Liane Dirks - Vier Arten meinen Vater zu beerdigen

  • Klappentext:
    Ein karibisches Bestattungsritual bildet im neuen Roman von Liane Dirks den Anlass, um die Geschichte eines leidenschaftlichen und getriebenen Mannes zu erzählen. Die Tochter ergründet sein exzesshaftes Leben - schutzlos, einfühlsam und hochpoetisch. Das Hamburg der zwanziger Jahre entdeckt Swing, Freikörperkultur und Ausdruckstanz, als Günther Dirks im elterlichen Schönheitssalon aufwächst, behütet von einem karibischen Kindermädchen. Die Mutter kreiert Düfte und Cremes, der Vater geht ins Bordell, Günther wird Jungkoch in einem Nobelhotel. Dann kommt der Krieg und führt ihn an die Ostfront, von der er mit falscher Identität bis nach Marseille flieht. Günther gründet eine Familie und nimmt sie mit nach Barbados, ins Hotel Marine. Als genialischer Küchenchef und begnadeter Geschichtenerzähler mehrt er den Ruhm des weltbekannten Hauses. Doch seit seiner Jugend ist etwas in ihm, das ihn beherrscht. Der Zwang, zum Äußersten zu gehen, der vor nichts haltmacht, auch nicht vor seinen Töchtern. Ein verheerender Hurrikan treibt die Familie zurück nach Deutschland. Dann verschwindet der Vater. Jahre später erfährt die Tochter, dass er auf Barbados im Sterben liegt. Was folgt, ist eine atemberaubende Wiederbegegnung und der Anfang eines rückhaltlosen Erzählvorgangs. Liane Dirks erzählt eine abgründige Geschichte in atmosphärischer Dichte, bildlicher Fülle und sprachlicher Präzision, die den Leser verführt und hineinzieht in ein exzesshaftes Leben.


    Die "Mein-persönliches-schreckliches-Schicksal"-Bücher mag ich überhaupt nicht, dennoch habe ich das Buch aus der Bücherei mitgebracht, weil ich von Titel und einer kurzen Probe beim Hineinlesen angeprochen war. Dirks Sprache zumindest ist ganz anders als die der meisten Schicksals-Bücher, bewegter, prosaischer und vor allem zurückhaltend.


    Liane Dirks Vater, Günther Dirks, war ein begnadeter Koch und ein Schwein. Er war brutal, nutzte andere aus, benutzte alles und jeden zu seinem eigenen Vorteil, er scheffelte Geld, setzte es in Alkohol und in Bordellen um - aber all das war noch nichts gegenüber dem, was er seinen Töchtern antat. Hier spricht Liane Dirks weniger von sich selbst, sondern schildert Übergriffe, denen ihre ältere Schwester ausgesetzt war. Wobei deutlich wird: Auch sie selbst war ein paar Jahre später betroffen.
    Es ist, als wollte sie sich hinter ihrer Schwester verstecken, auch gibt sie sich im Buch - trotz der Ich-Erzählperspektive - einen anderen Vornamen.
    Die wenigen Szenen des Inzests sind verhalten geschildert, bestehen eher aus leisen Andeutungen denn aus schmutzigen Details.
    Eines Tages ist der Vater verschwunden. Erst kurz vor seinem Tod erfährt die Erzählerin von seinem Aufenthaltsort auf Barbados und entschließt sich, die letzten Rituale (insgesamt vier) an ihrem Vater zu vollziehen. Nummer vier ist das vorliegende Buch.


    Bereits 1986 schrieb Liane Dirks unter dem Titel "Die liebe Angst" einen Roman über den sexuellen Missbrauch einer Tochter durch den Vater, das als Schlüsselroman zu werten ist; in "Vier Arten ..." bekennt sie sich zu ihrer eigenen Vergangenheit.
    Trotz dieser Kindheitserfahrungen im Gepäck bewahrt sich die Autorin eine Distanz zu den Handlungen und dem Wesen des Vaters. Die Überzeugung, dass er ein widerwärtiger Mensch war, wird dem Leser durch die Auswahl der Episoden mitgeteilt, die sie aus seinem Leben erzählt. Nur seine Kindheit betrachtet sie mit leisem Mitgefühl; sein Verhalten an der Front gegenüber der Obrigkeit und seinen Kameraden, die Art, mit Frauen, mit Personal umzugehen lassen beim Leser nur eine Reaktion zu: Abscheu.
    Auch wenn Liane Dirks Vorgehen menschlich verständlich ist, hinterlässt das Buch bei mir einen schalen Nachgeschmack.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Dies ist bestimmt ein Roman, der die Leserwelt in zumindest zwei Lager spaltet. Die einen werden das Buch nach ein paar Seiten beiseitelegen, die anderen werden es zuende lesen. Ich gehöre zu der zweiten Gruppe, da ich ja wusste was mich bei Dirks erwartet, und zwar Minimalismus auf höchstem Niveau.


    Auf 240 Seiten schildert die Autorin in diesem Werk gleich drei Generationen, den Großvater Johannes Dirks, seinen Sohn Günther Dirks und dann die zwei Töchter von Günther, wobei die >Kleine< auch gleichzeitig die Erzählerin ist. Und so wird das vergangene Jahrhundert anhand derer abgehandelt. Der Mittelpunkt stellt im Roman Günther dar, der nicht nur von seinem Vater gequält und missbraucht wird, sondern im II. Weltkrieg gleich ein ähnliches Schicksal erleidet. Was kann er seinen Töchtern mit diesem Hintergrund bieten? Er, der selber ein menschliches Wrack ist. Als er nach dem Krieg als Koch für längere Zeit auf Barbados mit seiner Familie lebt, eskaliert die Situation!


    Zum Schluss liegt Günther auf Barbados im Sterben und die >Kleine< kehrt Heim …


    Eindrucksvoll schildert die Autorin das Leben von Günther, ein Opfer, welches zum Täter wird. Durch ihren minimalistischen Stil, im grunde wirft sie mit lauter Bildern um sich, entsteht eine wahre plastische Erzählung, ja ein Kopfkino der feinsten Art. Und Zweidrittel des Buches hat es mich tief in seinem Bann gezogen. Der Schluss dann, als sie ihre eigene Geschichte erzählt und man sie als das letzte vorhandene Opfer wahrnehmen sollte, da versagt ihre Stimme. Das betitelte Beerdigungsritual wird nicht mehr von dieser Fülle getragen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Dies ist bestimmt ein Roman, der die Leserwelt in zumindest zwei Lager spaltet. Die einen werden das Buch nach ein paar Seiten beiseitelegen, die anderen werden es zuende lesen. Ich gehöre zu der zweiten Gruppe, da ich ja wusste was mich bei Dirks erwartet, und zwar Minimalismus auf höchstem Niveau.


    Auf 240 Seiten schildert die Autorin in diesem Werk gleich drei Generationen, den Großvater Johannes Dirks, seinen Sohn Günther Dirks und dann die zwei Töchter von Günther, wobei die >Kleine< auch gleichzeitig die Erzählerin ist. Und so wird das vergangene Jahrhundert anhand derer abgehandelt. Der Mittelpunkt stellt im Roman Günther dar, der nicht nur von seinem Vater gequält und missbraucht wird, sondern im II. Weltkrieg gleich ein ähnliches Schicksal erleidet. Was kann er seinen Töchtern mit diesem Hintergrund bieten? Er, der selber ein menschliches Wrack ist. Als er nach dem Krieg als Koch für längere Zeit auf Barbados mit seiner Familie lebt, eskaliert die Situation!


    Zum Schluss liegt Günther auf Barbados im Sterben und die >Kleine< kehrt Heim …


    Eindrucksvoll schildert die Autorin das Leben von Günther, ein Opfer, welches zum Täter wird. Durch ihren minimalistischen Stil, im grunde wirft sie mit lauter Bildern um sich, entsteht eine wahre plastische Erzählung, ja ein Kopfkino der feinsten Art. Und Zweidrittel des Buches hat es mich tief in seinem Bann gezogen. Der Schluss dann, als sie ihre eigene Geschichte erzählt und man sie als das letzte vorhandene Opfer wahrnehmen sollte, da versagt ihre Stimme. Das betitelte Beerdigungsritual wird nicht mehr von dieser Fülle getragen.