Original : Englisch/UK, 2015
INHALT :
Die Römer sind seit Langem verschwunden und Britannien sinkt hinab. Doch zumindest sind die einstigen Kriege zwischen Briten und Sachsen vorbei. Der neue Roman ist in zeitlicher Nähe zum verstorbenen König Arthur angesiedelt. Zwei Briten, Axl und Beatrice, fällen eine Entscheidung und wollen sich auf die Suche ihres verlorenen Sohnes machen. Ein seltsamer Nebel von Vergessenheit liegt über dem Land, und ihre Suche ist sowohl die des Sohnes als auch das bruchstückhafte Hochkommen von Erinnerungen. Wohin wird es sie führen ?
BEMERKUNGEN :
Der Leser der Werke Ishiguros ist erneut überrascht und eben auch nicht : wieder hat der japanischstämmige Brite das Register komplett gewechselt und nach einem Detektivroman, einem historischen und auch einem dystopischen Roman (usw) Zeitepoche und Genre gewechselt. Nun könnten wir uns durch einige Gestalten des neuen Romans in einer Arthursage wähnen oder gar einem Fantasyroman, mit Rittern und Drachen, Kämpfen und schaurigen Klöstern. Zur selben Zeit erkennt man einen Ishigurostil wieder, in jener etwas schwebenden Schreibe und auch manchen Hauptthemen des neuen Buches : das Erinnern, das Gedächtnis…
In einer kargen Landschaft und in unterirdischen Behausungen sind Axl und Beatrice, zwei ältlichere Briten, daheim. Hinter ihrem liebevollen Umgang miteinander sind wir schnell und auch auf die sanfte Art damit konfrontiert, dass Unnämliches, Unsicheres und Vielleichts ihre Erinnerungen – und die des ganzen Volkes – trüben. Nur Bruchstücke an Erinnerungen erfüllen diese Menschen, als ob man sich quasi seiner eigenen Vergangenheit im Unklaren wäre. Und wer von solcher Vergessenheit redet stellt auch die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Erinnern und Identität. Gar an den eigenen Sohn erinnert man sich nur vage. Doch bevor alles versinkt wollen sie sich auf den Weg machen und ihn finden, mit ihm leben. Schon kommen dem aufmerksamen Leser erste Fragen hoch : gibt es eine Aufgabe – und eine Verpflichtung – sich zu erinnern ? Ist Vergessen eine Plage, eine Krankheit ? Sie herrscht auch im durchwanderten Sachsendorf ! Verdirbt diese Vergesslichkeit alles oder ist sie ausgeworfenes Ruhekissen ?
Auf ihrem Weg begegnen den Beiden verschiedene Personen, jeder mit seinen Anteilen an Erinnern, vielleicht auch seinem Auftrag dabei?! Insbesondere denkt man dabei an den Krieger Wistan, einem ausgesandten Sachsen, um den Drachen Querig zu töten. Dieser wiederum scheint geheimnisvoll verbunden mit dieser Wolke an Nichtwissen… Und da gibt es auch Gawain, einem der überlebenden Ritter der Tafelrunde, von Artur beauftragt und auch um diesen Drachen besorgt.
Ich will nun inhaltlich nicht weitergehen. Wer im Umfeld mit diesen Stichworten einen Fantasy- und Kampfroman erwartet wird sicherlich enttäuscht werden, denn gerade auf die Beschreibungen der Kampfhandlungen scheint Ishiguro keinen so großen Wert zu legen. Sie erscheinen etwas umständlich und leblos. Doch darum geht es ihm wohl (sicherlich) auch garnicht, sondern um ganz andere Schwerpunkte angesichts von Erinnerung an Schuld, auf persönlicher wie auch geschichtlich-zwischenvölkerlicher Ebene.
Und hier finden wir auch wieder einige Themen des Autors aus anderen Büchern. Hier stellt er sie – wenn wir genauer hinschauen – in ein mythisch-historisches Gewand, doch die dahinterliegenden Fragen sind in unserem Zeitalter des Augenblicks, des Vergessens auf persönlicher als auch nationaler Ebene von großer Bedeutung. Gibt es einen Platz für ein notwendiges Vergessen ? Muss alles erinnert werden ? Kann Identität dort herrschen wo ignoriert wird ? Und dies rührt an persönliche Liebesgeschichten wie auch genozidbeherrschten Umständen…
Beim Lesen des Buches war ich überwältigt, wie Ishiguro in scheinbar einfachem, ja simplem Gewand erneut große Fragen stellt (die ich hier nur angedeutet habe). Wer solch intensive Infragestellung sucht wird erneut begeistert sein von der Schreibe eines der größten zeitgenössischen Schriftsteller !
Von mir gibt es fünf Sterne !
AUTOR:
Kazuo Ishiguro, * 8. November 1954 in Nagasaki, Japan, ist ein britischer Schriftsteller japanischer Herkunft. Er wurde in Japan geboren und lebte dort bis 1960. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Familie nach England, wo der Vater als Ozeanograph im Auftrag der britischen Regierung zunächst für einen begrenzten Zeitraum von ein bis zwei Jahren forschen sollte. Aus dem vorübergehenden Aufenthaltsort wurde schließlich der feste Wohnsitz der Familie. Kazuo Ishiguro wuchs in Guildford, Surrey, auf. Ishiguro studierte zunächst Englisch und Philosophie an der University of Kent in Canterbury (B.A. 1978) und besuchte später Malcolm Bradburys „Creative Writing Course“ an der University of East Anglia, Norwich, wo er im Jahr 1980 seinen M.A. in Literatur absolvierte. Bereits während dieser Zeit schrieb Ishiguro erste Kurzgeschichten, die allesamt veröffentlicht wurden und ihm einen Vertrag für seinen ersten Roman einbrachten, bevor dieser überhaupt vollendet war. Er engagierte sich in den 1980er Jahren an zahlreichen sozialen Projekten (Obdachenlosenhilfe). Dabei lernte er auch seine Frau kennen, die er 1986 heiratete. Heute lebt er mit seiner Frau und seiner Tochter in London.
Hardcover: 352 pages
Publisher: Faber & Faber; First Edition edition (3 Mar. 2015)
ISBN-10: 0571315038
ISBN-13: 978-0571315031
Das Erscheinen einer deutschen Übersetzung ist sicherlich nur eine Frage der Zeit?!