Lorenz Völker - War mein Großvater ein Nazi?

  • Einfach bemerkenswert!


    Als die Entnazifizierungsakte des Großvater von Lorenz Völker auftaucht, versetzte dies seine Mutter und ihn in Aufregung. Schon bald kam die Frage auf, ob Hans Dombois, welcher als Jurist im Dritten Reich arbeitete, ein „Mitläufer“ oder gar ein „Nazi“ war. Gerade Fotografien, auf denen er in SA-Uniform zu sehen war, oder eine Kopie seiner NSDAP-Mitgliedskarte ließen annehmen, dass er doch besser in das System integriert war, als seine Familie angenommen hatte.
    Doch hatte der „kluge Hans“, wie er manchmal genannt wurde, nie etwas in der Richtung erzählt. So erinnert sich der Autor des Buches an seinen Großvater als einen warmen, herzlichen Erzähler und Zuhörer, einen sanften und gemütlichen Menschen, als jemanden mit einem sehr guten Gedächtnis und der Fähigkeit, zu reflektieren und der völlig in seine Briefmarken vertieft am Schreibtisch sitzen konnte. Aber hier war die Frage bereits aufgekommen, die Recherchen wurden aufgenommen.
    Von da an macht sich Lorenz Völker auf die Suche nach Dokumenten, die zeigen könnten, was sein Großvater im Dritten Reich gemacht, wie er sich gegenüber dem System verhalten hat. Da die Entnazifizierungsakte auch eher keine Hilfe darstellt, weil sich Hans Dombois dort einwandsfrei als „Mitläufer“ dargestellt hat und einige Details weitere Fragen aufwerfen, startet der Autor eine Suche nach Personen, die (in Strafsache „3Kls 26/35“ verwickelt waren und) Auskunft zu den Entscheidungen und Taten als Jurist geben könnten. Jedoch leben immer weniger Zeitzeugen und eine vermeindliche Antwort wirft immer mehrere neue Fragen auf.
    Dadurch, dass sich Lorenz Völker auch mit den Schicksalen von an Strafprozessen Beteiligten auseinandersetzt, erhält man als Leser einen viel detailierteren Blick auf den Staatsanwalt, der sich nicht nur aus seinen eigenen Erlebnisberichten zusammensetzt. So zeichnet der Autor beispielsweise das Leben eines jüdischen Pärchens, auf das er in der oben genannte Strafsache gestoßen war, so gut es geht nach, um nicht nur Fakten herunter zu schreiben, sondern Ereignisse auch mit Menschen und Schicksalen verknüpfen kann.
    Auch dadurch, dass Völker den Lebensweg von Alfred Lehmann, der, ein Jahr jünger, ebenfalls Jurist und aus vergleichbaren familiären und gesellschaftlichen Verhältnissen stammend, so etwas wie Hans Dombois‘ „Alter Ego“ war, erhält man noch einmal einen anderen Blickwinkel. Denn auch wenn sich ihre Lebenswege zu Beginn sehr ähneln, sich sogar kurz bei einem Gerichtsverfahren – beide die jeweils andere Seite vertretend – kreuzen, verlaufen sie dann in zwei vollkommen unterschiedliche Richtungen: Während Dombois noch einige Jahrzehnte weiterleben wird, stirbt Lehmann kurz vor seinem 31. Geburtstag im Konzentrationslager Groß-Rosen.


    So zeigt Lorenz Völker anhand einer Vielzahl von Quellen den Lebensweg seines Großvaters Hans Dombois auf. Dabei hat er einiges über das Leben und Wirken des damals jungen Juristen herausgefunden, kann jedoch keine eindeutige Antwort geben, sodass er aus verschiedenen Perspektiven betrachtet verschiedene Schlussfolgerungen erläutert.
    Während der gesamten Lesezeit war ich von dem Umfang seiner Recherchen, der Objektivität und Sachlichkeit sowie der zeitweise persönlichen Einordnung sehr angetan. Es ist schier unglaublich, wie viel Arbeit Lorenz Völker in seine Recherchen gesteckt und wie viele Spuren er gefunden hat.
    Außerdem wird einem beim Lesen durch Fotografien und das Einbeziehen einiger von den Taten des Staatsanwaltes beeinflussten Menschen bewusst, dass es sich hier nicht nur um Zahlen, sondern um Schicksale handelt, was meines Erachtens ein sehr wichtiger Aspekt dieses Buches ist.
    Darüber hinaus ermutigt das Buch, sich selber auf Spurensuche zu begeben und zeigt durch das Beschreiben der Verschiedenen Anlaufstellen und Schritten im Zuge der Recherchen, wie man eine solche angehen könnte.
    Deswegen kann ich das Buch sehr empfehlen!


    Von mir gibt es daher 5/5 Sterne