Hwang Sok-yong - Die Geschichte des Herrn Han / Hanssiyeondaegi

  • Autor: Hwang Sok-yong
    Titel: Die Geschichte des Herrn Han, aus dem Koreanischen übersetzt von Oh Dong-sik, Khang Seung-hee und Torsten Zaiak
    Originaltitel: Hanssiyeondaegi / 한씨연대기, erstmals 1970 als Fortsetzungsroman im Feuilleton veröffentlicht, 1972 dann in Buchform
    Seiten: 126 Seiten, plus 9 Seiten Nachwort
    Verlag: dtv
    ISBN: 9783423244886


    Der Autor: (Klappentext)
    Hwang Sok-yong, geboren 1943 in Zhangchun in der Mandschurei, gilt als der bekannteste und wichtigste zeitgenössische Autor Südkoreas. Sein umfangreiches Werk ist beeinflusst von der bewegten politischen Geschichte des Landes und wurde mehrfach ausgezeichnet. In den 90er Jahren wurde er selbst wegen einer Reise nach Nordkorea zu sieben Jahren Haft verurteilt, und so sind seine Figuren meist Opfer von Unterdrückung, Gewalt und Verfolgung. Er lebt zurzeit in London.


    Inhalt: (Klappentext)
    In einem Mehrfamilienhaus in Seoul stirbt im Jahr 1968 ein alter Mann, einsam und verarmt. Die Nachbarn, die in kaum kannten, weil er, der Nordkoreaner, Ihnen suspekt war, streiten sich um das freigewordene Zimmer. Wer aber war dieser Herr Han?
    Han Yongdok arbeitet als Professor für Gynäkologie am Universitätskrankenhaus in Pjöngjang, als 1950 der Koreakrieg ausbricht. Weil die Partei ihm misstraut, wird er nicht an die Front geschickt, sondern der für die politischen Kader reservierten Sonderstation des Krankenhauses zugeteilt. Als er gegen die Vorschriften verstösst, wird er zum Tode verurteilt. Wie durch ein Wunder überlebt Han die Erschiessung und flieht nach Südkorea und in die vermeintliche Freiheit. Frau und Kinder hofft er nachholen zu können, doch schnell stellt sich heraus, dass die politischen Verhältnisse dies nicht mehr zu lassen. In Seoul trifft Han seine Schwester wieder und versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Vergeblich auf Arbeitssuche, begeht er schliesslich einen folgenschweren Fehler und gerät in einen Teufelskreis aus Habgier und immer tiefer werdender Entfremdung zwischen Nord- und Südkoreanern. Er, der Unpolitische, wird als nordkoreanischer Spitzel denunziert und landet in den Folterkellern des Geheimdienstes. Einzig seine Schwester und ein alter Freund aus Pjöngjang setzen sich für ihn ein.
    In ganz Korea gilt diese intensiv erzählte, beispielhafte Chronik über die psychologischen Folgen der Teilung als wichtigster Prosatext zur Tragödie des Landes im 20. Jahrhundert.


    Meinung:
    Anhand der ergreifenden Geschichte eines parteilosen Menschen, der stets nach seinem Gewissen handelt und dabei etwas naiv Entscheidungen trifft, beschreibt Sok-yong die Chronik seines geteilten Landes. Erfreulicherweise gelingt das ohne Pathos, längere Erklärungen und Analysen. Es gibt auch nicht den bösen Norden, fanatische Kommunisten, oder sonstige Schwarz-Weiss Malerei. Ohne allzu sehr zu politisieren, hat man den Eindruck, dass die Mehrheit der Koreaner eher "Opfer" der Grossmächte (Amerikaner und Sowjetrussen) werden und der Koreakrieg und infolge dessen, die Teilung am 38. Breitengrad, eher durch die Weltpolitik geschieht als durch politische Überzeugung der Bevölkerung. Die Menschen, egal wo sie wohnen, müssen sich in dem Konflikt zurecht finden. Einige arbeiten mit den Besatzern zusammen, Einige werden zu Denunzianten, Einige flüchten freiwillig, Einige werden hingerichtet, usw. Das Schlimme ist die rasche Entfremdung zwischen den Menschen im Norden und denen im Süden. Plötzlich ist das Land geteilt, Familien werden für immer getrennt, man verdächtigt sich gegenseitig der Spionage. In dieses Umfeld platziert der Autor seinen Helden, der sozusagen die Welt und seine Mitmenschen nicht mehr versteht und irgendwann resigniert.
    Eine ganz hervorragende Erzählung, die auf wenigen Seiten ein wichtiges Kapitel der Weltgeschichte im 20. Jahrhundert umreisst. Dabei benötigt man gar nicht mal wesentliche Kenntnisse der koreanischen Historie, das aufschlussreiche Nachwort hilft aber zum besseren Verständnis. Hier wird nochmals der geschichtliche Kontext erklärt, sowie die Bemühungen des Autors, das Land wenigstens kulturell wieder zusammen zu bringen. Wobei er dafür auch selbst Opfer bringt: da er 1989 nach Pjönjang reiste, um Südkorea auf einem Künstlerkongress zu vertreten, wurde er nach der Heimkehr zu sieben Jahre Gefängnis verurteilt!
    Von mir jedenfalls eine ausdrückliche Empfehlung an Alle, die sich mal mit der Literatur aus einem anderen Kulturkreis beschäftigen möchten und auch an geschichtlichen Vorfällen interessiert sind.