Unter dem Tisch, der uns trennt: halten wir uns da nicht insgeheim alle die Hand?
Bruno Schulz - Das Sanatorium zur Sanduhr
Unter dem Tisch, der uns trennt: halten wir uns da nicht insgeheim alle die Hand?
Bruno Schulz - Das Sanatorium zur Sanduhr
Hier der Link zur letzten französischen Ausgabe, auf die ich mich hier beziehe, und die ich eigentlich oben kommentiere. In der deutschen Fassung befinden sich wohl noch einige andere Grundlagentexte aus anderen Epochen...
Broché: 78 pages
Editeur : Presses de Taizé (25 mars 2010)
Collection : Les écrits de frère Roger
Langue : Français
ISBN-10: 2850402966
ISBN-13: 978-2850402968
Hier die aktuelle Ausgabe von 2010 (in der französischen Fassung), bzw 2016 (in der deutschen Übersetzung und als Teil eines noch umfangreicheren Buches)
INHALT/BEMERKUNGEN:
Ursprünglich geschrieben während einer langen Einkehrzeit von Frère Roger während des Winters 1952/53 überarbeitete der Prior der jungen ökumenischen Gemeinschaft öfter diesen Grundlagentext. Ja, das allgemein übliche Wort ist nun mal « Regel », wenn man von einem richtungsgebenden Text einer Gemeinschaft, eines Ordensgründers spricht. Doch Frère Roger selber vermeidet hier in jeder Weise eine Anhäufung äußerlicher Regeln und Gebote, sondern sprach später gerne von den « Quellen ». Das aber hat was überaus Lebendiges an sich, und nichts Verkrustetes oder Juristisches, sondern beschreibt den Kern der Suche. Da geht es um einen Mindestrahmen, der « die Suche nach der Barmherzigkeit Gottes und das gemeinsame Leben unter den Brüdern » ermöglichen soll. Und damit gewinnt dieser Text eine spirituelle Aktualität, die bei Weitem die Zielgruppe der circa 100 Brüder oder von Fachleuten übersteigt, sondern jeden auf seine Weise inspirieren kann. So findet sich das Buch eben bei sehr unterschiedlichen Menschen, mit großem Gewinn. Sicher steht diese « Regel » in einer langen Tradition, hat Frère Roger doch zB eine theologische Abschlussarbeit über die Regel des Heiligen Benedikt geschrieben. Gleichzeitig sind Sprache und Bezug erfrischend ansprechend. Sie beinhalten auch Bezüge zu wesentlichen kleinen und prägnanten Bibeltexten oder -versen, die in diesem Kontext einen erhellenden Sinn geben.
Ein Text, zu dem man immer wieder greifen und einen lange begleiten kann.
AUTOR :
Frère Roger Schutz (französisch Frère‚ Bruder; * 12. Mai 1915 in Provence, Schweiz; † 16. August 2005 in Taizé, Frankreich) war Gründer und lebenslanger Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé (Communauté de Taizé).
Um den Text nicht zu lang zu machen, im Spoiler weitere Infos zum Leben von Roger Schutz:
ein bürgerlicher Name war Roger Louis Schutz-Marsauche. Er wuchs in einem reformierten Pfarrhaus auf. Sein Vater Karl Ulrich Schütz stammte aus Bachs im Zürcher Unterland, seine Mutter Amélie Henriette Schütz-Marsauche aus Burgund. Roger war der Jüngste von neun Geschwistern. Sein Vater gab seinen Sohn Roger bei einer katholischen Witwe in Kost, als er die Gemeinde wechselte. So ermöglichte er Roger eine höhere Schulbildung, die am neuen Wohnort nicht realisierbar gewesen wäre. Als Gymnasiast „erkrankte Roger an Lungentuberkulose – lebensgefährlich.“ Während seiner Schulzeit bezeichnete er sich als Nichtglaubender. Veranlasst durch die tödliche Krankheit seiner Schwester Lily, startete er den Versuch, wieder zu beten.
Seinen Traumberuf Schriftsteller ergriff er nicht, wohl auch, weil es Unstimmigkeiten mit einem Verlag gab. So folgte er doch dem Rat des Vaters und schrieb sich für Theologie ein. Von 1936 bis 1940 studierte Roger Schutz evangelische Theologie an der reformierten Fakultät der Universitäten von Lausanne und Straßburg. Seine Abschlussarbeit legt er unter dem Titel „Das Mönchsideal vor Benedikt und seine Übereinstimmung mit dem Evangelium“ vor. Parallel zur Abfassung begab er sich auf die Suche nach einem Haus für das gemeinschaftliche Leben.
Auf der Suche kam er am 20. August 1940 mit einem Fahrrad nach Taizé (Burgund, Frankreich), in dem damals etwa 50, größtenteils arme Leute lebten. Da Taizé nahe der Demarkationslinie zwischen dem besetzten Norden und dem Süden Frankreichs lag, traf er auf viele Flüchtlinge. Er versteckte einige Juden und Oppositionelle, die vor den Nationalsozialisten in den unbesetzten Süden Frankreichs fliehen wollten. Schutz, der gerade einen Flüchtling in die Schweiz gebracht hatte, blieb dort bis zur Befreiung Taizés 1944. In der Zwischenzeit konnte er sein Theologiestudium beenden. 1943 wurde er durch die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Neuenburg ordiniert. Während dieser Zeit in Genf entwickelte sich eine kleine Gemeinschaft von Frère Roger und drei Freunden, die in ihrer Wohnung viele Menschen willkommen hießen und über Möglichkeiten einer Gütergemeinschaft sprachen. Sie verfassten auf Wunsch einiger Arbeiter, mit denen sie Kontakt hatten, einen Katechismus.
Nachdem Schutz im Herbst 1944 mit den drei Freunden nach Taizé zurückkommen konnte, kümmerte er sich um Kriegswaisen, aber auch um deutsche Kriegsgefangene, obwohl die einheimische Bevölkerung das damals für unpassend hielt. Dabei kam es auch zu einer tödlichen Misshandlung eines katholischen Priesters, der als Gefangener dem Zorn und der Verbitterung von Kriegswitwen zum Opfer fiel. Frère Roger beschrieb jene Zeit als „Jahre in denen der Hass nichts als Hass zeugte“. In einem weiteren angemieteten Haus ermöglichten die Brüder darüber hinaus Waisenkindern ein Zuhause. Rogers Schwester Geneviève versorgte sie wie eine Mutter.
Aus dieser Arbeit ging die Gründung der Communauté de Taizé unter dem Priorat von Frère Roger hervor. Am 17. April 1949 legten die ersten sieben Brüder aus dem Helferkreis Rogers die üblichen Ordensgelübde ab: Sie versprachen Armut, Ehelosigkeit (Zölibat) und Gehorsam. Das Amt des Priors verstand Frère Roger als Dienstamt, sodass er nicht als Prior angesprochen wurde. Der „Diener der Gemeinschaft“ hat die Aufgabe zu „sammeln und zusammenzuführen“. Entscheidungen werden dialogisch getroffen.
Frère Roger nahm mit Frère Max 1962 bis 1965 auf Einladung von Papst Johannes XXIII. als Beobachter am Zweiten Vatikanischen Konzil teil.
Ostern 1970 kündigte Frère Roger ein „Konzil der Jugend“ an, dessen Hauptversammlung vom 28. August bis 2. September 1974 stattfand. Das „Konzil“ machte Taizé weltweit bekannt. 1979 wurde das religiöse Jugendtreffen in dieser Form vorläufig ausgesetzt und ging in einen „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde“ über.
Sein Herzensanliegen, der Versöhnung der Christen, hat sich Roger intensiv gewidmet. Bereits in der ersten Fassung der Regel von Taizé forderte er: „Finde Dich niemals ab mit dem Skandal der Spaltung unter den Christen.“
Bei der Beisetzungsfeier von Papst Johannes Paul II. im April 2005 reichte der damalige Kardinaldekan Joseph Ratzinger und spätere Papst Benedikt XVI. Frère Roger die Kommunion. Die Geste erregte weltweit Aufsehen, obwohl nach katholischer Lehrmeinung die Kommunion unter bestimmten Umständen auch an Christen anderer Konfessionen gereicht werden kann. In einem Interview mit der französischen Tageszeitung La Croix im Jahr 2006 äußerte der französische Historiker Yves Chiron, dass Frère Roger 1972 zur römisch-katholischen Kirche übergetreten sei. Die ökumenische Gemeinschaft von Taizé dementierte diese Gerüchte. Nach den Worten des Priors Frère Alois empfing Frère Roger im Petersdom seit 25 Jahren die Kommunion. Der damalige Bischof von Autun, Armand LeBourgois, habe bereits 1972 Frère Roger zum ersten Mal die Kommunion gereicht, ohne ihm ein anderes Bekenntnis abzuverlangen als das Apostolische Glaubensbekenntnis, das bei jedem Gottesdienst gesprochen wird und allen westlichen Christen gemeinsam ist. Mehrere Zeugen von damals könnten dies bestätigen. „Wer in diesem Zusammenhang von „Konversion“ (Übertritt) spricht, begreift nicht den originären Ansatz Frère Rogers.“
Die Fédération protestante de France (Bund der protestantischen und evangelischen Kirchen Frankreichs) und Vertreter der katholischen Kirche äußerten sich dazu in ähnlicher Weise. Frère Roger selbst schrieb mit Blick auf seine Großmutter, die eine innere Versöhnung mit der katholischen Kirche vollzog: „Ihr Lebenszeugnis prägte mich bereits in jungen Jahren und in ihrer Folge fand ich meine Identität als Christ darin, in mir den Glauben meiner Ursprünge mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit irgendjemandem zu brechen.“
Zur ökumenischen Brudergemeinschaft von Taizé gehören heute etwa einhundert Brüder aus über 25 Nationen. Darunter befinden sich Katholiken, Mitglieder verschiedener evangelischer Kirchen und Anglikaner.
Während des Abendgebets am 16. August 2005, vier Tage vor dem 65-jährigen Jubiläum seiner Ankunft in Taizé, wurde Frère Roger in der Versöhnungskirche von einer psychisch kranken Frau mit einem Messer tödlich verletzt. Das Abendgebet wurde, um Panik zu verhindern, fortgesetzt. Roger starb kurze Zeit später an den Verletzungen.
Er wurde auf dem Friedhof neben der romanischen Dorfkirche Église Sainte-Marie-Madeleine in Taizé beigesetzt.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%A8re_Roger und auch hier : https://de.wikipedia.org/wiki/…ie_Quellen_von_Taiz.C3.A9 )
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Verlag Herder; Auflage: 1 (8. März 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3451335239
ISBN-13: 978-3451335235
Tolle und ansprechende Rezi, zudem ja sehr persönlich! Danke!
Original: Französisch, 2005
INHALT :
Malen, lesen, schreiben – intime Handlungen, die oft verborgen von neugierigen Blicken stattfinden. Malen in einem Atelier…, einsames Lesen gar mitten eines Bahnhofes, eines Cafés. Wie lässt sich hier eine Dichterin inspirieren von einem Leser, einer Leserin, die durch einen Maler in Szene gesetzt wurde, durch Form und Farbe ? Zwischen Bild und Buch ist die Verbindung eng : Fenster zur Welt ?!
Von Rembrandt bis Picasso, aber auch durch Hopper, Vermeer, Courbet, Renoir, Manet…, haben so viele große Maler das Schriftliche in Szene gesetzt.
Dieses Buch ist die Begegnung zwischen Bildern und der Vorstellungswelt der Dichterin Colette Nys-Mazure.
BEMERKUNGEN :
Ein sehr gut gemachtes und präsentiertes als auch künstlerisches Buch in sich : hervorragende Reproduktionen von besagten Bildern verschiedener Epochen auf einer Seite einer Doppelseite. Und auf der anderen : eine Weise des meditativen oder beschreibenden Spazierganges der Autorin durch und in dem Bild : mal Betrachtung, mal ein Gedanke, mal vielleicht die Stimme der dort dargestellten Figur. Mal reine Beschreibung der Objekte, Personen in ihrer Darstellung, die eine Erklärungsweise, eine mögliche Interpretation zu hin offen ist. Also ein rundum gelungenes Buch, das großzügig ausgefeilt ist.
Solch eine Mischung zwischen Kunstwerk der darstellenden und beschreibenden Kunst kann uns eine Weile begleiten. Sicher nicht dazu gedacht, mal schnell durchblättert zu werden. Ich selber habe es offen auf einem Seitboard liegen und wende die Seite alle paar Tage.
Für uns Liebhaber der Lektüre, des Buches, eine andere Form der Annäherung und Wertschätzung !
AUTORIN :
Colette Nys-Mazure wurde am 14. Mai 1939 in Wavre (Belgien) geboren und ist eine belgische Schriftstellerin französischer Sprache. Sie erhielt bereits zahlreiche Preise und Auszeichnungen und ist Mitglied der Katholischen Akademie Frankreichs.
Von 1957 bis 1961 studierte sie Literatur an der Universität von Louvain und wurde Lehrerin vn 1961 bis 1999. Sie war an der genannten Universität in den 70iger Jahren ebenso Assistentin und animiert zahlreiche Literaturveranstaltungen und Schreibwerkstätten im französischsprachigen Umfeld.
Nach dem frühen Tod ihrer Eltern lebte sie bei Mitgliedern der Familie in der Nähe von Tournai, Gegend, die sie sehr liebt und bis heute bewohnt.
Seit 1975 veröffentlicht sie, insbesondere Lyrik, aber auch Theaterstücke, Essays, Kurz- und Kindergeschichten...
Sie ist Mutter von fünf Kindern und Großmutter eines guten Dutzend.
Amazon-Seite mit Büchern der Autorin :
https://www.amazon.fr/Colette-…JOVV36/ref=ntt_dp_epwbk_0
Webseite der Autorin : http://www.colettenysmazure.be/index.php
Gebundene Ausgabe
Verlag: La Renaissance du livre (29. September 2005)
Sprache: Französisch
ISBN-10: 2874155071
ISBN-13: 978-2874155079
Aber leider nicht übersetzt! Oder doch?
Leider (noch?) nicht. Aber mir sind alle Mittel recht, um diesen Autor bekannter zu machen. Vielleicht wird ein guter, vernünftiger und leserfreundlicher Verlag sich hinreissen lassen, sich ihn mal näher zu betrachten!?
Nicht zu vergessen das monumentale Gemälde von Géricault, Le radeau de la Méduse, das im Louvre von Paris hängt, beliebte Quelle für Schulaufsätze in französischen Gymnasien.
... und eine ebenfalls historische Begebenheit um dieses besagte Gemälde herum, das Antoine Choplin hervorragend in seinem Roman "Radeau" verarbeitet hat, den ich hier vorgestellt habe: Antoine Choplin – Radeau (andersweitig auch sehr ernst, aber auch sehr schön!)
Der ganze Beitrag ist natürlich interessant, SiriNY, aber ich nehme doch etwas besonders heraus:
Zurück zu Hesse: Ich als Laie habe tatsächlich einen gewissen Respekt vor dem Kanon. Deswegen meine zaghaften Überlegungen, "darf" ich das nicht gut finden? Ich würde z.B. zögern, einem Buch nur ein, zwei Sterne zu geben, von dem ich vermute, dass es gut oder besonders geschrieben ist, mir aber die Kompetenz fehlt, mich damit auseinander zu setzen. Man kennt diese Ein - Punkte -Bewertungen von Klassikern bei amazon: "Voll öde, total altmodisch, der hats nicht drauf."
DAS empfinde ich doch ebenso, zumindestens bei den "Klassikern". Dann sage ich mir vielleicht, dass ICH eben ein Problem damit habe, und dieses persönliche Empfinden nicht verallgemeinern sollte. Das ist nicht einfach eine Frage der Kompetenz, sondern des Geschmacks oder manchmal auch der eigenen Überzeugungen. Ist es dann nicht besser, nicht nach dem Motto der und die "IST" so ein(e) Autor(In), sondern "was mich anbetrifft kann ich nicht so viel damit anfangen"? Oder nicht mehr? Oder noch nicht?
Danke, Squirrel!
Danke @tom leo für Deine Rezension, die das auf den ersten Blick so eindeutige Thema differenzierter darstellt. Und endlich einmal kann ich eines der Bücher, die Du hier vorstellst, direkt auf die Wunschliste schieben.
Diese differenziertere Sicht auf das scheinbar so ganz Eindeutige spielt mit fast unmerklich kleinen Hinweisen auf eben zB die Demütigungen an, die sich hinter "guten Absichten" oder aber auch schon krasseren Vorurteilen etc verbergen.
Tja, und ich habe in meinem SUB-Stapel halt mal ausversehen und zufällig eins der vielen guten Bücher erwischt, das doch tatsächlich auch schon auf Deutsch erschienen ist. Reiner Zufall, ehrlich! Aber vielleicht auch nicht: den Goncourt übersetzt man halt wie selbstverständlich: lässt sich damit doch eventuell ein Batzen Geld verdienen?!
Hier noch die Verlinkung zum französischen Original in der berühmten Gallimard-Ausgabe :
Broché: 240 pages
Editeur : Gallimard
Édition : 18 août 2016
Collection : Blanche
Langue : Français
ISBN-10: 2070196674
ISBN-13: 978-2070196678
Original : Französisch, 2016
INHALT :
Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?
Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement aufpasst. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, denen sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich. (Klappentext)
BEMERKUNGEN :
Was in dieser Kurzbeschreibung chronologisch erzählt wird präsentiert sich im Roman anders: Auf den ersten Seiten, ja, im ersten Satz steht der tragische Ausgang schon fest, ist also nicht Endpunkt allein, sondern schon Feststellung : die Kinder sind tot! Auch werden die Umstände kurz erwähnt, die Täterin. Nun wird es darum gehen, in den folgenden Seiten den Werdegang zur Katastrophe zu beschreiben: Wie konnte es dazu kommen ? Dabei geht es wohl nicht um Schuldzuweisungen wie eine « Abschiebung der Kinder hin zu einer Nanni », um eben sich beruflich entfalten zu können. Oder eine in sich von je grundperverse Kinderfrau. Aber was spielt alles rein ? Was bewegt die Protagonisten ?
Rein chronologisch, von der Beschreibung der Ausgangssituation bei den Jungverheirateten bis hin zur Rekonstruktion des Verbrechens geht es auch jetzt nicht zu : Manchmal werden Kapitel eingefügt, gewissen anderen Schlüsselfiguren gewidmet, die eine Seite, einen Aspekt erhellen, aber zeitlich woanders angesiedelt sein können.
Das junge Ehepaar Pierre und Myriam leben in der bescheidensten Wohnung ihres Hauses im Norden von Paris, nicht weit weg von Montmartre und dem Sacre-Coeur. Zu mehr reicht ein Einkommen nicht aus, wenn nun die ersten Kinder da sind und Myriam nicht arbeiten gehen kann. Dabei hat Pierre einen guten Job. Doch Myriam hat zunächst wie selbstverständlich mal ihren Rechtsanwaltsberuf an den Nagel gehangen, und freut sich, ihre Kinder begleiten zu dürfen. Doch langsam wechselt die innere Stimmung : das Gesichtsfeld schränkt sich immer mehr ein, manchmal empfindet sie ein inneres Gefängnis. Und Pierre macht es nicht leichter, wenn er müde von der Arbeit kommt und sie mit seinen Geschichten überlastet. Also sehnt sie sich auch nach beruflicher Tätigkeit, selbst wenn die Kinderfrau einzuplanen wäre und es letztlich finanziell nicht auf mehr rauskäme.
Louise scheint ideal, krempelt das Leben der kleinen Familie um, wird unabdingbar. Doch verbirgt sich hinter ihrer Bereitwilligkeit, ihrem unglaublichen Einsatz etwas anderes, Dunkleres ? Eine Einsamkeit ? Die Suche nach Familienersatz ? Wie kommt es zur Explosion? Gibt es ein anderes Leben als das der stets bereiten, alles zulassenden Kinderfrau ? Welche geheimen Demütigungen hat sie erfahren, erfährt sie noch, auch von den ach so offenen und scheinbar dankbaren Hausherren ? Was steckt hinter gewissen Manien und Einsamkeit ? Wo sind Antribe, innere und äußere Wirklichkeiten, oft ignoriert von den anderen ?
Ein beeindruckendes Buch, dass die selbst Mutter gewordene Autorin eventuell mit eigenen Fragestellungen angeht. Manchmal scheinbar distanziert, trocken, doch einfach packend und psychologisch ganz fein beobachtet: man kommt nicht los ! Nicht umsonst erhielt dieses Buch letztes Jahr im ersten Wahlgang den Goncourt-Literaturpreis, die höchste Auszeichnung!
Ich liebe diese Erzählweise, die ohne deftige Schuldzuweisungen auskommt, aber auch die Abgründe darstellt. Nicht nur bei der Täterin, sondern auch in scheinbar wohlgemeinten Hinweisen oder lustig sich gebenden, aber doch dummen, Äußerungen.
Hut ab ! Dieser Roman könnte viele hier ansprechen !
AUTORIN :
Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani wurde im Oktober 1981 in Rabat geboren und wuchs in Marokko auf. Ihr Vater war Banker, verstarb aber Mitte de 00er Jahre. Ihre Mutter war eine der ersten Ärztinnen des Landes, halb Elsäßerin, halb Algerierin. Slimani besuchte die Schule in Rabat. 1999 ging sie nach Paris und studierte Medien und Politik am Institut d’études politiques de Paris und an der ESCP Europe. Nach ihrem Studium besuchte sie das Cours Florent und versuchte sich kurzzeitig als Schauspielerin. Sie arbeitete seit 2008 als Journalistin für das Magazin Jeune Afrique, für das sie über nord-afrikanische Themen berichtete. »Dann schlaf auch du« wurde mit dem höchsten Literaturpreis des Landes, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet (siehe auch : http://www.luzernerzeitung.ch/…a-Slimani;art46444,881770 – und- siehe Bild : was für eine schöne Frau, oder ?) und in 30 Länder weltweit verkauft. Ihr ebenfalls preisgekröntes literarisches Debüt »Dans le jardin de l’ogre« wird derzeit verfilmt.
Slimani ist verheiratet und Mutter eines sechsjährigen Sohnes und erwartet gerade ihr zweites Kind. Sie lebt in Paris, hat aber die doppelte Staatsangehörigkeit: die französische und die marokkanische.
(Quellen : wikipedia.en +.de + fr ; Autorenbio bei amaz.de)
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (21. August 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3630875548
ISBN-13: 978-3630875545
Danke für die Vorstellung! Hört sich ja gut an.
Gefühlt (und wahrscheinlich nicht ganz wahr?), meine ich, schon etliche Rezis zu derlei Büchern hier im BT gelesen zu haben. Irgendwie eine kleine Mode..?!
Später Nachtrag, aber was soll's! Könnte einige interessieren. Im Dörlemann-Verlag erschien eine Neuübersetzung von Felix Philipp Ingold eines großen Werkes von Fjodor Dostojewskij: "Aufzeichnungen aus dem Abseits".
Danke, Magdalena!
Da haben sie aus dem französischen Coverphoto einfach eine Zeichnung draus gemacht. Ob sie nicht die Rechte drauf hatten? Naja, dumme Frage, doch fällt ja ins Auge!
Eventuell einigen hier zugänglich(er) auf Niederländisch?!
Op een zondagochtend
De Mandy's leven al generaties lang in een houten huis op een stuk niemandsland, omgeven door een wirwar van spoorrails nabij het Nyugati-station in Boedapest. De jonge Imre groeit er op in een trieste omgeving die bol staat van hardnekkige geheimen en waarin Stalin verantwoordelijk wordt gehouden voor al het noodlot dat de familie heeft getroffen. En dat blijft ook min of meer zo na het uiteenvallen van de Sovjet-Unie, dat niettemin veel nieuws brengt in het leven van Imre: seksshops, een jonge Duitse en een vaag idee van westers geluk dat niet voor hem is weggelegd.. Op een zondagochtend : een sfeervol, melancholisch verhaal over drie generaties van een Hongaarse familie.
Taschenbuch: 240 Seiten
Verlag: Singel Uitgeverijen; Auflage: 01 (28. Juni 2016)
Sprache: Niederländisch
ISBN-10: 9029505818
ISBN-13: 978-9029505819
Und gerade gesehen, dass es zumindest eine italienische Fassung des Romans gibt, die ja dann vielleicht zwei, drei Lesern hier zugänglich(er) wäre?
Titel: Gesù e Tito
Broschiert: 205 Seiten
Verlag: Nikita (Oktober 2011)
Sprache: Italienisch
ISBN-10: 8895812166
ISBN-13: 978-8895812168
Hier wie erwähnt, noch eine Verlinkung zum lang anhaltenden Briefwechsel zwischen den beiden...
Marie-Louise von Motesiczky, Elias Canetti - Liebhaber ohne Adresse: Briefwechsel 1942-1992
Zwei große Künstler begegnen sich im Exil: Die Malerin Marie-Louise von Motesiczky und der Schriftsteller Elias Canetti, die beide aus Nazideutschland nach London geflüchtet waren, lernen sich in Amersham kennen. Die Künstlerin aus reichem Hause unterstützt den bettelarmen Dichter, die beiden machen sich Mut in ihrem Schaffen - und verlieben sich. Über fünfzig Jahre erstreckt sich die spannungsreiche Geschichte, lebhaft schildern die Briefe, wie die Geflüchteten in der Nachkriegszeit in ihrem Gastland heimisch werden. Der Briefwechsel aus fünf Jahrzehnten ist das Zeugnis einer großen Liebe.
Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (29. August 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3446237356
ISBN-13: 978-3446237353
Original : Deutsch, geschrieben in der 2.Septemberhälfte, Anfang Oktober 1942, gefunden im Besitz der Freundin bei deren Tod, veröffentlicht 2005
Mit Abbildungen und der vollständigen Reproduktion des handschriftlichen Originals
Mit einem Nachwort von Jeremy Adler.
INHALT :
England, Anfang der vierziger Jahre: Veza und Elias Canetti lernen die ebenfalls emigrierte österreichische Malerin Marie-Louise von Motesiczky kennen, und bald entwickelt sich eine Liebesbeziehung der Malerin mit dem Dichter. Dieses Buch ist der Erstdruck einer Reinschrift, die Canetti 1942 Marie-Louise zu ihrem 36.Geburtstag geschenkt hat. Es sind handschriftliche Aufzeichnungen aus der Zeit des Blitzkrieges, in denen sich bereits Canettis große Themen finden: Die Sprache, der Tod, die Zeit und die Utopie.
(Quelle: Klappentext)
BEMERKUNGEN :
Wie man aus weiter unten verlinkten Briefkorrespondenz der Liebenden ersehen kann, zog sich die Beziehung zwischen Canetti und Marie-Louise von Motesiczky über fünfzig (!) Jahre hin, war also nicht eine Eintagsfliege.
Was ist wohl unter diesen 129 Aufzeichnungen zu verstehen ? Die italienische Übersetzung des Buches ist da hilfreich : sie nennt diese « Aphorismen ». Und so präsentieren sich diese kurzen Aufzeichnungen denn auch : Prägnant, knapp, mit wenigen Ausnahmen, wo der Autor wie einen kleinen Ausflug macht. ZB wenn er einen baumblättersammelnden Spezi beschreibt mit seinen Überlegungen zur Einzigartigkeit seines Tuns und den Konservierungsmethoden, als auch Überlegungen zur chinesischen Lyrik äußert...
Immer ist die Zukunft falsch : wir haben zuviel Einfluß auf sie.
Er hat soviel Ziele, dass er gar nicht schießt.
Natürlich könnte man kritisieren, dass es nicht arg viel Text ist für ein Buch : Gerade mal 55 Seiten, und eigentlich « doppelte », denn auf der einen Seite ist jeweils eine Kopie des handschriftlichen Texts, und auf der anderen die Reinschrift im Druck. Aber so mancher wird hier kleine Perlen finden. Und hat es sich dann nicht schon gelohnt ? Ist es nicht eh eine Sammlung von Texten, die einen länger begleiten, die man wiederholt lesen kann?
AUTOR :
Elias Canetti (bulg. Елиас Канети; * 25. Juli 1905 in Russe/Rustschuk, Bulgarien; † 14. August 1994 in Zürich) war ein Schriftsteller und Aphoristiker deutscher Sprache. Ältester Sohn einer wohlhabenden sephardisch-jüdischen Kaufmannsfamilie, wuchs er in Bulgarien, Manchester. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1912 siedelte die Familie nach Wien um. 1916 zogen Mutter, Geschwister und Elias Canetti wegen des österreichischen Kriegspatriotismus in die neutrale Schweiz, wo er 1917 bis 1921 das Realgymnasium Rämibühl in Zürich besuchte. 1921 zog Canetti mit der Mutter und den beiden Brüdern nach Deutschland und machte 1923 sein Abitur am Wöhler-Realgymnasium in Frankfurt am Main. Ab 1924 lebte er wieder in Wien.
1929 promovierte er ebenda zum Dr. rer. nat. 1930/31 erfolgte die Niederschrift seines Romans Die Blendung, der 1935 erschien. 1938 zwang ihn der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich, mit seiner Frau Veza nach London zu emigrieren, wo er nach dem Krieg blieb und die britische Staatsbürgerschaft erwarb. In den 1970er Jahren lebte er zunehmend, in den 1980er Jahren bald ausschließlich in der Schweiz. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. 1994 starb er in Zürich.
Produktinformation
Gebundene Ausgabe: 120 Seiten
Verlag: Carl Hanser; Auflage: 1. (28. Februar 2005)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3446205942
ISBN-13: 978-3446205949
Am Rande der Nacht
Ganz herzlichen Dank meinen Vorschreibern, und meinem Buchgeschenkgeber (!), die ganz zu Recht und so toll von diesem Roman schreiben und schwärmen. Ich schliesse mich dem voll an, und gebe hier höchstens meinen Senf hinzu, um das Buch nach eineinhalb Jahren nochmals hochzupushen. Ich hatte Friedo Lampe ja schon im Septembergewitter kennengelernt (auch hier spielt die Haupthandlung an einem Septembertag!), und irgendwie stand er also auf meiner Wuli. Jetzt war es soweit.
Das Kompositionsprinzip des Romans »Am Rande der Nacht« hat Lampe in einem Brief umrissen: »Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen: Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.« Dieses filmartige Erzählen, das mit harten Schnitten, weichen Überblendungen und gelassenen Schwenks arbeitet, nimmt wie zufällig etwa drei Dutzend einzelne Figuren ins Bild, deren Erfahrungen und Erlebnisse gebündelt und geeint werden durch die Nacht und das Vergehen der Zeit. Friedo Lampes Prosa ist ein Musterbeispiel für den Magischen Realismus, die deutsche Sonderform des Surrealismus.
Dies ist ein Zitat aus dem Nachwort Johannes Grafs in der Ausgabe aus dem Wallstein-Verlag, das hervorragend Auskunft gibt über die Umstände und Textgeschichte. Denn so unbeschwert und elegant Lampe auch geschrieben haben mag – vielleicht zu unbeschwert ? - so landete er bei den Nazis sofort (vier Wochen nach seinem Erscheinen Ende 1933) schon auf den Index ! Ein Wunder, dass dem Autor nicht mehr passierte… Aber auch in meinen Augen eine Art Auszeichnung ! Da redet man zwar von den erotischen Szenen (die heute nicht obszön wirken), aber vielleicht ging es auch um einen Grundton.
Diese einzelnen Bilder oder Fragmente von circa 2-7 Seiten Länge sind tatsächlich auf überaus geschickte Art miteinander verwoben : es ist als ob sich die Figuren ein wenig die Hand reichen und « übergeben », aufeinander verweisen. Das macht der Autor so spielerisch… und sprachlich sehr überzeugend.
Und gleichzeitig eine Form der Bedrohung, der Konkurrenz (wie Jean gut herausarbeitete). Ich frage mich, ob zB das Bild insbesondere der Ratten, nicht eben doch ein so scheinbar lakonisch dahingeworfenes, Sinnbild der heraufziehenden Bedrohung ist ? Das verspürte ich damals auch im Septembergewitter… , selbst wenn Lampe scheinbar eher politisch naiv gewesen sein sollte (wie es im Nachwort heißt).
Achtung vor einem übereilten Einkauf alter Ausgaben : nach dem Krieg kam eine zensierte Fassung heraus, überarbeitet nach dem Tode des Autors durch dessen Herausgeber : von wegen zu brisant. Selbst in Nachnazizeiten. Die restaurierte Urfassung sollte es also sein.
Ganz große Leseempfehlung an die « üblichen Verdächtigen » !
Hier eine Verlinkung zur französischen Ausgabe, die einigen eventuell zugänglicher ist :
Broché: 307 pages
Editeur : Métailié (septembre 1994)
Collection : Bibliothèque Portugaise
Langue : Français
ISBN-10: 286424182X
ISBN-13: 978-2864241829