Stephan Enter, Im Griff

  • Stephan Enter gilt in den Niederlanden nicht erst seit seinem auch in Deutschland veröffentlichten Roman „Spiel“ als ein großer Schriftsteller, dessen Bücher sich gut verkaufen und immer ganz oben in den Bestsellerlisten landen. In dem 2009 erschienenen und bei uns leider sehr wenig beachteten „Spiel“ beschreibt ein 19 Jahre alter junger Mann namens Norbert, am Grab seiner Großmutter stehend, seine Erinnerungen an die Jahre mit ihr. Enter lässt dort Norbert an einer Stelle sagen:
    "Als ich etwa zwölf war, wurde mir klar, dass dieser widerborstige, unmoderne Jargon meiner Großmutter mehr war als nur eine Eigentümlichkeit. Er war der Schlüssel zu ihrer Welt. Und weil ich mir keine Welt vorstellen konnte, zu der ich lieber gehörte, begann ich, mir ihre Sprache anzueignen."


    Diese Suche nach dem, was die Vergangenheit mit den Menschen in der Gegenwart macht, wie Erlebtes und wie Prägungen ihr heutiges Leben bereichern oder auch behindern, diese Fragestellung und Thematik zieht sich auch durch Enters neuen Roman „Im Griff.“


    Drei Männer und eine Frau, Paul, Vincent, Martin und Lotte sind, noch jung, in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts miteinander auf die norwegischen Lofoten gereist und haben dort den Sommer ihres Lebens erlebt. Eine große Liebe zu den Bergen, die wohl auch Stephan Enter teilt, sonst hätte er nicht diese großartigen Naturbeschreibungen schaffen können, verbindet die vier jungen Leute.
    Bis ein dramatischer Zwischenfall bei diesem Kletterurlaub passiert …


    Nun, zwei Jahrzehnte später sitzen die alten Studienfreunde Paul und Vincent im Zug, der sie von Brüssel nach Wales bringen soll, wo sie Martin und Lotte treffen wollen, die, inzwischen miteinander verheiratet, dort an der Küste leben. Im Rhythmus des fahrenden Zuges, der sich dem Ort der mit Spannung erwarteten Widerbegegnung nähert, entfaltet Stephan Enter die Erinnerungen der drei Männer, sich gegenseitig überlagernd und unterschiedlich. Langsam erfährt der Leser, was damals in diesem Sommer geschah, in dem sie im Angesicht der Erhabenheit der Berge und der atemberaubenden Schönheit der Natur jeder auf seine Art die glücklichsten Augenblicke ihres Lebens verbracht haben.


    Sie freuen sich auf das Wiedersehen, doch je länger der Zug fährt, desto dringender sehen sie sich mit der Frage konfrontiert, was denn eigentlich in ihren jeweiligen Lebensentwürfen aus ihren damaligen Hoffnungen und Träumen geworden ist. Waren die Entscheidungen, die sie trafen, richtig?


    Durch den Wechsel von Rückblenden und den Gesprächen im sich dem Zíel nähernden Zug werden die sich immer stärker entfaltenden Porträts der einzelnen Personen dichter und klarer. Gekonnt und mit einem schon aus „Spiel“ bekannten eigenen Stil erzählt Stephan Enter von der Kraft der Erinnerung und wie sie täuschen kann, vom Vergehen der Zeit und immer wieder von der großen Kraft der Liebe und der Freundschaft.


    Ein nachdenklicher und stellenweise philosophischer Roman über das Erinnern.