Jens Petersen - Die Haushälterin

  • 2005 fand sich auf der Longlist des Deutschen Buchpreises der kurze Debutroman des noch unbekannten Hamburger Arztes und Schriftstellers Jens Petersen mit dem Titel „Die Haushälterin“, im gleichen Jahr erhielt das Buch den Aspekte-Literaturpreis für das beste deutsche Prosa-Debut. Als der Autor dann 2009 auch noch den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gewann, lag wohl die Vermutung nahe, mit Jens Petersen habe ein neuer und Großes versprechender Schriftsteller die literarische Bühne betreten. Doch „Die Haushälterin“ von 2005 ist bislang die letzte Veröffentlichung von Jens Petersen und auch das Feuilleton schweigt sich seit 2009 beharrlich über den Autor und dessen Schaffen aus. Es drängen sich die Fragen auf, ob es sich bei Jens Petersen vielleicht nur um eine literarische Eintagsfliege gehandelt hat und ob der genannte Roman wirklich die vielen Lorbeeren wert gewesen ist.


    Schauplatz der Geschichte ist ein gutbürgerliches Viertel in Hamburg, eine mit Antiquitäten angefüllte Villa: ererbter Familienbesitz in 3. Generation. Hier wohnen der sechzehnjährige Philipp und sein Vater, beide sind noch nicht über den Tod der Ehefrau und Mutter hinweggekommen. Während Philipp, erstaunlich erwachsen und verantwortungsbewußt für sein Alter, Schule und Haushalt schmeißt, versinkt der Vater in seiner Trauer und einem kontinuierlich antrainierten Alkoholismus, nur hin und wieder durch eher trostlose erotische Techtelmechtel mit Kolleginnen und Zufallsbekanntschaften aufgelockert.


    Doch als wäre das nicht Unglück genug, verliert Philipps Vater auch noch seinen Job bei den Hamburger Elektrizitätswerken, stürzt im Suff die Kellertreppe hinunter und zieht sich eine komplizierte Beinfraktur zu, die im Krankenhaus geschient werden muß. Philipp fühlt sich mit der neuen Situation überfordert, nun zusätzlich zu Haushalt und Schule auch noch seinen in Kürze aus dem Krankenhaus heimkehrenden Vater versorgen zu müssen. So beschließt er: eine Haushälterin muß her, schaltet eine Zeitungsannonce, führt die Bewerbungsgespräche und schnell ist Ada gefunden, eine polnische Studentin aus Lublin und mit ihren 23 Jahren nur ein wenig älter als Philipp.


    Vom ersten Treffen an ist Philipp in Ada verschossen, bemüht sich um sie, macht ihr Geschenke, bedenkt sie mit kleinen Aufmerksamkeiten. Ada putzt, kocht, räumt auf und bringt das Haus auf Vordermann. Und sie weckt in Philipp spätpubertäre Hoffnungen auf mehr, als sie ihm das Du anbietet, ihn mitnimmt auf eine Party, mit ihm zum Schwimmen zu einer einsam gelegenen Kiesgrube fährt. Wohl küsst sie ihn auch ein wenig, doch Philipp bekommt heraus: Daheim, in Lublin, gibt es einen festen Freund. Und so stürzt Philipp, der in Liebesdingen so gänzlich unerfahren und hilflos ist, in ein Gefühlschaos aus Hoffnung, Eifersucht und Verwirrung, denn er weiß Adas Absichten, ihre Gesten, Blicke und Handlungen nicht zu deuten, den Code der Verliebten nicht zu entziffern. Kurz: Er hat keine Ahnung, ob Ada tatsächlich etwas von ihm will, und wie er dies erkennen könnte, falls es so wäre.


    Vollständig undurchsichtig wird Philipp das Ganze, als der Vater aus dem Krankenhaus heimkommt und Philipp mit Entsetzen feststellen muß, daß dieser ebenfalls ein gesteigertes Interesse an Ada bekundet. Gegen die großspurige Art des Vaters hat Philipp keine Chance: weder hat er die finanziellen Mittel, Ada mit Geschenken zu überhäufen, noch besitzt er die Unverfrorenheit und Dreistigkeit des Vaters, ihr in spielerischer Leichtigkeit mit mal freundschaftlichen, mal mit leicht vulgären Worten und Zoten ein Lachen oder einen verschwörerisch einvernehmlichen Blick zu entlocken. Am meisten aber verwirrt und beunruhigt ihn, daß Ada so leichtfertig und willig auf die Avancen des Vaters eingeht, ihn mit sich spielen läßt und Philipp so scheinbar ohne Bedauern oder einen weiteren Gedanken aus ihrer Aufmerksamkeit entläßt. In seiner Verzweiflung faßt Philipp schließlich den Entschluß, Ada loszuwerden: Wenn sie für ihn also unerreichbar ist, dann soll es auch dem Vater fortan unmöglich sein, sein Werben um die Gunst der Haushälterin fortzusetzen.


    Jens Petersen greift mit seinem Romandebut ein altes, wohl schon oft repetiertes literarisches Motiv wieder auf und überträgt es in die Neuzeit: Der junge Liebende, die Angehimmelte und der konkurrierende Vater finden sich bereits in Turgenjews „Erste Liebe“ von 1860. Ein Copyright auf eine solche Figurenkonstellation besteht allerdings nicht, und so kommt Jens Petersens Debut als eine erstaunlich frische, kurz und knackig geschriebene Erzählung über die Schwierigkeiten und Hindernisse der Erwachsenwerdung daher. Petersen gelingt es, in ganz knappen, mit nur wenigen Worten umrissenen Sätzen seine Hauptpersonen plastisch wirken zu lassen und seinem Text Leben und Tempo einzuhauchen. Die Lektüre gerät dadurch zu einer kurzweiligen und vergnüglichen Angelegenheit, doch lassen handwerkliche und inhaltliche Missverhältnisse die Unerfahrenheit des debutierenden Autors deutlich erkennbar werden.


    Gerade die Figur des Protagonisten Philipp erscheint merkwürdig unrund und widersprüchlich: Einerseits sehen wir in ihm den verantwortungsbewußten, bereits sehr selbständig, erwachsen und abgeklärt wirkenden 16-jährigen porträtiert, der verdächtigerweise durch keinerlei rebellische, aufbegehrende oder eigensinnige Handlungen oder Gedankengänge hervorsticht, wie es für sein Alter vielleicht zu erwarten wäre. Andererseits fällt es schwer, ihm seine emotionale Verwirrung und beinahe kindliche Verunsicherung und Bedürfnisbefriedigung wirklich abzunehmen, wenn er sich mit Adas Zahnbürste die Zähne putzt, an ihrer getragenen Unterwäsche herumriecht oder auf ihrem in der Haarbürste hängengebliebenen Haar kaut. Weder kann ich mich an ähnliche Charakterzüge oder Verhaltensmuster aus meiner eigenen, noch nicht so sehr lange zurückliegenden Jugend, erinnern, noch treffe ich heute auf entsprechend hilflos sich in Liebesdingen tummelnde Bekannte und Freunde meiner eigenen Kinder in dem entsprechenden Alter. Auch die Figur der Vaters bleibt seltsam eindimensional und flüchtig skizziert.


    Und schließlich muß die Frage erlaubt sein, worauf Jens Petersen mit seiner Erzählung eigentlich hinaus will, denn das Ende der Geschichte findet gar nicht statt. Sie wirkt merkwürdig unfertig, fast so, als sei dem Verfasser kurz vor dem Ende die Idee abhanden gekommen, denn weder der Vater noch sein Sohn erfahren am Ende eine Entwicklung oder einen Sinneswandel, noch löst sich der Konflikt in irgendeiner Weise auch nur andeutungsweise auf. Sie erinnert darin an ein Fußballspiel, dessen Übertragung 5 Minuten nach Beginn der 2. Halbzeit beim Spielstand von 0:0 abgebrochen wird und es schlechthin unmöglich ist zu sagen, welche der beiden Mannschaften als Sieger vom Platz gehen wird.


    Alles in allem also ein solider Debutroman mit guten Passagen und handwerklichem Geschick, allerdings mit unverkennbaren Schwächen in der Figurenzeichnung und mit einem unmotivierten Abschluß.