Gian Domenico Borasio, Über das Sterben

  • „Was uns allen zu wünschen ist, ist ein nüchterner und gelassener Blick auf die eigene Endlichkeit. Dies erfordert eine ruhige und wiederholte Reflexion, am besten im Dialog mit den Menschen, die uns am nächsten stehen. Das passiert leider im Leben eher selten, und wenn, dann oft sehr spät. Nehmen wir uns die Zeit dafür.“


    Sich diese Zeit zu nehmen, dazu lädt der 1962 geborene Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin an der Universität Lausanne und Lehrbeauftragte für Palliativmedizin an der TU in München, Gian Domenico Borasio, die Menschen ein, die zu seinem Buch gegriffen haben. Sie haben es wohl getan, weil sein Titel „Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen“ etwas in ihnen ausgelöst hat, den Wunsch etwa, mehr über dieses Thema zu erfahren, und etwas zu lernen. Mit dem eigenen Tod und dem eigenen Sterben anders umgehen zu lernen. Vielen Menschen geht es durchaus so, dass sie eine klare Haltung zu ihrer eigenen Endlichkeit haben, sei sie nun religiös- spirituell geprägt oder nicht. Doch es fällt ihnen schwer darüber zu sprechen, besonders mit den ihnen nahestehenden Menschen. Manchmal haben sie es auch schon versucht, und sind von der Abwehr, die ihnen entgegenprallte so erschrocken, dass sie denken, sie müssten dieses Thema in Zukunft mit sich allein ausmachen.


    Dabei ist der Tod genau wie die Geburt, der er korrespondiert, ein Ereignis, für das es von der Natur festgelegte Abläufe gibt, in die der Mensch möglichst wenig störend eingreifen sollte. Deshalb plädiert der wohl führende Palliativmediziner Europas für eine Palliativbetreuung, die weit über die reine medizinische Kontrolle hinausgeht. Sterbebegleitung, wie Borasio sie weiter entwickeln will, kann ohne echte Kommunikation, dem Gespräch zwischen allen Beteiligten nicht zu der wirksamen medizinischen, psychosozialen und auch spirituellen Betreuung werden, als die sie von ihrer Idee her gedacht ist.


    Doch wenn der Sterbende und seine Angehörigen erst in diesem letzten Stadium ihre Kommunikation über das Sterben und den Tod beginnen, ist es oft zu spät. Da ist dann nichts aufgeschrieben über die Erbregelungen, es liegt keine Vorsorge- und Patientenvollmacht vor. Sich darum zu kümmern, wenn man noch bei bester Gesundheit ist, oder allerspätestens, wenn ernste Krankheitssymptome auftreten, das kann man lernen. Dieses Buch ist eine ermutigende und anschauliche Hilfestellung dafür.


    Borasio will vorsichtig und sensibel eines der größten gegenwärtigen Tabus brechen, das Schweigen über den eigenen Tod und die Angst, endlich einmal darüber zu reden. Er geht selbst mit gutem Beispiel voran, und behandelt auch die umstrittenen ethischen Themen der Sterbehilfe.


    Er beschließt sein Buch mit dem Aufruf zur besseren Zusammenarbeit aller Beteiligten:
    „Die Hoffnung auf ein ewiges Leben ist – zumindest hier auf Erden – nicht realisierbar. Aber die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Lebensende unter guter Betreuung wird für immer mehr Menschen Realität. Dazu bedarf es der Mitarbeit aller: der Professionellen und der Ehrenamtlichen; der viele verschiedenen Berufsgruppen, der Angehörigen und der Patienten. Dann kann es tatsächlich möglich sein,gute Voraussetzungen für jenes Ziel zu schaffen, das Rainer Maria Rilke unvergleichlich formuliert hat:


    ‚O Herr, gib jedem seinen eignen Tod.
    Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
    darin er Liebe hatte, Sinn und Not.’“