Harald Hartung, Der Tag vor dem Abend. Aufzeichnungen

  • Ein Intellektueller hält Rückblick. Gerade achtzig Jahre alt geworden, hat Harald Hartung, der Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler, Essayist und Lyriker ein kleines Buch von gerade einmal 160 Seiten vorgelegt und damit seine Aufzeichnungen aus den Jahren 1998 bis 2012 der Öffentlichkeit präsentiert.


    Es sind nicht alle, die er in diesen Jahren niedergeschrieben hat. Für dieses Buch hat er eine Auswahl getroffen aus Aphorismen, Reflexionen und luziden Beobachtungen. Da geht es um Bemerkungen zu Schriftstellern, da kann man Reisenotizen lesen und immer wieder Erinnerungen an seine Kindheit im Nationalsozialismus.


    Und immer wieder dazwischen sehr persönliche Gedanken über das Älterwerden, das Sterben und den Tod. Dabei sind es nicht so sehr das Sterben und der Tod, die ihn wirklich beschäftigen, sondern es ist das Alter selbst, was es mit dem Einzelnen macht und mit seiner Umgebung. Vor allem die Frage, warum viele Schriftsteller irgendwann aufhören ihre Gedanken zu publizieren, vor allen Dingen dann, wenn sich die resignativen Gedanken des Alters in die Texte mischen, gibt ihm zu denken und er vermutet als Antwort, dass solche Gedanken als Zeichen der Schwäche interpretiert würden. „Der Schwäche des anderen zuschauen schwächt auch den Zuschauenden. Aus Selbstschutz wendet er sich ab.“


    In diesem Buch habe ich eine der schönsten Formulierung gefunden, die ich je über das Alter und wie man sich ihm stellt, gelesen habe. Da sagt Hartung an einer Stelle über das Alter in lyrischen Worten:
    „Weniger werden
    Aber nicht weniger sein.“


    Und wie so viele andere (zuletzt auch Martin Walser) sieht er das Schreiben als Lebensverlängerung: „Je weniger du notierst, umso schneller stürzt die Zeit. Also weiter.“


    Ermutigend.