wie vor ungestraft unter uns leben. Hier schafft die Autorin mit Pawel eine wirklich beeindruckende Figur.
    Der Teil, der in der Steppe spielt, hat mir wesentlich besser gefallen. Hier gelingen der Autorin einfach schöne Bilder wie z. B. das Kind Josef, das heimlich Wörter aus dem verbotenen Deutsch sammelt und aufbewahrt, um seine Identität und auch die Verbindung mit seiner toten Mutter zu bewahren. Sie vermeidet auch jede Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren, und damit gelingen ihr mit wenigen Federstrichen Bilder von menschlicher Solidarität über ethnische Grenzen hinweg, aber auch Verrat und Eigennutz.
    Der Jetzt-Teil gerät mir teilweise zu larmoyant. Die ständigen Klagen über die „schwere Kindheit“ und die grobe Ausgrenzung der Rückkehrerkinder – z. B. getrennte Sitzplätze in der Schule – wirken zu dramatisch. Zudem decken sie sich nicht mit meinen eigenen Wahrnehmungen.
    Das Hörbuch wird eingelesen von Julia Nachtmann: perfekt, ein großer Hör-Genuss!
    Insgesamt ein überzeugendes Buch, intelligent konstruiert.
    Absolute Lese- und Hör-Empfehlung!
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Ausgaben von Sibir

Hardcover

Seitenzahl: 352

E-Book

Seitenzahl: 343

Besitzer des Buches 4

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