Siegfried Lenz - Duell mit dem Schatten

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    Ein deutscher Oberst fährt 1952 mit seiner Tochter nach Libyen, dem Ort, an dem er vor acht Jahren schon einmal war. Was damals geschah, lastet schwer auf ihm. Er erhofft sich Befreiung von diesem Druck und versucht, Mitleid und Verständnis von der Tochter zu erpressen.
    Doch die Schuld ist unter der Glut der libyschen Sonne stärker. Und die Begegnung mit zwei jungen Engländern, die auch die damaligen Kampforte aufsuchen, vermittelt dem Mädchen allmählich die Kraft, aus dem Schatten des Vaters herauszutreten, sich von ihm zu lösen. Die Wüste wird zu einem Raum, in dem sich das Schicksal von Menschen erfüllt – auch deutsches Schicksal.


    Die Wüste als Ort, wo ein Mensch sich auf sich selbst besinnt, zu ungeahnten Erkenntnissen kommt und einen Neuanfang wagt, ist ein bekannter literarischer Topos: In diesem Sinn verwendet auch Lenz diese Umgebung.
    Irgendetwas muss sich damals abgespielt haben zwischen dem Oberst und einem anderen Soldaten, Mackenbrandt, den er seiner Tochter Biggi als seinen besten Freund schildert, und er scheint in die Wüste zurückgekommen zu sein, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. Tochter Biggi ist anfang sehr besorgt: Wegen des desolaten Gesundheitszustands ihres Vaters wäre sie lieber nach Sylt gefahren, und sie befürchtet, dass der alte Mann den Strapazen nicht mehr gewachsen ist. Als Vater und Tochter sich verlieren, trifft sie zwei junge Engländer, die ihr zur Seite stehen, was aber dem Oberst, als er wieder auftaucht, nicht gefällt.
    Zwischen Vater und Tochter spitzen die Konflikte sich zu, vor allem, nachdem sie ein Notizbuch findet, das Mackenbrandt gehörte. Der Oberst, der die Liebe seiner Tochter immer mit erpresserischen, manipulativen Mitteln zu erlangen suchte, sieht seine Felle davonschwimmen, was ihn allerdings nicht hindert, Biggi weiterhin unter Druck zu setzen.


    Der Oberst zählt sicher zu den unsympathischsten Protagonisten, die ich je kennengelernt habe: Ein arroganter, selbstherrlicher, feiger, verlogener Egomane, der nichts und niemanden kennt außer sich selbst, der für alle anderen Regeln aufstellt, die diese zu beachten haben - er selbst natürlich nicht. Er ist geschwätzig, redet dabei eine Menge pseudo-intelligenten Quatsch und maßregelt nach Oberlehrerart. Ob er wegen der Konfrontation mit seiner Schuld in die Wüste zurückgekehrt ist, bezweifle ich; es geht ihm eher um einen umfassenden Freispruch und die Bestätigung, dass er unangreifbar und unfehlbar ist. Seine Tochter soll, von ihm beschwatzt, den Richter spielen.


    Was Lenz in diesem, seinem zweiten 1953 erschienenen Buch wieder auszeichnet, ist seine Art, der Umgebung zu gestalten: Nichts außer Sand, Geröll und Felsen, dazu eine brennende Sonne am Tag und eine beißende Kälte in der Nacht, Ungeziefer, Ratten, Schlangen. Kein Ort, der eine Rückzugsmöglichkeit bietet oder zum Verweilen einlädt.
    Auch Biggis Entwicklung, ihre allmähliche Abwehr gegenüber den Manipulationskünsten des Vaters und ihre Einforderung der Wahrheit hat Lenz schon hier in gewohnter ruhiger Manier dargestellt.


    Doch: Es hat mir keine Freude gemacht, das Buch zu lesen. Von allen Büchern, die ich von Lenz kenne, hat dieses mich am wenigsten angesprochen. Die Person des Oberst herrschte über das ganze Buch, und auch wenn er schließlich seiner Tochter die ganze Geschichte über Mackenbrandt erzählte, so gab es doch kein "Schuldbekenntnis", sondern nur ein "Kriegserlebnis".


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Marie hat in jeder Hinsicht recht: Der Oberst ist ein Kotzbrocken ( man möge mir meine Wortwahl entschuldigen ) und allein darauf aus, sich und seine persönliche, eher unrühmliche Vergangenheit als Angehöriger der deutschen Wehrmacht im Afrikafeldzug nachträglich zu rechtfertigen und von seiner Tochter Absolution zu erpressen. Weder hören wir aus seinem Munde ein Schuldeingeständnis noch ein einziges Wort der Reue oder des Bedauerns über das seinerzeitige Geschehen um Mackenbrandt, ihn selbst und seine feige Flucht in den Kleidern des Kameraden, ohne zu wissen, ob dieser noch lebend in die Hand des Feindes fällt. Stattdessen sind es die alten Mittel, mit denen der Oberst seine Mitmenschen, wie einst seine Gegner im Kampf, in Schach hält und drangsaliert: Befehlston, Erpressung, Belehrung, Verlogenheit.


    Ich kann gut nachvollziehen, wie Siegfried Lenz in „Duell mit dem Schatten“ eine in den 1950´er Jahren weit verbreitete gesellschaftliche Bemühung verurteilt, die damals gerade einmal 10 Jahre zurückliegenden verbrecherischen Verstrickungen der Deutschen im 2. Weltkrieg vergessen zu wollen und individuelle Schuld zu ignorieren oder zu verharmlosen. Ähnlich wie der Oberst im Roman mögen seinerzeit viele alte Kämpfer, Obersten und Majore beharrlich ihr strenges und selbstherrliches Regiment über Mitmenschen oder Familie beibehalten haben, ohne sich je ihrem persönlichen Anteil an Weltkrieg und Kriegsverbrechen mehr als vordergründig gestellt zu haben. Diesem unerträglichen Umstand mußte Lenz wohl eine Gegendarstellung entgegensetzen, eine Verurteilung und einen Weckruf.


    Doch für Lenz waren die Obersten des 3. Reiches bereits damals ein Auslaufmodell, eine vom Lauf der Geschichte überholte Gattung Mensch. Ganz deutlich wird dies, wenn der Oberst als körperliches Wrack am Ende seiner Kräfte geschildert wird, der bald mit den Toten verwechselt und auf eine Ladefläche mit den aufgesammelten Skeletten von im Krieg Gefallenen geworfen wird, bald in einer Lehmhütte auf einem Berg von Lumpen liegt und von Insekten und Ungeziefer befallen wird. In immer neuen Bildern des Verfalls und des Niedergangs beschreibt uns Lenz seinen Oberst auch als körperliches Wrack am Ende seiner Kräfte und seines Lebens.


    Wie anders dagegen seine Tochter Biggi und die beiden englischen Soldaten, die zwar als Veteranen des Weltkrieges ebenfalls die alten Kampfstätten aufsuchen, doch um Generationen jünger und lebendiger wirken als der Oberst. Lenz stattet sie mit den gegenteiligen Eigenschaften aus: Verständnis und Nachsicht im Umgang miteinander, Toleranz und Aufgeschlossenheit gegenüber dem einstigen Kriegsgegner, Hilfsbereitschaft und eine schier unglaubliche Bereitschaft, dem Oberst auch die widerwärtigsten Winkelzüge und Schmähreden zu vergeben. In der Person des Oberst spricht Lenz der Generation der Kriegstäter diese Fähigkeiten ab und der Tochter bleibt als logische Konsequenz nichts weiter übrig, als schlußendlich die Abhängigkeit von ihrem Vater abzuschütteln und ihn in seinem selbstgewählten Untergang zurückzulassen.


    Soweit zur Handlung. Was durch eine interessante Thematik eigentlich zu einem guten Roman getaugt hätte, wirkt bei diesem frühen Lenz jedoch merkwürdig unbeholfen. Sowohl die Figurenkonstellationen als auch die Handlung erscheinen sehr bemüht und wenig realitätsnah. Unwahrscheinliche Zufälle und Begegnungen von Personen ergeben sich weniger wie selbstverständlich aus der Handlung als aus der Notwendigkeit heraus, daß der Autor sie benötigt, um seine Intention darzustellen. So gleicht der ganze Plot einem rein konstruktiven Bauplan, in dem Lenz ein Geschehnis an das nächste, eine Begegnung an die andere reiht, allein mit dem Ziel, eine Aussage und ein Statement abzugeben.


    Auch der Großteil der Dialoge darf getrost als mißlungen bezeichnet werden. Hölzern und steif mühen sich die sprechenden Personen aneinander ab und dem Ganzen setzt der Oberst selbst die Krone auf: bedeutungsschwangere, vordergründig tiefgründige, eigentlich aber komplett hirnverbrannte Sätze sprudeln dem sonst schon halbtoten Oberst wie selbstverständlich aus dem ausgedörrten Mund. Eine Kostprobe:


    Nach langem Fußweg durch die Wüste bricht der Oberst erschöpft zusammen, seine Tochter kniet neben ihm nieder und birgt seinen Kopf in ihrem Schoß. Aus dem allerletzten Loch pfeifend, sagt der Oberst dies:


    „Das läßt mich verzweifeln, mein Kind. Erinnere mich doch nicht immer daran, wie groß meine Knechtschaft ist. Ich halte es nicht mehr aus. Leg meinen Kopf auf die Steine und berühre mich nicht. Ein Erwachen in deinem Schoß ist schon von Samaritertum getrübt. Ich will frei sein, du, ich will auch im Untergang selbständig bleiben, aber du, du drückst mich immer wieder in die Sklaverei des Dankes. Streichle mich nicht, das verfehlt jede Wirkung.“


    In ihrer Schwülstigkeit und Aufgesetztheit kaum zu überbieten, lassen sich Dutzende solcher Sätze finden, die dem Oberst in den unpassendsten Momenten in den Mund gelegt werden. Die Diskrepanzen zwischen gesprochenem Wort und jeweiliger Situation innerhalb der Handlung sind derartig groß, daß es einen graust und das vorherrschende Bedürfnis darin besteht, dem Fremdschämen eine Ende zu setzen und den Buchdeckel zuzuklappen.


    Mein Fazit: Eine im Ansatz gute Idee wird durch einen handwerklich mißlungenen Plot und unsagbar schlechte Dialoge völlig zunichte gemacht. Wer sich also mit Lenz beschäftigen möchte: von diesen Buch die Finger lassen …..