Jessica Antonis - Hunger nach weniger

  • Klappentext:
    Die Geschichte einer Magersucht Anne kämpft für ihr großes Ziel – und das heißt „endlich schlank sein“. Essen wird zum wichtigsten Gedanken in ihrem Leben und schließlich zu ihrem schlimmsten Feind... „Zitternd ließ Anne ihr Nachthemd an ihrem Körper entlang gleiten und kniff die Augen fest zu. Sie wollte sich nicht wiegen, denn sie würde bestimmt wieder zugenommen haben. Sie wollte nicht in den Spiegel schauen, denn das Bild würde ihr einen Schock versetzen“.


    Meine Meinung:
    Dieser Roman basiert auf den eigenen Erfahrungen der Autorin Jessica Antonis, jedoch sind die mitspielenden Personen frei erfunden.
    Die Protagonistin Anne steckt in der Pubertät und findet sich plötzlich zu dick. Sie steigert sich zunächst ein einen absoluten Diätenwahn, der nach und nach in die Magersucht führt. Sie lässt sich immer mehr einfallen, um die Kilos zu verlieren, denkt nur noch in Kalorien und zählt diese von morgens bis abends. Ihr ganzer Alltag dreht sich nur noch ums Essen bzw. nicht essen! Der Leser verfolgt auf 197 Seiten den Weg in die Magersucht, bis die Situation eskaliert und Anne erkennen muss, wie krank sie ist.
    Die Protagonistin selbst wirkt hier sehr kindlich und naiv, gleichzeitig aber auch sehr hilflos. Sie kann sich vor allem ihrer Mutter gegenüber nicht durchsetzen und es dauert lange Zeit, bis die Eltern begreifen, was mit ihrem Kind geschieht. Dies wirkte zunächst etwas unrealistisch auf mich, da ich immer dachte, Mensch die müssen es doch mal merken!
    Somit zog mich die Erzählung emotional mit und ich konnte so manches Mal verstehen, wenn Anne wütend war.
    Doch wohin der Weg sie letztendlich führt und was sie sich bis dahin alles einfallen lässt, sollte der Leser selbst herausfinden.
    Die Geschichte ist in mehreren Kapiteln aufgeteilt, die in die Monate September bis August gegliedert sind.
    Der Schreibstil ist recht einfach mit vielen Dialogen. Der Roman ist sehr emotional aus Annes Sicht beschrieben. Leider fehlte mir in dieser Geschichte etwas mehr an Tiefgang und Aufklärung, was diese Krankheit betrifft. Auch die Sichtweisen der Familienmitglieder kamen mir hier etwas zu „abgekanzelt“ vor. So fehlten mir zuletzt z. B. auch Hilfeseiten zu dem Thema oder auch Anlaufstellen, die meiner Meinung nach bei einem solch ernsthaften Thema erwähnt werden sollten.
    Die Covergestaltung ist sehr schlicht und würde meiner Meinung nach eher zu einem Ratgeber passen.


    Fazit:
    Dank der geringen Seitenzahl lässt sich dieses Buch sehr schnell lesen. Hunger nach weniger ist für mich eher eine autobiografische Erzählung aus der Gedankenwelt eines magersüchtigen Mädchens. Ich hätte mir, gerade weil es ein so ernstes Thema ist, vor dem man nicht oft genug warnen kann, mehr Informationen bzw. Warnungen gewünscht. Vielleicht auch Adressen und weitere Informationen im Anschluss. Gerade weil es die Jugend ansprechen könnte, wäre dies meines Erachtens sehr wichtig gewesen. So wurde mir zum Beispiel zu locker über das Thema Abführmittel und deren Wirkung berichtet nach dem die Protagonistin diese in einer völligen Überdosierung einnimmt. Hier wäre etwas mehr Feingefühl wünschenswert gewesen. Dennoch ist dieser Roman lesenswert und könnte eine abschreckende Wirkung erreichen, was den Diätenwahn junger Mädchen angeht.
    Jessica Antonis lebt in Belgien. In ihrem Roman „Hunger nach weniger“ arbeitet sie ihre Erfahrungen mit der Magersucht auf.(Quelle: Ueberreuter, Hunger nach weniger)

  • Ich habe diese Version des Buches, welches einige Adressen von Beratungsstellen etc. enhält und auch den Hinweis, dass die Autorin selbst magersüchtig war und es ein autobiographischer Roman ist, bei dem die Personen fiktiv sind, die Ereignisse aber nicht.


    Ich habe das Buch schon mindestens fünf oder sechs Mal gelesen, und es ist der beste und ehrlichste Roman über Magersucht/Bulimie (die Grenzen sind ja fließend), den ich bisher gelesen habe (und es waren viiiele). Ich war selbst schwerst anorektisch und weiß, wovon ich rede, und ich weiß auch, wovon Anne berichtet. Die ganze Geschichte ist total glaubhaft und es hat mir gefallen, dass nichts beschönigt, aber auch nichts überdramatisiert wurde. Der Schreibstil ist schlicht, aber angenehm und für Jugendliche und Erwachsene geeignet, ebenso für Betroffene als auch für Angehörige.
    Anne ist als Hauptfigur eher unscheinbar, lässt einen aber tief in ihre Seele blicken. Außenstehende denken oft, Magersüchtige wären dumm oder einfach nur Prinzesschen, die im Mittelpunkt stehen wollen. Dass das meistens nicht stimmt, sieht man auch hier, denn obwohl Anne sich über die Aufmerksamkeit freut, die sich bekommt, als sie plötzlich nicht mehr das Moppelchen ist, sind die Gründe, warum sie weiter macht, obwohl sie schon Normalgewicht hat, vielschichtiger.
    Auch erkennt man gut, wie sehr eine Essstörung die Familie und das ganze Umfeld verändern und belasten, und leider sieht man bei Annes Eltern auch, wie man gerade NICHT damit umgehen sollte. Die Handlungens sowohl von Anne als auch der Familie werden aber glücklicherweise wertungsfrei dargestellt, es geht nicht um Schuldzuweisungen oder eine genaue Analyse, wer wann was falsch gemacht hat. Schließlich ist es die Schilderung einer Essstörung und kein psychologisches Fachbuch.


    In den meisten Reviews liest man immer wieder, dass das Buch an sich gut sei, es aber zum Nachahmen einlade. Aber sogesehen ist jedes Buch dieser Art, jeder Ratgeber auch eine Anleitung zum falsch machen. Wenn ich mich z.B. vor Einbrechern schützen will, muss ich ja auch deren Tricks kennen.
    Wer magersüchtig ist oder werden will (aber wer entscheidet das schon bewusst?) kann von Anne sicherlich noch "was lernen", aber Magersüchtige sind nicht blöd und brauchen kein Buch, um sich selbst fertig zu machen. Ich bin jedenfalls auch ohne Buch auf die gleichen Ideen gekommen wie Anne. Deswegen hat mir das Buch auch sogar bei der Heilng geholfen. Ich habe es gelesen, als ich noch mitten drin war, aber selbst nicht mehr leugnen konnte, dass ich krank war. Ich hatte lauter extreme Methoden gefunden, mein Gewicht weiter zu reduzieren und unglaublich stolz auf meinen Einfallsreichtum und mein Schaulspieltalent anderen gegenüber und hielt mich für wahnsinnig besonders. Zum ersten Mal in meinem Leben gab es etwas, was ich besonders gut konnte. Und dann stellte ich fest, dass ich bloß eine Kopie von Anne war und dass jede Magersüchtige pi mal Daumen das selbe tat und dachte wie ich. Das hört sich jetzt bekloppt an, aber die Tatsache, dass ich eine "ganz normale" Magersüchtige war, die nichts tat, was alle anderen Magersüchtigen nicht auch taten, wurde mir erstmal bewusst, wie sinnfrei mein Handeln war. Und dass ich sterben würde, wenn es so weiter ging, und dass tot sein erst recht nichts Besonderes war.
    Ich bin seit 2002 geheilt, ohne jemals in stationärer oder ambulanter Behandlung gewesen zu sein. Und immer, wenn ich Annes Geschichte lese, fühle ich mich, als würde ich eine alte Freundin treffen, mit der ich mich auseinander gelebt habe.