In einem meiner Lieblingsbücherforen wurde kürzlich eine Testleserunde zu einem Buch aus dem LYX Verlag zu einem mir bis dato komplett unbekannten Genre ausgeschrieben. Steampunk.
Die Kurzbeschreibung
"Zwei Jahrhunderte lang lebte England unter dem grausamen Joch der Mongolen. Der Pirat Rhys Trahaearn befreite das Land schließlich aus dem Griff des Feindes und wurde dadurch zum Volkshelden. Inzwischen wird er der Eiserne Herzog genannt und gehört zu den einflussreichsten Männern Englands. Als von einem Luftschiff eine Leiche vor seiner Tür abgeworfen wird, nimmt die Inspektorin Mina Wentworth die Ermittlungen auf. Sie ist fasziniert von dem attraktiven Herzog, weiß jedoch, dass sie sich auf ein Spiel mit dem Feuer einlässt. Der rätselhafte Mordfall bringt sie auf die Spur einer Verschwörung, die ganz England bedroht."
weckte mein Interesse. Das gezeichnete Cover mit dem jungen Mann in viktorianischem Look und der Zahnradkonstruktion gefiel mir als Comic-Liebhaberin auch sehr gut und nach der Leseprobe (Einige Seiten des 2. Kapitels) kam ich zu dem Eindruck, dass mir diese Art von Abenteuer-Romantik durchaus vergnügliche Leserunden bescheren könnte.
Bei der Verlosung wurde mein Name zwar nicht gezogen, aber durch eine für mich sehr glückliche Fügung bekam ich trotzdem ein Rezensionsexemplar und konnte an der Leserunde teilnehmen. Bevor jedoch "Die Eiserne See. Wilde Sehnsucht" bei mir eintraf, informierte ich mich erst mal im Netz, wie man den Begriff
"Steampunk"
eigentlich definiert. Steampunk begann in den 1980ern als literarische Strömung und weitete sich zu einem Kunstgenre aus. Dabei werden moderne und futuristische technische Funktionen mit Mitteln und Materialien des viktorianischen Zeitalters verknüpft. Häufige Elemente des Steampunk sind dampf- und zahnradgetriebene Mechanik sowie der viktorianische Kleidungsstil und Abenteuerromantik. (Quelle wikipedia)
Auch die Autorin Meljean Brook
war mir bislang kein Begriff. Auf der Verlagsseite erfuhr ich, dass sie mit Mann und Tochter in Portland, Oregon, lebt und nach ihrer Ausbildung zur Buchhalterin die Liebe zum Schreiben entdeckte. Seit dem scheint sie als Autorin fantastischer Liebesromane erfolgreich zu sein.
Bugger und Bounder
Zweihundert Jahre herrschten die Horden (Mongolen) über die Bevölkerung Englands. Sie infizierten die Menschen mit Naniten und konnten dadurch deren Gefühle mit Impulsen (Bugs) steuern. Es gab aber auch Bevölkerungsteile, besonders aus den Reihen reicher Adelsfamilien, die rechtzeitig vor den Horden in die neue Welt (Amerika, Manhatten City) fliehen konnten und nicht infiziert wurden.
Als vor neun Jahren ein Pirat namens Rhys Trahaearn den Kontrollturm der Horden in London zerstörte und damit das Land von den Horden befreite, kehrten die Nachkommen der einst geflohenen Adelsfamilien zurück und erhoben Anspruch auf ihre Besitztümer. Dem wurde aufgrund ihrer finanziell gut situierten Lage auch stattgegeben.
Mittlerweile haben diese sogenannten Bounder auch die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Positionen in London inne. Außerdem schauen die Bounder meist voller Verachtung auf die Menschen (unter denen es auch Adlige gibt) herab, die unter der Herrschaft der Horden gelebt haben. Letztere sind die Bugger.
Zu ihnen gehört sowohl der mittlerweile ehemalige Pirat, dem als Anerkennung für seine Rolle bei dem Sieg über die Horden der Titel Herzog von Anglesey verliehen wurde, als auch die Kriminalinspektorin Wilhelmina Wentworth.
Allerdings steht "Mina", wie sie von ihrer Familie - verarmter Adel - liebevoll genannt wird, gesellschaftlich weit unter dem "Eisernen Herzog". Das liegt vor allem daran, dass sie während einer von den Horden gesteuerten Orgie gezeugt wurde und man ihr rein äußerlich auch die Abstammung ansieht. So wurde sie außerhalb ihrer sehr liebevollen Familie schon ihr Leben lang auch von den eigenen Leuten angefeindet und kann ihren Job nur unter dem Begleitschutz von Konstabler Newberry - ein Mann, wie ein Schrank - ausüben.
Im Zuge einer Mord-Ermittlung macht sie die Bekanntschaft des "Eisernen Herzoges", der, wie sich bald herausstellt, nicht nur an der Aufklärung der Identität des vor seiner Tür abgeworfenen Toten interessiert ist, sondern auch ganz stark an ihr...
Eigenartig faszinierend
Am Anfang wirkt die Geschichte etwas holprig. Die Autorin steigt im Prinzip gleich voll in die Geschichte ein und liefert die Erklärungen situationsbezogen, so dass die Begriffe Bugs, Bugger und Bounder erst einmal etwas verwirrend sind. Hier wäre ein Glossar vielleicht sehr angebracht gewesen und hätte mir auf den ersten 20 Seiten ein mehrmaliges Rückblattern und nochmaliges Nachlesen erspart.
Doch spätestens mit Beginn des 2. Kapitels hatte ich geschnallt, wer was ist und die Handlung nahm Fahrt auf und das meist im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Protagonisten sind mit etlichen eigenartigen fahrbaren Untersätzen unterwegs. Als Fortbewegungsmittel dienen u. a. dampfbetriebene Kutschen hydraulische Rikschas, Luft- und Dampfschiffe. Aber auch allerlei andere nützliche und weniger nützliche technische Spielereien lerne ich kennen. Am beeindrucktesten bin ich jedoch von den unterschiedlichsten Ersatzteilen für den menschlichen Körper. Hin und wieder traf man auch auf ungewöhnliche Wesen. Z. B. Zombies. Anders als bei "normaler" Romantic-Fantasy, waren diese dann aber nicht übernatürlicher Herkunft, sondern von Menschenhand geschaffen und später mutiert.
Die Hauptprotagonisten gewannen schnell meine Sympathien. Natürlich steuerten Rhys und Mina ab ihrem Kennenlernen recht vorhersehbar auf eine Liaison zu. Doch die Art und Weise ihrer dabei zu überwindenden Probleme kamen für mich vorstell- und nachvollziehbar rüber und ich konnte ordentlich mit fiebern. Allerdings ist das Buch nicht unbedingt jugendfrei. Es kommen ziemlich viele Sexszenen vor, die recht heiß zur Sache gehen. Dort allerdings empfand ich die häufige Wiederholung des Wortes "vögeln" ein bisschen nervig.
Doch auch der zu lösende Fall, die damit verbundenen Abenteuer und Gefahren für die Protagonisten sowie die interessanten Nebencharaktere zogen mich in ihren Bann. Einige Situationen hätten da aber gern noch ein bisschen ausführlicher behandelt werden können. Wenn dem dann ein oder zwei Bettszenen zum Opfer gefallen wären, hätte das der Handlung sicher nicht geschadet.
Da ich den Verlagsinformationen entnehmen konnte, dass es sich bei dem Buch um den Auftakt einer Serie handelt, werde ich das mal im Auge behalten und eine Fortsetzung auf jeden Fall lesen. Weil sowohl der Fall aufgeklärt wurde und auch die Beziehungskiste erst einmal abgeschlossen ist, gehe ich davon aus, dass dann bereits eingeführte Sympathieträger, die hier noch Nebendarsteller waren, zu Hauptfiguren werden. Zu denen sind jedenfalls jetzt noch Fragen offen geblieben.
Alles in allem empfand ich den Roman als gute Unterhaltung und zum Abschalten vom normalen Alltag bestens geeignet. Die Mischung aus fast primitiver Lebensweise der Protagonisten und den vielen technischen Wunderwerken mit ihren dann doch begrenzten Einsatzgebieten wirkte auf mich eigenartig faszinierend.