Sandra und Reinhard Schlitter mit Christoph Fasel, Mirco. Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen

  • Schon in seinem im vergangenen Jahr zusammen mit Samuel Koch geschriebenen Buch hatte sich der Journalist Christoph Fasel mit Frage auseinandergesetzt, wie ein Mensch bzw. eine Familie mit einem Geschehen um geht, dass sie schicksalhaft trifft und ihr Leben von einem auf den anderen Tag verändert.


    "Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht."


    Mit diesem Vers aus dem neutestamentlichen Hebräerbrief beendete Samuel Koch damals die Schilderung seiner Lebensgeschichte und im Buch selbst sagt an einer Stelle zu Christoph Fasel:
    "Heulen ist nicht mein Ding. Man kann auf jedem Niveau klagen, aber auch glücklich sein."


    Koch und Fasel wollten ihr Buch nicht nur verkauft , sondern mit einer inneren Aufmerksamkeit für das eigene Leben des Leser gelesen sehen - ein Leben, das trotz aller möglichen Einschränkungen und Behinderung immer ein Geschenk Gottes bleibt, das gelebt werden will und mit Sinn gefüllt.


    So ähnlich würden das auch die Eltern von Mirco sehen, jenem Jungen aus Grefrath, der am 3. September 2010 auf dem Heimweg von der Skaterbahn spurlos verschwindet. 145 Tage lang hoffen und beten nicht nur Mircos Eltern, sondern auch eine lange nicht mehr so große und wirklich Anteil nehmende Öffentlichkeit. Als Mirco nach fünf Monaten aufgefunden wird, entführt, missbraucht und erdrosselt, bricht für die Eltern eine Welt zusammen.


    Was für jeden Vater, was für jede Mutter in der Fantasie das Ende des eigenen Lebens bedeuten würde, Mircos Eltern, Sandra und Reinhard Schlitter versuchen in den folgenden Monaten und Jahren mit dem Unfassbaren fertig zu werden. Sie erzählen Christoph Fasel, der sich wieder wie schon bei Samuel Koch sensibel einfühlt in die Menschen, deren Geschichte er in Worte fassen will, wie sie bis zu dem schrecklichen Tag des Verschwindens mit ihrem Sohn Mirco zusammengelebt haben. Sie erzählen von dem vernichtenden Gefühl des Verlierens, der absoluten Verzweiflung, aber auch immer wieder von ihrer Verwurzelung im Glauben an Gott, der sie auch in den dunkelsten Stunden getragen hat. Dankbar berichten sie von vielen Menschen, die ihn in dieser schweren Zeit zur Seite standen.
    Am beeindruckendsten und für einen Nicht-Christen wohl kaum verständlich ist das, was sie am Ende des Buches erzählen, wie sie beide dahin kamen, für den Täter zu beten und ihm zu verzeihen. "Jemand der hasst, wird nicht mehr lachen" ist ihre Einstellung, die ihnen ihr Glaube nahelegt und die sie zusammen mit ihren anderen Kindern leben wollen:
    „Mit unserem Buch möchten wir zeigen, was uns geholfen hat, die Spirale von Hass und Verzweiflung verlassen zu können. Und wie man ein Leben führen kann, das trotz allem Zuversicht, Menschenliebe und Glauben vereint.“

  • Ich habe das Buch ebenfalls neulich gelesen und fand es sehr ergreifend. Wer es liest, der wird auch verstehen, was die Eltern von Mirco alles durchmachen mussten und es dennoch schafften diesen unglaublichen Einschnitt in ihrem Leben zu verkraften. Dass sie letztendlich auch dem Täter die Tat verzeihen konnten zeugt von einem unerschütterlichen Glauben an Gott und ist in meinen Augen absolut bewundernswert. Das Buch hat mich sehr bewegt. :cry:


    El Novelero

  • Ich denke das Schicksal von Mirco ist kaum jemandem entgangen. Der 10jährige verschwand im September 2010 spurlos. Ein gutes halbes Jahr später wurde der Täter gefasst und Mircos Leiche gefunden. Es war die aufwändigste Fahndung der Polizeigeschichte Nord-Rheinwestfalens und eine der größten Suchaktion in Deutschland. Mircos Mörder wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Sicherheitsverwahrung verurteilt - die höchstmögliche Strafe der deutschen Justiz.



    Zitat

    Am 3. September 2010 verschwindet der zehnjährige Mirco auf dem Heimweg von der Skaterbahn. Was folgt, ist die bisher größte Suchaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. Menschen aus dem ganzen Land nehmen Anteil. Doch der Junge mit dem Lausbuben-Lachen bleibt verschollen und erlangt als "Mirco aus Grefrath" traurige Berühmtheit. 145 Tage lang hoffen, bangen und beten Mircos Eltern. Doch ihr Junge kehrt nicht zurück. Knapp fünf Monate nach seinem Verschwinden wird Mirco entdeckt. Entführt, missbraucht, erdrosselt. In diesem Buch erzählen Sandra und Reinhard Schlitter, wie es ihnen gelingt, mit dem Unfassbaren fertigzuwerden. Von ihrem Leben mit Mirco, ihrer Verzweiflung, vom Glauben an Gott, von der Unterstützung der Menschen, die sie umgeben. Und davon, wie sie es schaffen, sogar um Vergebung für den Täter zu bitten.


    Das war die Geschichte, die wir alle aus den Medien kennen. In "Mirco: Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen." hören wir eine andere Geschichte - eine, die wir so noch nicht kennen und die manch einer vielleicht auch gar nicht so genau hören will: die Geschichte von Mircos Familie. In diesem Buch berichten uns die Eltern wie die Zeit nach Mircos Verschwinden war - und die Zeit nach der Gewissheit, dass ihr Sohn nicht mehr lebend nach Hause kommen wird. Dieses Buch ist nicht unbedingt die leichteste aller Lektüren (bezüglich der Thematik - sprachlich ist das Buch sehr leicht und flott zu lesen, auf komplizierte Schachtelsätze und ähnlichen Firlefanz wurde verzichtet) und trotzdem bin ich froh dieses Buch gelesen zu haben.



    Warum? Weil in diesem Buch die Opfer zu Wort kommen. Die Berichterstattung in den Medien ist meist sehr auf den Täter und die Tat fixiert - das Opfer wird zum "Nebenprodukt" degradiert, kaum ein Journalist interessiert sich wirklich dafür, was das Opfer für ein Mensch war und welche Menschen als Angehörige zurückbleiben. Ich finde es toll und bewundernswert, dass Mircos Familie den Mut gefunden hat dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Opfer von Gewalttaten brauchen einfach ein viel größeres (mediales) Sprachrohr als es im Moment der Fall ist. Es geht in diesem Buch zwar natürlich um Mirco - aber auch noch um weitaus mehr. Auf der einen Seite handelt es sich um eine Art Familienportrait - man erfährt einige Dinge über Mircos Geschwister aber auch über die Eltern. Auf der anderen Seite will uns die Familie in diesem Buch auch zeigen, dass und wie sie gelernt haben mit ihrem Schicksal umzugehen und damit vielleicht auch Vorbild für andere betroffene Familien sein.
    Den Weg dieser Familie finde ich dabei so interessant, dass ich euch dieses Buch wirklich nur ans Herz legen kann: Mircos Familie hat den Weg über Gott und Vergebung gewählt. Ihr müsst wissen: ich selbst habe mit Gott und der Kirche absolut nichts am Hut, noch weniger wenn solche Dinge geschehen und dementsprechend fremd klang die Idee von Mircos Familie für mich zu Beginn. Es erscheint als "ganz schön krass" dem Täter zu verzeihen. Und doch gelingt es den Schlitters ihren Weg in diesem Buch nachvollziehbar zu machen - auch wenn man selbst vielleicht anders reagieren würde. Wenn man das Buch gelesen hat lernt man zu verstehen wie die Familie die Ereignisse auf ihre ganz eigene Art und Weise bewältigen konnte. Und ich habe nach dieser Lektüre eine Menge Respekt. ich glaube es erfordert menschliche Stärke zu verzeihen anstatt zu hassen. Bewundernswert finde ich auch mit welcher Selbstverständlichkeit die Familie Mitleid mit der Familie des Täters hat und sie in ihre Gebete einschließt. Sie haben damit ja absolut Recht - aus rein menschlicher Sicht fände ich es aber nicht besonders verwerflich, wenn sie keine Empathie für die Familie des Täters entwickeln könnten. Diese Familie hat den destruktiven Weg von Hass und Rache aber verlassen.



    Viele Leute kritisieren die Familie für ihren Umgang mit den Ereignissen. Dem Täter zu verzeihen, ihn als Menschen zu sehen und ihn in Gebete einzuschließen "gehört sich schließlich nicht". Genau so, wie wir es Opfern von Gewaltverbrechen schwer machen ins Leben zurückzukehren - denn auch Lachen gehört sich im Anbetracht eines solchen Schicksals nicht mehr. Familie Schlitter schildert in dem Buch wie negativ ihnen die Leute teilweise begegnen nur weil sie trotzdem noch weiterleben und, auch zu Gunsten ihrer lebenden Kinder, versuchen zu einem geregelten Alltag zurückzukehren. Es ist toll, dass diese Familie den Mund aufmacht und damit wahrscheinlich für viele, viele andere Angehörige spricht.



    Ich selbst habe einige Zeit in der Jugendgerichtshilfe gearbeitet - also mit Tätern - umso spannender ist es für mich nun auch mal auf "die andere Seite" zu schauen. Ich interessiere mich für Kriminologie und ähnliche Dinge, dazu gehören aber eben nicht nur die Täter sondern auch die Opfer. Ich finde es toll die Geschichte der Schlitters so zu lesen, wie die Familie sie erzählen wollte - ohne irgendwelches populistisches Boulevard-Zeitung-Blimblim. Zumindest glaube ich, dass dieses Buch die Gedanken der Familie wirklich wiederspiegelt.



    Über Spannungsbogen, Charaktere und so weiter gibt es hier natürlich nichts zu schreiben - die Geschichte ist so wie sie ist und sie ist "spannend" (passender wäre das Wort interessant) so wie sie ist. Die Schlitters wählen klare aber deutliche Worte. Ein bisschen fühlt es sich so an als wäre man "live" im Geschehen - deswegen geht dieses Buch auch so unter die Haut. Es wird einfach eines klar: Wir waren eine ganz normale Familie - nicht wirklich anders als deine Familie. Und trotzdem ist uns das passiert. Als Leser wird einem durch diesen Schreibstil einfach klar, dass man selbst nicht vor solchen Katastrophen gefeilt ist - es passiert eben nicht immer nur den Anderen. Und noch eines stellen die Eltern von Mirco klar: auch die Familie des Täters war eine Familie von Nebenan, keine Ansammlung von Monstern.
    Man möchte während dem Buch manchmal bitterlich weinen, manchmal lachen und manchmal empfindet man einfach nur Wärme und Empathie für diese außergewöhnliche Familie. Auch wenn es nicht mein Weg gewesen wäre (vermute ich zumindest): ich bewundere diese Menschen für ihre Stärke.



    Ich bin übrigens im Zuge eines Referats in der Uni auf das Buch gestoßen (es ging um die emotionale Verarbeitung des Verlust eines Kindes). Mircos Eltern haben auch ein recht interessantes Interview bei Beckmann gegeben: http://www.youtube.com/watch?v=fpVfl0-o8cc.