Beiträge von Winfried Stanzick

    „Affektive Erinnerung. Unfreiwillige Erinnerung. Ich wurde von Erinnerungen heimgesucht, die ich vergessen glaubte. Wohin ich mich auch wende, sie rufen einander. Sie dringen durch eine Art Bresche ein und tauchen wieder auf. Und ich weiß zugleich, dass ich mich noch so sehr bemühen kann, nichts zu verlieren, es wird nicht alles wiederauftauchen. Auch wenn manchmal Bruchstücke, manchmal Fetzen erscheinen – es wird immer eine Zeit geben, zu der ich keinen Zugang habe.
    Im Unmittelbaren des Heutigen, im Durcheinander dessen, was geschieht, so wie es mir erscheint, gehört nicht alles, was ich finden werde, was mich interessieren wird, notwendigerweise zu meiner Geschichte. Werde ich, indem ich in die Vergangenheit der anderen tauche, etwas über meine eigene Vergangenheit entdecken?“

    So reflektiert der Ich-Erzähler dieses wunderbaren und berührenden Romans von Robert Bober der junge Bernard Appelbaum seine Suche nach seinen Wurzeln. Anfang der sechziger Jahre bekommt er in Paris eine Statistenrolle in Truffauts Film „Jules und Jim“. Vermittelt hat ihm die Rolle Robert Bober, der nach dem Krieg in einem Ferienlager für jüdische Kinder auch Bernhards Betreuer war.

    Nach Fertigstellung des Films geht Bernhard mit seiner Mutter ins Kino, und wartet natürlich stolz auf seine Szene. Doch er muss enttäuscht feststellen, dass die Szene in der Bar, in der er mitspielte, gestrichen wurde. Um ihn zu trösten, oder weil sie den richtigen Kairos gekommen sieht, erzählt ihm seine Mutter ihre eigene Geschichte. Denn wie in dem Film hat sie eine ganz persönliche Erfahrung einer Liebe zu dritt. Diese Liebe verband sie sie mit Bernhards Vater Yankel, der nicht aus Auschwitz zurückkam und dessen Freund Leizer, der später Bernhards Stiefvater wurde und sehr früh verstarb.

    Kaum hat seine Mutter ihm diese Geschichte erzählt, beginnt sich Bernhard auf eine rastlose Suche zu machen nach seinen eigenen Wurzeln. Eine Suche, die ihn bis nach Auschwitz führt, aber auch auf die Spuren einer bis heute verdrängten Geschichte von Krieg und Kollaboration im Paris während der Besatzung der Nazis.

    Robert Bober ist ein beeindruckender Roman gelungen, in dem er viele eigene Erfahrungen und Erlebnisse verarbeitet hat und in dem er vielen von ihm bewunderten Regisseuren, Sängern und Künstlern ein Denkmal setzt.
    Er hat literarisch gekonnt eine Rekonstruktion einer jüdischen Familiengeschichte verbunden mit einem sozialgeschichtlichen Dokumentation des Paris während des Zweiten Weltkriegs.

    „Das Rumoren der verschluckten Welt, die Unverwüstlichkeit von menschlicher Arbeit und von love politics, der Kältestrom, die unsichtbare Schrift der Vorfahren – das sind die Themen. DAS FÜNFTE BUCH heißt dieser Band, weil er im Dialog mit den vorangegangenen vier Bänden meiner Erzählungen steht. Wie in meinem ersten Buch, das ich 1962 veröffentlichte, geht es um LEBENSLÄUFE. Die Geschichten sind teils erfunden, teils nicht erfunden.“ (Aus dem Vorwort des Buches.)

    Alexander Kluge ist seit Jahrzehnten einer der wichtigsten und originellsten Intellektuellen in Deutschland. In seinem letzten, 2011 erschienenen Buch „Das Bohren harter Bretter“ fragte er in "133 politischen Geschichten" nach den Werkzeugen, die politisch agierenden Menschen in der Vergangenheit und der Gegenwart zur Verfügung standen und stehen. Er fragt sich als Literat, wie man davon erzählen kann, wie sich das "Politische", mit dem er sich auch in seinem Gesamtwerk immer wieder beschäftigt (vgl. vor allem das mit Oskar Negt geschriebene große Werk "Geschichte und Eigensinn") beschreiben lässt. Dabei benutzt er wie schon damals einen weiten Politikbegriff. Kluge nennt die Politik einen "besonderen Aggregatzustand alltäglicher Gefühle". Sie sei überall anzutreffen und bewege die privaten Lebensläufe genauso wie die Öffentlichkeit.


    In seinem hier vorliegenden, mit zahlreichen schwarz-weiß-Fotos versehenen neuen Buch „Das fünfte Buch. Neue Lebensläufe. 402 Geschichten“ erzählt er, einen weiten Bogen von der Antike bis zur aktuellen Gegenwart spannend, und berühmte wie unbekannte Menschen beschreibend, davon.
    Er nennt seine Lebensläufe „Behausungen, wenn draußen Krise herrscht.“ Wie in seinen bisherigen Geschichten auch, treibt Alexander Kluge der Gedanke um, wie er durch sein Erzählen die Bereitschaft von Menschen, aus dem eigenen Leben und dem Leben anderer Menschen etwas zu lernen, fördern kann. In allen seinen Büchern, auch den eher philosophischen mit Oskar Negt, geht es immer darum, diese Lernbereitschaft wach zu halten und weiterzuerzählen. Hier liegt wohl auch der Grund seiner docta spes verborgen, mit der er immer wieder gegen den von Ernst Bloch so genannten Kältestrom in der Geschichte anschreibt. Geschichten sind das, voller Überraschungen und tiefer Erkenntnis, auf sprachlich hohem Niveau. Ihre Lektüre ist, wie bei Kluge immer, ein intellektueller Genuss.



    Dieses Buch spricht mir aus der Seele und es war für die beiden Autoren offenbar auch sehr wichtig, es geschrieben zu haben. Denn ihre Position ist eindeutig und sie lassen auch keinen Zentimeter daran rütteln: ohne Bücher, ohne die Erfahrung des Vorlesens und später des eigenen Lesens, gibt es keine wirklich glückliche und gelungene Kindheit. All jene Menschen, die das aus eigener Erfahrung oder aus Einsicht genauso sehen, denen sei dieses Buch empfohlen, denn für sie ist es geschrieben. Vor allem für jene, die nicht so genau wissen, wie sie das machen sollen – ihre Kinder zum Lesen bringen.

    Mit kurzen Texten versuchen sie sich immer wieder dem Thema zu nähern, immer in der Überzeugung, dass das Lesen d e r Zugang ist zur Phantasie. Mit Lesen, so zeigen sie überzeugend, kann ein Kind sich selbst Zugang zu Schätzen verschaffen, die ihm sonst ein Leben lang verborgen blieben.

    Die Leselisten, die sie am Ende des Buches für jede Altersstufe vorschlagen, sind natürlich subjektiv. Wer aber mit diesen Büchern einmal anfängt, für den wird sich bald schon fast wie von selbst so etwas wie ein Qualitätslevel einstellen, hinter das er nicht mehr zurückfallen wird.

    Wie man Kinder zum Lesen bringt? Am besten von ganz früh an immer wieder vorlesen. Jeden Tag, zu den unterschiedlichsten Tageszeiten. Nicht nur ein paar Minuten, sondern eine halbe, eine ganze Stunde. Der tut seinem Kind etwas Gutes für das ganze Leben, der sich diese Zeit nimmt. Und noch wenn die Kinder ab der Mitte des ersten Schuljahres leichte Texte selbst lesen können – die Freude am Vorlesen wird noch einige Zeit bleiben. Für beide - das Kind und den väterlichen oder mütterlichen Vorleser.



    In dem kleinen Ort, in dem ich in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen bin, gab es noch unzählige kleine und größere Bauernhöfe mit ihren Scheunen und Ställen. Aber auch viele andere ältere Häuser bildeten mit ihren Dachkonstruktionen ganz hervorragende Nist- und Brutplätze für die verschiedensten Schwalbenarten. Es war damals in unserem Ort der häufigste Vogel. Auf den noch wenig asphaltierten Straßen und Wegen fanden diese wunderbaren Vögel genug Wasser und Schlamm, den sie brauchten, um ihre Nester an die Wände und unter die Dächer zu kleben.

    Wenn ich heute dorthin komme, sieht man nur noch ganz selten Schwalben, so wie anderswo auch. Ihre Lebensbedingungen haben sich in unseren Dörfern und Städten erheblich verschlechtert. Doch noch gibt es sie, noch kann man sie beobachten, wenn man nur ein wenig hinaus aufs Land fährt, dort wo es noch Ställe für das Vieh gibt.

    Für alle die Kinder, die vielleicht in der Stadt wohnen, Schwalben noch nie oder bisher selten zu Gesicht bekommen haben, hat Thomas Müller hier ein wunderbares und vorbildliches Sachbilderbuch geschrieben und gezeichnet, das die Schwalben auf ihrem Weg durch das Jahr begleitet. Der Nestbau des Schwalbenpaars im Kuhstall, die Aufzucht der Jungen und deren erste Flugversuche. Einen ausgelassenen Sommer lang sind diese Zugvögel unsere Gäste, bevor sie dann im Herbst sich sammeln für den langen Weg in den Süden.

    Doch im Frühjahr kommen sie wieder, und der Lebensrhythmus beginnt erneut, zur Freude von Groß und Klein.
    Ein beispielhaftes und schönes Sachbilderbuch für Kinder ab etwa 4 Jahren zum Vorlesen und Anschauen geeignet.




    Es sind nicht die schlechtesten Geschichtsbücher, die in den vergangenen Jahren von verschiedenen ehemaligen Politikern geschrieben wurden. Man denke an die Erinnerungen Helmut Kohls, und vor allen Dingen an die Bücher von Helmut Schmidt, die nicht nur zurückblicken, sondern sich mit hohem Sachverstand und großer Erfahrung auch immer wieder in die aktuellen Debatten einmischen.

    Der Aufbau Verlag hat hier ein Gespräch fortsetzen und dann überarbeiten lassen, das im April 2006 stattfand. Damals saßen der ehemalige Politiker Egon Bahr, als rechte Hand von Willy Brandt schon seit Beginn der
    sechziger Jahre ein maßgeblicher Architekt der dann so genannten Ostpolitik der sozialliberalen Regierung ab 1969 und Peter Ensikat, ein in der DDR hoch geachteter und viel gespielter Kabarettautor („Die Distel“) zwei Tage miteinander im Fernsehstudio und erzählten einander ihr Leben. Der Dokumentarfilmer Thomas Grimm hatte damals die Idee.

    Egon Bahr und Peter Ensikat haben später ihre Gespräche fortgesetzt und neu aufgezeichnet. Diese Gespräche, bei denen die beiden, wie sie bekennen, erst miteinander warm werden mussten, weil ihr Erfahrungshintergrund so unterschiedlich war, haben hauptsächlich die deutsche Nachkriegsgeschichte zum Thema. Da geht es um den Kalten Krieg, den Mauerbau, den 17. Juni 1953 und die auch von Egon Bahr vertretene langsame Politik des „Wandels durch Annäherung“.

    Immer wieder werden die historischen Erinnerungen, Analysen und Einschätzungen aber unterbrochen von interessanten persönlichen Lebenserinnerungen und -erfahrungen der beiden Männer. Da ihnen auch der Humor bei ernsten Themen nicht fehlt, sind diese Gespräche der beiden deutschen Intellektuellen aus West und Ost nicht nur eine unterhaltsame Lektüre, sondern auch lehrreiche und anspruchsvolle Reise durch die deutsche Nachkriegsgeschichte und eignet sich für ältere Leser als bewusste Erinnerung einer selbst erlebten Zeit und für jüngere Leser als wichtige und notwendige Information über ein Land in dem sie geboren sind und leben.


    Seit 1993, als der Basler Schriftsteller Hansjörg Schneider seinen ersten Kriminalroman um den Kommissär Peter Hunkeler veröffentlichte, ist er als Krimiautor ein Geheimtipp geworden. Obwohl seine Bücher keine hohen Auflagen erreichen, wie etwa die seiner modern gewordenen schwedischen Kollegen, sind die Romane auf höchstem Niveau, mit viel politischer Analyse, gesellschaftlich-hintergründigem Witz und immer auch angereichert mit einer subtilen Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, besonders denen in Basel und in der Schweiz.


    Peter Hunkeler war früher verheiratet, hat aus dieser Ehe auch eine erwachsene Tochter, mit der sein Kontakt aber spärlich ist. Seit vielen Jahren ist er zusammen mit Hedwig, einer engagierten Erzieherin, die es trotz allem Stress versteht, ihr Leben zu genießen und auf diese Weise Peter Hunkeler immer wieder einen guten Ruhepol bietet, auch wenn ihre Streitgespräche ein wahrer Lesegenuss sind. Besonders wenn sie Wochenenden oder andere freie Tage in ihrem Häuschen im Elsass direkt hinter der französisch-schweizerischen Grenze verbringen.


    Hunkeler hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. In der Studentenbewegung engagiert, hat er sich eine libertär-liberal-linke Position bewahrt, die nie dogmatisch war oder wird. Vielleicht ist er darin das treue Abbild seines genialen Schöpfers. Er kennt in Basel Gott und die Welt und seine sozialen Kontakte machen vor Klassenschranken und sozialen Milieus nicht Halt. Er verkehrt mit Schriftstellern, Künstlern und Theaterleuten, Lebenskünstlern, halbseidenen Figuren an der Grenze zur Unterwelt. Er trifft sie auf der Straße, in Cafes, vor allem aber abends und nachts in den alten Basler Beizen, die vom Aussterben bedroht sind, und denen Hansjörg Schneider in seinen Büchern nebenbei ein Denkmal setzt.
    Er liebt Menschen und die Geschichten, die mit ihnen verbunden sind. Und weil er sich so gut in Menschen hinein versetzen kann, löst er alle seine Fälle mit diesem "Gspüri". Seine Kollegen halten Distanz zu ihm - seine Eigenständigkeit und innere Ruhe machen ihnen Angst. Der Staatsanwalt Suter, der in den Büchern Schneiders immer wieder auftaucht, achtet Hunkeler und unterstützt ihn heimlich. Denn die Erfolge des Kommissärs sprechen für sich. Ohne sie hätten ihn seine Obersten sicher schon vor 10 Jahren in den Ruhestand versetzt.


    Doch nun in dem neuen Buch "Hunkeler und die Augen des Ödipus" steht der Ruhestand direkt bevor. Vielleicht hängt mit dieser einschneidenden Veränderung seiner Hauptfigur auch Schneiders innerzüricher Wechsel von Ammann zu Diogenes zusammen, wo er nun veröffentlicht.
    Auch der neue Roman hat mit einem Lebensabschnitt und einer sich über sein ganzes Leben hinziehenden Erfahrung Hansjörg Schneiders zu tun. Er, der in jungen Jahren während der bewegten 68-er Zeit als Regie-Assistent am Theater in Basel gearbeitet hat, lässt seinen neuen Roman im Theatermilieu der Gegenwart spielen und arbeitet gleichzeitig eine für ihn letztlich gescheiterte und elitäre Theatertheorie und das dieser entsprechende Bewusstsein und Verhalten von Regisseuren auf, eine literarische Abrechnung mit dem Regietheater der letzten beiden Jahrzehnte.


    Der Basler Theaterdirektor Bernhard Vetter ist verschwunden. Weil Hunkeler, kurz vor dem Ruhestand, nicht mehr mit ermitteln darf, meldet er sich krank und begibt sich auf eine Feldforschungsreise durch die Basler Theatergeschichte und die aktuellen Verstrickungen von Bernhard Vetter. Natürlich löst er den Fall, bekommt heraus, wer beteiligt ist und begibt sich zum wiederholten Mal in die schillernde Halbwelt des Basler Rheinhafens, mit seinen Kneipen, Dealern, Geschäftemachern, Dirnen und Wirten. Da geht es um das Theater, um Liebe und immer wieder um einen maßlosen Anspruch. Einer der Menschen, die Hunkeler bei seinen Recherchen um den verschwundenen Vetter trifft, beschreibt den schillernden Theatermann so:
    "Wie Sie bestimmt wissen, war er Adorno-Schüler. Ich weiß nicht , wie er gelebt hat, ich weiß nur, wie er gedacht hat. Er hat sich überlegen gefühlt, hat aber gleichzeitig unter seiner Überlegenheit gelitten. Er hat ganz bewusst Macht ausgeübt. Er hat die Machtausübung als seine Pflicht verstanden."
    Auf die Rückfrage Hunkelers, er hielte Adorno doch geradezu für einen scharfsinnigen Kritiker von Herrschaft und Macht, fährt der Kunsthändler Lardini, der sich nicht nur in der Theater- und Kulturgeschichte Basels auskennt, sondern auch im Milieu des Rheinhafens, ( so wie Schneider selbst), fort:
    "Ich kenne einige Leute dieser Art. Sie kommen alle aus Deutschland. Sie können die Verbrechen der Nazis nicht in ihr Denken integrieren, was ja kein Wunder ist. Sie wittern überall nazistisches Gedankengut, faschistoide Mentalität, die sie aufdecken müssen. Das tun sie mit Hilfe der Frankfurter Schule, zu der Adorno gehörte. So ist diese Generation der eigenen Schuld, die meiner Meinung nach eine eingebildete Schuld ist, entkommen, soweit das überhaupt möglich ist. Denn ich denke, dass eine eingebildete Schuld noch schwerer drückt als eine wirkliche Schuld."


    Hansjörg Schneider lässt Hunkeler mit einigen Regisseuren, mit vergessenen Arbeiterdichtern aus den Siebzigern und mit alkoholkranken und verbitterten, einst genialen Schauspielern zusammentreffen, und man hat den Eindruck, dass jede dieser Figuren Ebenbilder hat in der Basler Realität und Vergangenheit , in der Schneider nun selbst seit Jahrzehnten schwimmt, so wie sein Kommissär im Rhein.


    Hunkeler löst den Fall, geht in Pension und sein Schöpfer hat den Verlag gewechselt. Sicher nicht, weil es das letzte Buch war über eine Polizistenfigur, wie sie ihresgleichen sucht.


    Eines Tages hört der zwölfjährige Danny aus dem Schlafzimmer seines Vaters ganz außergewöhnliche und seltsame Geräusche. Für den Jungen gibt es dafür nur eine Erklärung. Sein Vater, Dominic Baciagalupo wird gerade von einem Bären angegriffen.

    Kurz entschlossen packt Danny eine gußeiserne Bratpfanne und geht damit auf das haarige Wesen los, das direkt auf seinem Vater liegt und ihn regelrecht unter sich begraben hat. In dem Moment, als er mit voller Wucht die Bratpfanne herabsausen lässt und zuschlägt, merkt Danny, dass es sich gar nicht um einen Bär handelt, sondern um die dicke Tellerwäscherin Indianer-Jane, die ihre Haare gelöst hat, die die ganze Szene wie ein Fell bedeckt hatten. Aber es ist schon zu spät. Danny hat Jane erschlagen. Sie ist tot.

    Diese tragische Verwechslung prägt nun das Leben von Vater und Sohn. Ihr Leben, das John Irving in seinem neuen Roman „Letzte Nacht in Twisted River“ über mehrere Jahrzehnte beschreibt, gleicht einer Irrfahrt. Denn die getötete Jane war nicht nur die Geliebte von Dannys Vater Dominic, der als Koch in einer schäbigen Holzfällersiedlung im New Hampshire der 50- er Jahre arbeitete. Jane war auch die Freundin von Constable Carl, einem nach Rache lechzenden Kleinstadtcop.

    Die Beziehung zwischen Vater und Sohn bildet den einen Schwerpunkt dieses faszinierenden Romans, ein anderer ist die Entwicklung Dannys zum Schriftsteller. Danny trägt viele Züge von Irving selbst und der Autor nutzt diesen neuen Roman, um über sein eigenes Schreiben zu reflektieren. In einer Mischung aus Fiktion und Realität bietet Irving dem Leser nicht nur einen neuen, für ihn typischen Roman, sondern lässt auch tief in sein Leben und sein Arbeiten blicken. Für alle Freunde John Irvings ein wichtiges Buch.



    Ich bin 1954 geboren und kann mich gut daran erinnern, welchen Reiz in meiner Kindheit Geschichten und vor allen Dingen Bilder des afrikanischen Kontinents und seinen Wildtieren auf mich ausgeübt haben. Als Grundschüler dann habe ich alle entsprechenden Bücher, die in der Gemeindebibliothek unseres Dorfes vorhanden waren, ausgeliehen, mir die Bilder angeschaut und auch einiges dazu gelesen. Noch mehr Interesse fand ich später an den Sendungen von Bernhard Grzimek in Fernsehen. Doch nie hatte ich die Informationen parat, die durch die neue Tiptoi- Technik den Kindern heute ganz neue Dimensionen erschließen zu dem jeweiligen Thema.
    Denn dieses Produkt ist eine sensationelle Neuheit, die das Lernen für Kinder mit Büchern revolutionieren wird. Einmal angeschafft, passt der Stift zu immer mehr Produkten aus dem Ravensburger Verlag, wie zum Beispiel zu dem hier anzuzeigenden Buch für Leseanfänger


    Tip Toi ist ein audiovisuelles Lernsystem für Bücher und Spiele, mit dem die Kinder die Welt spielerisch entdecken. Tippt das Kind mit dem Stift auf ein Bild oder einen Text oder ein entsprechendes Symbol, erklingen passende Geräusche, Sprache oder auch Musik. Eine intelligente Elektronik ermöglicht Kindern, Bücher und Spiele völlig eigenständig immer wieder neu zu erleben.


    Ich kann das System nur empfehlen. Die TipToi Büchern sind etwa ein Drittel teurer als die herkömmlichen Wissensbücher bei Ravensburger, aber diese Investition in das Lernen und vor allem die Lernfreude ihres Kindes lohnt sich.

    Hier im vorliegenden Buch „Entdecke die Tiere Afrikas“ erhalten die Kinder auf neun Doppelseiten mit wunderbaren Illustrationen von Constanze Schargan nicht nur eine Fülle von wichtigen Informationen über die Tiere und ihre Lebensgewohnheiten, sondern mit über 800 Geräuschen und Texten wird eine weit entfernte Welt ganz lebendig.
    Ich kann dieses Buch für alle Kinder ab etwa 3 Jahre nur empfehlen, die sich für Tiere und den afrikanischen Kontinent interessieren.


    Karl Heinz Brisch ist einer der ausgewiesensten Kenner der Bindungs-Theorie, die er in den letzten Jahren durch verschiedene Veröffentlichungen zusammen mit anderen weiter entwickelt hat.
    Im Klett-Cotta Verlag sind bisher von ihm erschienen:


    * Bindungsstörungen
    * Kinder ohne Bindung
    * Die Anfänge der Eltern-Kind-Bindung
    * Der Säugling - Bindung, Neurobiologie und Gene
    * Wege zu sicheren Bindungen in Familie und Gesellschaft

    * Bindung, Angst und Aggression



    Alle seine Bücher handeln von der wichtigen und grundlegend prägenden Zeit der Schwangerschaft und der ersten Lebensjahre, wo sich an der Qualität der Bindung zwischen Mutter und Fötus, später dem Baby, entscheidet, wie das Kind reifen und seine neurobiologische sich entwickeln wird.


    Der vorliegende Sammelband "Bindung und frühe Störungen der Entwicklung“ versammelt Aufsätze zu dem in unsere Gesellschaft immer wichtiger werdenden Themen der frühen Entwicklungsstörungen von Kindern. Die Bindungsforschung geht von der Annahme aus, dass Störungen im Bindungsverhalten oft sehr früh im Laufe der kindlichen Entwicklung entstehen und zu schwerwiegenden emotionalen und sozialen Störungen sich weiter entwickeln können. Die Autoren des vorliegenden Sammelbandes gehen in unterschiedlichen Ansätzen immer wieder der Frage nach, wie in der Therapie, der Beratung, aber vor allen in der Prävention mit diesem Phänomen umgegangen werden kann.


    Immer wieder wird auch deutlich, dass schon die Schwangerschaft und die Umstände der Geburt, also die pränatalen und perinatalen Erfahrungen von Kindern prägend sind für ihre weitere Entwicklung, haben schon die Forschungen von Stanislaf Grof und anderen vor einigen Jahrzehnten gezeigt. In der gegenwärtigen Diskussion um die Lebensumstände unserer Kinder wird, so notwendig und begrüßenswert sie auch ist, viel zu spät angesetzt. Man ist mittlerweile im Kindergarten angelangt, einer Phase der Entwicklung der Kinder, wo im Aspekt auf die Eltern-Kind-Bindung vieles schon irreversibel falsch gelaufen sein kann und nach meiner Beobachtung nicht selten auch ist.


    Dass man die Geburt von Kindern unterstützt, dass man Erwachsene durch entsprechende auch finanzielle Unterstützungen wie Elterngeld und Elternzeiten ermutigt zur Elternschaft ist begrüßenswert. Doch ist es auch in jedem Fall sinnvoll ? Müsste es nicht viel mehr Informationen für die allgemeine Öffentlichkeit geben über das, was da in einer Schwangerschaft abläuft und was wichtig ist für das weitere Leben von Eltern und Kind ? Müsste es nicht so etwas geben wie eine emotionale Lernschule und pränatale psychologische Angebote für werdende Eltern? Doch wenn man sieht, wie schwierig es schon ist, die Eltern und die Kinder im Kindergarten und in der Grundschule wirklich zu erreichen in ihrem Verhalten, in ihrer Erziehung, in ihren Bindungsmustern, dann muss man fürchten, dass es sehr lange dauern wird, bis die hier vorliegenden Forschungsergebnisse in den Erziehungsalltag in Familie und den anderen Sozialisationsinstanzen ankommen. Unser Sohn David ist in diesem Sommer eingeschult worden und es ist erschreckend, wie viele von den Kindern in seiner Klasse von ihren sozialen Kompetenzen her noch gar nicht schulreif sind und es wohl auch noch lange nicht werden


    Eine gelungene Eltern-Kind-Bindung wird das Kind sein Leben lang positiv begleiten und ihm Lebens- Möglichkeiten verschaffen, die es ohne diesen Bindungsschatz nicht hätte und sich wahrscheinlich aus eigener Kraft auch nicht selbst schaffen kann. Das ist der Ansatz der von Karl Heinz Brisch vorangebrachten Bindungstheorie. Hat man sie einmal begriffen und in seinem Leben mit Kindern versucht umzusetzen, ist man entsetzt über die wachsende Bindungslosigkeit immer größer werdender Teile der Gesellschaft. Und das sind eben nicht nur die sogenannten "bildungsfernen Schichten" und Migrantenfamilien, die in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte gerne genannt werden, sondern diese Bindungslosigkeit geht bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein, dorthin, wo die eigentlich tragenden Pfeiler des Gemeinwesens immer wieder ausgemacht und hervorgehoben werden.


    Ich empfehle dieses Buch nicht nur allen Erzieherinnen und Pädagogen, allen in der Beratung von Eltern und Kindern Tätigen, sondern auch allen Lehrern, Sozialarbeitern, Streetworkern u.a.


    Der französische Philosoph Oscar Brenifier, der es sich schon lange zur Aufgabe gemacht hat, Erwachsenen und vor allem Kindern die Grundsätze philosophischen Denkens nahezubringen, ist in den letzten beiden Jahren deutschen Publikum vor allem durch seine im Boje Verlag publizierten philosophischen Einführung für Kinder unter dem Titel „Was ist das?“ Ich persönlich habe die Bände

    · Gefühle – was ist das?
    · Glück- was ist das ?
    · Ich – was ist das?
    · Zusammenleben – was ist das?

    gelesen und auch sehr angetan besprochen.
    Mit der bewährten philosophischen Methode des ein Thema einkreisenden Fragens geht es ihm in diesen Büchern darum, den jungen Leser einzuladen, aber auch regelrecht zu zwingen, sich auseinandersetzen: Er kreist immer wieder das jeweilige Thema ein und leitet die Kinder zu echtem Philosophieren an.

    Das hier vorliegende Buch ist zwar auch an junge Leser gerichtet, kann aber von jedem an philosophischem Denken interessierten Erwachsenen mit Gewinn gelesen und studiert werden.

    Brenifier geht mit seinem Buch davon aus, dass man ohne Gegensätze nicht denken kann. Indem er an insgesamt zwölf Gegensatzpaaren deren Bedeutung erläutert, schafft er es, leicht und fast spielerisch wichtige Erkenntnisse der Philosophie zu erzählen:

    · Eines und Vieles
    · Endlich und Unendlich
    · Sein und Schein
    · Freiheit und Notwendigkeit
    · Vernunft und Leidenschaft
    · Natur und Kultur
    · Zeit und Ewigkeit
    · Das Ich und der Andere
    · Körper und Geist
    · Aktiv und Passiv
    · Objektiv und Subjektiv
    · Ursache und Wirkung


    Jeder dieser Gegensätze wird, mit phantasievollen Bildern von Jacques Depres illustriert, auf drei Doppelseiten abgehandelt. Zunächst werden die Gegensatzpaare gegenübergestellt, dann folgt eine Frage, die zum eigenen Denken anregen soll, und auf der dritten Doppelseite folgt die erklärende Lösung.

    Dieses Buch vermittelt nicht nur auf eine sehr ungewöhnliche und überzeugende Weise die Grundlagen abendländischen philosophischen Denkens, sondern es macht regelrecht Lust zum eigenen Denken. Es ragt unter den vielen Sach- und Wissensbüchern für Kinder heraus wie ein Leuchtturm.

    Um es gleich vorweg zu sagen: dieses Buch ist nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form anders als andere Bücher. Etwa 12 cm hoch in Leinen schön gebunden war das Buch in seiner Erstfassung ungefähr einen halben Meter breit und hat damit eine äußere Form, wie ich sie bisher noch bei keinem anderen Buch gesehen habe.

    Auch die hier vorliegende und anzuzeigende Pop-Up-Version dieses wunderbaren Bilderbuches sicht in seiner Aufmachung heraus.


    Auf dem Titelbild ist ein rot-weiß gestreiftes Schaf in den Dünen der Nordsee zu sehen und ein Titel: "Fiete Anders".
    Man kann in der Buchhandlung nicht anders, als dieses Buch sofort zur Hand zu nehmen. Und obwohl der Preis respektabel ist, ist er das Buch wert, jede einzelne fadengeheftete Seite lang.


    "Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen." Diesen Satz von Konfuzius hat Miriam Koch ihrem außergewöhnlichen Bilderbuch vorangestellt und es ihrer geliebten Nordsee gewidmet. Und in dem, was ihr Schaf Fiete Anders erlebt, sind mit Sicherheit eine ganze Menge eigener Lebens- und Welterfahrungen eingeflossen. Man spürt es den Bildern ab, die zum Teil erwachsene Geschichten erzählen.


    Fiete Anders jedenfalls sehnt sich danach, einen Ort und ein Leben zu finden, wo anders richtig ist und nicht falsch, so wie er es bisher kennen gelernt und was ihn so einsam gemacht hat.
    Von dieser großen Sehnsucht getrieben, folgt er Dingen, die so aussehen wie er - und er scheut auch eine große Reise nicht. Und er findet das Ziel seiner Träume und den Ort seiner Sehsucht.


    Miriam Kochs außergewöhnliches Bilderbuch ist eine Liebeserklärung an die Nordsee und eine Ermutigung für alle, die sich ein wenig anders finden. Für alle, die Pop-Up-Bücher mögen, ist diese Ausgabe sehr zu begrüßen


    Dieses Buch hat einen Kinderbuchpreis verdient.


    Die hier in einem repräsentativen Band vorliegenden „Menschenbilder aus drei Jahrzehnten“ des bekannten Journalisten und Dokumentarfilmers Gero von Boehm sind viel mehr als eine Summe von etwa 70 Interviews, die er mit berühmten und bekannten Menschen geführt hat. Es sind spannend und anschaulich zu lesende Dokumente der Kultur-, Sozial- und Kunstgeschichte.
    Viele Schauspieler und andere Kunstschaffende sind darunter, Literaten, aber immer auch wieder hervorragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die zu ihrer jeweiligen Zeit mehr oder weniger Bedeutendes zu sagen hatten.

    Immer hervorragend vorbereitet, gelingt es Gero von Boehm mit seiner freundlichen, dem Gesprächspartner freundlich zugewandten Gesprächsführung, diesem das Gefühl zu geben, völlig ernst genommen zu sein. Dabei bleibt Gero von Boehm in der Distanz, bei aller Empathie verliert er nie seine journalistische Unabhängigkeit und schafft so zusammen mit seinen Dialogpartnern Dokumente von manches Mal fast literarischem Rang.

    Ein beeindruckendes Buch, das sich als wertvolles Geschenk eignet für alle an Kultur und Kunst interessierte Menschen und Zeitgenossen.

    Seit vielen Jahrzehnten ist der Schriftsteller Christoph Meckel im bundesdeutschen Literaturbetrieb ein bekannter Name. Ich persönlich erinnere mich an meine Lektüre seines Buches „Suchbild. Über meinen Vater“, das ich 1980 las und das mit zusammen mit dem etwa zeitgleich erschienenen Buch von Peter Härtling „Nachgetragene Liebe“ mit sehr weiterhalf in meiner eigenen Arbeit an meiner Herkunftsfamilie.
    Auch viele andere Bücher Meckels haben immer wieder einen biografischen Bezug hergestellt. So auch die hier bei Libelle vorliegende Erzählung „Russische Zone. Erinnerung an den Nachkrieg“ in dem er seine Erlebnisse und Wahrnehmungen als zehnjähriger Junge beschreibt, die er in einer „Kindheit in der grauen Zone aus Nachkrieg und Unfrieden“ gemacht hat. Mit genauen und sensiblen Beobachtungen beschreibt er das Leben der Menschen in Erfurt, wo er mit seiner Mutter bei der Großmutter lebte. Ein Leben in einer historischen Zwischenphase, geprägt von den Auswirkungen der Bombenangriffe, überforderten Erwachsenen und der Gewalt der Besatzer. Denn nach einer kurzen Periode, in der die Amerikaner in Erfurt waren, kommen die Russen. Und schon bald wird klar, welcher neue Geist jetzt weht.

    Mutter und Sohn entschließen sich bald zu einer abenteuerlichen Flucht im Sommer 1947 über die grüne Grenze in den freien Westen. Das mediterrane Freiburg wird dann für einige Jahre seine neue Heimat, bevor aus dem jungen Mann ein Schriftsteller wurde, der mit zahlreichen und ausgedehnten Reisen nicht nur die Welt erkundete, sondern in seinen Bücher Artikeln auch darüber erzählte.

    Dieser im Jahr 1919 zum ersten Mal erschienene „romanartige Reigen aus Erzählungen“ über die verschiedensten Menschen einer fiktiven Kleinstadt in den USA, Winesburg, Ohio gilt als eines der wichtigsten Werke der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts und hat viele Schriftsteller beeinflusst, darunter William Faulkner, John Steinbeck, Ernest Hemingway und J.D. Salinger mit seinem „Fänger im Roggen“.


    In diesem Frühjahr kann der geneigte Leser zwischen zwei Neuausgaben wählen. Der Manesse Verlag legt eine Fassung in der Übersetzung von Eike Schönfeld und einem Nachwort des Schriftstellers Daniel Kehlmann vor. Schöffling & Co. hat hingegen für seine Ausgabe den jungen, 1965 geborenen und mit zahlreichen Auszeichnungen prämierten Autor und Übersetzer Mirko Bonné für eine Neuübersetzung gewonnen und ihm sehr viel Raum gegeben für einen zwanzigseitigen literaturgeschichtlichen Essay, nach dessen Lektüre man dieses Buch erst richtig wertschätzen lernt, ein Buch, das der israelische Schriftsteller Amos Oz als einen „der schönsten Erzählbände der modernen Literatur“ bezeichnet hat.


    Sherwood Andersons nüchterner Stil beschreibt mit wenigen Worten ganz komplexe Seelenzustände von Menschen, ihre existentielle Einsamkeit und ihre vollständige Unfähigkeit, miteinander in irgendeiner Weise wirklich zu kommunizieren. Bei der Lektüre wähnt man sich nicht im Jahr 1919, sondern eher ein Jahrhundert später, so aktuell lesen sich seine Texte im Jahr 2012. Ich denke, auch deshalb haben zwei Verlage gleichzeitig sich zu einer Neuausgabe entschlossen.

    In den letzten Jahren habe ich im Zusammenhang einiger Veröffentlichungen ( zuletzt etwa das Buch von Wolfgang Bergmann, Sterben lernen) den Eindruck, dass es wieder möglich ist, über den Tod und das Sterben zu sprechen und zu schreiben. Auch meine Erfahrungen als Pfarrer gehen in diese Richtung. Ob das mehr als ein kleines Strohfeuer ist, ob das gelegentliche offene Sprechen über den Tod und das Sterben die lange und nachhaltige Verdrängung des Todes aus dem Bewusstsein einer Gesellschaft aufheben kann, für die Fitsein, Jugendlichkeit und Schönheit das Nonplusultra sind, dem Millionen nacheifern, indem sie etwa an sich herumschnippeln lassen, das muss man abwarten.

    Dennoch kann für geschichtlich interessierte Zeitgenossen, neben den Fachleuten natürlich, das vorliegende Buch über „Tod und Sterben in der Antike“ von großem Erkenntnisinteresse sein, wenn sie sich mit Fragen von Tod und Sterben in der Vergangenheit und der Gegenwart befassen wollen. Die Totenkulte der alten Ägypter, der Griechen, der Etrusker und der Römer werden ebenso behandelt wie deren Jenseitsvorstellungen, ihre Bestattungsarten, die Riten und die Orte der Bestattung.

    „Pan schweigt“ sollte das Buch nach den ersten Plänen von Benjamin Stein heißen, dessen Entstehungsgeschichte er bis etwa zur Hälfte des Buches fast täglich auf seinem literarischen Weblog „Turmsegler“ dokumentierte. Das hängt mit dem Beginn des Buches zusammen, das mit seinem Ende eine Klammer bildet, zwischen der sich der Protagonist des Buches erinnert an wichtige Jahre seines Lebens.

    Ed Rosen ist über viele Jahre ein gefragter und überaus talentierter IT-Fachmann. Eines Morgens wacht er auf, will wie üblich mit seinen Zehen wackeln. Da entdeckt er am Fußende des Bettes einen herausragenden Huf. Gehört dieser Huf, so wie der Hirtengott Pan welche hat, zu ihm? Was ist eigentlich passiert?

    Und er beginnt sich in der kurzen Phase des Wachwerdens zu erinnern an sein Leben und vor allen Dingen die vergangenen Jahre, in denen er als Softwareexperte ein sogenanntes UniCom mitentwickelt hat und auch dessen erster Träger war, ein Implantat, das die Sinneswahrnehmungen seines Besitzers protokolliert. Eine geniale, die Welt verändernde Erfindung, die alles das, was wir Realität nennen in sogenannten „Replays“ ( das wurde dann der eigentliche Titel des Buches) unendlich wiederholbar und auch veränderbar macht. Auch im Bereich der Erotik eine faszinierende Verlockung, der Ed Rosen auch über weite Teile des Buches nicht widerstehen kann und die Benjamin Stein ohne Plattitüden mit einer sensiblen und dennoch kräftigen erotischen Sprache beschreibt.

    Seit seiner Geburt ist Ed Rosen behindert: „Die Muskeln, die mein rechtes Auge bewegen sollen, verweigern seit meiner Geburt den Dienst, du so steht dieses Auge unbeweglich im äußersten rechten Augenwinkel und starrt nahezu blind ins Leere. Ein Kainsmal…“

    Als Ed Rosen mit Professor Matana in Kontakt kommt, der ihn für sein Projekt offenbar genau ausgesucht hat, ist die Zeit des fehlenden Auges bald vorbei. Ed Rosen ist ausersehen, der erste Träger eines Implantats zu sein, das in der digitalen Welt eine weitere Revolution bedeutet, es ist die Entwicklung einer Zwei-Wege-Kommunikation des Auges, die später von Matana expandierender und weltweit erfolgreicher und mächtig werdender Firma (die „Corporation“) noch weiterentwickelt wird. Zuvor muss er aber mit einer persönlichen Trainerin namens Katelyn ein mehrere Monate dauerndes Fitnessprogramm absolvieren. Diese Katelyn hat Rosen schon vorher kennen und lieben gelernt, und es wird nie ganz klar, ob auch diese später sehr erotische und für Ed Rosen sexuell erfüllende Freundschaft nicht von vornherein von Matana angebahnt wurde.

    Die Darstellung des Professor Matana, der auch im Buch aus Chile stammt und irgendwann unter mysteriösen Umständen dorthin wieder zurückkehrt, hat mich erinnert an Humberto Maturana, einen 1928 geborenen bedeutenden Wissenschaftler uns Konstruktivisten, von dem hier nur ein Satz zitiert sei:
    „Als lebende Systeme existieren wir in vollständiger Einsamkeit innerhalb der Grenzen unserer individuellen Autopoiëse. Nur dadurch, dass wir mit anderen durch konsensuelle Bereiche Welten schaffen, schaffen wir uns eine Existenz, die diese unsere fundamentale Einsamkeit übersteigt, ohne sie jedoch aufheben zu können. [...] Wir können uns nicht sehen, wenn wir uns nicht in unseren Interaktionen mit anderen sehen lernen und dadurch, dass wir die anderen als Spiegelungen unserer selbst sehen, auch uns selbst als Spiegelung des anderen sehen.“

    Nach dem erfolgreichen Versuch des Implantats an Ed Rosen, wollen im Laufe der Jahre immer mehr Menschen dieses Gerät eingepflanzt haben und die Firma tritt einen weltweiten Siegeszug an. Hier versucht Benjamin Stein in einer fiktiven Geschichte sich vorzustellen, wie es mit der Digitalisierung unserer Welt und Lebenswelt weitergehen könnte. Doch bei allen die Menschen beglückenden Veränderungen, es gibt auch anhaltenden Widerstand. So hat sich etwa Julian Assange mit Gesinnungsgenossen zum Ziel gesetzt, diese Entwicklung in ein „digitales Arkadien“ zu stoppen.

    Und da ist die Sache mit dem Huf, der eines Morgens aus dem Bett von Ed Rosen herausschaut. Nur wer zu Beginn des Buches genau gelesen hat über die Jugendzeit des Ed Rosen, die er wie das ganze Buch in der Ich-Form erzählt, und seine Vorbereitung für seine Bar-Mizwa, die er als Sohn säkularer Juden auf jeden Fall feiern soll, kann den Zusammenhang mit dem Folgenden herstellen. Im Rahmen dieser Vorbereitung erzählte ihm sein Lehrer von Sheol, jenem Gebiet, in dem sich die Menschen auf dem Weg in die künftige Welt aufhalten müssten und in dem keine Lügen helfen. Jedes Detail aus dem Leben sei dort offenbar: „Wir würden zwar unseren irdischen Körper abgelegt haben, dafür aber in einer Art Geistkörper wandeln, und an jenen Körperteilen, mit denen wir in der hiesigen Welt gesündigt hätten, würden wir dort als untrügliche Zeichen tragen, die unser vergehen offenbarten: Verkrüppelungen oder Verkümmerungen.“

    Am Ende des Buches, nachdem Ed Rosen seine Geschichte erzählt und den Leser in eine neue Welt mit beängstigenden Folgen geführt hat, liegt er immer noch im Bett und betrachtet seinen Huf. Benjamin Stein kommt selbst nicht mehr auf die Geschichte von Sheol zurück. Ob er das dem Leser überlassen will?





    Fünfundzwanzig Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung, die damals nicht nur in der Schweiz viele Menschen bewegt hat, hat der vor allem in Schweiz bekannte und geachtete Intellektuelle Jean Ziegler sein Buch „Die Lebenden und der Tod“ komplett überarbeitet und in dem rührigen Verlag Ecowin, der in den vergangenen Jahren durch viele wichtige Bücher aufhorchen ließ, noch einmal veröffentlicht. Das ist gut so, denn an der Hauptthese des Buches hat sich leider seit einem Vierteljahrhundert nichts geändert. Nach wie vor trotz wichtiger Bücher wie etwa Wolfgang Bergmanns „Sterben lernen“ oder David Serban-Schreibers „Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl“ ist der Tod das große Tabu unsere Gesellschaft. Nach wie vor ist der Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft auf seinen Wert im Konsum- und Produktionsprozess reduziert. Nur ist es gelungen, dass er noch weniger davon spürt als etwa seine Eltern oder Großeltern.

    Doch Ziegler zeigt einen Ausweg. Indem der Mensch sich seiner Endlichkeit bewusst wird, dabei ist es gleich, ob er das aus religiöser Motivation tut oder nicht, schafft er so etwas wie sein eigenes Schicksal. Er wird sich seiner „radikalen Singularität“ bewusst. Sein Leben ist einzigartig. Ein Leben, in dem kein Augenblick dem anderen gleicht und in dem auch keiner jemals zurückkehrt. Das führt zur Verantwortung dem eigenen Leben gegenüber und in der Folge auch zur sensiblen Achtung der Einzigartigkeit jedes anderen Menschenlebens.

    Und er gibt jedem seiner Leser einen Rat:
    „Um die Angst vor dem eigenen Tod wenigstens teilweise zu mindern, gibt es nur einen Weg: jeden Tag- durch Gedanken, Taten und Träume – so viel Glück für sich und die anderen, so viel Sinn zu schaffen, dass, am Ende des Lebens, dieses Leben seiner eigenen Negation so viel Sinn wie möglich entgegenzustellen vermag.“

    Wer sich vor Religion nicht fürchtet, kann diese Weisheit auch im Neuen Testament nachlesen und bei den von ihm inspirierten Mystikern aller Zeiten, Richard Rohr etwa oder Dorothee Sölle.

    Ein Buch mit diesem Thema wird in einer Gesellschaft, die sich ganz dem Durchschnitt verschrieben hat und jede Abweichung politisch korrekt sofort bekämpft, mit hoher Wahrscheinlichkeit missverstanden werden. Als undemokratische Rückkehr zur Elite, als Auslese besonders Leistungsstarker. Dabei macht der Autor Markus Hengstschläger nichts anderes, als dass er postuliert: um die noch unbekannten Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können, müssen die Menschen die einzigartigen Talente, die in jedem von uns schlummern, erkennen und fördern. Die frühen Sozialisationsinstanzen Elternhaus, Kindergarten und Schule müssen ihnen dabei helfen.
    Eine weitere Orientierung an dem durchschnittlichen Allround-Könner, der für nichts ein besonderes Talent entwickelt hat, obwohl er es gekonnt hätte und immer nur im Mittelmaß schwimmt, weil das vielleicht leichter scheint, wird uns nicht weiterbringen.

    Auf dem neusten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zeigt Markus Hengstschläger verständlich und anschaulich, dass die weitere Orientierung am Durchschnitt in eine Sackgasse führt. Jeder Mensch sollte gefördert werden in dem, was als Talent in ihm ist. Von der Norm abzuweichen mit besonderen Leistungen und Fähigkeiten darf nicht mehr diskreditiert werden.

    „Frei nach dem Motto: Gene sind nur Bleistift und Papier, aber die Geschichte schreiben wir selbst. Man muss es uns nur lassen!“ Keine Geschichte ist es nicht wert, geschrieben zu werden! Die Norm wird endlich obsolet, wenn es unser aller Ziel ist, von der Norm abzuweichen. Wir brauchen Peaks und Freaks!“

    Ich habe das als Pfarrer sehr oft erlebt in Trauerhäusern und bei Beerdigungen auf dem Friedhof. Erwachsene waren neben ihrer eigenen Trauer, die sie mit Floskeln meist wegzustecken versuchten, der Trauer ihrer Kinder und Enkel gegenüber völlig hilflos. Wenn sie nicht gleich aus dem Zimmer geschickt, bzw. erst gar nicht auf den Friedhof zur Aussegnung oder Beerdigung mitgenommen wurden, wurden sie oft mit billigem Trost abgespeist. Worte, bei denen die Kinder sofort spürten, dass die Erwachsenen sie nicht ernst meinten bzw. nicht an die Bedeutung ihrer eigenen Worte glaubten.

    Das vorliegende Buch will Eltern helfen, sich schon sozusagen im Voraus auf solche Situationen vorzubereiten, in denen Kinder mit Tod, Verlust und Trauer konfrontiert sind. Es will die Wahrnehmungen schärfen und bietet verschiedene Deutungen an. Poetische (Raupe wird Schmetterling, der kleine Prinz kehrt zurück), philosophische (die Seele ist unsterblich, der Kreis des Lebens) und vor allem christliche Deutungen sollen Eltern Unterstützung und Hilfestellungen geben, „gemeinsam mit den Kindern zu trauern und einen Weg zu finden, mit dem Verlust(neu) zu leben.“

    Ich kann das Buch empfehlen.

    Werner Skrentny, Jens Prüß, Immer erste Klasse. Die Geschichte des Hamburger SV, Verlag die Werkstatt 2011, ISBN 978-89533-823-6

    In seiner durchweg empfehlenswerten Reihe mit zum Teil schwergewichtigen und sporthistorisch ausgefeilten Werken zu einzelnen deutschen Fußballvereinen legt der Verlag Die Werkstatt hier in neuer Auflage ein Buch über den Hamburger SV vor. Obwohl der Verein in der laufenden Saison stellenweise auf den Abstiegsplätzen rangierte, wird wohl durch Trainerwechsel und die entsprechende neue Motivation auch in diesem Jahr wieder die Klasse gehalten werden können.

    Doch nicht nur das. Viele Kapitel und vor allem Bilder in diesem für jeden HSV - Fan in und außerhalb Hamburgs wichtigen Buch beschreiben Zeiten auch internationalen Erfolgs und Ruhms, an denen die gegenwärtige Vereinsführung gerne wieder anknüpfen möchte.

    Eine Menge an statistischem für jeden Fußballnarren wichtigem Material ergänzt ein gut gemachtes Buch über einen sympathischen Verein aus dem Norden.

    Das Buch eignet sich hervorragend als Geschenk für HSV Freunde.