Nikolai Leskow – Der versiegelte Engel/Запечатленный ангел

  • Original : Запечатленный ангел (Russisch, 1872 ; veröffentlicht 1873 im «Русский вестник»)


    Ich las die Erzählung in der Übersetzung von Erich Müller-Kamp (im Manesse-Verlag).


    INHALT :
    Mark Alexandrow ist Mitglied einer altgläubigen Gemeinde und mit seinen Adoptiveltern und männlichen Mitgliedern über die Lande als Handwerker unterwegs (Montagearbeit), um sich zu verdingen. Gute Arbeit und gemeinsames Gebet in der Truppe prägen das Leben. Durch das hochnäsige, prahlerische und habgierige Gehabe eines Kumpanen wird die Gemeinde vonseiten eines ehrgeizigen Beamten und der von ihm angeführten Truppe angegriffen und werden all ihre Ikonen etc konfisziert. Nun, ein Sakrileg und Quelle größter Bedrängnis und innerer Qual.


    Mark und Lewontij werden auf die Reise geschickt, um einen begabten Ikonenmaler ausfindig zu machen, der in den Regeln der Kunst, bzw der Gottesfurcht eine Kopie der besonders wertvollen wundertätigen und halb zerstörten Engelsikone (« Der versiegelte Engel »!) herstellen könnte, die dann geschickt gegen die konfiszierte ausgetauscht werden könnte.


    Diese Suche führt zu Begegnungen großer Bedeutung für Mark... Gelingt das Vorhaben ? Wohin führt es die Gemeinde ?


    BEMERKUNGEN :
    Im ersten von sechzehn Kapiteln wird in klassischer Manier eine Erzähl(er)situation dargestellt : Die nachweihnachtliche Woche irgendwo in den Steppenweiten an der Wolga. Es herrscht bittere Kälte und ein Schneesturm tobt. Eine Unmenge an Leuten haben bei einem Bauern Zuflucht gesucht und füllen das Haus bis in die letzte Ecke. Durch einen Dialog kommt es zu einer Situation, in der einer der Anwesenden in aller Einfachheit von seiner Begegnung mit einem Engel erzählen will. Dies geschieht also ab dem zweiten Kapitel... Nun geht es in der Ich-Erzählung weiter, die einige Male kurz, und dann zum Schluß hin definitiv, unterbrochen wird und zur distanzierten, auktorialen Erzählweise zurückkehrt.


    Die Erzählung ist eingebettet in einen religiös-historischen Kontext, der uns fremd vorkommen mag. Nach Reformen der orthodoxen Kirche in den 60iger Jahren des 17. Jahrhunderts kam es zu einer Loslösung, schließlich der Trennung der Altgläubigen von der orthodoxen Kirche. Spannungen und Feindschaft prägten manchmal das Verhältnis, manchmal auch ein sehr kommunitäres, fast zurückgezogenes Leben der Altgläubigen. Eine fromme kleine Gruppe jener Altorthodoxen steht hier zunächst im Mittelpunkt. Leskov fühlte sich sicherlich – wie viele – auch sehr beeindruckt vom konsequenten Leben dieser Menschen.


    Die hier im Mittelpunkt stehende kleine Gemeinde einfacher Handwerker lebt neben ihrer rechtschaffenen Arbeit im regelmäßigen Gebet, in einer geistig-geistlichen Inbrunst, die uns heute eventuell fremd vorkommt, die aber hier bei Leskow und im Leben der Russen eine große Glaubwürdigkeit hat. Das man dabei nicht alles unterzeichnen muss oder auch auf Vorurteile und althergebrachte Vorstellungen etc trifft sollte uns nicht über alle Maßen verwundern (was wird man wohl über uns in einigen Jahrhunderten sagen???).


    Wo aber dieses fromme Erzählen, das in Teilen einen Legendencharakter annimmt, meines Erachtens sehr interessant wird – auch für uns – ist, wenn der schildernde Mark ganz klar übertriebene Wundergläubigkeit, Hochmut, Prahlerei an den Pranger stellt. Und dies als Gefahren für die eigene Gemeinde sieht, also auch für sich selbst. Oder wenn er hochachtungsvoll vom geistigen Leben anderer spricht, (sogar?) auch jener, die nicht zur eigenen Gruppe gehören. So kann sich durchaus eine anfragende, spirituell bereichernde Lektüre ergeben.


    Zwischen den Zeilen lernt man sehr viel über die Volksfrömmigkeit, die Traditionen, die herrschende Kultur. Für jeden an Russland Interessierten somit auch eine Entdeckung wert.


    Vom Ende möchte ich nicht reden, doch es scheint gemäß dem Nachwort später Leskow mißfallen zu haben, da er die Wahrheit (zu einseitig) einer Partie zusprach.


    Gefallen haben mir manche Ausdrücke und kleine Perlen wie zB «ich versteifte mich in meinem Widerstand und redete den größten Unsinn zusammen ». Oder « vor lauter Eifer hatte ich dummes Zeug geredet ».


    « Ich bin anmaßend und dreist ; ich wünsche mir einen Platz im Himmelreich. »


    AUTOR :
    Nikolai Semjonowitsch Leskow (russisch Николай Семёнович Лесков, wiss. Transliteration Nikolaj Semënovič Leskov; auch Lieskow, Ljesskow oder Lesskow; * 4.jul./ 16. Februar 1831greg. in Gorochowo, Gouvernement Orjol; † 21. Februarjul./ 5. März 1895greg. in Sankt Petersburg) war ein bedeutender russischer Schriftsteller. Er wurde als Sohn eines Beamten, der erst kurz zuvor geadelt worden war, geboren. Seine Ausbildung erfolgte anfangs durch Privatlehrer, später besuchte er das Gymnasium von Orjol, das er ohne Abschluss verließ. Nach dem finanziellen Ruin der Familie begann er 1847 als Kanzleibeamter beim Kriminalgericht von Orjol zu arbeiten. 1850 ging er nach Kiew, wo er als Sekretär für die Rekrutierungsbehörde der Armee arbeitete. In Kiew förderte ein Onkel, der Professor für Medizin war, Leskows weitere Ausbildung.

    1853 heiratete Leskow Olga Smirnowa. Aus der Ehe gingen zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter hervor. Ab 1857 arbeitete er für ein englisches Handelsunternehmen, in dessen Auftrag er viel reisen musste, wobei er weite Teile Russlands kennenlernte. 1860 kündigte er seine Stellung, verließ seine Frau und ließ sich in Petersburg als Journalist nieder. In dieser Zeit begann er auch zu schreiben und erste Erzählungen erschienen in Zeitschriften. Zwischen 1862 und 1863 bereiste er Osteuropa und Frankreich. Ab 1865 lebte er mit Katerina Bubnowa zusammen; der gemeinsame Sohn, Andrei Leskow, schrieb später die erste Biografie des Autors.

    1874 nahm Leskow eine Anstellung im Kultusministerium an. 1883 wurde er dort entlassen, nachdem er sich kritisch über Kirche und Staat geäußert hatte. Auch mit seinen literarischen Arbeiten kam er in den Folgejahren immer häufiger in Konflikt mit der staatlichen Zensur. Leskow starb 1895 an den Folgen einer Krebserkrankung und wurde auf dem Petersburger Wolkowo-Friedhof beigesetzt.
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    Es gibt VIELE verschiedene Ausgaben, teils mit unterschiedlichen Schreibweisen des russischen Namens. Mit ein wenig Geduld findet man sicherlich eine günstige Ausgabe, falls man solche suchen sollte.


    Hier eine gerade erschienene, wenn man nicht direkt mit der ManesseèAusgabe anfangen will, die ich weiter unten verlinken werde. Ich konnte allerdings nicht ausfindig machen, wer der Übersetzer ist:


    Gebundene Ausgabe: 100 Seiten
    Verlag: Tredition Classics (Juli 2012)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3849114996
    ISBN-13: 978-3849114992

  • Ich selber las dieses Stück als eins von Fünfen der im Manesse Verlag erschienen « Meistererzählungen ». Prima editiert mit Nachwort und im schönen Format. Siehe also :