Thomas Bernhard - Der Untergeher

  • Worum es geht

    Drei hochbegabte Pianisten lernen sich während ihres Studiums in Salzburg kennen und beziehen eine gemeinsame Wohnung. Zufällig hört Wertheimer eines Tages, wie sein Mitbewohner Glenn Gould die Goldenbergvariationen interpretiert und erkennt schlagartig, dass er dessen Genialität nie erreichen wird. Da sich Wertheimer aber mit Mittelmäßigkeit nicht zufriedengeben will, verzichtet er auf eine Laufbahn als Virtuose und wendet sich den Geisteswissenschaften zu. Der Ich-Erzähler und Dritte im Bunde kapituliert ebenfalls und verschenkt sogar seinen kostbaren Steinway.

    Fast 30 Jahre später bricht der erst 51-jährige Glenn Gould am Klavier tot zusammen und bald darauf begeht Wertheimer, den Gould stets den Untergeher nannte, Selbstmord.
    Auf der Heimreise vom Begräbnis sucht der Freund noch einmal Wertheimers Jagdhaus auf, um seinen schriftlichen Nachlass zu sichten.


    Wie es mir gefallen hat

    Nach anfänglichen stilistischen Schwierigkeiten konnte ich mich schließlich sowohl mit Bernhards Art der Formulierung als auch mit dem Inhalt anfreunden. Ungewohnt hingegen blieb für mich das Fehlen von Absätzen bzw. eine Unterteilung in Kapitel.

    Beim Eintreten ins Gasthaus, beim Gespräch mit der Wirtin, auf dem Weg ins Jagdhaus erinnert sich der Erzähler an seine einstigen Studienkollegen und deren Werdegang, hält aber auch mit der eigenen Meinung nicht hinterm Berg. Die Salzburger deklariert er als stumpfsinnig, wie ihm überhaupt die Heimat verleidet zu sein scheint, und so lässt er weder an der sozialistischen Partei, noch an der katholischen Kirche oder der österreichischen Gerichtsbarkeit ein gutes Haar. Gestaunt habe ich auch immer wieder über recht eigenwillige Worterfindungen, wie "Existenzdepression", "Justizwrack" oder "Sackgassenmenschen".

    Was dem Autor ganz vortrefflich gelingt, ist die Beschreibung einer kleinen und engstirnigen Welt, wie er sie selber erlebt und empfunden haben dürfte. Meinte ich doch das schmutzige Dorfgasthaus bildlich vor mir zu sehen, die schmuddelige Wirtin, den im wochenlangen Nieselregen schlammig gewordenen Weg zum Jagdhaus, oder Wertheimers Schwester, die sich erst im reifen Alter von 46 Jahren durch Heirat in die Schweiz retten konnte. Jedenfalls ist es eine beklemmende Welt, die Thomas Bernhard vor den Augen seiner Leser sehr gekonnt erstehen lässt.

    Den meisten seiner Aussagen und Ansichten möchte ich einen wahren Kerngehalt nicht absprechen, als Nestbeschmutzer gefällt mir der Autor allerdings weniger gut. An der Heimat nur die negativen Seiten zu sehen, während das Leben in der Fremde viel besser und erträglicher zu sein scheint, halte ich doch für einseitige Schönfärberei.