Erri de Luca - Ich bin da / Montedidio

  • Erri de Luca - Ich bin da
    OT: Montedidio



    Inhalt: Ein dreizehnjähriger Neapolitaner erzählt in der Ich-Form von seinem Leben im Viertel Montedidio in den 60er Jahren. Gerade ist er aus der Schule genommen und zu Meister Errico dem Schreiner als Werkstattgehilfe gegeben worden. Die Arbeit macht ihm Spaß und die Unterhaltung mit dem ebenfalls dort arbeitenden Schuster Don Rafaniello noch mehr. Dieser ist im Krieg aus seiner Heimat geflohen, da er Jude ist und auf dem Weg nach Jersualem in Neapel "hängengeblieben".
    Wir begleiten den Ich-Erzähler auf einem Stück seines Weges zum Erwachsenen, die äußeren Umstände zwingen ihn, diese Verwandlung schnell zu vollziehen, die erste große Liebe zu Maria ist ihm dabei eine große Stütze. Sein "Bumeran", etwas zwischen Spielzeug und Waffe, zwischen Kind und Mann, dient ihm seine Muskeln zu trainieren, wenn er ihn auch in der Enge der Gassen nicht fliegen lassen kann. Doch er plant ihn in der Neujahrsnacht von der Dachterrasse fliegen zu lassen, zusammen mit Don Rafaniello, der dann mit seinen neuentstandenen Flügeln sich auf nach Jerusalem machen will.


    Meine Meinung: "Der Tag ist ein Biss" pflegt Meister Errico zu sagen, das Buch ist (leider) auch nur ein kurzer Biss von etwas über 100 Seiten. Trotzdem ging es mir gerade beim Schreiben der Inhaltsangabe so, dass ich gerne mehr erzählt hätte von Rafaniello, Maria, dem Hausmeister und allen. De Luca schafft es auf den weniger Seiten ein klares Bild seiner Charaktere und ihrer Umgebung zu schaffen, das Buch strömt süditalienisches Flair auf jeder Seite aus. Auch trifft er den noch halb kindlichen Ton seines Ich-Erzählers gut. Im italienischen Original gibt es einige Stellen in neapolitanisch, die der Übersetzer stehen gelassen hat (mit nachgeschobener Übersetzung), das fand ich schön, weil mir so der Unterschied zum Italienisch klar geworden ist, der immer wieder erwähnt wird.
    Zu Kritisieren habe ich lediglich, dass er seine Geschichte etwas mit Symbolik überfrachtet und ich den Teil mit Rafaniellos Flügeln nicht unbedingt geglückt fand.
    Eine leises und berührendes Buch, das mir einen schönen Lesenachmittag verschafft hat.


    P.S. Danke an Tomfleo, der mich auf den Autor aufmerksam machte.


    Katia

  • Nach dem großen und verdienten Erfolg seines wunderbaren Buches „Das Gewicht des Schmetterlings“ legt der Graf Verlag ein weiteres schönes Buch des Neapolitaners Erri de Luca vor, das unter dem Titel „Ich bin da“ in der gleichen Übersetzung von Annette Kopetzki schon 2004 – wenig von der Kritik beachtet – bei Rowohlt erschien.


    Es steht zu hoffen, dass mit neuem Titel und der Reputation durch das letzte Buch dem Roman „Montedidio“ mehr Erfolg beschieden ist.
    Ein jugendlicher Ich-Erzähler, der mit Sicherheit auch autobiographische Züge von Erri de Luca trägt erzählt seine im Jahr 1960/1961 spielende Geschichte.


    13 Jahre ist er alt und während seiner Erzählungen macht er erstaunliche Erfahrung der Reifung: „Im Frühling war ich noch ein Kind, und jetzt stecke ich mitten in ernsten Dingen, die noch nicht verstehe.“


    Er arbeitet als Tischlergeselle in der Werkstatt von Meister Errico, einem guten und erfolgreichen Handwerker, der sich die Werkstatt teilt mit dem Schuster Don Rafaniello. Der trägt einen Buckel, in dem angeblich Flügel verborgen sind. Mit ihnen will er irgendwann in die Heilige Stadt Jerusalem fliegen. Besonders von Rafaniellos Erzählungen lernt der Erzähler eine Menge, auch seine Leidenschaft für das Fliegen wird befördert. Die lebt er abends auf dem Dach mit dem Bumerang aus, den er von seinem Vater geschenkt bekam, und den er irgendwann fliegen lassen wird. In zarten Andeutungen wird klar, dass Rafaniello ein Überlebender des Holocaust ist, der ähnlich wie Primo Levi nach einer langen Odyssee wieder in Italien gelandet ist, und nur darauf wartet, endlich nach Israel auswandern zu können.


    Und da ist noch Maria, die in dem gleichen Haus wohnt und zu der der Erzähler eine zarte Liebesbande knüpft. Auf eine stille, stellenweise poetische, traurige und auch lustige, immer jedoch nachdenkliche Weise hat Erri de Luca die Geschichte eines schwierigen Weges aus der Kindheit hin zum Erwachsensein beschrieben. Die jeweils kurzen Abschnitte, in das Buch aufgeteilt ist, bestehen aus meist kurzen Sätzen von großer Einfachheit.


    Sie wechseln zwischen Traum und Wirklichkeit, berichten von magischen als auch von sehr realistischen Dingen. Immer wieder wird das Besondere an der neapolitanischen Sprache betont und mit Beispielen illustriert.


    Der Junge träumt von dem einen großen Wurf mit seinem Bumerang, der sein ganzes Leben symbolisiert: „Eines Abends wird der Arm stark sein, und ich werde ihn nicht zurückhalten können, und dann wird der Bumerang fliegen.“


    Ein wunderbares zartes und poetisches Buch, das seinen Leser immer mehr in seinen zauberhaften Bann zieht.