Wytske Versteeg - Boy

  • Inhaltsangabe:
    Ich kann nicht mehr. Den Zettel mit seinen letzten Worten deponiert der schöne, stille Boy in der Manteltasche seiner Theaterlehrerin. Als sie ihn findet, ist es längst zu spät.
    Ein Paar nimmt in einem afrikanischen Kinderheim ihren Adoptivsohn in Empfang. Sie sind unsicher, aber voller Hoffnung. Sie wollen dieses Kind retten, ihm die Welt eröffnen, alle Zoos und Vergnügungsparks besuchen. Aber ihr Boy ist nervös, ängstlich, durch Kleinigkeiten zu verstören. Erst nuschelt er, dann stottert er, dann hört er ganz auf zu sprechen. In der Schule ist er ein Außenseiter, dessen Mitschüler zu seiner Geburtstagsparty nicht erscheinen. Seine Eltern bemühen sich, aber seine Höflichkeit ihnen und ihren Angeboten gegenüber verwandelt sich in Unnahbarkeit. Spätestens als er aufhört, Kind zu sein, haben sie ihn verloren. Berührend, ergreifend und ohne Voyeurismus dringt die Autorin tief in die Seelen ihrer Figuren ein, sie folgt dem Weg der Trauer, den die Eltern und die Lehrerin als seine einzige Vertrauensperson gehen, sie erspürt die Wucht der Schuld und das Bedürfnis nach Rache für eine Tat, die nicht gerächt werden kann. (Quelle: Verlagsseite)


    Die Autorin:
    Wytske Versteeg, geboren 1983, ist Politikwissenschaftlerin und Essayistin und hat sich länger mit dem Thema Obdachlosigkeit befasst. Boy ist ihr zweiter Roman. Ebenso wie ihr Debüt preisgekrönt, wurde er bereits in mehrere Sprachen übersetzt. (Quelle: Verlagsseite)



    Originaltitel: Boy
    Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt


    Mein Eindruck:
    Erster Satz: "Die Leiche kommt immer wieder hoch". sagte die Frau.

    In ihrem zweiten Roman erzählt Wytske Versteeg von dem Verlust eines Kindes.
    Boy, so hieß der 15-jährige mit afrikanischen Wurzeln, wurde von einem kinderlosen, niederländischen Ehepaar adoptiert. Seine Adoptivmutter, die Ich-Erzählerin, erfährt durch die Polizei, dass ihr Sohn tot aufgefunden wurde. Während der Ehemann nach einer Weile versucht, sich anderen Dingen zuzuwenden und seine Ehefrau aufzumuntern, taucht die Mutter, von Beruf Psychiaterin, tief ein in ihr Seelenleid. Sie sucht nach Anworten, erinnert sich, stellt Überlegungen an und besucht die Mitschüler.
    Boy war ein Außenseiter, der gerne Frauenkleider trug. Er war einsam, wurde gemobbt und war auch gegenüber den Eltern eher distanziert - immer höflich, für sein Alter schon zu höflich. Besuch von einem Mitschüler bekommt er nur, weil er ein interessantes Computerspiel besitzt. In der Familie fehlt die zwischenmenschliche Wärme, eine tiefe und innige Beziehung kann die Mutter nicht bieten. Über sich selbst sagt sie, dass sie noch nie eine enge Beziehung zu anderen Menschen aufbauen konnte. Rassismus wird nur beiläufig - zwischen den Zeilen - erwähnt; z.B. wenn andere Mütter Boy entzückt in die Locken fassen und seine Mutter sich fragt, wie die Reaktion auf Boy sein wird, wenn er beginnt, mit den Töchtern auszugehen.
    Nur einer Theaterlehrerin scheint Boy vertraut zu haben. Bei ihr in der Manteltasche findet man einen von Boy stammenden Zettel mit dem Satz "Ich kann nicht mehr". Für die Mutter wird die Lehrerin Hannah zur Verdächtigen, zumal diese kurz nach dem Vorfall nach Bulgarien reist und nun dort als Aussteigerin lebt.
    Die Mutter reist ihr nach, hat Rache- und sogar Mordgedanken. Sie wohnt bei Hannah und hilft ihr im Haus und Garten, lernt sie dabei kennen. Hannah erzählt aus ihrem Blickwinkel über ihre ehemalige Klasse und über Boy.
    In diesem Teil wechselt die Erzählperspektive, wechselt von dem "Ich" zum "Du".
    Der Roman entwickelt enorme Sogwirkung, ist beklemmend und intensiv erzählt. Wie Versteeg die Trauerarbeit der Mutter, deren Leben immer mehr vom Tod des Sohnes in Anspruch genommen wird, beschreibt, geht unter die Haut.