Ivan Klima - Warten auf Dunkelheit, warten auf Licht/Čekání na tmu, čekání na světlo

  • Im deutschen Sprachraum ist Milan Kundera derjenige unter den tschechischen Schriftsteller, den wir mit seinen Romanen „Der Scherz“ oder „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ als den Chronisten seiner tschechischen Heimat unter stalinistischer und kommunistischer Diktatur kennen. Milan Kundera ging 1975 in das französische Exil und konnte sich ab diesem Zeitpunkt ohne Rücksicht auf Zensur oder Verfolgung in das Bewußtsein der europäischen Literatur schreiben. Ein anderer, nicht minder begabter Schriftsteller gleichen Alters hingegen blieb in seiner tschechischen Heimat, erduldete 20 Jahre Publikationsverbot, Parteiausschluss, gesellschaftliche Ächtung und eine Veröffentlichung allenfalls in Übersetzungen außerhalb der Tschechoslowakei. Als dort 1989 mit der samtenen Revolution der Kommunismus endete, war Ivan Klíma schon ein älterer Herr, seine Romane und Erzählungen weitgehend unbekannt. Bis heute hat sich an diesem Umstand wenig geändert, obgleich aus seiner Feder mit dem Roman „Warten auf Dunkelheit, warten auf Licht“ ein tief beeindruckender Roman über Gewinner und Verlierer der politischen Zeitenwende von 1989 stammt.


    Der Held dieses Romans ist Pavel Fuka, Mitte Vierzig und Kameramann beim Tschechischen Staatsfernsehen. In seiner Jugend unternahm er gemeinsam mit seinem Freund und Kommilitonen Petr einen Fluchtversuch in den Westen, wurde erwischt, exmatrikuliert und verbüßte anschließend eine 5-jährige Lagerhaft, ehe er 1968 in Zeiten des politischen Tauwetters, welches wir als „Prager Frühling“ kennen, schließlich begnadigt wurde und per Fernstudium seine Ausbildung zum Filmschaffenden nachholen konnte. Während sein Freund Petr anschließend in das innere Exil ging und sich auf dem Land als Kastellan, als staatlich bestellter Hausherr, Hausmeister und Aufpasser in einem Schloß, niederließ, ohne sich dem System je andienen zu müssen, begann Pavel seine Arbeit beim Fernsehen.


    20 Jahre später, im Herbst 1989, steht die tschechische Gesellschaft kurz vor der samtenen Revolution. Pavel Fuka ist als Kameramann bei den ersten großen Demonstrationen in Prag dabei und hält fest, wie Polizei und Staatsmacht brutal und rücksichtslos gegen junge Menschen vorgeht, wohlwissend, daß der Größte Teil der Aufnahmen der Zensur zum Opfer fallen oder dem Geheimdienst als Beweismaterial für die Verfolgung von „Rädelsführern“ und „Störenfrieden“ dienen wird. Im Gegensatz zu Petr hat sich Pavel längst mit der Staatsmacht arrangiert: er filmt, wenn bei Partei- und Betriebsversammlungen Beschlüsse gefasst oder Personen gewählt werden, die von vornherein feststehen, wenn der greise Staatspräsident eine seiner nichtssagenden und aus Versatzstücken bestehenden Reden hält, seinen Geburtstag feiert oder andere Staatsoberhäupter empfängt - Pavel ist damit zum kleinen aber nützlichen Rädchen im großen kommunistischen Staatsgetriebe geworden, demselben Staat, dem er einst als junger Mensch entfliehen wollte. Seine Hoffnung auf ein besseres, selbstbestimmtes Leben hat Pavel längst begraben, zu groß ist seine Furcht vor einer erneuten Konfrontation mit der Stärke der Staatsmacht. So kommt es, daß Pavel ziellos durch sein Leben streunt, freudlos, müde, ohne feste Bindungen, Freunde oder eine höhere Aufgabe. Seine Beziehung zu Eva ist oberflächlich, zu groß ist seine Scheu vor ihrer Nähe, ihrem Wunsch nach Heirat und Kindern.


    Auch die sich abzeichnende politische Wende mit ihren am Horizont erkennbar werdenden Chancen und Möglichkeiten versetzt Pavel Fuka in Angst. Zu welcher Seite wird man ihn zählen ? Wird er von den Gewinnern der Revolution als Mitläufer, als Opportunist verurteilt und zur Rechenschaft gezogen werden ? Oder wird er nun seine schon vor vielen Jahren abgelegten Träume nach einer Arbeit ohne Zensur oder Einschränkung verwirklichen und endlich sein seit vielen Jahren vorbereitetes Drehbuch verfilmen können ?


    Als nach dem Machtwechsel nicht nur Präsidenten und Politiker ausgetauscht werden, sondern auch in der Fernsehredaktion die leitenden Posten neu besetzt werden ( ausgerechnet Petr, Pavels Jugendfreund und ehemaliger Fluchtgefährte, wird mit der Leitung des Fernsehsenders betraut ), nimmt Pavel von sich aus seinen Hut, um einem Rausschmiß zuvorzukommen. Doch statt nun endlich frei zu arbeiten und seinen lange erträumten, eigenen Film zu drehen, geht Pavel in die neu entstehende Werbebranche, läßt sich sogar dazu herab, billige Erotik-Videos zu drehen, und verschiebt sein Film-Projekt, und damit auch den späten Beginn seines neuen, eigenen Lebens, einmal mehr nach hinten, in eine unbestimmte Zukunft. Pavel Fuka bleibt sich selbst ein Fremder, nur daß er jetzt nicht mehr die politischen Verhältnisse für sein Zaudern verantwortlich machen kann.


    Menschen, denen über Jahrzehnte jeder Antrieb und jede Lust am Gestalten ihres eigenen Daseins systematisch ausgetrieben wurde, ändern ihr Wesen nicht, nur weil das politische System plötzlich ein anderes ist. Am Beispiel Pavel Fukas verdeutlicht Ivan Klima, daß der friedliche politische Neuanfang von 1989 nicht nur Gewinner, sondern vor allem viele, viele Verlierer hervorgebracht hat. Diesen hängen die bleiernen Fußfesseln der staatlichen Kleinmachung auch nach der Wende immer noch an den Knöcheln. Und auch die zwischenmenschliche Entfremdung läßt sich nicht von einem Tag auf den Anderen ablegen, zu groß sind die Gräben, welche die Mitläufer von den Regimekritikern einst trennten. Zurück bleiben sich fremde, vereinsamte Menschen mit gebrochenen Biographien und ohne jede Hoffnung auf eine nachträgliche Aussöhnung und einen zwischenmenschlichen Neuanfang. Allein der jungen, unvorbelasteten Generation spricht Ivan Klima die Fähigkeit zu, tatsächlich eine versöhnliche und selbstbestimmte Zukunft gestalten zu können


    Den Leser hinterläßt die Lektüre von „Warten auf Dunkelheit, warten auf Licht“ mit einer tiefen Traurigkeit über das Schicksal des Pavel Fuka, aber mit einem guten Verständnis dafür, welche Verheerungen die Jahrzehnte der Diktatur in den Seelen der Menschen hinterlassen haben. Selten hat mich ein Roman auf ähnliche Weise berührt.