Didier van Cauwelaert - Auf Seelenspitzen

  • Kurzbeschreibung (von Amazon kopiert)
    Der Eisenwarenhändler und bekennende Hobbymaler Jacques Lormeau ist jung, kaum 35-jährig, an Herzversagen verstorben – und das in seinem eigenen Campingwagen, und das noch gleich neben seiner Geliebten (soll heissen: nicht neben seiner Frau). Besteht also Anlass zu Bestürzung oder Traurigkeit? Höchstens bedingt, und dies muss der Verstorbene nolens volens selber einräumen. Jacques Lormeaus Körper ist zwar tot, sein Geist indessen mäandert quer durch den Äther und besieht sich die Welt aufs Neue. Was ist die Welt ohne ihn? Zumindest verkraftet sie den Verlust. Die lieben Zurückgebliebenen, die Verwandten und Bekannten, zeigen sich überraschend gefasst, Jacques gelangt beinahe zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass sein Stellenwert hienieden ein höchst relativer sein dürfte. Seit Frisch und Sartre wissen wir ja, dass wir vor allem das sind (und sein werden), was andere über uns denken. Entsprechend konstatiert auch dieser Untote: «Ich wiege nur so schwer wie die Gedanken, die die anderen mir widmen.» Gewisse Gefühlsschattierungen ehemaliger Mitmenschen irritieren den zugleich an- wie abwesenden Helden, der mit leichter Bitternis registriert, dass die ihm adressierte Zuneigung nun vor allem mit seinem Ableben zusammenhängt.
    Van Cauwelaert, Goncourt-Preisträger von 1996, hat in seinem Roman «Auf Seelenspitzen» den allwissenden Erzähler wie einen zu Ausfällen neigenden Fussballtrainer auf die Ränge verbannt. Von dort, wo er ins aktive Geschehen nicht mehr tatkräftig eingreifen kann, meldet er sich allerdings um so ungehaltener zu Wort. Das schafft im vorliegenden Falle durchaus witzige Momente. Wenn das ausufernde Quasselsyndrom des agilen Verstorbenen allerdings den Übergang zum totalen Verstummen markieren soll, dürfte manch einer diese Phase allzugern überspringen wollen, wenn es so weit ist.


    Könnte nicht das eigene Begräbnis eine hochinteressante Veranstaltung sein (sofern man nicht selbst die Leiche stellen müsste), um zu sehen, wer gekommen ist, wer weint und wer was erzählt?
    Genau das passiert Jacques.
    Er findet sich nach seinem Tod als Seele wieder, die auf dem Kühlschrank des Campingwagens hockt und darauf wartet, was passiert, wer seine sterblichen Übereste entdeckt. Auf der Staffelei steht das letzte unvollendete Gemälde, das er von seiner Geliebten malen wollte, auf dem Boden liegen zwei in Papiertaschentücher verknäulte Kondome als Zeugnis seiner letzten Tätigkeit.
    Aber Jacques ist kein Geist; er leidet darunter, nichts mehr bewegen und keine Botschaften senden zu können. Was bleibt, ist, in den Kopf eines Mitmenschen zu schlüpfen, wenn dieser gerade an ihn denkt, und mit ihm seine Erinnerungen zu teilen. Sein Dasein ist zu einem passiven, nach rückwärts gerichteten geworden. Beständig "lebt" er in der Angst, auch seine Seele könne sterben, d.h. an einen Ort wie Himmel oder Hölle gelangen, von wo aus er überhaupt keine Verbindung mehr zum Irdischen hat. Er macht überraschende Entdeckungen, wie seine nächsten Angehörigen mit der Trauer umgehen, wo man wie von ihm redet und sich erinnert.


    Eine tolle Idee! Eigentlich ...
    Leider ist Jacques' Seele sehr geschwätzig und bringt neben Fakten aus seinem Leben allerhand leeres Geplapper hervor. Passagen voller Witz und Gag (ein höchst amüsanter Begräbnisgottesdienst) wechseln sich ab mit trocken gedroschenem Stroh. Im letzten Drittel hat man nach jedem Kapitel das Gefühl: Das wäre doch jetzt ein gutes Ende. Aber der Autor hat letztlich noch eine Pointe auf Lager.
    Schade, jammerschade. Man hätte aus dieser Idee mit bösem, tiefschwarzem Humor ein grandioses Buch machen können. So ist es nur eine unbedarfte nette, trotz der 286 Seiten zu lange Geschichte geworden.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)