Boris Pasternak . Doktor Shiwago

  • ""Doktor Shiwago" beginnt im Jahr 1903 und endet 1929 mit dem Tod des
    Arztes und Dichters Juri Shiwago, der in einer überfüllten Moskauer
    Straßenbahn einem Herzschlag erliegt. Ein Epilog führt in den Zweiten
    Weltkrieg bis ins Jahr 1943. Davor eine Zeit mit Krieg, Februar- und
    Oktoberrevolution, Bürgerkrieg, Hungersnot. Im Mittelpunkt des opulent
    erzählten Romans steht die tragische Liebesgeschichte zwischen Shiwago
    und der Lehrerin Lara. Wie in allen großen Liebesromanen der
    Weltliteratur gerät auch Shiwagos Liebe in Konflikt mit den
    gesellschaftlichen Mächten seiner Zeit. Trotz aller ideologischen Zwänge
    gelingt es Shiwago zwar, seine innere Freiheit zu bewahren. Letztlich
    aber scheitert er an den Irrungen seiner Epoche und am Leben im
    totalitären Staat." (amazon)


    Das Buch ist zu komplex, um den Inhalt in ein paar kurze Sätze zu fassen - auch der oben angegebene "Klappentext" von Amazon beschreibt nicht einmal ansatzweise, wie die Geschichte verläuft.
    Viele werden - wie ich - bei dem Titel den Film mit Omar Sharif im Hinterkopf haben. Das Buch ist jedoch komplett anders als der Film. Selbstverständlich ist die Liebesgeschichte zwischen Schiwago und Lara ein wichtiger Bestandteil des Romans, doch eigentlich geht es um "das Große und Ganze", sprich die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Russland. Die Liebe zwischen Schiwago und Lara wird eher auf intellektueller Ebene dargestellt: er liebt seine Ehefrau, weil er mit ihr aufgewachsen ist. Es macht eher den Anschein einer geschwisterlichen denn einer ehelichen Liebe. Lara wiederum ist ihm vom Charakter ähnlich, sie ist politisch interessiert - und das führt zwischen ihnen zu einer Verbundenheit und Liebe.
    "Doktor Schiwago" hat mir Appetit auf mehr gemacht - ich habe schon den nächsten russischen Klassiker im Auge. Trotzdem bekommt das Buch von mir nur 3,5 Sterne: ich bin während des gesamten Buches nicht mit den Figuren warm geworden und auch, wenn Pasternak für sein Werk einen Nobelpreis erhalten sollte: ich finde einige Dinge zu schnell und oberflächlich abgearbeitet (so wurde z.B. die Hungersnot in Moskau mit einem Nebensatz erwähnt -- mir persönlich hätte es vielleicht die Figuren näher gebracht, wenn ihre Gefühlswelt, ihre Angst und ihr Verhalten zu der Zeit noch intensiver beschrieben worden wäre).
    Ansonsten konnte man das Buch gut lesen, wenn man erstmal mit den Namen vertraut war - Gott sei Dank stand am Anfang eine Namensliste, sonst hätte ich sehr schnell den Überblick verloren.
    Nichtsdestotrotz: für Russland-Fans empfehlenswert!

  • Bzgl. der Figuren halte ich es glatt für beabsichtigt, dass man diesen nicht so richtig warm werden kann - sie verkörpern entweder regelrecht die politischen Pole, sind Schemen, in gewisser Weise auch personifizierte Radikalität oder schlicht und ergreift ambivalent, wie Juri, und werden schlußendlich zerrieben, weil sie nicht dazu in der Lage sind "Partei zu ergreifen", obwohl sie es müssten. Sein ganzes Wesen ist Widerspruch und so zerbricht er schlußendlich regelrecht. Alle Personen wirken m.E. viel zu sehr auf einer symbolhaften Ebene, als dass sie wirklich authentisch sein könnten... aber genau das macht den Doktor Shiwago für mich eben doch zu diesem Stück Weltliteratur, das es auch ist. Bedauerlicherweise wird er aber v.a. auch durch die, gerade in der BRD, übliche Lesart als antikommunistisches Werk noch arg degradiert und führt zu einer Art Vorverurteilung, die dem Werk nicht gerecht wird (in der amazon Kurzbeschreibung klingt das so auch noch etwas durch).

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam