Donna Tartt - Der kleine Freund/ The Little Friend

  • oh bitte gerne geschehen. Dann hoffe ich mal, daß es Dir ebensogut gefällt wie mir. Ich bin für eine ganze Weile vollkommen abgetaucht.

    Tja, jetzt hat es doch noch über ein Jahr gedauert, bis ich das Buch in Angriff genommen habe. Nun habe ich es fertig gelesen. Und ja, es hat mir sehr gut gefallen. Du hast Recht, @Lesebuch, man darf nicht mit falschen Erwartungen an das Buch gehen und etwa einen Krimi erwarten. Die Geschichte wurde wieder einmal meisterhaft erzählt. Donna Tartts drei Bücher sind völlig unterschiedlich und doch verbindet sie diese bildhafte Sprache. Fein! Und noch etwas verbindet die Bücher: Drogen! Darauf reitet die Autorin gerne und ausführlich herum. :roll:


    Leider war das eBook wieder (wie ich schon bei Die geheime Geschichte bemerken musste – das aber zwischenzeitlich überarbeitet wurde) extrem schlampig umgesetzt. Viele "Tippfehler", die vermutlich beim Übertragen der anscheinend nicht-digitalen Vorlage zustande kamen. Auch ist bisweilen von der Familie Ratcliff, meist aber von Radliff, die Rede, wobei ich davon ausgehe, dass letzteres richtig ist.

  • Und noch etwas verbindet die Bücher: Drogen! Darauf reitet die Autorin gerne und ausführlich herum.

    Damit ist es wohl entschieden, dass ich dieses Buch nie entsubben, sondern eher entsorgen werde. Diese ganze Drogenthematik geht mir mächtig auf den Geist.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Nun habe ich es fertig gelesen. Und ja, es hat mir sehr gut gefallen. Du hast Recht, @Lesebuch, man darf nicht mit falschen Erwartungen an das Buch gehen und etwa einen Krimi erwarten. Die Geschichte wurde wieder einmal meisterhaft erzählt. Donna Tartts drei Bücher sind völlig unterschiedlich und doch verbindet sie diese bildhafte Sprache. Fein! Und noch etwas verbindet die Bücher: Drogen!

    Das freut mich für Dich, jetzt weißt Du erst, was Dir entgangen wäre, wenn Du es nicht gelesen hättest! :wink:


    @€nigma, es sind nicht alle Bücher für jeden. Das ist auch gut so. Sonst würden wir ja alle das gleiche lesen. Alkohol und Drogen kommen aber auch beim Distelfink vor. Wenn Dich das so sehr stört, dann wirst Du den Distelfink wohl auch gleich mitentsorgen müssen... Donna Tartt beschreibt Dinge, die in gewissen Gruppierungen wahrscheinlich nun einmal so sind und dazugehören. Da gibts nichts zu beschönigen.
    Ich persönlich mag z.B. keine ausufernden Sex-oder Gewaltszenen, auch Tierquälerei ist mir verhasst und ich wäre um entsprechende Hinweise froh, damit ich einen Bogen um die betreffenden Bücher machen kann.
    :ergeben:

    “Bücher sind Feunde, die stets für uns Zeit haben.“
    “Und Phantasie, Phantasie vor allem, ohne deren Hilfe sich keine Probleme lösen lassen, die kleinen nicht und die großen erst recht nicht.“

    Otfried Preußler 20.10.1923 - 18.2.2013

  • Sonst würden wir ja alle das gleiche lesen. Alkohol und Drogen kommen aber auch beim Distelfink vor.

    Den "Distelfink" hatte ich aus der Bücherei entliehen und schon nach wenigen Seiten wegen akuten Missfallens im Hinblick auf den Sprachstil zugeklappt. Das war noch vor den Drogenexzessen, die mir noch mehr missfallen hätten. Glücklicherweise war ich durch die Rezi von @Hypocritia vorgewarnt und wusste, dass ich nach dem schwachen Beginn nichts Besseres zu erwarten hatte.

    Ich persönlich mag z.B. keine ausufernden Sex-oder Gewaltszenen, auch Tierquälerei ist mir verhasst

    Da geht es mir wie Dir: Gewalt nervt mich in einem gewissen Maße, Sex nervt mich noch mehr, aber Tierquälerei nervt mich am meisten. Die Gewaltszenen sind noch relativ erträglich, wenn man sich eine gewisse Mathelehrerin als Opfer vorstellt. :twisted:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Die amerikanische Autorin Donna TARTT ist eine Spezialistin für die großen Erzählungen. Ihre drei bekannten Romane füllen jeweils mehr als 700 Seiten; der grandiose „Distelfink“ markiert dabei quantitativ und qualitativ die Spitze.

    Hier geht es um das mittlere Werk, an dem TARTT zehn Jahre lang gearbeitet hat.


    Im Zentrum dieses Südstaaten-Romans stehen zwei sehr unterschiedliche Familien, deren interne Dynamik und gegenseitigen Verstrickungen entscheidend für den Handlungsverlauf sind.

    Die Protagonisten (Harriet) ist ein recht eigenwilliges Mädchen an der Grenze zum Jugendalter. Sie lebt in einer reinen Frauenwelt, in der ihre (psychisch angeschlagene) Mutter und ihre ältere Schwester eine eher kleine, Ihre Großmutter, ihre Großtanten und die farbige Haushaltshilfe dagegen eine sehr große Rolle spielen. Der Vater lebt – ohne offizielle Trennung – in einem anderen Bundesstaat. Der eigentliche Vertraute ist ein gleichaltriger Junge, mit dem sie eine Reihe von – teils spektakulären – Abenteuer erlebt.

    Die Familie hat ihre beste Zeit hinter sich; Wohlstand und Status sind schon ein wenig abgebröckelt. Die größte und nachhaltigste Erschütterung wurde aber durch den ungeklärten Mord an dem 9-jährigen Robin ausgelöst. Wir erfahren in dem Buch, wie sein mysteriöser Tod auch 12 Jahre danach noch auf die Geschicke in dieser Kleinstadt einwirkt.


    Den Gegenpol zur bürgerlichen Welt stellt eine (klein-)kriminelle Randgruppenfamilie dar, deren vier männliche Sprösse mit ihrer Großmutter leben – unter denkbar chaotischen Bedingungen (eigenes Drogenlabor inklusive). Alle Beteiligten sind psychisch bzw. emotional tief gestört und leben ihre biografischen Verletzungen in verschiedene Richtungen aus.‘Berührungspunkte zu der Familie von Harriett reichen bis in die Zeit von Robin zurück, werden im Verlauf der Erzählung durch die detektivischen Aktivitäten des Mädchens dramatisch aktualisiert.


    Wie in jedem anspruchsvollen Roman gibt es im „Kleinen Freund“ mehrere Ebenen. Es ist ebenfalls nicht untypisch, dass die Handlungsebene (mit ihrem Spannungsbogen) den Rahmen schafft, in dem die „eigentlichen“ Kernthemen des Werkes eingewoben werden.

    Der Handlungsstrang lässt sich schnell beschreiben: Harriett versucht, den Tod ihres Bruders aufzuklären und zu rächen. Sie gerät dabei in abstrus-gefährliche Situationen, bei denen Schlangen eine zentrale Rolle spielen (das Buch ist eindeutig nichts für Schlangen-Phobiker).


    Bei den Hintergrundthemen geht es differenzierter zu. TARRT seziert die familiären Beziehungsmuster in beiden Familien, sie entlarvt die (noch von Rassismus geprägte) Haltung der „besseren“ Damen gegenüber ihren Hausangestellten; sie legt die (oft verlogenen) Muster frei, mit deren Hilfe eine vergangene familiäre und gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten werden soll; sie beschreibt die Zwangsläufigkeit, mit der aus desolaten Lebensbedingungen schwer gestörte Menschen entstehen und sie gibt Einblick in das Erleben und in die Kraft, die in sehr jungen Menschen und deren Freundschaftsbeziehungen entstehen können.

    Die Aufzählung ließe sich problemlos fortsetzen.


    TARTT hat eine feinfühlige Wahrnehmung für innerpsychische und zwischenmenschliche Prozesse. Sie nimmt sich Zeit für die Details – für Wahrnehmungen, innere Bewertungen, emotionale Regungen. Da sie auch den äußeren Bedingungen (Räume, Licht, Gerüche) eine Stimme gibt, entstehen eigene Welten mit spezifischen Atmosphären.

    Sie ist schlichtweg eine begnadete Erzählerin.


    Die Intensität des ihres Schreibstils tut dem Roman aber nicht nur gut. Es gibt zentrale Episoden in diesem Buch, da wäre weniger vermutlich mehr gewesen (das gilt nicht nur für die Schlangen). Es geht immer mal wieder sehr extrem zu: sowohl bei den Grausamkeiten, als auch bei den Fähigkeiten und Kräften, die den Kindern (Harriet und ihrem Freund) zugeschrieben werden. Es ist manchmal von allem etwas zu viel.


    Meine Empfehlung: Wer nach dem „Distelfink“ (ein Muss!) noch einen weiteren TARRT-Roman lesen möchte, sollte vielleicht erst „Die geheime Geschichte “ lesen. Wer dann noch dabei ist und über die entsprechende Zeit verfügt, dem/der sei auch „Der kleine Freund“ ans Herz gelegt.