Nina Malkin - Ohnmächtig

was tun, wenn man einen geist liebt -- dessen leidenschaft die rache ist? «Liebe auf den ersten Blick muss genial sein. So genau weiß ich das nicht, weil es auf den ersten Blick gar nichts zu sehen gab. Zu riechen schon –– den scharfen, salzigen Geruch von Pferden. Und jede Menge anderer Sinneseindrücke. Aber dazu später mehr. Was ich hier gleich zu Beginn sagen will, ist Folgendes: Als ich Sinclair Youngblood Powers das erste Mal als Menschen aus Fleisch und Blut zu Gesicht bekam, war ich bereits bis über beide Ohren in ihn verliebt. Daran konnte nichts etwas ändern. Nicht einmal die Tatsache, dass er tot war.»

Sprichwörter begegnen uns jeden Tag und die Auswahl an diesen kleinen Weisheiten ist immens. Im Zusammenhang mit der Geschichte dieses Buches ist mir eins von ihnen sehr schnell in den Kopf geschossen und hat sich dort fest verankert: Außen hui, innen pfui. Nein, ich möchte damit nicht auf die Qualität des Covers und der Geschichte anspielen, sondern auf ein wichtiges Element innerhalb der Handlung, welches durch eben dieses Sprichwort ziemlich treffend auf den Punkt gebracht wird.

Erzählt wird die Geschichte von Dice. Locker, witzig und gespickt mit trockenem Humor führt sie den Leser durch die Handlung, lässt ihn durch ihre Augen ihr Umfeld wahrnehmen, Veränderungen in sich aufnehmen, lachen, weinen, fluchen. Durch den einfachen, modernen Schreibstil, den die Autorin für ihre Geschichte gewählt hat, fällt es dem Leser nicht sonderlich schwer, in die Handlung zu finden und sich dahintragen zu lassen. Leicht verwirrend kann zu Beginn jedoch die Einführung der einzelnen Charaktere sein, denn so gut wie jeder von ihnen hat einen Spitznamen, der unter den Teenagern Verwendung findet und dann natürlich seinen richtigen Namen, der in Gegenwart von Erwachsenen genannt wird.

Blinder Hass und Rachegelüste sind der Quell für ein perfides Spiel, dessen Startschuss mit dem Erscheinen von Sinclaire -genannt Sin- fällt. In ihm findet der Leser einen Charakter sowohl voller Schmerz, Verzweiflung, Empfindsamkeit und Hass als auch voller Intelligenz, Berechnung und List. Angetrieben durch ein Unrecht, welches ihm vor über 200 Jahren widerfahren ist, setzt er alles daran, den Menschen in Swoon –der kleinen Stadt voller wohlerzogener und ach so perfekten Bewohnern- das zu entlocken, was hinter deren Fassaden steckt und ihnen damit zu schaden. Während Sin alle Bewohner der Stadt hemmungslos als Spielball benutzt, steht er zu Dice jedoch anders. Durch sie wurde er erschaffen und dadurch entstand eine Verbindung zwischen ihnen, die dem Leser gestattet, auch eine andere Seite von ihm zu betrachten.
Dice ist der weibliche Hauptcharakter der Geschichte und die Rolle steht ihr gut. Sie ist sympathisch, wirkt authentisch und die Tatsache, dass sie nicht nur vom Charakter her nicht perfekt ist, sondern auch äußerlich ihre kleinen Makel hat, macht sie liebenswert. Durch ihr Anderssein fällt sie in der kleinen Stadt auf wie ein bunter Vogel, aber sich ändern, anpassen, nur, um dazuzugehören, kommt für sie nicht infrage. Sie steht zu dem, wer sie ist, betrachtet sich selbstironisch und bringt durch ihren trockenen Humor die Dinge nicht nur direkt auf den Punkt, sondern entlockt dem Leser auch das ein oder andere Schmunzeln.
Ihre Cousine Pen ist die Dritte im Bunde und ein wichtiger Teil der Handlung rund um Sin. Sie gehört zu den Teenagern, die in Swoon aufgewachsen sind, sie ist liebenswürdig, hilfsbereit, klug, hübsch und in der Gesellschaft hoch angesehen. Durch das Auftauchen von Sin wird jedoch ihr gesamtes Leben und sie selbst auf den Kopf gestellt und so zeigen sich vermehrt Veränderungen in den Handlungen und Aussagen der Vorbildstochter und –Bürgerin.
Auch die Randcharaktere dieser Geschichte sind für den Verlauf der Handlung von Bedeutung – allen voran Marsh. Sie ist nicht, wie die anderen ihrer Freunde, privilegiert aufgewachsen, sondern trägt ein großes Päckchen mit sich herum. Verantwortungsbewusst fügt sie sich ihrem Schicksal und doch kommt auch sie nicht umhin, als mit der Ankunft von Sin eine Veränderung zu durchleben und andere Seiten an sich zu entdecken, als die, die bisher präsent waren.
Bereits durch den Klappentext wird jedem Leser klar, dass es eine Liebesgeschichte in diesem Buch gibt und wer dabei die Hauptrolle übernimmt. Allerdings ist dieser Handlungsstrang für mich nicht gänzlich befriedigend gewesen. Während man als Leser mittlerweile daran gewöhnt ist, dass Gefühle sehr schnell auf den Plan treten und man sich an dieses Tempo mit der Zeit angepasst hat, kamen die Gefühle in der dieser Geschichte einfach zu schnell und unrealistisch zur Sprache und egal wie ich es gedreht und gewendet hatte, ich konnte sie nicht nachvollziehen – nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht unter diesen Umständen. Hier wäre es vielleicht besser gewesen, die Autorin hätte die Liebe noch ein paar Kapitel außen vor gelassen, denn erst im weiteren Verlauf der Handlung, als sich die Charaktere bereits mehr oder weniger gut kannten und füreinander greifbar wurden, wurde dieses Verliebtsein glaubwürdig und passte sich in die Geschichte ein.

Weiter thematisiert die Autorin in diesem Buch Punkte wie Drogen, Sex, das allgemeine Entdecken des anderen Geschlechts, Homosexualität, Gewalt im Elternhaus und Untreue und geht dabei nicht mit Samthandschuhen an die Sache heran, sondern bedient sich auch hierbei der von der restlichen Geschichte gewohnten Lockerheit und ist im richtigen Maße direkt und gerade heraus.

Auch, wenn das Ende des Buches nicht vollends abgeschlossen ist und die entschiedenste aller Fragen gerade da aufkommt, wo der Leser die letzte Seite in sich aufnimmt, empfand ich es nicht als unbefriedigend. Es rundet die Geschichte ab und wenn es kein weiteres Buch geben würde, würde dieses Ende die Geschichte nicht unbedingt als unbeendet dastehen lassen, sondern dem Leser die Möglichkeit geben, für sich selbst zu entscheiden, was „danach“ kommt.

Sieht man einmal von den kleinen Mankos dieser Geschichte ab und drückt ein Äuglein zu, was das schnelle Einbinden der Liebe betrifft, hat sich das Lesen wirklich gelohnt. Das Buch regt von Zeit zu Zeit zum Nachdenken an, ist amüsant und an keiner Stelle mit Blümchen verschönert. Abgerundet mit vielseitigen und lebhaften Charakteren ergibt das eine Lektüre, auf deren Folgeband ich mich freue.