John Burnside - Lügen über meinen Vater (ab 02.09.2016)

  • Kapitel 6


    In der englischen Ausgabe hat dieses Kapitel gerade mal 6 Seiten, aber man könnte wohl mehr Seiten dazu schreiben als es lang ist. Es geht um den Vater,
    es geht um seine letzten Jahre, die er allein in seinem Haus in Corby verbringt.
    Der Vater fällt sozusagen parallel zu seinem Sohn. Man hat schon das Gefühl, dass er nach dem Tod seiner Frau nur noch die Absicht hat auf seine eigene
    Art und Weise zu gehen, auf seine Art zu sterben. Man mag es als Leser kaum glauben, aber seine Frau hat er geliebt und auch wenn er es nie gezeigt hat,
    ihr Tod war im Grunde auch für ihn das Ende. Burnside beschreibt seine Art zu gehen so: (d.Ü. Seite 292/93)


    Zitat von John Burnside

    (...) and deciding that he was going to go in his own way, with dignity - which for him, meant dying alone, in the privacy of his own house. It was the
    one aim he could still achieve, that solitary, dignified death; nothing else was an issue, not happiness, not pain, not what people thought.

    Natürlich ist es die Sicht des Sohnes der nun im Rückblick versucht auszuloten wie sich sein Vater dabei gefühlt hat. Das klingt nun immer mehr wie ein Weg,
    eine Annäherung an den Vater. Kein Erklärungsversuch, aber ein Versuch zu verstehen, nachzuvollziehen was seinen Vater in den letzten Jahren berührt haben
    mochte. Es beginnt mit einer Vorstellung von der Einsamkeit und der Erkenntnis und endet dann (im nächsten Zitat mit einem Wunsch des Sohnes für seinen
    Vater. Aber zuerst die Erkenntnis dass das Ende nicht kommt, wenn man es herbeisehnt, sondern seine eigene Fallgeschwindigkeit hat. (d.Ü. Seite 295)


    Zitat 1:

    Zitat von John Burnside

    Because, no matter what any of us might think, he had loved her. As soon as he registered that she was gone, he began to fall. To begin with, he believed
    it wouldn`t take long, that it would all be over in a matter of month, a year at most. But this is the biggest surprise, this is the biggest shock to the system,
    worde than any of the damage we do to ourselves or others, worse than the lost joys of the early days, when the drug of choice was gracious. This is the
    worst stage, when the end keeps promising to come, but never arrives, and we go on falling for years and decades. And after all that falling - so slow and
    so casual - when the end finally comes and the fall is over, there`s nobody there to appreciate the fact.

    Nach dieser dunklen Vorstellung über eine nicht enden wollende Einsamkeit, schwenkt Burnside um und es ist schon erstaunlich, wie er versucht dann doch, nach
    allem was geschehen ist, seinem Vater einen Wunsch zu erfüllen, auch wenn der posthum kommt, zeigt er eine Möglichkeit auf in den kleinen Dingen noch einmal
    kurze Augenblicke des Glücks erkennen und fühlen zu können. Mir als Leser fällt es schon schwer diesem harten, unnachgiebigen Mann so etwas zuzugestehen.
    Wie schwer muss es gewesen sein und wieviel lange Jahre muss es Burnside gekostet haben, zu dieser Erkenntnis, zu diesem Wunsch zu gelangen. (d.Ü. S.295)


    Zitat 2

    Zitat von John Burnside

    I could say that I had too many unhappy memories to see him as he was then. But this is all after the fact, all construction. It doesn`t explain the fact
    that, now, in some perverse corner of my heart,I would like to imagine him happy, or that I would gladly have imagined him happy, back then. A few
    minutes` happiness - a good memory, a bright morning, an old song on the radio during a moment of self-forgetting - would have made so much difference
    to a life like this. A few hours would be a story in itself the basis for a whole new construction: gentleness, veneration, history, love.


    Natürlich ist das alles, wie Burnside auch schreibt, eine Konstruktion, aber es ist auch eine sehr schöne Vorstellung die vielleicht ein Stück hilft, endlich so etwas wie
    Frieden zu empfinden, einen Abschluss zu finden indem man sich noch einmal ein paar Momente des Glücks für den Vater vorstellt.


    Sehr schön fand ich übrigens Burnsides Hypothese zu dem nach Klischee klingenden Spruch: "you can`t love others until you learn to love yourself". Er konstruiert
    daraus folgendes: "you cannot learn to love yourself until you find something in the world to love; no matter what it is"


    Am Ende dieses Kapitels zieht Burnside dann auch sein eigenes Verhalten mit ins Kalkül und resümiert noch einmal über die Disziplin des Glücks. Da lässt er mich
    erkennen, dass man die Dinge nicht so ausschließlich sehen kann. Kontrolle und Disziplin sind auf Dauer gesehen eine Möglichkeit Glück zu erleben, aber manchmal
    entzieht sich das Leben und auch das Glück einer Kontrolle. Dann passiert es eben ganz ohne uns und vielleicht erleben wir dann einen glücklichen Zufall und ein
    Zeichen von Dingen, einen Anhaltspunkt, den wir noch nicht gefunden haben. (d.Ü. Seite 295/96)



    Vor allem gefällt mir bei Burnside, mal abgesehen von seinem wunderschönen Schreibstil, dass er Gedankengänge beschreibt, die den Leser förmlich dazu auffordern
    eigene Gedanken und Gefühle einmal neu zu ordnen und aus anderer Perspektive zu betrachten. Es sind die kleinen Dinge, die Dinge, die wir zu oft übersehen, die einen
    Weg zeigen besondere Augenblicke zu erkennen und zu genießen.


    So, jetzt braucht mein fleißiges Helferlein (und ich auch) eine Pause.


    lg taliesin :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Lovecraft Country

  • Kapitel 6 (Zusatz)


    Hier noch eine kleine, herzallerliebste Geschichte von der Erziehung kleiner Jungen, die ich gestern vergessen habe zu erwähnen. Ich denke, dass braucht
    keine weiteren Worte: (d.Ü. S.296). Wenn das Normalität ist, muss man sich nicht wundern, warum Burnside eben nicht normal sein will, nicht leben will,
    "Wie alle anderen".


    Zitat von John Burnside

    I can imagine him shedding, ounce by ounce, the armoured self he had been taught to carry, as a man, from the moment he learned to walk.
    When he was three or four, somebody would have set him on a table and told him to jump off, assuring him that he would be caught, that no
    harm would befall him. It`s an old story: the child jumps, and he falls; then, as he picks himself up, or lies dazed and betrayed on a cold stone
    floor, somebody leans in and murmurs, with dark satisfaction, "That`ll learn you: Trust nae bastard."

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Lovecraft Country

  • Manchmal treffen Literatur und TV aufeinander und es passt.........
    Sah gerade auf n-TV eine sehr gute Dokumentation über Johnny Cash. Da wurde erzählt, dass Johnnys Vater wohl auch so ein harter, unnachgiebiger
    Mann war wie Burnsides Vater. Als Johnnys Bruder bei einem furchtbaren Unfall starb, waren die einzigen Worte die Cashs Vater zu seinem Sohn sagte:
    "It should have been you" .
    Parallelen kommen ja oft überraschend. In einem Lied der deutschen Band Heisskalt, das ich hörte, während ich über das siebte Kapitel nachdachte,
    gibt es folgenden Refrain.


    Ein kleines bisschen zuviel von allem,
    Ein kleines bisschen zu hoch zum fallen,
    Ein kleines bisschen zu schnell..........



    Das passt auf jeden Fall zu diesem siebten Kapitel, das Burnsides ersten "Besuch" in einer Psychiatrie zum Thema hat und deshalb auch nicht so leicht
    zu beschreiben ist. Was schreibt man zu Passagen wie dieser........



    Zitat von John Burnside

    Zu der Zeit als man mich nach Fulbourn brachte, tauchte ich aus etwas auf, das ich einen Anfall von temporärem Wahnsinn zu nennen versucht bin,
    tauchte daraus auf und wurde in einem ungewöhnlich empfindlichen und verletzlichen Zustand zu etwas, das ich nicht vorhersehen konnte, zu etwas,
    das ich nicht einmal zu beschreiben vermag. Es war, als wäre zufällig jemand vorbeigekommen und hätte, als das Insekt aus seinem Kokon schlüpfte,
    feucht, frisch und noch unfassbar zart, behauptet, mit dem Tier könne irgendwas nicht stimmen, da es keine Raupe mehr sei.

    Nun ja, vielleicht kommt die Inspiration ja noch................

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Ich wollte mich ganz kurz melden. Ich hatte es ja bereits befürchtet. Mein Wochenende war komplett familientechnisch ausgefüllt. Zwar mit schönen Dingen wie Urlaubsplanung, mit Familie rum"hängen", Kindlein um den Eßzimmertisch mit einem Beil* und einem Schwert* jagen usw usf. Sogar das lesen kam bei mir zu kurz und ich bin noch mitten im siebten Kapitel. Morgen vormittag müsste aber wieder "alles beim alten" sein und ich werde mich ausführlicher melden können :ergeben:


    *aus Moosgummi natürlich :wink::lol:

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • *aus Moosgummi natürlich

    danke für die Klarstellung. Ich hatte schon alarmierende Bilder im Kopf............... :uups:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

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  • danke für die Klarstellung. Ich hatte schon alarmierende Bilder im Kopf............... :uups:

    :lol: Das glaube ich dir gerne. :loool:


    Kleine Illustration Eurer Leserunde: Der Autor John Burnside in eifriger Diskussion vor einem Leseabend im Sommer 2012.

    Ui Dankeschön! :shock: Hast du die Bilder gemacht?

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  • Kapitel 5

    Das liegt allerdings auch daran, dass Burnside eine unnachahmliche Fähigkeit hat, solche Szenen bildhaft wiederzugeben.

    Oh ja, das ist wirklich eine sehr beeindruckende Fähigkeit von ihm.

    Vieleicht musste er so tief fallen, um sozusagen zwangsweise die Kurve zu bekommen.

    Ich kann nicht mehr sagen wann und wo ich das gelesen oder gehört habe, ob es bei einer Broschüre über Drogen war, ob in einem Artikel, ob im Gespräch mit einer Erzieherin von einer Wohngruppe mit Jugendlichen, keine Ahnung mehr. Aber das habe ich mir als erschreckende Erkenntnis über all die Jahre mitgenommen. Als Elternteil kann man seinem drogensüchtigen Kind ab einem bestimmten Punkt nicht mehr helfen. Es muss erst der absolute Absturz kommen, der totale Fall. Und dann gibt es -vielleicht- noch eine Chance.
    Und so habe ich die ganze Zeit auf diesen Absturz bei Burnside gewartet, auch mit der klitzekleinen Hoffnung, dass es nicht immer so kommen muss. Das es dann so gekommen ist, hatte dann meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.


    Oft aber, gehen solche Exzesse mit einer
    Fahrkarte einher, die ohne Rückfahrschein daherkommt.

    Leider ... leider ist es so.

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  • Zu Kapitel 6

    Man mag es als Leser kaum glauben, aber seine Frau hat er geliebt und auch wenn er es nie gezeigt hat,

    Liebe ist immer so ein großes Wort. Ich musste gerade darüber nachdenken was für mich Liebe ist und käme vermutlich nie zu Ende mit einer Erklärung was es alles für mich bedeutet und beinhaltet. Ja, überraschenderweise hat Burnsides Vater seine Frau auf seine seltsame Art wohl geliebt.

    ihr Tod war im Grunde auch für ihn das Ende.

    Sie war wohl seine Art von Lebensanker, die alles zusammengehalten hatte.

    Mir als Leser fällt es schon schwer diesem harten, unnachgiebigen Mann so etwas zuzugestehen.
    Wie schwer muss es gewesen sein und wieviel lange Jahre muss es Burnside gekostet haben, zu dieser Erkenntnis, zu diesem Wunsch zu gelangen.

    Ich musste da als Leserin tief schlucken und habe einen riesen Respekt vor dieser Fähigkeit des verzeihens von Burnside.

    Natürlich ist das alles, wie Burnside auch schreibt, eine Konstruktion, aber es ist auch eine sehr schöne Vorstellung die vielleicht ein Stück hilft, endlich so etwas wie
    Frieden zu empfinden, einen Abschluss zu finden indem man sich noch einmal ein paar Momente des Glücks für den Vater vorstellt.

    Das hast du schön ausgedrückt!

    Sehr schön fand ich übrigens Burnsides Hypothese zu dem nach Klischee klingenden Spruch: "you can`t love others until you learn to love yourself". Er konstruiert
    daraus folgendes: "you cannot learn to love yourself until you find something in the world to love; no matter what it is"

    Das gefiel mir auch gut!

    Am Ende dieses Kapitels zieht Burnside dann auch sein eigenes Verhalten mit ins Kalkül und resümiert noch einmal über die Disziplin des Glücks. Da lässt er mich
    erkennen, dass man die Dinge nicht so ausschließlich sehen kann. Kontrolle und Disziplin sind auf Dauer gesehen eine Möglichkeit Glück zu erleben, aber manchmal
    entzieht sich das Leben und auch das Glück einer Kontrolle. Dann passiert es eben ganz ohne uns und vielleicht erleben wir dann einen glücklichen Zufall und ein
    Zeichen von Dingen, einen Anhaltspunkt, den wir noch nicht gefunden haben.

    Mich ließ das als Leser sehr still und tiefst berührt zurück.

    Vor allem gefällt mir bei Burnside, mal abgesehen von seinem wunderschönen Schreibstil, dass er Gedankengänge beschreibt, die den Leser förmlich dazu auffordern
    eigene Gedanken und Gefühle einmal neu zu ordnen und aus anderer Perspektive zu betrachten. Es sind die kleinen Dinge, die Dinge, die wir zu oft übersehen, die einen
    Weg zeigen besondere Augenblicke zu erkennen und zu genießen.

    Und das liebe ich an Burnside und überhaupt an Büchern, wenn sie mich als Leser berühren, mich fordern. Mir zeigen das es auch noch mehr als eine Art gibt, Dinge zu sehen und zu verstehen. Mich hatte dieses Kapitel ziemlich mitgenommen und ich muss noch mal schreiben, du hast es einfach wundervoll zusammengefasst und auf die wesentliche Punkte gebracht. Ich hätte es so nicht fertiggebracht.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Hier noch eine kleine, herzallerliebste Geschichte von der Erziehung kleiner Jungen, die ich gestern vergessen habe zu erwähnen. Ich denke, dass braucht
    keine weiteren Worte: (d.Ü. S.296). Wenn das Normalität ist, muss man sich nicht wundern, warum Burnside eben nicht normal sein will, nicht leben will,
    "Wie alle anderen".

    Ach ja, dieser Teil :| Da braucht man sich wirklich nicht zu wundern. Leider schien der deutsche Übersetzer nicht so mutig gewesen zu sein und hatte den letzten (fett gedruckten) Teil aus deinem Zitat mit den Worten enden lassen: "Traue nichts und niemanden." Das hatte noch mal ganz anders auf mich gewirkt wie das Zitat aus dem Original.


    Wegen des siebten Kapitels, heute morgen habe ich während meines Frühstücks noch mal drüber geschaut und festgestellt, dass ich das eine oder andere doch überlesen hatte. Ich mag mir das Kapitel noch einmal durchlesen und morgen was dazu schreiben. Es ist ja mit eines der längeren Kapitel in diesem Buch und ist -wie immer- recht gehaltvoll.


    Der Refrain passt da wirklich sehr. Zu deinem Zitat aus dem siebten Kapitel, kann man vermutlich gar nichts schreiben. Einfach weil es nur tieftraurig und erschreckend zugleich ist. Wie will man da noch Worte oder Erklärungen für finden?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Hast du die Bilder gemacht?

    Ja, die Bilder hatte ich vor der Lesung gemacht. Wenn ich mich nicht ganz täusche, gehört der Rücken zu Burnsides Übersetzer Bernhard Robben, der den damaligen Leseabend moderierte.

  • Kapitel 7


    Zunächst mal eine kleine Korrektur von einer Aussage von mir:


    Es ist ja mit eines der längeren Kapitel in diesem Buch und ist -wie immer- recht gehaltvoll.

    Was die Länge des Kapitels betrifft, ich habe es mit einem anderen Kapitel verwechselt und zwar mit dem neunten :pale: Aus irgendwelchen Gründen habe ich bis einschließlich neunten Kapitels weiter gelesen (vermutlich fortgeschrittene wat-weiß-ich-was-da-in-mich-gefahren-war Syndrom) und das ganze auch noch abends im Halbschlaf. Das ich das alles noch einmal lesen darf, versteht sich von selbst.


    Was allerdings bleibt ist, dass dieses Kapitel sehr schwierig ist und ich nur einen Hauch davon streifen kann. Alleine schon das von dir gewählte Zitat sagt vieles aus. Als ich es heute morgen noch einmal gelesen habe, fiel mir wieder folgendes Zitat ins Auge; Burnside berichtet da über seinen Verstand folgendes:


    Zitat von Seite 303

    Ich sage "Verstand", meine aber "Psyche" im alten Wortsinn: Psyche, Geist, Verstand, Seele. Ein Theater der Möglichkeiten, das die meiste Zeit unzugänglich bleibt. In diesem Raum war etwas, das auf Außenstehende wie Chaos wirken mochte, aber für mich glich es einem Labyrinth, einer komplexen Abfolge von Kurven, Kreuzungen und Sackgassen, gleichwohl einem Labyrinth, und ich wusste, mir wurde für jede Sackgasse, jede krumme Kurve eine Verwandlung angeboten, eine Aussicht auf Aseitiät, auf absolute Unabhängigkeit, eine Existenz durch Selbsterschaffun, was ebenso schön wie schrecklich war.

    Und so versuche ich Burnsides verwinkelten Straßen in diesem Kapitel zu folgen.


    Nach seinem mißglückten Tollkirchenexperiment wurde er nach einem Aufenthalt im Krankenhaus zu Fulbourn gebracht, Wenn ich es richtig verstanden habe, war das freiwillig geschehen? Oder eher unfreiwillig freiwillig? Was für ein verwirrendes Kapitel. Ich habe das Gefühl in einen Kopf hineinzuschauen und gar nicht erfassen zu können was sich mir da alles an Gedankengängen und Überlegungen bietet. Und ich bin weit davon entfernt diesen Menschen zu verurteilen oder mir gar ein Urteil zu erlauben zu dürfen. Weil ich spüre, wie tief seine Verletzungen sind. Aber mit der Chance sich heilen zu lassen. Obwohl das auch wieder ungenügend ausgedrückt ist, man spürt wie er sich verändert. Wie tief sein Wunsch nach Veränderung ist. Trifft das eher zu? Ich denke schon. Also eine Mischung von allem, von Heilung und Veränderung.


    Fast schon lachen musste ich über diese Aussage (siehe meine Hervorhebung):


    Zitat von Seite 300

    Denn jedermann, ob Krankenschwester, Arzt, mein Besucher oder ich selbst, wusste, dass die einzige Möglichkeit, Fulbourn zu verlassen, darin bestand die Logik zu akzeptieren, nicht die einer unerwarteten, wenn auch überaus notwendigen Verwandlung, sondern die Logik jener Regeln, die mich überhaupt erst an diesen Ort gebracht hatte. Mit anderen Worten: Es kommt nur raus, wer normal wirkt.

    Das ist der Moment wo ich für mich dachte, definiere "normal". Was ist bitteschön normal? Zumindest mal keine Tollkirchen zu essen oder hübsche Wassermädchen zu sehen, die einem mit scharfen Fingernägel verfolgen. Und ich stimme Burnside vollkommen zu, wenn er moniert, dass man mit einer riesen Dosis Chlorpromazin intus, nicht normal wirken kann. Wobei ich erstmal nachschauen musste, was das überhaupt für ein Medikament ist und wie es wirkt: Klick


    Was mich zum grübeln bringt ist seine Aussage, dass nichts was er über seinen ersten Aufenthalt in Fulbourn erzählt wahr sein kann.

    Zitat von Seite 300

    Diese Geschichte jedenfalls ist eine Lüge über den Irrsinn; sie muss eine Lüge sein, denn nichts, was ich über meinen ersten Aufenthalt in Fulbourn erzähle, kann stimmen. Eine Lüge oder eine Erzählung, was auf dasselbe hinausläuft, wenn meine Worte auch nur im Geringsten von meinem Krankenbericht abweichen: Krankenberichte, die ich gesehen und über deren - was? Blödheit?- ich nur staunen konnte.


    Was in seinen Krankenberichten steht, kann nur über seine Oberfläche streifen, aber nichts wirkliches über ihn aussagen. Soweit ich es verstanden habe.

    Zitat von Seite 301

    Krankenberichte aus jener Zeit beschreiben mich als jemanden, dessen Vorgeschichte "heftigen, extremen Drogenmissbrauchs" eine "psychostimulante Psychose paranoider Natur" hervorgerufen habe - doch sagt mir diese Sprache überhaupt nichts.

    Was er verstehen möchte ist etwas anderes:

    Zitat von Seite 302

    Es ist das Innere dieser Beschreibung, worauf es mir ankommt, der Prozess, der unter meiner Haut und hinter meinen Augen ablief, damals, in jenen Wochen in Fulbourn und in den Monaten danach, als ich nach meinem Auftauchen nur noch wie ein Schatten lebte.


    Das Experiment ist noch nicht abgeschlossen. Er versucht es weiter zu verfolgen.


    Zitat von Seite 304

    Die meiste Zeit war ich woanders und versuchte zurückzufinden, doch wollte ich nicht mit leeren Händen umkehren, wollte nicht in die "Normalität" zurück.

    Er konnte das Rätsel nicht lösen. Weil er in die falsche Richtung blickte.


    Zitat von Seite 304

    Ich dachte, ich sei müde, verwundet oder unglücklich. Ich meinte, ich müsste eine riesige Menge Gift abbauen, was alles erkläre, doch das stimmte nicht, und ich ahnte es bereits.

    Was er da schon wusste, dass er wiederkommen würde. Da gab es noch einiges aufzuarbeiten.


    Ich bin schon sehr auf deine Eindrücke gespannt @taliesin .

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  • zu Kapitel 7


    Ich muss zuerst einmal eingestehen, dass dieses Kapitel mir eine Menge Schwierigkeiten bereitet hat. Das alles ist sehr schwer fassbar, teilweise, wie Burnside
    selbst sagt, einfach nicht erklärbar und insgesamt gesehen liegt das Ganze wie unter einem gedämpften Licht, einem Nebel, der einfach svhwer zu druchdringen ist.
    Die Passage die ich schon im Vorfeld zitiert habe, kann ich in ihrer Bedeurung wohl nur streifen, aber ich verstehe das so.
    Sein Experiment ist unterbrochen worden und zwar in dem entscheidenden Moment in dem sich die Raupe endgültig in einen Schmetterling verwandelt. Einerseits
    rettet ihm diese Unterbrechung wohl das Leben (oder bewahrt ihn vor einen langzeitigen Aufenthalt in der Psychiatrie), andererseits kann er diese endgültige Verwand-
    lung, diese Metamorphose, nicht in die Realität retten. Er hat das Gefühl, dass er ohne diese endgültige Veränderung keine Klarheit des Geistes, keine Loslösung von
    seiner Vergangenheit erreichen kann, auch wenn ihn der Versuch das Leben kostet. Das er dieses Vorhaben den Ärzten nicht erklären kann, ist nachvollziehbar, denn,
    wie er schon sagt, herauskommen kann er nur, wenn er Normalität vorspielt.


    Was allerdings bleibt ist, dass dieses Kapitel sehr schwierig ist und ich nur einen Hauch davon streifen kann. Alleine schon das von dir gewählte Zitat sagt vieles aus. Als ich es heute morgen noch einmal gelesen habe,

    Zum Zitat habe ich gerade versucht zu schreiben, aber ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich den Kern der Sache entdeckt habe. Das könnte wohl nur Herr Burnside
    beurteilen...... :| .

    Obwohl das auch wieder ungenügend ausgedrückt ist, man spürt wie er sich verändert. Wie tief sein Wunsch nach Veränderung ist. Trifft das eher zu? Ich denke schon. Also eine Mischung von allem, von Heilung und Veränderung.

    Das ist der Knackpunkt der dieses Kapitel so zwiespältig macht. Einerseits ist das Medikament ihm eine Hilfe, auf die er auch später wohl noch zurückgreift, andererseits
    hindert es ihn (vorläufig) daran, sein Experiment zu Ende zu führen. Er versucht ja noch einmal zu seinen Erscheinungen unter dem Einfluss der "Belladonna". zurückzukehren,
    aber es gelingt einfach nicht mehr. Das er nicht aufhören will, ist insoweit verständlich, als das es für ihn einfach lebenswichtig ist. Ich bin diebezüglich gespannt, wie er das
    Experiment fortführen will.

    Was in seinen Krankenberichten steht, kann nur über seine Oberfläche streifen, aber nichts wirkliches über ihn aussagen. Soweit ich es verstanden habe.

    So habe ich das auch verstanden. Die Ärzte würden seinen Halluzinationen, seinen Erscheinungen einfach nicht die Bedeutung einräumen können, die diesen seiner
    Meinung nach zusteht. Das einzige Mittel ist eine Lüge, eine Lüge über seine Psyche. So geht er dann seinen Weg, indem er das tut, was die Ärzte erwarten.

    Was er da schon wusste, dass er wiederkommen würde. Da gab es noch einiges aufzuarbeiten.

    Dorthin zurückzukehren erfordert allerdings ein gewisses Maß an Verrücktheit, und einen eisernen Willen, diese Verwandlung zu vollbringen. Man kann nur hoffen, dass ihm
    klar ist, dass der Weg der Belladonna da nicht mehr greift. Aber wer weiß schon, was dem Mann noch so einfällt..Langweilig wird es bei Herrn Burnside nicht. oder?

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Lovecraft Country

  • Kapitel 7
    Deine Interpretation des Raupen-Zitates gefällt mir besser. Das leuchtet mir mehr ein.


    Ich bin diebezüglich gespannt, wie er das
    Experiment fortführen will.

    Ja, gespannt kann man da wirklich sein 8-[

    So habe ich das auch verstanden.

    Da sind wir uns ja einig.
    Die Vorstellung einfach das zu tun was die Ärzte erwarten und man kommt damit auch noch durch, ist ja schon irgendwo erschreckend. Jedenfalls geht es mir gerade so. Nicht in Hinblick auf Burnside, aber so in Hinblick auf andere Patienten, bei denen es wohl besser wäre, wenn die Tür für immer hinter ihnen zufallen würde.

    Dorthin zurückzukehren erfordert allerdings ein gewisses Maß an Verrücktheit, und einen eisernen Willen, diese Verwandlung zu vollbringen.

    Das trifft es ziemlich gut!

    Langweilig wird es bei Herrn Burnside nicht. oder?

    :lol: Nee, noch nicht mal ansatzweise.

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  • Kapitel 8
    Und hier landen wir mit Burnside in Woodingdean, bei Brighton. Wo er für so ziemlich jeden "Verrückten und Fantasten" unwiderstehlich war bzw. man zog sich wieder gegenseitig magisch an, ob gewollt oder nicht gewollt. Hört sich ja recht "wild" an, wie Burnside das Lebensgefühl dieser Ära beschreibt. Eine ziemlich bunte Mischung von allem. Und dort ist er auf Rick gestossen.

    Zitat von Seite 307

    Rick war für mich wie ein Bruder.

    Ich würde mal sagen, das höchste Kompliment was man über einen Freund sagen kann. Ein ziemlich interessanter Typ dieser Rick, finde ich. Ehrlicherweise sogar fast schon sympathisch, wenn auch durchgeknallt. Mir wäre er zu anstrengend Aber ich musste ja nicht mit ihm zurechtkommen. Sympathisch machte ihn mir vor allem dieses Zitat und wie er mit Burnside über sonstwas und alles philosophieren konnte:

    Zitat von Seite 308

    Damals wusste ich nicht, dass sein Gerede ein Ablenkungsmanöver war, nicht für uns, sondern für ihn selbst, ein Störfeuer, mit dem er sich von der Erkenntnis ablenken wollte, dass er vor Enttäuschung und Wut über das Benehmen der Menschen langsam verrückt wurde. Er liebte die Welt; er war ein Romantiker, manchmal sentimental; und er gab sich größte Mühe, die vor uns und vor sich selbst zu verbergen.

    Drogen und Alkohol bestimmen weiterhin das Leben von Burnside.
    Abgedreht liest sich ja noch was er über Carl erzählt. Mein Highlight war folgendes: "Er hatte langes, schmutzig blondes Haar, das er abends, ehe er ausging über ein Bügelbrett war, um es zu plätten (...). " (S. 309) Alleine die Vorstellung :shock:


    Zurück zu Rick. Eines der verbindenden Glieder in dieser Freundschaft ist "das exakt gleiche Falltempo".

    Zitat von Seite 310

    Damals hielt ich ihn für meinen Seelenfreund, und fast ein Jahr lang blieben wir unzerrtrennlich, teils, weil er der lustigste Mensch war, den ich kannte, vor allem aber, weil wir exakt im selben Tempo fielen.

    Und alle Andeutungen von Burnside lassen ahnen, dass es mit Rick kein gutes Ende nehmen wird. Und trotz all dieser dunklen Wolken die sich zusammenbrauen musste ich bei der Szene lachen, als sie beide beschlossen hatten (im völlig zugedröhnten Zustand):

    Zitat von Seite 311

    (...) wenn die Söhne unter den Missetaten der Väter zu leiden hatten, war den Vätern nur zu entkommen, wenn wir ihre Götter töteten.

    Man spürt wie sie die Fackeln geistig in die Hände nahmen, Revolution steht im Raum und dann kam der absolute Hammerspruch von Rick:

    Zitat von Seite 311

    "Wenn wir doch bloß den Arsch hochkriegen würden."


    Die Spirale dreht sich wieder nach unten. Der Abschnitt in dem Burnside über das Fallen berichtet gefällt mir sehr gut. Wenn es auch schrecklich zugleich ist. Aber das ist man ja mittlerweile von Burnsides Schreibweise gewöhnt, das eine schließt das andere nicht aus. Besonders ein Teil fand ich interessant und ich stimme mit ihm überein, dass man das Düstere, das Dunkle in sich nicht vergessen sollte:


    Zitat von Seite 312

    Der Mensch vermag eine ganze Weile auf und ab zu pendeln, zu steigen und zu fallen, zu steigen und zu fallen. Am Ende aber kann er nur an die Oberfläche zurück, wenn er im Dunklen, Trüben bleibt, es in sich aufnimmt.Vielleicht schafft er es hinauf ans Licht, bloß täte er gut daran, das Düstere nicht zu vergessen.

    Besser konnte er mir sein Fallen nicht beschreiben. Wobei ich auf das nächste Fallen gerne verzichtet hätte. Denn Rick fällt tatsächlich..... Was genau passiert war, ob er aus dem Fenster gestossen wurde oder selbst fiel weiß keiner. Erschütternderweise keiner, weil Rick über eine halbe Stunde auf dem Bürgersteig gelegen hatte. Im Grunde ein Wunder, das er überhaupt überlebt hatte und traurig in welchem Zustand er überlebte.
    Ich überlege gerade ob Burnside wohl den Kontakt zu Rick weiterhin gehalten hätte, wenn es ihm seitens der Eltern Ricks und dessen Freundin erlaubt worden wäre. Vermutlich schon, aber die Frage wäre, wohin dann der Fall gegangen wäre.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • @Farast Sorry, aber ich bin noch nicht dazu gekommen Kapitel 8 zu lesen. Ich werde mich heute Abend damit beschäftigen und morgen dazu schreiben.


    Wie ich aus deinem Kommentar zu Kapitel 8 lese, beschäftigt sich Burnside hier auch mit dem Dunklen, dem nicht wirklich fassbaren und das ist ja immer
    Thema bei ihm. In seinem letzten `Memoir` nennt er das "the dark end of the fair" Da warnt er vor der Gefahr bei dieser Suche und ich denke, mittlerweile ist
    er sich zwar immer noch bewusst, dass dieses Dunkel in jedem schlummert, aber auf diese immer mit Gefahr verbundene Suche geht er nicht mehr. Dieser
    Teil scheint abgeschlossen.
    Mehr dazu dann morgen. Schönen Abend noch. :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Lovecraft Country

  • zu Kapitel 8

    Das achte Kapitel gerade beendet und ohne zumindest ein paar Kommentare geht es einfach nicht............


    Meine Güte, Herr Burnside! Da schwelge ich in dem Gefühl das sie mir gerade über diese schöne und freie Zeit vermitteln, lese über verrückte Typen, die mir direkt
    ans Herz wachsen, fühle die Stimmung die sie so wunderbar schildern, und dann............
    Zwei Seiten einer Münze, zwei Seiten, die so krass und unterschiedlich sind, dass es schon weh tut. Nein Herr Burnside, sie konnten nicht umhin uns Lesern mit
    dem Holzhammer beizubringen, dass das Leben nun mal nicht fair ist, das mit jedem Licht auch die Dunkelheit, der Schatten einhergeht. (diese eine Zeile beschreibt
    Ricks Wesen so treffend......)


    Zitat von John Burnside

    Carl mochte Rick nicht besonders, konnte aber nicht umhin, ihn zu lieben.

    Alles gut, denkt der Leser. Weit gefehlt, denn sie, lieber Herr Burnside erzählen uns (während wir uns beruhigt zurücklehnen, folgende Geschichte)


    zu Carl:

    Zitat von John Burnside

    Am Ende wurde Carl verrückt. Er hatte alles verloren. Als ich ihn zuletzt sah, stand er an einer Straßenecke und sang Heartbreak Hotel.
    Er klang nicht einmal mehr wie Elvis.


    zu Rick:


    Zitat von John Burnside

    Unzweifelhaft war er dem Untergang geweiht, wenn auch aus keinem anderen Grund als dem, das er selbst es so wollte.


    Was du @Farast zu Rick schreibst, kann ich nur unterschreiben. Was für ein wunderbarer Mensch, einer von der seltenen Sorte, die, wenn sie in einen Raum kommen,
    die Stimmung aufhellen, alles etwas wärmer und heller gestalten. Schlimm ist nur, das jeh heller sie strahlen, so intensiver auch die dunkle Seite ist. Die Frage, ob Rick
    auf lange Sicht ein Freund hätte sein können, würde ich verneinen. Der Unterschied zwischen beiden ist, dass Burnside den Tod als Folge seines Experiments in Kauf
    nimmt, Rick aber strebt dem Tod zu, für ihn ist er wohl so etwas wie Erlösung. Ricks Fall ist folgerichtig und meiner Meinung nach für Burnside lebensrettend. Ansonsten
    wären sie wohl zusammen, nicht nur gefallen, sondern hätten auch zusammen ihr Ende gefunden.


    Folgende Beschreibung habe ich als sehr traurigen und sehr intensiv beschriebenen Abschied empfunden. Auch wenn Burnside da, wie er schreibt, verrückt war,
    zeigt dies doch, das er da Wahrheit gefunden hat und ein tiefes Gefühl in ein starkes Bild verwandelt. Es klingt dunkel, beinhaltet aber auch Befreiung ( Seite 314)


    Zitat von John Burnside

    Noch lange nachdem er gefallen war, damals, als ich noch verrückt war, ging ich bei Tagesanbruch hinaus, entdeckte Spuren, die den Park durchquerten,
    und dachte, dass er da gewesen war, in fremder Gestalt; oder ich wurde im Dunkeln wach und meinte, gerade einen Schrei gehört zu haben, einen wilden,
    beharrlichen und zugleich fast menschlichen Schrei.


    Die Schuldgefühle Burnsides scheinen logisch nicht erklärbar, denn er hätte nichts daran ändern können aber sie zeigen deutlich, dass ihn der Tod seines Freundes
    sehr tief getroffen hat. Schon wieder entgleitet ihm etwas wertvolles, entgleitet ihm einer der wenigen Menschen mit denen ihn ein besonderes Gefühl verband.


    Zitat von John Burnside

    Ich war sein Bruder, sein Hüter, sein Zwilling und Echo. Und ich war es, der ihn fallen ließ.

    Auf jeden Fall hat Burnside diesen Freund auch nach Jahrzehnten nicht vergessen. Wahrscheinlich ist er einer von den menschen die ihm am Fest des Samnhain
    wieder begegnen. Das passiert nur bei den wirklich wichtigen Menschen, die, die den eigenen Weg eine Zeit lang begleitet haben und vielleicht ein wenig Licht und
    Freude vermitteln konnten. Das bleibt, Trotz allem.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Da warnt er vor der Gefahr bei dieser Suche und ich denke, mittlerweile ist
    er sich zwar immer noch bewusst, dass dieses Dunkel in jedem schlummert, aber auf diese immer mit Gefahr verbundene Suche geht er nicht mehr. Dieser
    Teil scheint abgeschlossen.

    Ich weiß nicht, aber bei Burnside bin ich mir da nicht so wirklich sicher. Der ist immer für Überraschungen welcher Art auch immer gut 8-[

    Zwei Seiten einer Münze, zwei Seiten, die so krass und unterschiedlich sind, dass es schon weh tut. Nein Herr Burnside, sie konnten nicht umhin uns Lesern mit
    dem Holzhammer beizubringen, dass das Leben nun mal nicht fair ist, das mit jedem Licht auch die Dunkelheit, der Schatten einhergeht. (diese eine Zeile beschreibt
    Ricks Wesen so treffend......)

    Oh ja, Herr Burnside hat keine Gnade mit uns. Sobald wir uns auch nur halbwegs sicher fühlen und uns entspannen, bekommen wir ziemlich schnell klar gemacht, dass wir uns sowas von geirrt haben.


    Und mich hat jetzt das eingeholt, was ich schon befürchtet habe .... die Ferien beginnen. Sprich, ich werde nicht immer so online sein können wie ich mag. Ich werde gleich mit dem neunten Kapitel anfangen und hoffe alles soweit hinzubekommen, was mir beim lesen durch den Kopf ging. (Und wenn ich mir mal endlich Notizen während des Lesens machen würde, wäre es um Längen leichter für mich :uups: ).
    In der ersten Ferienwoche, dürfte ich -spätestens am Mittwoch- ungestört schreiben können. In der zweiten Ferienwoche sieht es wieder schlechter aus. Das heißt, der Rest unserer MLR dürfte etwas verzettelter werden. Wie schaut es bei dir aus?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • 9. Kapitel


    Je est un autre. (Rimbaud) wird dem Kapitel vorangestellt. @Yurmala liege ich da richtig, wenn ich es mit "Ich bin ein Anderer." übersetzen würde?


    Das Kapitel beginnt mit dem dritten Herzinfakt des Vater. Den habe ich ja fast schon verdrängt! Und Burnside übt die hohe Kunst des Verschwindens in Cambridge, wo er trotzdem von seiner Schwester aufgespürt wird, die ihn darüber informiert, dass sein Vater nach ihn gefragt hätte. Was ein Beweis für den Ernst seiner Lage wäre.


    Die Kunst des Verschwindens. Als Burnside das näher beschrieb hatte ich eine Art Kopfkino vor Augen, das schlicht und ergreifend kitschig wirkte. Wobei es ihm ja auch klar ist, dass sich das alles nur in seinem Kopf abspielen kann. Ich fand seinen Vergleich amüsant und sehr treffend mit einem Amateurpornograf, der sich sonstwas von Szenerien ausdenkt, aber zugleich weiß, dass sie sich niemals so abspielen werden. Nur "Geschichte, eine Fiktion, ein Kunstwerk" (S. 322) sein können. Zitieren könnte ich bei diesem Kapitel endlos, aber das würde den Rahmen des möglichen sprengen :wink: Überhaupt finde ich seine Gedanken über das Verschwinden können sehr spannend zu verfolgen. Bis er zu dem Schlus kam, dass es doch eigentlich recht einfach wäre und zwar indem man einfach sich still verhält. Gärtner zu sein und sich treiben zu lassen. Und sein Leben so zu stutzen, zu schneiden und zu bearbeiten wie man in einem Garten arbeitet. Und dann trifft er auf Caroline.


    Caroline, die scheinbar seine intimeren Vorlieben teilt.

    Zitat von Seite 326

    Unser Spiel war notwendigerweise ein Spiel stillschweigenden Verstehens und selbst erdachter Regeln, ein Spiel ungestellter Fragen und behutsamer Auslegungen von Gedanken, Worten, Taten.

    Ernsthaft, sowas kann doch nur am Anfang funktionieren. Wo man noch "zart" rumtastet, aber auf Dauer ist es überlebensnotwendig Fragen zu stellen, keine Interpretationen vorzunehmen sondern gemeinsame Regeln aufzustellen, miteinander zu sprechen.


    Aber was erzähle ich hier von einem miteinander sprechen :roll: Das muss man ja in seinem Leben auch gelernt haben. Wie auch immer, wir begleiten Burnside erst mal zu seinem Vater. Dem geht es sichtlichst nicht gut, aber er lebt noch. In Hinblick auf ihre Vergangenheit wundert es mich nicht sehr, wenn es ein eher oberflächlicher Besuch war. Burnside beschreibt es treffend: wie aus einem Drehbuch für Anfänger.
    Und dann kam dieser Moment, wo ich dachte, jetzt hat er einen ganz wichtigen Schritt gemacht, um seine "Beziehung" zum Vater aufarbeiten zu können.


    Zitat von Seite 328

    Nein: Es war mein eigener Fehler, der kleine Vater in meinem Kopf, mit dem ich mich verschworen hatte, seit ich sprechen konnte, er war es, der mich niederdrückte.

    Das weist für mich in die richtige Richtung hin. Man selbst ist verantwortlich für seine eigenen Gedanken. So wie für das Dunkle in jedem in sich. Du selbst hast die Wahl was du damit machst. Zwar konnte sein Vater Burnside das Leben lang von sich stossen und hatte damit seinen Sohn das wichtigste genommen, was ein Kind haben kann, nämlich ein Nest um fliegen lernen zu können, aber alles was danach kommt, dafür ist man selbst verantwortlich. Der Vater kann keine "Macht" mehr über ihn haben. Es ist nur noch das "Bild des Vaters", "der kleine Vater in seinem Kopf", der da ist. Und mit dem gilt es umzugehen. Keine Ahnung ob ich verständlich rüberkomme, aber das ging mir so ungefähr beim lesen durch den Kopf.
    Mal sehen, was Burnside aus dieser Erkenntnis machen wird.


    Er nutzt auf jeden Fall die erste Möglichkeit wieder zu seinem Verschwindetrick zu greifen und zu Caroline zurückzukehren. Wobei sie sich auch gegen ihn wand. Obwohl, war sie überhaupt "für ihn"? Ich glaube es ganz ehrlich nicht. Aber der Reihe nach.
    Die Romanze verlor jedenfalls ihren Reiz. Caroline lügt Burnside an und behauptet schwer krank zu sein. Wobei sie -so in Hinblick was noch passiert- so unrecht hat sie mit dieser Behauptung ja nicht gerade. Ganz dicht im Oberstübchen ist sie ja eindeutig nicht :shock: Stichwort erdrosseln z.B. Oder ihr nächster Versuch, wo Burnside (wieder mal) um Haaresbreite seinem Tod entgangen ist. Was für eine erst nette heimelige Szene die sich uns erst auftat. Man ist gemütlich in der Küche, freut sich auf Vollkornbrot mit lecker Belag und in einem Bruchteil von Sekunden ändert sich alles. Burnside dreht sich zufällig um, als Caroline sich gerade überlegt hatte, ihm das Tranchiermesser in die Seite zu stechen. (Übrigens spätestens nach dem Erdrosselungsversuch hätte ich die Beziehung aufgegeben, dass Burnside noch bei ihr blieb wunderte mich schon etwas :wink: ) Und auch hier wieder hatte Burnside die Wahl nachdem er ihr das Messer aus der Hand nahm, seinerseits zustechen und sie umzubringen oder den gesunden Menschenverstand einzusetzen. Er entschloss sich für letzteres. Erinnerte mich direkt an die Szene als er das verlassene Haus nicht niederbrennen wollte. In letzter Sekunde scheint ihn sein Verstand doch immer wieder retten zu können.
    Burnsides Überlegungen warum Caroline ihn töten wollte, waren doch spannend zu lesen.


    Ich bin froh, dass er sich dazu entschloss Caroline fernzubleiben. Diese "Spielchen" hätten wohl nur zu einem Ende führen können. Zurück in Cambridge beginnt der nächste (und hoffentlich doch letzte!) Fall durch Drogen. Burnside knallt völlig durch. Ich finde keine passenderen Worte für das was er da macht. Nein, er spielt keine Spielchen mehr mit Caroline, aber er versackt in die "rauchige Unterwelt" von Chlorpromazin. Und wird glücklicherweise gefunden. Und kehrt nach Fulbourn zurück.


    Zu diesem Aufenthalt gäbe es so viel zu sagen, zu schreiben und zu zitieren. Stichwort Tulpe z.B. Oder seine Gedanken über das unsichtbar sein. Die Geschichte mit den Gänsen, die letztendlich die Wendung brachte. Burnside verlässt Fulbourn und selbst wenn ihn die Ärzte ungern ziehen ließen, ich finde Burnside hat jetzt den Willen mit Drogen aufzuhören. (Hoffe ich jedenfalls mal!!!!)


    Er beginnt eine Arbeit in einem Seniorenwohndorf. Eine seiner Aufgaben ist es die Hinterlassenschaften -falls Angehörige keinen Anspruch darauf nahmen- der Verstorbenen zu entsorgen. Ich habe es gerne gelesen mit wieviel Achtung er es tat, mit wieviel Interesse für deren Leben. Und wie er wieder diese neu gewonnenen Erkenntnisse dazu nützte um seine Beziehung zu seinem Vater weiter aufzuarbeiten.


    Und so wie das Kapitel anfing, mit dem dritten Herzinfarkt seines Vater, so endet es mit dem vierten Infarkt und Tod des Vaters. Hier hat mir der Erzählbogen sehr gut gefallen! Ich bin sehr gespannt wie es weitergehen und wo uns Herr Burnside noch hinführen wird.

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  • Je est un autre. (Rimbaud) wird dem Kapitel vorangestellt. @Yurmala liege ich da richtig, wenn ich es mit "Ich bin ein Anderer." übersetzen würde?

    Ja, man kann noch besser sagen "ich ist ein Anderer". (Auch wieder ein beliebtes Dissertationsthema auf dem Gymnasium, Rimbaud vs. Descartes oder Rimbauds "je est un autre" vs. Descartes' "je suis j'existe".)