Kapitel 6
In der englischen Ausgabe hat dieses Kapitel gerade mal 6 Seiten, aber man könnte wohl mehr Seiten dazu schreiben als es lang ist. Es geht um den Vater,
es geht um seine letzten Jahre, die er allein in seinem Haus in Corby verbringt.
Der Vater fällt sozusagen parallel zu seinem Sohn. Man hat schon das Gefühl, dass er nach dem Tod seiner Frau nur noch die Absicht hat auf seine eigene
Art und Weise zu gehen, auf seine Art zu sterben. Man mag es als Leser kaum glauben, aber seine Frau hat er geliebt und auch wenn er es nie gezeigt hat,
ihr Tod war im Grunde auch für ihn das Ende. Burnside beschreibt seine Art zu gehen so: (d.Ü. Seite 292/93)
Zitat von John Burnside(...) and deciding that he was going to go in his own way, with dignity - which for him, meant dying alone, in the privacy of his own house. It was the
one aim he could still achieve, that solitary, dignified death; nothing else was an issue, not happiness, not pain, not what people thought.
Natürlich ist es die Sicht des Sohnes der nun im Rückblick versucht auszuloten wie sich sein Vater dabei gefühlt hat. Das klingt nun immer mehr wie ein Weg,
eine Annäherung an den Vater. Kein Erklärungsversuch, aber ein Versuch zu verstehen, nachzuvollziehen was seinen Vater in den letzten Jahren berührt haben
mochte. Es beginnt mit einer Vorstellung von der Einsamkeit und der Erkenntnis und endet dann (im nächsten Zitat mit einem Wunsch des Sohnes für seinen
Vater. Aber zuerst die Erkenntnis dass das Ende nicht kommt, wenn man es herbeisehnt, sondern seine eigene Fallgeschwindigkeit hat. (d.Ü. Seite 295)
Zitat 1:
Zitat von John BurnsideBecause, no matter what any of us might think, he had loved her. As soon as he registered that she was gone, he began to fall. To begin with, he believed
it wouldn`t take long, that it would all be over in a matter of month, a year at most. But this is the biggest surprise, this is the biggest shock to the system,
worde than any of the damage we do to ourselves or others, worse than the lost joys of the early days, when the drug of choice was gracious. This is the
worst stage, when the end keeps promising to come, but never arrives, and we go on falling for years and decades. And after all that falling - so slow and
so casual - when the end finally comes and the fall is over, there`s nobody there to appreciate the fact.
Nach dieser dunklen Vorstellung über eine nicht enden wollende Einsamkeit, schwenkt Burnside um und es ist schon erstaunlich, wie er versucht dann doch, nach
allem was geschehen ist, seinem Vater einen Wunsch zu erfüllen, auch wenn der posthum kommt, zeigt er eine Möglichkeit auf in den kleinen Dingen noch einmal
kurze Augenblicke des Glücks erkennen und fühlen zu können. Mir als Leser fällt es schon schwer diesem harten, unnachgiebigen Mann so etwas zuzugestehen.
Wie schwer muss es gewesen sein und wieviel lange Jahre muss es Burnside gekostet haben, zu dieser Erkenntnis, zu diesem Wunsch zu gelangen. (d.Ü. S.295)
Zitat 2
Zitat von John BurnsideI could say that I had too many unhappy memories to see him as he was then. But this is all after the fact, all construction. It doesn`t explain the fact
that, now, in some perverse corner of my heart,I would like to imagine him happy, or that I would gladly have imagined him happy, back then. A few
minutes` happiness - a good memory, a bright morning, an old song on the radio during a moment of self-forgetting - would have made so much difference
to a life like this. A few hours would be a story in itself the basis for a whole new construction: gentleness, veneration, history, love.
Natürlich ist das alles, wie Burnside auch schreibt, eine Konstruktion, aber es ist auch eine sehr schöne Vorstellung die vielleicht ein Stück hilft, endlich so etwas wie
Frieden zu empfinden, einen Abschluss zu finden indem man sich noch einmal ein paar Momente des Glücks für den Vater vorstellt.
Sehr schön fand ich übrigens Burnsides Hypothese zu dem nach Klischee klingenden Spruch: "you can`t love others until you learn to love yourself". Er konstruiert
daraus folgendes: "you cannot learn to love yourself until you find something in the world to love; no matter what it is"
Am Ende dieses Kapitels zieht Burnside dann auch sein eigenes Verhalten mit ins Kalkül und resümiert noch einmal über die Disziplin des Glücks. Da lässt er mich
erkennen, dass man die Dinge nicht so ausschließlich sehen kann. Kontrolle und Disziplin sind auf Dauer gesehen eine Möglichkeit Glück zu erleben, aber manchmal
entzieht sich das Leben und auch das Glück einer Kontrolle. Dann passiert es eben ganz ohne uns und vielleicht erleben wir dann einen glücklichen Zufall und ein
Zeichen von Dingen, einen Anhaltspunkt, den wir noch nicht gefunden haben. (d.Ü. Seite 295/96)
Zitat von John BurnsideAlles anzeigenbut I can imagine that my father learned to love the world a little before he died, and so, in turn, learned to love himself. I hope so partly for his sake, and
partly of my own - because there are times, when I look back and suspect, times when I look back and know, that I was as much to blame as he was in
our failure to be a father and a son.
As a lifetime proposition, happiness is a discipline, no doubt; but for moments at a time, it`s a piece of luck. A piece of luck and a clue: a hint, not just of
what might be, but of what already exists, in the heart of a man`s heart, in the private place where cliches no longer hold, in the smoky, golden, myrrh-scented
chambers of our own imagery.
Vor allem gefällt mir bei Burnside, mal abgesehen von seinem wunderschönen Schreibstil, dass er Gedankengänge beschreibt, die den Leser förmlich dazu auffordern
eigene Gedanken und Gefühle einmal neu zu ordnen und aus anderer Perspektive zu betrachten. Es sind die kleinen Dinge, die Dinge, die wir zu oft übersehen, die einen
Weg zeigen besondere Augenblicke zu erkennen und zu genießen.
So, jetzt braucht mein fleißiges Helferlein (und ich auch) eine Pause.
lg taliesin