In einem Käfig schleppt man ihn durch die Lande, um ihn am Ende vor den Mann zu bringen, den er seit seiner Kindheit hasst: Bryndt Högnisson, den letzten Nachfahren der Nibelungen, den einzigen, der noch weiß, was damals, vor 40 Jahren, wirklich geschehen ist am Hof von König Gunther.
Gunther, ein weichlicher Schwächling, hat nach dem Tode seines Vaters notgedrungen den Thron bestiegen, stets angeleitet und beraten von Hagen, der ihn, seine Brüder und Generationen von anderen Jungen in Kampf und Strategie unterwiesen hatte. Hagen, der Einäugige, der Undurchsichtige, dessen Vergangenheit nebelhaft ist und der nie zu lachen scheint, ist derjenige, der in Wahrheit sämtliche Fäden in der Hand hält bei den zahlreichen Kämpfen mit benachbarten und verfeindeten Stämmen.
Hoch im Norden wächst derweil als Nachfahrin der legendären Urmutter Yenka mit den blauen Zähnen Brynhild auf, eine junge Frau mit unglaublicher Kraft und Kampfeslust, die Heiratskandidaten danach beurteilt, ob sie sie im Baumstammwerfen besiegen kann. Ihr hat man bei ihrer Geburt prophezeit, dass eine Reise übers Meer zu ihrem Verhängnis werden würde.
Eines Tages taucht an Gunthers Hof Siegfried auf, eine faszinierende Gestalt, die alle in ihren Bann schlägt, nicht zuletzt Gunthers Schwester Krimhild, die ihr Leben bisher abgeschieden im Frauentrakt verbracht hat. Man schickt ihn eines Tages nach Norden, um einen Waffenhandel für Gunther abzuschließen und ihm im Gegenzug eine Braut mitzubringen - und so beginnt, was eines Tages tragisch enden wird.
Viola Alvarez tut in diesem Roman erneut, worauf sie sich wunderbar versteht: sie zäumt eine altbekannte Sage von hinten auf. Hier ist nicht Jung Siegfried der strahlende Ritter und Held und Hagen der finstere Bösewicht, sondern Siegfried wirkt ein bisschen suspekt und oberflächlich, während Hagen bei aller Düsternis als kluger Stratege und Lehrer dargestellt wird, der trotz seiner harten Schale auch zu tiefer Liebe imstande ist. Brynhild ist keine schwerterfuchtelnde Walküre und Krimhild nicht die Lieblichkeit in Person.
Die Sympathien sind demnach etwas anders verteilt, als man es von der Nibelungensage her kennt, und gerade deshalb macht es Freude, diese Geschichte unter anderen Vorzeichen zu lesen. Allerdings nicht von Anfang an - diesmal fiel es mir relativ schwer, mich in das Buch einzufinden, da es, wie bei den Skalden üblich, erst einmal mit einer längeren Ahnenreihe losgeht, zu der man natürlich nur schwerlich eine Beziehung aufbauen kann, und mir zudem die Sprache zuerst als ein merkwürdiger Mix aus altertümelnd und flapsig erschien.
Sobald aber die Handlung richtig in Fahrt kommt und man zu den Geschehnissen vordringt, die man aus der Sage kennt, sind diese Startschwierigkeiten vergessen, und man taucht in eine Welt aus Intrigen und Machtspielchen ein, in der Liebe eigentlich Nebensache ist und am Ende doch der Auslöser für das blutige Ende. Bei den Kampfszenen nimmt Viola Alvarez kein Blatt vor den Mund, da rollen einige Köpfe und spritzt das Blut, allzu zimperlich sollte man beim Lesen nicht unbedingt sein. Allzu breiten Raum nehmen diese Bilder jedoch zum Glück nicht ein.
Wer Lust hat auf einen ungewöhnlichen historischen Roman, der weitab von abgedroschenen Frauen in Hosenrollen und heißen Liebesszenen liegt und mit Klischees höchstens ein wenig spielt, ist bei Alvarez stets an der richtigen Adresse, und so kann ich auch dieses Buch trotz der Probleme am Anfang guten Gewissens empfehlen.