Seite 1-120 vom 15.01 - 18.01.07

  • Eigentlich ist es noch etwas früh sich schon in der heute beginnenden Leserunde zu Wort zu melden zumal ich erst 44 Seiten gelesen habe.
    Aber ich glaube dies ist eine einschneidende und entscheidende Stelle. Der Übergang von Gedanken zur Tat, von der Fiction zur Realität. Der Lehrer Raimund Gregorius sitzt im Zug Richtung Genf.
    Das Resultat seiner Begegnung mit der Portugiesin auf der Brücke, das ihn wach gerüttelt hat und Gedanken an die Oberfläche spülte, die er wahrscheinlich schon vorher in sich spürte, aber ab diesem Moment erst in seine liebevoll empfundene jedoch eingefahrene Welt eindringen läßt.
    Gedanken und Fragen , die man sich mit zwanzig noch nicht stellt, in den zunehmenden Jahren dennoch immer mehr Form annnehmen und auch mir nicht unbekannt sind. Erstaunlich mit welcher Treffsicherheit Pascal Mercier dieses Empfinden weitertransportiert und zu Papier bringt.
    Der Klang der portugiesischen Sprache, die ihm bisher zu lebhaft und schnell erschien, plötzlich seinen Drang nach neuem Verstehen und Ausdruck in Verbindung mit Veränderung setzt sowie Neugier erweckt.
    Jetzt nach einem klärenden Brief an den Rektor und einem Gespräch mit seinem "Nachtfreund" sitzt er im Zug. Ein Schritt, der nicht unbedingt (oder auch) etwas mit Mut zu tun hat, sondern eher dem inneren Zwang folgend.
    Voller Erwartung gehe ich mit ihm auf die Fahrt.
    Gruß Wirbelwind


    :study: Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon
    :study: Gillian White, Der Nachmieter

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Hallo Wirbelwind,


    habe gestern Nacht noch angefangen zu lesen, bin an der gleichen Stelle angelangt, an der Du das hier gepostet hast.


    Die ersten 10 Seiten waren etwas gewöhnungsbedürftig der Sprache wegen, aber das habe ich bei manchen Büchern von Autoren, deren Stil ich nicht kenne. Von daher ist das nicht negativ.


    Für mich begann der Umschwung schon damit, dass er die Klasse verlassen hat. Da hatte ich das Gefühl, dass Du hattest, als er in den Zug stieg.


    Die kleinen Details finde ich sehr wichtig und schön zu lesen. Wie er Bücher beschreibt (als die Studentin in der Buchhandlung über den Buchrücken strich...) ist einfach wunderschön. Man spürt die Besonderheit der Situation und den Wert des Buches, ob nun vom Inhalt oder ideelen Wert her.


    Ich bin gespannt, wie es weiter geht....

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Hallo Tanni,
    die kleinen Details und Feinheiten finde ich auch sehr schön. Sie sind mit ein Grund warum ich das Buch für meine Verhältnisse recht langsam lese. Wäre doch echt schade, wenn ich etwas überlesen würde. Trotzdem bin ich den ganzen Tag um das Buch herumgeschlichen. Meine "freien Tage" sind stets verplant, aber irgendwie ist es mir dann doch gelungen noch ein paar Seiten zu lesen.
    Ganz besonders beschäftigt mich folgende Aussage:


    Wenn es so ist, daß wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist - was geschieht mit dem Rest?


    Diese Frage habe ich mir in ähnlicher Form auch schon gestellt.
    Auf den folgenden Seiten habe ich eine ganz neue Seite von dem Lehrer entdeckt, die mich mehr als erstaunte. Ich will nun aber nicht weiter darauf eingehen, sondern warten bis die anderen Teilnehmer dieser Leserunde sich zu Wort melden.
    Heute Abend lese ich bis Seite 120 weiter.
    Gruß Wirbelwind


    :study: Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon
    :study: Gillian White, Der Nachmieter

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Hallo Zusammen


    Ich bin auch bis zur besagten Seite 44 vorgedrungen, und mir gefiel das Buch auf Anhieb.


    Im Vorlauf ist mir natürlich direkt wieder Montaigne ins Auge gesprungen, die Essais liegen hier immer noch ungelesen :roll: Ein Buch was ich mir aufgrund "Und Nietzsche weinte" von Yalom gekauft hatte.


    Die Zitate von diesem Autor bringen mich zum Grübeln, was ich mag.


    Ich bin auch schon sehr gespannt wie es weiter geht, und werde heute noch ein paar Zeilen lesen :thumleft:

  • Hallo Lesekolleginnen und -kollegen,


    Na, dann melde ich doch auch mal, dass ich bis (wer errät's) Seite 44 gelesen habe. Was mir auffiel: Auf der Brücke wirft Mundus seine Tasche weg, um die vermeintlichen Selbstmörderin zu retten, doch schon wenige Worte später ist sie es, die ihm mit seinen Heften hilft. Sein Übergang in eine neues Leben ist geprägt vom Übergang von toten Fremdsprachen (auch wenn sie für ihn nicht tot waren) zu einer lebenden Fremdsprache, dabei überwindet er sein Scheu vor dem schnellen Sprechen und fällt wegen seines Buches doch wieder in die seine "Altphilologenmanier", setze sich brav mit Wörterbuch hin und übersetzt.
    Noch habe ich ziemlich wenig über Mundus erfahren, sein Leben, einschließlich Spitznamen ist stereotyp (und erinnert mich ein bisschen an Professor Unrat), aber ich bin mir sicher mit seinem Ausbruch wird sich diese Person noch mit viel Leben füllen.


    Katia

  • Ich habe jetzt das sechste Kapitel beendet und möchte euch kurz meine ersten Eindrücke mitteilen. Ich habe mich sofort "zu Hause" gefühlt in dem Buch, ich weiß gerade nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Positive Erinnerungen an "Perlmanns Schweigen", haben sich eingestellt, Pascal Merciers ersten Roman, den ich vor ein paar Jahren gelesen habe. Ich freue mich, die schöne und ausdrucksstarke Sprache, die mich damals schon fasziniert hat, hier wiederzufinden. Manche Sätze lese ich mehrmals, wie um sie mir auf der Zunge zergehen zu lassen, so schön finde ich sie.


    Ich denke, man kann Gregorius als Sonderling bezeichnen, als irgendwie liebenswerten Sonderling, der mir bis jetzt recht sympathisch ist. Er hat sich eine Nische geschaffen, in der sich sein bescheidenes, geregeltes Leben abspielt; ein Leben wahrscheinlich ohne größere Höhen oder Tiefen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er unzufrieden mit seinem Dasein war und doch muss in ihm schon lange etwas vor sich hingebrodelt haben, was nur auf den richtigen Anlaß gewartet zu haben schien, um auszubrechen. Jetzt bin ich erstmal gespannt, was es mit diesem José António da Silveira auf sich hat, den er gerade im Zug kennengelernt hat...


    Herzliche Grüße
    Siebenstein :wink:

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Zitat

    Ich habe mich sofort "zu Hause" gefühlt in dem Buch, ich weiß gerade nicht, wie ich es anders beschreiben soll.


    @ Siebenstein: Genauso habe ich es auch empfunden...
    Man fühlt sich gleich wohl mit dem Protagonisten und in der Geschichte.
    Zudem besitzt das Buch bis jetzt eine Einzigartigkeit, die ich spannend finde und die mich staunen lässt. Alleine die erste Szene mit der Telefonnummer auf der Stirn. Ich liebe solche Szenarien. Gregorius ist mir sehr sympathisch und ich gehe gerne weiter mit ihm auf die Reise.

  • Ich bin nun auch auf der besagten Seite angelangt und sitze nun mit Gregorius im Zug nach Lissabon.
    Wie oben schon erwähnt, findet man sehr schnell in die Geschichte hinein, es liest sich trotz der recht detailierten Ausführungen sehr flüssig und angenehm.
    Ich weiss nicht wie Ihr die Situation seht, aber ich habe mir beim Lesen dieser ersten Seiten die Frage gestellt, ob es tatsächlich sein kann, daß ein 57 - jähriger, stets überkorrekter, penibler Mensch durch eine Situation, wie hier geschildert, so aus der Bahn geworfen werden kann. Er bricht mit vielen, ihm über die Jahre liebgewordenen Konventionen und steigt aus seinem bis dahin wohlarrangierten Leben aus und begibt sich auf die Reise.


    Bin gespannnt wie es jetzt weitergeht.


    Gruß
    Richard

    "Erst die Möglichkeit einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."


    Paul Coelho


    :study:John Irving - Owen Meany

  • Zitat

    Original von Welf
    Ich weiss nicht wie Ihr die Situation seht, aber ich habe mir beim Lesen dieser ersten Seiten die Frage gestellt, ob es tatsächlich sein kann, daß ein 57 - jähriger, stets überkorrekter, penibler Mensch durch eine Situation, wie hier geschildert, so aus der Bahn geworfen werden kann.


    Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Viele Menschen haben doch eine verborgene Seite, die sie nicht gleich jedem offen zur Schau stellen. Zwar erfährt man zunächst nicht viel über Gregorius, aber das was man nach und nach erfährt, lässt doch auf einen sehr empfindsamen Menschen schließen, der sich viele Gedanken über sich und das Leben allgemein macht. Ich denke, er lebt so beschaulich und strukturiert, weil das für ihn mit seiner Geschichte erst mal das Naheliegende ist. Das heißt aber nicht, dass da nicht noch eine ganz andere Seite in ihm schlummern kann, die nur darauf wartet, endlich geweckt zu werden. Ich hatte genau wie Wirbelwind den Eindruck, dass sein Aufbruch weniger eine Frage des Mutes war, als eher ein Schritt, für den einfach der richtige Moment gekommen war.


    Was mich gestern beim Lesen etwas stutzig gemacht hat: wie bringt Gregorius es fertig, derart präzise aus einer Sprache zu übersetzen, die ihm zwei Tage vorher noch völlig fremd war... :-k ... oder habe ich da etwas überlesen?


    Gruß
    Siebenstein :wink:

    :montag: Judith Hermann - Daheim


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    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Zitat

    Original von Siebenstein
    Was mich gestern beim Lesen etwas stutzig gemacht hat: wie bringt Gregorius es fertig, derart präzise aus einer Sprache zu übersetzen, die ihm zwei Tage vorher noch völlig fremd war... :-k ... oder habe ich da etwas überlesen?


    Darüber bin ich auch sehr erstaunt, Siebenstein. Für mich unfassbar! Aber vielleicht können das Menschen, die sich ständig mit Sprachen beschäftigen. Zählt nicht portugiesisch auch zu den romanischen Sprachen :-k Dann ist es nicht weit ab vom Latein, oder?


    Für mich ist dieser Aufbruch von Mundus zwar bemerkenswert, aber nicht erstaunlich. Wenn man weiter liest, wird immer deutlicher, dass es in ihm steckte und schlummerte.


    Wenn ich mir jetzt die Handlung so vorstelle, und ich an Mundus Stelle trete, wo ihn die Menschen so gut aufnehmen und weiterleiten, dann würde ich direkt ... :-,


    Bis später

  • Zitat

    Original von Siebenstein


    Was mich gestern beim Lesen etwas stutzig gemacht hat: wie bringt Gregorius es fertig, derart präzise aus einer Sprache zu übersetzen, die ihm zwei Tage vorher noch völlig fremd war... :-k ... oder habe ich da etwas überlesen?


    Kleiner Einwurf:


    Wie Heidi auch bemerkt, gehört portugisiesch zu den romanischen Sprachen. Wer wie Gregorius ein tiefes, fundiertes Wissen vom Lateinischen (zudem Griechisch!) hat, wird mit Hilfe einer Kuzgrammatik ohne Weiteres die wesentlichen Regeln einer romanischen Sprache erfassen. Vokabelmässig ist portugisiesch fUr einen Lateinkönner vielleicht schon zu ... erfassbar, und den Rest kann man per Wörterbuch relativ leicht nachschlagen.


    (Ich habe eine vielleicht nicht ganz so weit greifende Erfahrung mit meinem "Italienisch" gemacht...)

  • Ich glaube auch,dass Gregorius sein enormes Wissen vom Lateinischen und Griechischen weiterhilft und wenn es mal gar nicht klappen will "rettet" er sich mit Französisch.
    Zustimmen muß ich euch auch in diesem Punkt: Gregorius ist sehr sympathisch. Sehr bescheiden, manchmal zu bescheiden. Zum Beispiel staunt er über seine eigene kleine Bibliothek - dass er sich das jetzt leisten kann, nachdem er früher nur gebrauchte Bücher gekauft hat. Ansonsten leistet er sich nicht viel. Auf der Bank wird er oft darauf hingewiesen, er hätte zu viel Geld auf dem Giro und man hilft ihm es anzulegen.
    Schmunzeln musste ich über seine Freude und sein Erstaunen beim Kauf der neuen Brille. Gut vorstellen kann ich mir auch wie er von den Verkäuferinnen beraten wird als er der Meinung war neue Kleidung zu brauchen (nach fast 19 Jahren). Und wie fremd er sich selbst darin vorkam.
    Perplex war ich allerdings zu lesen wie er am Marktstand die Kasse geplündert hat, um seiner Mutter als letzten Wunsch eine Fahrt ans Meer zu ermöglichen. Nach reiflicher Überlegung hat er es dann zurückgebracht-das ist wieder typisch für ihn.
    Inzwischen bin ich auf Seite 120 angelangt.
    Er weiß nun schon eine ganze Menge mehr von dem Arzt und Autor Amadeu de Prado durch dessen Schwester und Maranna Conceicao Ecas Onkel. Immer wieder bin ich beeindruckt wie es ihm gelingt Personen zum Sprechen zu bewegen, die nicht unbedingt einem Fremden gegenüber redselig sind.
    Was gefällt euch an Gregorius besonders? Was macht ihn so sympathisch?
    Gruß Wirbelwind


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  • Bin jetzt mit dem ersten Teil des Buches fertig, und ein paar Seiten darüberhinaus.
    Auch ich fand das Buch schon nach dem ersten Kapitel angenehm, und hab es mir danach erst richtig gemütlich gemacht damit und alles aufgesogen.
    Ich halte Gregorius für einen sehr ängstlichen Menschen, das erkennt man an seiner panischen Angst mit seiner Brille, sowie der Tatsache, dass er sobald er im Hotel ist, sich nach einem Rückflug erkundigt.
    Es ist schon bemerkenswert, was dieser Mann, nach ewigem Jahren stetem das Gleiche tun, nun so aus allem herausbricht und endlich den Weg weiterlebt, der ihm schon nach seinen Prüfungen ein wenig zugeblinzelt hatte. Erinnert mich auch etwas an eine Midlifecrisis, andere kaufen sich Ferraris, er macht eine Reise.
    Und dennoch lässt er sich immer mehr auf diese Reise ein, wird langsam mutiger und gewöhnt sich an die stets Tag für Tag neuen Erlebnisse.
    Ich bin wirklich gespannt, ob die Frau vom Anfang nocheinmal auftaucht..

    "Wie soll auch eine Generation von Männern, die hauptsächlich von Müttern, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen umsorgt und erzogen wurde, Frauen glücklich machen?"
    (Generation Doof)

  • fensterfisch
    ja Gregorius ist sehr ängstlich, aber auch zäh. Eine Eigenschaft, die er gerade an sich entdeckt.
    Gruß Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Hallo ihr Lieben! :wink:


    Der erste Teil ist mein :compress:


    Puh, mir ist so einiges aufgefallen, was mich erstaunt.


    Ich empfinde das Buch als große Wundertüte und mag Euch nun einfach Mal sagen, was mich so wundert und erstaunt, bzw., was ich auch nicht so ganz nachvollziehen kann.


    Gregorius hat über Jahre hinweg nur das Nötigste ausgegeben und so einiges angespart. Das ist logisch, das ist verständlich. Aber es wird "behauptet", er sei dadurch wohlhabend geworden, was absolut unmöglich ist. Das ist zwar kein Logikfehler im Text direkt, aber es ist nicht genau genug bedacht. Ein Lehrergehalt ist nicht arg hoch und selbst wenn man davon noch etwas abzweigt, weil man spartanisch lebt, so kann man auch von Zinsen über die Jahre hinweg nicht "wohlhabend" sein. Das fand ich etwas überzogen...


    Dann hat Gregorius ständig Angst, die Reise könnte ein Fehler sein, so sehr ist er in seinem Leben Zuhause und damit verschweisst. Es sind alles nur halbherzige Überlegungen, ob er vielleicht in Paris aussteigt und den Zug zurück nach Bern nimmt, etc.
    ABER, im Hotel geht er doch tatsächlich her, nach so vielen Versuchen, die er vorher zwar in Erwägung zog, aber sofort im Keim erstickte, und ruft am Flughagen an. Die Überlegung, hätte noch gepasst, weil er vorher auch schon sehr oft an diversten Orten und bei diversen Situationen über die Rückkehr nachdachte (Brief abfangen, zur 4. Stunde kommen...), ABER, jetzt hat er angerufen. Er hat es wirklich getan und hätte damit rechnen müssen, dass noch eine Maschine da war. Für den Leser unglaubwürdig. Denn der Leser hatte durch die vielen, von ihm selber abgewürgten Versuche, schon den Eindruck, dass es für ihn jetzt klar ist, dass er nicht zurück geht, zumal er es, wie gesagt, mehr als einmal schon für sich feststelle. Dafür gab es zu viele Anläufe, die er mit Ausreden und Vorhaben glaubhaft machte. Ich war echt enttäuscht, als ich las, dass er wirklich am Flughafen angerufen hat.


    Ich habe Gregorius sehr lieb gewonnen, in diesem ersten Teil. Auch wenn ich ihm den Vorwurf nicht ersparen konnte, dass er seine Schüler im Stich lies. Er war nicht der Lehrer von heute, wie man das so kennt und hört. Er war seinen Schülern gegenüber besonders verpflichtet und hat ihnen diese Besonderheit zu Teil werden lassen, sie von seiner Überpünktlichkeit, Konsequenz, Geschichtsliebe und Pedanterie abhängig gemacht, es ihnen sogar in gewisser Weise aufgezwungen. Und dann hat er sie fallen lassen, ohne Erklärung. Die Schüler taten mir leid, als sie vor der Türe standen, sich sorgen machten.


    Das ist Kritik am Schreibstil und auch an Gregorius selber und doch ist er mir sehr sympathisch und ich mag ihn. Er ist nämlich trotzdem ehrlich und ist immer noch, auch in Lissabon, DER Gregorius mit den vielen Aufgaben und Erinnerungen und doch ein unbeschriebenes Blatt, eine graue Maus. Seine Rückblenden zu Florence gefallen mir gut und spiegeln seinen Charakter und sich selbst, im Vergleich zu ihr wieder. Besonders, wenn es um Bücher geht! Sehr schön zu lesen.


    Grandios finde ich auch die Übersetzungen von Prado. Meisterhaft genial einfach. Da steckt so viel Wahres drin, so viel Auseinandersetzung.
    Die Übersetzung von Prados Text an dieser Stelle fand ich sehr schön:


    Das Gefühl, in einem Moment zu stecken, wo man die "Vergangenheit hinter sich hat, die Zukunft aber noch nicht begonnen hat". Es gehört einiges dazu, einen solchen Moment festzuhalten und ihn für den Leser verständlich zu machen! =D>


    Und eins bleibt noch offen - was ist quecksilbrige Intelligenz :?: wie könnte man das vergleichen? Ich überlege seit dieser Nacht nur noch, wie man das erörtern könnte...


    Liebe Grüße, Tanni

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Ich bin noch nicht durch mit diesem Teil, sondern am Ende von Kapitel 5, als er gerade in Spanien ankommt.
    Sein perfektes Übersetzen ist mir auch ein bisschen suspekt, natürlich helfen profunde Kenntnisse der lateinischen Sprache, ein Wörterbuch und eine Grammatik weiter - mit drei Büchern im Zug zu hantieren, und dabei noch so ausgefeilte Sätze zu Papier zu bringen, erscheint mir trotzdem etwas unrealistisch, trübt mein Lesevergnügen aber bisher wenig. Der Inhalt dieser Einschübe konnte mich bisher allerdings nicht sehr fesseln.


    Seine Beweggründe für diese Abreise kann ich auch noch nicht ganz nachvollziehen, warum dieses eine Wort (oder diese Frau?) zum Anlass wird, mir nicht klar.
    Dass er immer und immer wieder überlegt, wie er umkehren könnte und wann er Gelegenheiten dazu finden könnte, finde ich nicht unnatürlich - dass er das dann irgendwann (so weit bin ich noch nicht) doch ansatzweise umsetzt, Tanni, eigentlich auch nicht. Manchmal wälzt man etwas und irgendwann tut man's doch, gerade bei Sachen, bei denen das Weitermachen ohne es zu tun den größeren Mut erfordert. Du sagst ja auch selbst, dass er Ausreden gebraucht, vorher, um nicht umzukehren und in dem Moment hatte er vielleicht einfach keine mehr. Aber genaueres kann ich natürlich erst sagen, wenn ich weitergelesen habe. Ich konnte seine Erwägungen, der Art "ich könnte doch den Zug nach Bern zurücknehmen" sehr gut verstehen, ich würde in der Situation wahrscheinlich genauso Angst vor der eigenen Courage bekommen.


    EDIT: O.k., jetzt habe ich die Stelle gelesen und ich muss sagen, ich interpretiere die völlig anders: Gregorius will sich an dieser Stelle nochmal die "Genehmigung" vor sich selbst einholen, dass er in Lissabon bleiben darf und mit seinen Recherchen anfangen kann. Er hofft, dass es keinen Flug gibt. Und selbst wenn es einen gegeben hätte, so wäre er ja nicht verpflichtet gewesen, den zu buchen. Direkt anschließend ruft er Doxiades an (der nicht da ist) und Doxiades war mit seine Reise einverstanden, vielleicht wollte er sich auch von dieser Seite nochmal eine Bestätigung einholen ...


    Eine sprachliche Verirrung ist mir auch aufgefallen, Prados Haar wird beschrieben: "das matt zu glänzen schien". Matt und glänzend scheint mir das Gegenteil voneinander zu sein.


    Katia

  • Zitat

    Original von Katia


    Eine sprachliche Verirrung ist mir auch aufgefallen, Prados Haar wird beschrieben: "das matt zu glänzen schien". Matt und glänzend scheint mir das Gegenteil voneinander zu sein.


    Katia


    Das ist garantiert Absicht. Oxymoron müsste das, laut meinem Deutschhefter, sein.

    "Wie soll auch eine Generation von Männern, die hauptsächlich von Müttern, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen umsorgt und erzogen wurde, Frauen glücklich machen?"
    (Generation Doof)

  • Hmm, aber ein Oxymoron in einem Prosatext? Bei einer Personenbeschreibung? Warum? Wenn, denke ich, dass er damit den Zustand des Photos andeuten will, das anscheinend schon älteren Datums ist. Für mich kein stimmiges Bild.


    Mit der "quecksilbrigen Intelligenz" kann ich mich übrigens besser anfreunden, ich würde darin so etwas wie "aufgeweckt, vielseitig interessiert, übersprudelnd" sehen, als Gegensatz z.B. zu einem intelligenten Schachspieler, der sich ganz auf eine Sache konzentriert, "ruhige Intelligenz".
    Ist ja immer Geschmackssache, dem einen gefällt dieses Bild, dem anderen jenes ...


    Inzwischen jage ich auf der Suche nach Spuren von Prado mit Gregorius durch Lissabon :study:
    Ich erlebe Gregorius gar nicht so ängstlich - dass er Angst hat, seine Brille zu verlieren, gut, aber ohne die wäre er wirklich absolut hilflos und das in einer fremden Stadt. Ich trage keine sehr starke Brille, aber ich gehe auch schon ungern ohne aus dem Haus und wenn ich die meines Vaters aufsetze (die wohl in Gregorius Stärke liegt), dann ist mir schon der Gedanke unheimlich mich innerhalb des Zimmers zu bewegen - so ungefähr stelle ich mir das vor, wenn Gregorius ohne laufen müsste.


    Katia

  • Zitat

    Original von Katia
    Mit der "quecksilbrigen Intelligenz" kann ich mich übrigens besser anfreunden, ich würde darin so etwas wie "aufgeweckt, vielseitig interessiert, übersprudelnd" sehen


    Hm, damit kann ich mich so gar nicht anfreunden. Irgendwie trifft es das für mich nicht. Aber ich finde nichts anderes, was mir in den Sinn kommt und exakt wäre. :-k


    Wenn er Quecksilber schreibt, meint er Quecksilber. Welche Eigenschaften hat es? Das will mir nicht so recht in den Sinn. Das passt auch gar nicht als Vergleich oder Beschreibung... :-s

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)