W.G. Sebald - Die Ringe des Saturn

  • Ein guter Freund in Irland legte mir vor einiger Zeit mal nahe, etwas vom deutschen Autpor Winfried G. Sebald zu lesen, auch in dem Vorteil, dass ich das Glück hätte, seine Werke sogar in der Originalsprache lesen zu können. Gesagt, getan - ich habe mir ein Buch Sebalds ausgewählt:



    Die Ringe des Saturn - eine englische Wallfart


    Der Inhalt des Buches lässt sich genau so beschreiben: Sebald durchquert zu Fuß die ostenglische Grafschaft Suffolk. Mehr passiert in diesem Buch nicht und das ist auch nicht der Zweck: es geht hier vielmehr um ausschweifende Geschichten, Anekdoten und Erzählungen, die Sebald an vielerlei Orten auf seiner Reise durch die englische Einöde aufgreift.
    So weit, so gut - das Problem an der Sache ist nur, dass das ganze meiner Meinung nach schlicht und ergreifend nicht zusammenpasst. So beschreibt Sebald beispielsweise an der einen Stelle ausschweifend die Entwicklung und Wandel des Heringsfischfangs, an anderer Stelle das Ende der chinesischen Kaiserdynastie, oder einen nahezu inhaltslosen Aufenthalt Sebalds, bei einer irischen Landfamilie - immer angeregt durch kleine Details und Begebenheiten auf seiner Reise. Diese Abschweifungen sind weder interessant beschrieben (Sebald benutzt zudem ein sehr, sehr eigenartiges Deutsch mit teils konfusen Satzkonstruktionen), noch erfüllen sie einen Zweck - man fragt sich pausenlos, warum Sebald gerade hiervon und wenig später davon so ausschweifend erzählt - es fehlt gewissermaßen ein roter Faden, oder ein gewisses Ziel, worauf all das hinauslaufen soll.


    Mag sein, dass der ein oder andere Sebalds Sinn in diesem Buch versteht - für mich ist das Werk ein vollkommen wirres, nichtssagendes Stück Literatur :-?

    "Wenn ich einer Untergrundkultgemeinschaft beitrete, erwarte ich Unterstützung von meiner Familie!" (Homer Simpson)


    :montag:

  • Ich hoffe, bald inhaltlich hier Stellung nehmen zu koennen, da ich das Buch auf dem SUB habe. Ich bin allerdings ueberzeugter Sebald-Leser (von "Austerlitz" und "Schwindel.Gefuehle." - siehe dazu meine Rezis hier im BT) und erkenne in Deinen Bemerkungen den typischen Stil wieder, der mir selber sehr zusagt.
    Also spaeter mehr...?!

  • Ich habe das Buch nun gelesen und will Euch meine Rezi vorstellen:


    W.G.Sebald – Die Ringe des Saturn


    ZUM INHALT: Zu Fuß ist Sebald im August 1992 in der englischen Grafschaft Suffolk unterwegs, einem nur dünn besiedelten Landstrich an der englischen Ostküste. In einer unglaublichen Aufnahmefähigkeit lässt er Menschen und Dinge wie Brücken, Schlösser als auch Landschaften zu sich sprechen und kommt auf verschiedenste Erzählstränge. Da ist von verschiedenen schrulligen Charakteren der Gegend die Rede, der Seidenraupenzucht, dem Heringsfang, dem China des XIX. Jahrhundert, dem kolonisierten Kongo, Josef Conrad oder Chateaubriand und hundert anderen interessanten Eindrücken und Berichten.


    MEINE GEDANKEN: Hinter auf dem ersten Blick eventuell losen Geschichten steht fast stets eine Art „Verfallsgeschichte“. Dies scheint aber nicht aus einer morbiden Anschauung herzurühren: Geprägt ist die Atmosphäre von einer Melancholie und sehr oft einer Rückwärtsschau: immer wieder sind es Erinnerungen, Assoziationen, die hochsteigen. Sebald schöpft aus einem schier unerschöpflichen, sehr breit gestreuten Wissen und Interesse. Jeder Querverweis scheint möglich, weil in Sebalds Universum alle Dinge in seltsamer Weise aufeinander verweisen, miteinander verbunden sind, „connected“ sind. Die Welt wird klein, in Raum und Zeit. Als ob Seelenverwandtschaften – wie es der Autor selber verschiedentlich ausdrückt – Menschen und auch Landschaften und Geschichte verbindet. Die Einzelgeschichten – und es sind derer vieler – sind in sich oft abgeschlossen oder scheinen auf allererstem Blick isoliert dazustehen, doch zur selben Zeit sind sie auf überaus wunderbare und fließende Weise miteinander verbunden. Bei allem scheinbar bruchstückhaftem Erzählen überwiegt in mir der Eindruck eines Erzählflußes.
    Liest man von außen eventuell die angeschnittenen Themen könnte man Langeweile erwarten. Doch wie überrascht bin ich, dass Überlegungen zur Seidenraupenzucht oder auch der Heringsfischfang in Sebalds Worten das leidenschaftlichste Thema der Welt werden kann! Nichts scheint in sich uninteressant und nichtssagend – man muss sich nur darauf einlassen.


    Die Sprache scheint fast aus einer anderen Zeit zu kommen, so vollkommen fließend und beherrscht erscheint sie mir. Sie erinnert wohl an die von ihm studierten Klassiker des XIX Jahrhunderts. Es ist eine Wonne, solche Meisterschaft zu genießen.
    Für mich gehört Sebald mit seinen wenigen veröffentlichten Werken zweifelsohne zu den größten deutschen Schriftstellern der Nachkriegszeit!


    Mir ist klar, dass seine Bücher für viele Leser des Forums wohl nicht passend sind. Dennoch gebe ich gewissen Lesern eine dicke Empfehlung und dem Buch gute ***** Sterne!
    .
    ZUM AUTOR:
    18. Mai 1944 in Wertach, Allgäu geboren, verließ Sebald früh Deutschland und wohnte in England. Er starb am 14. Dezember 2001 in Norfolk, England, bei einem Autounfall.
    Weitere interessante Informationen zum Autor und Werk: http://de.wikipedia.org/wiki/W._G._Sebald
    Dem Autor gewidmete Homepage: http://www.wgsebald.de/framestart.html

  • Mir ist klar, dass seine Bücher für viele Leser des Forums wohl nicht passend sind.


    Gut, dass es Mitglieder wie Dich gibt, die uns immer wieder Bücher abseits der ausgetretenen Lesepfade vorstellen! Deine drei schönen und ausführlichen Rezensionen zu Büchern von Winfried G. Sebald haben mir nun endgültig Lust darauf gemacht, diesen Autor kennen zu lernen. Welches der drei vorgestellten Bücher würdest Du einem Sebald-Anfänger als Einstieg empfehlen?


    Gruß mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















    Einmal editiert, zuletzt von mofre ()

  • Tom fleo & mofre:
    Ich muss sagen, dass mich die Rezi von tom fleo SEHR neugierig gemacht hat, denn auch ich finde es wunderbar, wenn es ein Autor schafft, scheinbar unwichtige und nichtssagende Themen aufzugreifen, darin aufzugehen und so ihre persönliche Besonderheit aufzuzeigen. Besonders gefällt mir daran, dass tom fleo sagt, der Autor greife mit den vielen kleinen Geschichten immer wieder das Thema Verfall auf. Das klingt für mich in dieser Umsetzung überaus interessant! Und genau aus diesem Grund, werde ich mir das Buch Die Ringe des Saturn wohl auch recht bald holen, lesen und dann meine Meinung hier posten.
    Vielen Dank also für diese wundervolle Anregung! :thumleft:

  • Ich muss sagen, dass mich die Rezi von tom fleo SEHR neugierig gemacht hat, denn auch ich finde es wunderbar, wenn es ein Autor schafft, scheinbar unwichtige und nichtssagende Themen aufzugreifen, darin aufzugehen und so ihre persönliche Besonderheit aufzuzeigen.

    Ob Letzteres gelungen ist, ist dann aber sicherlich Geschmackssache :wink:
    Ich möchte hier keinem abraten, sich in dieses oder jenes Buch einzulesen, aber in diesem Fall rate ich wirklich dazu, ich bei Gelegenheit erstmal eine Leseprobe oder ein bisschen Zeit im Buchladen zum Reinlesen zu nehmen, da Die Ringe des Saturn definitiv eine schwierige Lektüre ist, wo einem dieser ganz spezielle Stil wirklich begeistern muss, um etwas damit anzufangen.
    Die Ausschweifungen rund um die Grundthematik des Verfalls kommen meiner Meinung nach in diesem Buch überhaupt nicht zum tragen - dementsprechend nichtssagend war das Buch für mich dahingehend, da mich genau diese Aspekte an diesem Buch gereizt haben.


    Nun, ich bin jedenfalls gespannt auf weitere Meinungen zu diesem Buch, wer bis zum Ende durchhält, verdient hier schonmal meine Anerkennung :)

    "Wenn ich einer Untergrundkultgemeinschaft beitrete, erwarte ich Unterstützung von meiner Familie!" (Homer Simpson)


    :montag:

  • Eol - ich war und bin mir ja bewußt, daß Bücher, und vielleicht insbesondere das hier vorgestellte, nicht jedem Geschmack entsprechen. Ich kann gut verstehen, dass Du das Buch anders bewertest!


    Ich halte es aber unter den drei bislang vorgestellten für das Zugänglichste, wenn man eventuell nun schon jene Perspektive hat, die ich versuchte aufzuzeigen und die FallenAngel sehr gut hervorhebt! (Danke!) Insofern, Mofre und Fallen Angel: Probiert's! Das Buch verlangt vielleicht eine gewisse Aufmerksamkeit, aber wie sehr freute ich mich, für längere Zeit in diese Sprache und in dieses Universum abzutauchen.


    Achtung: Suchtgefahr! Ich habe mir schon einen vierten Band besorgt: "Die Ausgewanderten", der sogar die besten Kritiken in einigen Ländern erhascht hat. Ein fünfter Prosaband mit Bildern ist bestellt.

  • Ich halte es aber unter den drei bislang vorgestellten für das Zugänglichste, wenn man eventuell nun schon jene Perspektive hat, die ich versuchte aufzuzeigen und die FallenAngel sehr gut hervorhebt! (Danke!) Insofern, Mofre und Fallen Angel: Probiert's! Das Buch verlangt vielleicht eine gewisse Aufmerksamkeit, aber wie sehr freute ich mich, für längere Zeit in diese Sprache und in dieses Universum abzutauchen.

    :wink: Gern geschehen - freut mich, dass ich es auf den Punkt bringen konnte.
    Ich mag es auch, wenn Bücher (vielleicht nicht alle, aber immerhin ein großer Teil) meine volle Aufmerksamkeit fordern.