Robert Scheer - Pici - Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück (Nahaufnahmen)

  • Inhaltsangabe:



    2014 reiste der Autor Robert Scheer nach Israel. Seine Großmutter Elisabeth Scheer, genannt Pici, feierte ihren 90.ten Geburtstag. Und Robert Scheer bat seine Großmutter, dass sie ihm ihre Geschichte erzählt.


    Elisabeth Scheer, geborene Meisels, wuchs in der rumänischen Stadt Carei auf. Mit ihren Eltern, drei älteren Schwestern und einem jüngeren Buder lebte sie in einem zwei-Zimmer-Haus, welches sie zeitweise sogar mit acht Personen bewohnten, als die Großmutter pflegebedürftig wurde.


    Trotz der Enge erfuhr Elisabeth liebevolle Zuwendung und einen großen Zusammenhalt in der weit verzweigten Familie. Dies jedoch schützte sie nicht vor dem NS-Regime. Ein Jahr lang erlebte sie die Hölle auf Erden und überlebte als Einzige in der ganzen Familie den Holocaust.


    Mein Fazit:



    Als erstes möchte ich mich bei dem Autor und bei dem Verlag Marta Press für das Rezensions-Exemplar bedanken.


    Elisabeth Scheer erzählt von ihrem segensreichen Leben als Kind und Jugendliche. Ihre Familie zeichnete sich durch großen Zusammenhalt aus. Die vielen verwandtschaftlichen Verzweigungen verwirrten mich zuweilen, störte mich aber nicht weiter. Ihre Eltern erzogen die Kinder zur Nächstenliebe, Fleiß und mit Bildung, soweit das Familieneinkommen reichte. Wer schon arbeitete, trug zum Familieneinkommen bei. Die Mutter war Hausfrau und gab sich alle Mühe, ihren Töchtern alles beizubringen, was den jüdischen Traditionen entsprach. Dem Vater war der Samstag heilig, dass sogar Arbeitsstellen hinten anstehen mussten.


    Pici wurde auch schon früh mit dem unterschwelligen Judenhass konfrontiert. Der Vater pflegte als Holzhändler stets freundschaftliche Verbindungen, und doch konnte man es nicht verhindern, dass die Meisels alles durch die Judengesetze verloren, die auch in Rumänien Einzug hielten. Schließlich, 1944, kamen sie erst ins Ghetto, dann in verschiedene KZ’s. Picis Erinnerungen an diese Zeit ließen mich als Leserin den Atem anhalten. Schnörkellos, und doch eindringlich erzählte sie von dem Jahr, das für die Hölle auf Erden war. Die Eltern wurden gleich ermordet, mit ihren drei Geschwistern kann sie noch eine Weile zusammen bleiben, was ihr durchaus Trost und Halt war. Doch der Hunger, Verwahrlosung, Krankheiten, Gewalt und Tod forderten ihren Tribut. Sie konnte als eine der wenigen schließlich im Mai 1945 durch die russische Armee befreit werden.


    Die Geschichte ringt mir als Leserin Demut ab. Ich als Deutsche empfinde die Geschehnisse aus der NS-Zeit als einen Teil meiner Geschichte, auch wenn ich und meine Eltern nichts dafür können. Aber wir müssen dazu stehen und ich kann bei solchen Geschichten nur beschämt und wortlos entschuldigend den Hut ziehen. Wie konnte Elisabeth Meisels diese Zeit nur überleben und danach noch so viel Hoffnung und Liebe in sich tragen? Wie kann man da nicht verbittern oder gar daran zerbrechen. Picis Geschichte steht für Millionen (wohl ungeschriebenen) Geschichten, aber sie ist lesens- und beachtenswert.


    Der Verlag hat sich indes bemüht, die Geschichte um Elisabeth Meisels und ihre Geschichte zu belegen und tatsächlich fanden sich noch Unterlagen in verschiedenen Archiven, die die bewegende Geschichte bestätigen. Die Unterlagen sind in dem Buch als Abbildungen integriert.


    Fünf Sterne für dieses Kleinod der Zeitgeschichte. Dieses Kapitel sollte niemals in Vergessenheit geraten und so etwas sollte auch nie wieder passieren! Egal, welcher Bevölkerungsgruppe man angehört oder welche Religion man ausübt, so etwas darf einfach nie wieder geschehen, an keinem Ort der Welt.

  • So beeindruckend, dass mir die Worte fehlen!


    2014 besucht Robert Scheer seine neunzigjährige Großmutter Elisabeth, genannt Pici, "die Kleine", in Israel, um seine wohlmöglich letzte Chance, etwas über ihre Vergangenheit zu erfahren, wahrzunehmen. So erfährt er von der Lage der Juden, die sich in der 1940er Jahren in Ungarn zunehmend verschlechterte.
    Sehr detailreich erzählt sie von ihrer Kindheit und Jugend, davon, wie schwierig es für das intelligente Mädchen war, Bildung zu erhalten, von ihren Verwandten, wie Juden immer mehr ausgegrenzt und diskriminiert wurden, Erfahrungen in Ghettos und Konzentrationslagern, Judengesetzen und vielem mehr.
    So erhält der Leser einen sehr tiefen Einblick in die Erlebnisse einer Holocaust-Überlebenden, die im Holocaust ihre ganze Familie verloren hat.
    Dadurch, dass der Leser direkt an dem Gespräch zwischen Pici und ihrem Enkel teilhaben kann, ist man dem Erzählten sehr nahe. Darüber hinaus spürt man beim Lesen die tiefe Verbindung der beiden, was sehr beeindruckt. Man merkt außerdem immer wieder, wie schwer es Pici, besonders im zweiten Teil des Buches, fällt, über ihre Erlebnisse zu sprechen, manchmal kommt sie ins Stocken oder hat Erinnerungen verdrängt. Besonders solche Passagen haben mich erschüttert...
    Manchmal springen ihre Gedanken auch, was zunächst verwirrend, dann aber auch wieder sehr eindrucksvoll ist. Ich bin beeindruckt von ihrem guten Gedächtnis und der Offenheit, mit der sie ihre Geschichte erzählt. Robert Scheer stellt ihr dabei immer an geeigneter Stelle ein Frage, hakt nach oder motiviert seine Großmutter zum Fortfahren, sodass man sich immer gut durch das Gespräch geführt fühlt.
    Gerade diese emotionale Komponente ist etwas, das vielen Büchern zu dem hier behandelten Thema fehlt; oft werden Fakten genannt, Schicksale angerissen, aber kaum Zeitzeugen über ihre Gefühle gefragt.
    Sehr gelungen sind auch die vielen Fotos, die eingestreut werden, sodass man zu den Schicksalen auch Gesichter im Kopf hat oder sich unmenschliche Gräueltaten besser vor Augen führen kann. Bildunterschriften wie "Nicht arbeitsfähiges "Menschenmaterial", wie alte Menschen, Kinder, Schwangere, Behinderte wurden an der Rampe selektiert und auf den Weg in das Todeslager Auschwitz-Birkenau geschickt." (S.129), Deportationslisten oder Ähnliches bedrücken zutiefst und vermitteln ein Gefühl des Grauens. Im Anhang finden sich viele zusätzliche Informationen, die Picis Erzählungen stützen und Glaubwürdigkeit verstärken sollen.


    Ich bin von diesem Werk schwer beeindruckt. Lange wusste ich nicht, was ich zu diesem Buch schreiben sollte, denn wie soll man angesichts solcher Erlebnisse die richtigen Worte finden? Auch nun werde ich das Gefühl nicht los, dem Buch nicht gerecht geworden zu sein, weswegen es mir nur übrig bleibt, jedem, der sich über den Holocaust informieren möchte, dieses Buch zu empfehlen. Sehr nahegehend, eindrucksvoll und informativ wird man durch das Leben einer durch die Jahre sehr weisen und gebildeten Frau geführt.


    Von mir gibt es daher 5 Sterne und große Anerkennung.