J. Robert Janes - Stonekiller

  • Der Autor (Verlagsinfo): J(oseph) Robert Janes wurde am 23. Mai 1935 in Toronto, Kanada, geboren. Er war Mineningenieur und Geologe und unterrichtete Mathematik an der High School. Seit 1970 ist er freier Schriftsteller und lebt in Niagara-on-the-Lake in Ontario. Er schrieb mehr als 30 Bücher, darunter Jugendkrimis, Sachbücher über Geologie und die langlaufende historische Krimireihe aus der Nazizeit mit den beiden Ermittlern Jean-Louis St.-Cyr und Hermann Kohler.


    Klappentext: In der Dordogne im Juli 1942: Die Nazis haben Frankreich besetzt und begehen Verbrechen im großen Stil. Um die "kleineren" müssen sich wieder der Franzose St.-Cyr von der Sûreté Nationale und der deutsche Gestapo-Mann Kohler kümmern. Eine tote Archäologin wird aufgefunden. Geplant ist ein Film über ihre prähistorischen Funde, der die berüchtigte Evolutionstheorie der Nazis bestätigen soll. Himmler ist begeistert, Goebbels finanziert und der Führer gibt der Sache äußerste Priorität. Nur St.-Cyr und Kohler wollen den Mörder fangen, was nicht unbedingt den Interessen der Nazi-Größen entspricht.


    Die Originalausgabe erschien 1995 unter dem englischen Titel "Stonekiller" bei Constable & Company Ltd. in London als siebenter Band (von inzwischen 16) der St.-Cyr & Kohler Mysteries. Die erste US-Ausgabe erschien 1997 bei der Soho Press in New York. Eine deutsche Übersetzung von Ralf Hlawatsch und Silvia Jettkant erschien 1999 bei DuMont in Köln als 18. Band der tollen Reihe "DuMont Noir". Diese Ausgabe umfasst 349 Seiten.


    Ein atmosphärisch sehr starker Kriminalroman aus dem besetzten Frankreich des Jahres 1942, in dem sich diverse Schlingen, Lügen, Missverständnisse und Familienmissstände aus der Vergangenheit in der düsteren Gegenwart um die Hälse der Beteiligten legen. Ein Inspektor von der Sûreté und ein Gastapo-Mann ermitteln gemeinsam im Fall eines bestialischen Mordes, der mit dem Schicksal einer Höhle verknüpft ist, in der ein Nazi-Propagandafilm über erstaunliche prähistorische Funde gedreht werden soll, die „den Endsieg“ herbeiführen könnten.


    Erzählt in einem zunächst verwirrenden Stil, der aber, wenn man sich eingelesen hat und willens ist, Vielstimmigkeit zu ertragen, doch sehr ansprechend ist: Im Umfeld der vielen Dialogpassagen werden auch stets Gedanken der sprechenden Personen notiert, die manchen Hintersinn oder manches Erschrecken über die Fragen ihres Gegenübers verraten, was innerhalb einer Szene etwas konfus wirken kann, wenn man nicht aufpasst, wer gerade denkt und spricht. Außerdem scheint es, als wechsele der Erzähler ständig: Beispielsweise wird die eine Hauptfigur manchmal in den „Erzählertexten“ St.-Cyr genannt, manchmal als „der Mann von der Sûreté“ bezeichnet oder auch einfach mit dem Vornamen Louis, je nachdem ob jemand, dem der Name des Inspektors bekannt ist, oder ein Unbeteiligter, der seinen Namen nicht kennt, oder eben auch sein Partner in der Szene mit ihm zu tun hat oder mit ihm spricht. Auch gibt es sehr wenige verbindende Zwischentexte, so dass sich die Handlung zum großen Teil aus Sicht der Figuren voranbewegt. Auch das ist manchmal verwirrend, unternimmt der Roman so doch einige Sprünge, die immer sinnvoll sind, aber, wenn sie nicht mit einleitenden Worten angekündigt werden, trotz allem überraschen. Allerdings spart man sich so auch langweilige Füllsel. :thumleft: Ein Stil, der wirklich einmal „filmisch“ ist (auch wenn der Normalleser, der dieses Attribut so gerne lobend verwendet, immer etwas anderes meint, nämlich - eigentlich im Gegensatz zum Filmischen - immer einen dicht „zugetexteten“ Beschreibestil.)


    Wer es schafft, in diesen knappen, sprunghaften, unkomfortablen Stil einzutauchen, den lässt der Roman kaum los. Er nimmt einige Geschwindigkeit auf und enwickelt auch große Spannung. Die Umstände sind obendrein einigermaßen gefährlich und bedrohlich, lauern doch am Rande der Ermittlung immer irgendwelche Nazi-Sonderkommandos, die fern jeder Rechtsstaatlichkeit das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen bereit sind, bzw. deren Erscheinen von denjenigen, die in Wirklichkeit die Entscheidungsgewalt in den Händen halten - den Reichen, Günstlingen, Unmenschlichen -, herbeigerufen werden, wenn St.-Cyr und Kohler der Wahrheit zu nahe kommen. Die Kriminalbeamte und die Strafverfolgungsbehörden sind insofern ganz kleine Lichter, wenn es „um das Heil des Staates“ geht und Hintermänner geschützt und Verbrechen vertuscht werden sollen. Und so schwebt das Fallbeil gerade über den beiden sturen, überhaupt nicht korrupten Hauptfiguren, die sehr auf Gerechtigkeit bedacht sind und niemals ihre Ermittlung zu den Akten legen würden, um einflussreiche Beteiligte nicht vor den Kopf zu stoßen oder gar eines Verbrechens zu überführen.


    Nur das Wissen darüber, dass nach diesem Roman noch weitere Teile der langlaufenden Krimiserie erschienen sind, gibt einem Leser während der Lektüre die Gewissheit, dass die Hauptfiguren die Geschichte auch tatsächlich überleben werden. Nur um ihre physische und psychische Verfassung muss man sich kräftig Sorgen machen... :-,


    Obwohl ich den Roman als sehr spannend empfunden habe, er interessant erzählt ist und atmosphärisch äußerst dicht daherkommt, gebe ich „nur“ dreieinhalb Sterne, da er im Grunde nichts anderes ist als ein klassischer Whodunit, der vor allem am langsamen Enthüllen der Zusammenhänge der Tat interessiert ist. Und diese Zusammenhänge sind, ist der Roman erst einmal ausgelesen, auch schnell vergessen. Zurückbleiben einige düstere, drastische und eindrückliche Szenen mit viel Herumgeschreie, menschlichem Elend und Gewalttätigkeiten, sowie zwei eigenwillige Hauptfiguren - ein französischer Patriot und ein im Grunde sympathischer Gestapo-Kommissar (der als „Held“ besetzt ja auch nicht ganz uninteressant ist), die erstaunlich gut miteinander harmonieren – und auch nicht vor blutiger Rache zurückschrecken, wenn sie dadurch ihren Hals retten können.


    Und wenn der Roman auf den ersten Blick erstaunlich wenig „noir“ erscheint, eher wie ein normaler Krimi in "schlimmen Zeiten", ist er es eben bei genauerer Betrachtung doch, da den ganzen Fall das starke Interesse am Schicksal und den Charakteren der Figuren durchzieht, die Überführung der Täter keine wahre Linderung liefert und das Wertesystem der Gesellschaft so verkommen ist, dass es für keinen aufrechten Menschenfreund als Maßstab oder Schutzraum gelten kann. Es gibt nichts, woran man glauben kann. Der Einzelne wird zerrieben. Ihm bleibt nur, mit Würde seine Haut zu retten. Am Ende wirklich triumphieren werden wieder nur die Speichellecker und Systemtreuen.

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Das englische Original braucht nur 261 Seiten in dieser Ausgabe bei der "Soho Press" in New York aus dem Jahr 2001.

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)


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