Leonhard Horowski - Das Europa der Könige: Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts

  • Kurzmeinung

    Bücherjägerin
    so sollten Sachbücher sein: interessant, fesselnd und amüsant insbesondere durch den Schreibstil des Autors
  • Inhalt lt. Amazon (auszugsweise):
    Leonhard Horowski führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch untergegangene Welten, deren Bewohner er auf die Schlachtfelder des Krieges wie auf die der Heiratspolitik begleitet; er folgt Edelleuten und Prinzessinnen durch labyrinthische Palast-Korridore und sieht zu, wie mit Duellen und Zeremonien Politik gemacht wurde. Er zeichnet ein schillerndes Porträt des Adels in jener Epoche, als er noch keine natürlichen Feinde kannte - im Europa der Könige, das an sich und seinem dynastischem Denken schließlich gescheitert ist.


    Autor:
    Leonhard Horowski, 1972 geboren, studierte Geschichte, Anglistik und Politologie an der Freien Universität Berlin und der University of Durham. Nachdem er mit einer Doktorarbeit zum Hof von Versailles promoviert wurde, schließt er zur Zeit eine Habilitation über brandenburg-preußische Staatsminister ab. Neben der universitären Lehrtätigkeit arbeitete er in der Diplomatenfortbildung sowie als historischer Berater für Dokumentarserien, u.a. «Mätressen. Die Geheime Macht der Frauen» (2005) und «Die Deutschen» (2010). (Quelle: Amazon)


    Über das Buch:
    Leonhard Horowski erzählt in dem 1120 Seiten starken Buch die Geschichte der Königshäuser Europas zwischen dem Sonnenkönig Ludwig XIV. von Frankreich (ca. 1600) bis zum Jahr 1800. Der Fokus liegt dabei hauptsächlich auf den Herrscherhäusern von Frankreich, Preußen, Hannover und Großbritannien. Später tauchen noch Polen, Russland, Italien, Spanien und Österreich auf. Diese Herrscherhäuser waren auf vielfältige Weise miteinander verbunden - die verwandtschaftlichen Beziehungen findet der Leser in Stammbäumen, die in den vorderen und hinteren Buchvorsätzen abgedruckt sind. Die Stammbäume enthalten Verweise auf die Kapitel, in denen auf die dort erwähnten Personen eingegangen wird.


    Weiter sind in dem Buch noch drei Bildteile enthalten.


    Das Buch ist in 20 Kapitel unterteilt, von denen das längste über 90 Seiten geht.


    Leonhard Horowski schreibt sehr kenntnisreich, amüsant, ironisch und sarkastisch.


    Jedes Kapitel beginnt mit der Schilderung einer konkreten Situation (beispielsweise, wie sich Ludwig XIV. durch die Schlossgänge zu Madame de Monaco schleicht, um sie zu seiner Mätresse zu machen). Im weiteren Verlauf erläutert Leonhard Horowski ausführlich die Hintergründe: Wer war Madame de Monaco - aus welcher Familie stammt sie, wen hat sie geheiratet, warum hat sie genau denjenigen geheiratet, wieso sollte sie die Mätresse des Königs werden, wer intrigierte warum dagegen, wer konnte Mätresse werden, wieso war es besser, wenn der König eine verheiratete Frau als Mätresse hatte, was passierte, als er dann vor der Tür Madame de Monacos stand, und was waren die weiteren Auswirkungen...).


    Dies alles war für mich hochinteressant zu lesen. Allerdings war ich oft von der Fülle von Namen, Beziehungen und Informationen erschlagen, und das, obwohl ich mich schon lange mit der Materie befasse und die meisten Namen für mich "alte Bekannte" verkörperten. Ich kann jedoch nur nochmals betonen, wie gut lesbar das Buch trotz des Umfangs und der langen Kapitel ist. Besonders gefallen hat mir zum einen, dass man einzelnen "Familien" durch die Jahrhunderte und quer durch Europa gefolgt ist ("Ach, da ist ja der Enkel von Lauzun..."). Und zum anderen hat mir gefallen, dass ich auch mal "andere" Dinge erfahren habe: wer war der Mann mit der Eisernen Maske? Die Schilderung des Besuchs Josephs. II (von Österreich) bei seinem Schwager, König Ferdinand III./IV. von Neapel-Sizilien). Die Rückkehr von Georg II. von seinem regelmäßigen Besuch von Hannover nach Großbritannien.


    Über diesen Georg II. schreibt Leonhard Horowski übrigens in dem Kapitel "Georg II. mag seine dicke Venus viel lieber" wie folgt:

    Zitat von Leonhard Horowski

    So speicherte Georgs perfektes Gedächtnis beispielsweise nicht nur alle Uniformdetails, sondern auch sämtliche Familienverbindungen des europäischen Hochadels ab, und wer dieses Buch bis hierher gelesen hat, wird gewiss verstehen, warum der Autor sich eine gewisse Sympathie für diese Fähigkeit nicht verkneifen kann.

    Ich gebe :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: (ein halber Stern Abzug, weil man von Namen und Familien- und sonstigen Verbindungen nahezu erschlagen wird).

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • Vielen Dank für deine Rezension @Castor. Ich war schon sehr darauf gespannt, wie dein Eindruck ausfallen wird. Das Buch selbst liegt schon eine Zeit lang auf meiner Wunschliste. Ein Kauf hat mich bisher wegen genau diesem Punkt abgeschreckt:

    Allerdings war ich oft von der Fülle von Namen, Beziehungen und Informationen erschlagen, und das, obwohl ich mich schon lange mit der Materie befasse und die meisten Namen für mich "alte Bekannte" verkörperten.

    Ich beschäftige mich nämlich noch nicht so lange mit diesem Teil der Geschichte und würde befürchten hoffnungslos die Übersicht zu verlieren. Gibt es eventuell auch einen Anhang im Buch, der einem etwas helfen könnte den Überblick zu behalten? Eine Zeittafel oder etwas in der Art?


    Ansonsten wäre es ein Buch genau für mich :D

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • @Farast: Eine Zeittafel ist in dem Buch leider nicht enthalten.
    Dafür die oben erwähnten Stammtafeln, jeweils doppelseitig. Bei Amazon hatte ich den Tip gelesen, diese zu kopieren und als Lesezeichen zu verwenden (ein Lesebändchen ist vorhanden).
    Ansonsten ist ein alphabetisches Personenverzeichnis enthalten.
    Horowski weist bereits im Vorwort darauf hin, dass er für alle Namen und Titel die gängigen Formen nimmt. Auch werden Personen, die im Laufe ihres Lebens Titel und Namen änderten, konsequent unter dem Titel/Namen genannt, unter dem sie bekannt geworden sind.
    Manche Personen verfolgt er über Kapitel hinweg. Als Beispiel verfolgen wir Friedrich Wilhelm von Grumbkow durch mehrere Kapitel über Stationen seines Lebens, und von ihm als Ausgangsperson erfahren wir, was gerade in Preußen los ist (Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. der Große).
    Horowski nimmt den Leser an die Hand. Er führt die Personen ein und erklärt, wer sie sind und was sie warum tun. Wenn sie später nochmals erwähnt werden, dann kommt von ihm immer der Zusatz "das ist derjenige, der...". Auch, wenn eine Person einige Kapitel später nochmals auftaucht: "Siehe Kapitel 13, als er...". Das war sehr hilfreich. Nur manchmal ging der "Stammbaum-Nerd" (als der er sich irgendwo bezeichnet hat) mit ihm durch 8-[ .

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • @Castor: Wie ausführlich sind die Kapitel? Bleiben die beschreibungen sehr an der Oberfläche? Ich kann mir das Konzept nicht so wirklich vorstellen, da man ja über jedes dieser Herrscherhäuser und deren oberhaupt ein eigenes Buch von dieser Seitenzahl schreiben könnte oder taugt es nur, um einen ersten Überblick zu bekommen?

  • @Castor: Wie ausführlich sind die Kapitel? Bleiben die beschreibungen sehr an der Oberfläche? Ich kann mir das Konzept nicht so wirklich vorstellen, da man ja über jedes dieser Herrscherhäuser und deren oberhaupt ein eigenes Buch von dieser Seitenzahl schreiben könnte oder taugt es nur, um einen ersten Überblick zu bekommen?

    Die Kapitel sind sehr ausführlich und die Beschreibungen bleiben definitiv nicht an der Oberfläche. Selbst ich, die ich mich seit über 30 Jahren mit Geschichte, speziell auch mit der Geschichte der Königshäuser in diesem Zeitraum, beschäftige, habe viel Neues erscheinen.
    Wie bereits oben beschrieben, beschreibt er eine konkrete Situation - ein weiteres Beispiel: Joseph II. besucht seinen Schwager Ferdinand III./IV. von Neapel-Sizilien. Was er so genial macht, dass man die Personen und die Situation wirklich bildlich vor Augen hat. Und von dort aus zieht er sozusagen Kreise: Wie kam Ferdinand auf den Thron, er war doch "nur" der 3. Sohn. Was war er für ein Mensch (kein sonderlich angenehmer). Anhand seiner Ehefrau Maria Karolina, der Schwester von Joseph II., wurde erläutert, wie lax es in Herrscherhäusern mit den Vornamen der Töchter gehandhabt wurde. Was war sie für ein Mensch? Wie waren die Zustände dort am Hof?
    Genau in dem Kapitel kannst du übrigens ein Wiedersehen mit dem Vesuv und Pompeji feiern :wink: .
    Natürlich kann man über jede Person ein eigenes Buch von der Seitenzahl schreiben, nichtsdestoweniger empfand ich es, wie gesagt, nicht als oberflächlich, gerade weil er die Personen und Situationen wirklich grandios beschreibt.

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • Danke @Castor :winken: Was du mir und @findo geantwortet hast, klingt einfach klasse. Das Buch wird wohl nicht allzu lange mehr auf meiner Wunschliste bleiben.

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  • Ich hatte das heute auch schon in der Hand :uups: Aber leider eingeschweißt und ich hab den Preis gesehen :shock::wuetend::cry:

    Ich habe es gebraucht ergattert und kann es gerne dir leihen, wenn du magst. :wink: So schnell mache ich mich selber nicht dran, es steht auf meiner Leseliste relativ weit hinten. Du könntest dir also Zeit mit Lesen lassen.

  • Dieses Werk mit seinen 1.120 Seiten ist eine Bereicherung bereits vorhandenen Wissens, das zu lesen beträchtlichen Genuss beschert.


    Leonhard Horowski, Historiker und Anglist, schenkt den an Geschichte interessierten Lesern viele Stunden Lesegenuss. Vielleicht erschrecken einige über den Umfang des Werkes, das mit 1.120 Seiten und knapp 1,5 kg nicht unbedingt zu den Leichtgewichten zählt.


    In 20 Kapiteln, die unterschiedlich lang sind, stellt Horowski mit leichter Feder eine längst versunkene Welt, die allerdings Auswirkung auf das Heute hat, dar. Er erzählt über adelige Machtkonstellationen, die sich im Absolutismus im „Alleinherrschertum von Gottes Gnaden“ manifestieren. Zuvor ist die Königswürde mitunter ein labiles Gebilde aus mehr oder weniger einflussreichen Adelsgeschlechtern.


    Der Hof des Königs zieht die Adeligen an, wie das sprichwörtliche Licht die Motten. Es wird gemauschelt und gemordet. Man gibt keinen Vorteil auf, weiß über die Hofetikette genauestens Bescheid und kämpft erbittert, sollte einer gegen dieselbe verstoßen.


    Manchmal hat man das Gefühlt einen Roman und kein Sachbuch zu lesen, so farbenprächtig und leicht lässt sich das kolossale Werk lesen.


    Horowski wirft einen Blick auf die Bourbonen, das Englische Königshaus sowie auf die Habsburger in Wien. Mit im Fokus ist natürlich der „Kaiser des Heiligen Römischen reiches Deutscher Nation (HRR“, der seit 1404 (mit kurzer Unterbrechung Karl VII (1742-1745 aus dem Hause Wittelsbach) bis zum Ende des HRR im Jahr 1806 von den Habsburgern gestellt wird.


    Die litauisch-polnische Union, die zwar innenpolitisch ständig am Zerfall balanciert, aber ein recht großes Territorium umfasste, fand ich spannend, da sich hier in späterer Folge (Napoleon, Königreich Polen) jede Menge Konflikte ergeben.


    Einiges deutet schon früh auf die Revolution 1789 in Frankreich hin. Oder ist das nur die Interpretation einer Nachgeborenen?


    Anschaulich sind die komplexen Familienverhältnisse des Hochadels geschildert. Der Leser bekommt einen Eindruck, dass Hochzeiten nicht immer einfach zu bewerkstelligen waren. Man musste ja „unter sich bleiben“.


    Thronfolger Franz Ferdinand wird sich später zu der folgenden, herrlich trockenen Bemerkung hinreißen lassen:


    „Wenn unsereiner jemand gern hat, findet sich immer im Stammbaum irgendeine Kleinigkeit, die die Ehe verbietet, und so kommt es, daß bei uns immer Mann und Frau zwanzigmal miteinander verwandt sind. Das Resultat ist, daß von den Kindern die Hälfte Trottel und Epileptiker sind.“ (zitiert nach Katrin Unterrainer)


    Der Autor spart auch das Thema „Krieg und Frieden“ nicht aus. Sachlich, aber manchmal mit leicht ironischem Unterton, werden echte und erfundene Kriegsgründe erläutert.


    Trotz der Fülle von historischen Zahlen, Daten und Fakten liest sich das Buch leicht und flüssig. Das Lesen erfordert trotzdem eine gewisse Konzentration, denn manche Dinge lassen sich nicht immer chronologisch darstellen, weil sie Querverbindungen implizieren. An einigen Stellen muss ein historisch nicht ganz so bewanderter Leser vielleicht eine zweite Quelle zu Rate ziehen, um sich im Geflecht der dynastischen Verwicklungen (und der vielen gleichen (Vor)Namen) wieder zurechtzufinden.


    Der Anhang mit der Auflistung aller (?) Amtstitel, Hofämter und Quellenangaben sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis rundet dieses prachtvolle Werk der Europäischen Geschichte ab. Eine Vielzahl von Bildern lässt Glanz und Gloria dieser Zeit lebendig werden.


    Fazit:


    Das Werk ist eine Bereicherung bereits vorhandenen Wissens, das zu lesen beträchtlichen Genuss beschert. Selten hat mich ein Sachbuch so amüsiert. Für Geschichtsliebhaber ein absolutes must-have und als Geschenk sicherlich gerne gesehen.

    Ich vergebe absolutistische 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)