Morris L. West - In den Schuhen des Fischers / The Shoes of the Fisherman

  • Klappentext:
    Ein neuer Papst wird gewählt: Kyrill Lakota, der erste Russe auf Petri Stuhl. Der Mann mit der Narbe im Gesicht, die aus seiner langen Haftzeit in sibirischen Lagern stammt. "Der Papst aus der Steppe", der der Welt und der Kirche gleichermaßen Rätsel aufgibt. Ist dieser Papst ein Märtyrer, ein Begnadeter oder lediglich ein naiver, weltfremder Träumer? Wird er ein starker Papst sein oder ein unzulänglicher und schwacher, ein zorniger oder ein versöhnlicher? Eines wird jedenfalls bald deutlich: Er ist ein Mann der Reformen; ein Mensch, in dem sich Urchristliches und sehr Modernes mischen.
    Die New York Herald Tribune schrieb hymnisch über diesen Roman von Morris L. West: "Dies ist eine kühne und erregende Dichtung, das geistige Drama eines Mannes in seiner Beziehung zu Gott, das gleichzeitig die wichtigsten Probleme der heutigen Welt umschließt, geschrieben mit seherischem Weitblick.
    " (Amazon)


    Zum Autor:
    Morris L. West, geboren 1916 in St. Kilda, Australien, war nach kurzer Zeit in einem Orden, den er nach einigen Jahren verließ, und Tätigkeiten als Lehrer und Soldat u.a. Korrespondent der Daily Mail in Rom. Viele seiner 27 Romane drehen sich um ethisch-religiöse Konflikte und politisch brisante Situationen sowie die Rolle der Katholischen Kirche. Einige seiner Werke wurden erfolgreich verfilmt. West starb 1999 in Sydney. (Informationen von Wikipedia)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: The Shoes of the Fisherman
    Erstmals erschienen 1963
    Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Wiese
    Aus der Position des unbeteiligten Beobachters erzählt mit Einschüben aus dem Tagebuch Kyrills
    Seitenzahl abhängig von der Ausgabe (260-380)


    Persönliche Meinung:
    1963, im Jahr der Veröffentlichung dieses Buches, starb Papst Johannes XXIII., der das Zweite Vatikanische Konzil einberufen hatte, dessen Beschlüsse die katholische Kirche von Grund auf reformieren sollten. Hätte man sie konsequent umgesetzt statt Rückschritte zu machen, hätte es gelingen können.
    Man muss sich also in eine Zeit vor 50 Jahren zurück versetzen, um die Brisanz dieses Buches zu verstehen. Dass der Papst beabsichtigt, eine Reise zu machen („nur“ nach Frankreich), führt zu Tumulten unter den Kardinälen. Die Missionierungen dienten in erster Linie dazu, in afrikanischen und asiatischen Ländern neue Katholiken zu gewinnen; soziale Verbesserungen waren zweirangig. Auch die politische Arbeit im Vatikan hatte im Geheimen ohne Öffentlichkeit statt zu finden. Ein Papst hatte bis zu seinem Tod hinter den Mauern des Vatikanpalastes zu leben, nur unterbrochen von seinem Sommerurlaub in Castel Gandolfo, und in Italien wurde Scheidung noch strafrechtlich geahndet. Erst wenn man sich die historische Situation in Rom und in der katholischen Kirche Anfang der 1960er Jahre bewusst macht, ist der Wert des Buches zu erkennen.


    Allein die Idee, einen „Ausländer“, heißt: Nicht-Italiener, auf den Papstthron zu setzen, kommt einer Revolution gleich – seit 500 Jahren gab es dies nicht mehr. Und dann noch einen Slawen! – Man könnte annehmen, West zeige prophetische Gaben, denn tatsächlich wurde als erster Nicht-Italiener der Pole Karol Woityla 1978 zum Papst gewählt, ein Slawe also. –


    Ob man die innige Gottesbeziehung Kyrills nachvollziehen kann oder nicht, sie ist auf jeden Fall glaubwürdig dargestellt und fügt sich vollkommen in die Figur ein. (Er wird übrigens immer Kyrill I. genannt, aber wir heute wissen dank Franziskus, dass der erste Träger eines neuen Papstnamens keine Nummer bekommt.)


    Tragischste Figur ist der Jesuit und Gelehrte Telemond: Seine Thesen über die Schöpfung, die heute kein Theologe anzweifeln würde, werden von der Glaubenskongregation nicht anerkannt, so dass ihnen die Imprimatur verweigert wird. Wie er wider besseres Wissen verzweifelt um Gehorsam kämpft – als Pater hat er seinem Ordensoberen und der Kirche Gehorsam gelobt – gehört zu den eindrucksvollsten Szenen, und man wünschte ihm, er wäre später geboren.


    Ränke und Intrigen, die es im Zentrum der Kirche gab, gibt und immer geben wird (wie in allen Zentren, wo Macht sich ballt), lässt West außen vor. Nicht jeder ist sympathisch, aber jeder bemüht sich.


    Der Film weicht in etlichen Strängen vom Buch ab. Die Bekämpfung der Armut mit den Mitteln der kirchlichen Reichtümer und die soziale Frage stellen sich im Buch eher als Randerscheinungen dar, die dem Papst zwar Kummer und schlaflose Nächte bereiten, aber nicht offen bekämpft werden. Auch treffen Kamenew und Papst Kyrill nicht aufeinander, sondern schreiben sich Briefe, die per persönlichem Kurier überbracht werden.


    Das Buch liest sich interessant für jemanden, der die Entwicklung der Kirche in den letzten 50 Jahren verfolgt, weil man Vergleiche ziehen kann zwischen dem, was West als fortschrittlich oder revolutionär beschreibt und dem, was heute ist. Einiges wurde von der Geschichte längst überholt, anderes wirkt als Utopie weiter.



    (Wenn Autoren ihre Bücher Ehefrauen, -männern, Kindern oder Freunden widmen können, müsste ein Rezensent seine Rezension doch eigentlich auch widmen können. :-k )
    Also: Für @Squirrel :friends:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke für die tolle Rezension, Marie. Ich muss das Buch unbedingt noch einmal lesen, ich hab wohl doch einiges wieder vergessen bzw. mit den Erinnerungen an den Film vermischt.


    müsste ein Rezensent seine Rezension doch eigentlich auch widmen können.

    :uups:

    Man könnte annehmen, West zeige prophetische Gaben, denn tatsächlich wurde als erster Nicht-Italiener der Pole Karol Woityla 1978 zum Papst gewählt, ein Slawe also. –

    Das habe ich allerdings auch gedacht als ich das Buch zum ersten Mal las - Woityla war damals schon Papst. Mir war das fast unheimlich auch wenn es natürlich zeitlich so weit auseinander liegt, dass West nicht mal ahnen konnte, Teile seines Romans könnten einmal Wirklichkeit werden.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Vielen Dank für die Rezension. Ich kannte bis her nur den Film, bin jetzt aber auch geneigt, mich mit dem Buch zu beschäftigen.

    es lohnt sich :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Danke @Marie, bin durch die BT-Leserlieblinge zufällig hier gelandet. Toll, dass ich an dieses wirklich lesenswerte Buch wieder erinnert wurde. Mein Exemplar stammt aus dem Jahr 1970 und ich werde es gewiss in nächster Zeit mal wieder in die Hand nehmen und lesen.