Originaltitel: Les noces barbares
Inhalt:
Frankreich in der Nähe von Bordeaux nach dem 2. Weltkrieg: Die 14jährige Nicole verliebt sich in einen amerikanischen Soldaten, der in die Staaten zurückkehren muss und ihr verspricht, sie nachzuholen und zu heiraten. Doch am Abschiedsabend fällt der betrunkene Mann zusammen mit zwei anderen Soldaten über das Mädchen her, und es wird von allen dreien vergewaltigt und als Folge davon schwanger. Nicole und ihre Eltern sehen sich einer Schande ausgesetzt, und ihr Hass richtet sich gegen das Kind, dem man den Namen eines zufällig vorbeifahrenden Schiffes gibt: Ludovic. Der Junge wird auf den Speicher gesperrt, er erhält Essen, Kleidung (allerdings nur Nicoles abgelegte Mädchenkleider), aber er bekommt keinerlei Zuneigung, kein gutes Wort. Ludo entwickelt sich zu einem seltsamen Kind, das seinen Gedanken nachhängt, unfähig ist, Kontakt zu anderen aufzunehmen, am liebsten allein ist und gleichzeitig voller Sehnsucht nach Wärme und Zuwendung.
Der Witwer Micho sucht eine Frau für sich und eine Mutter für seinen Sohn und findet sie in Nicole. Das Mädchen wird nicht gefragt, sieht aber in der Hochzeit die einzige Möglichkeit, aus dem Elternhaus herauszukommen. In den folgenen Jahren wird Micho der einzige sein, der Ludo ein wenig Liebe entgegenbringt. Bis Nicole ihn unter Druck setzt: Sie wird sich ihrem Ehemann solange verweigern, bis Ludo aus dem Haus kommt. Im einem Heim für geistig und psychisch Kranke, das Michos Cousine leitet, wird der Junge untergebracht. Er wartet Woche für Woche vergeblich auf den Besuch seiner Mutter, bis er sich zur Flucht entschließt.
Ein Buch, das mit einer Gewaltszene beginnt und mit einer solchen stringent und folgerichtig endet. Dazwischen erlebt man auf 300 Seiten das Martyrium des Jungen, seine verzweifelten Bemühungen um ein Zeichen der Zuneigung von seiner Mutter, seine vergeblichen Versuche, zu beweisen, dass er geistig nicht zurückgeblieben ist, und seine Sehnsucht nach einem Ort, an dem er aufgehoben, geborgen und akzeptiert ist. Das Mitleid des Lesers mit Nicole als Vergewaltigungsopfer hat sich schnell erschöpft, verwandelt sich in Abscheu vor einer Frau, die auf den Gefühlen anderer, v.a. denen ihres Sohnes, herumtrampelt, die ihre Scham und die Schuld dafür an Unschuldigen rächt.
Man ahnt es schon nach der Inhaltsangabe: Das Buch ist herzzerreißend. Doch es liest sich aufgrund der einfachen Sprache des Autors und der raschen Handlungsabläufe relativ schnell und flüssig. Bis auf die Vergewaltigungsszene am Anfang sieht der Leser alles aus Ludos Augen und erlebt jedes Geschehen an seiner Seite.
Was ich auszusetzen habe: Keine der Personen, abgesehen vom Protagonisten, macht eine Entwicklung durch. Jede/r bleibt von vorne bis hinten der/ dieselbe. Bei einigen Charakterzeichnungen schrammt der Autor haarscharf am Klischee entlang (z.B. die Heimleiterin: bigott und tyrannisch, aber nach außen gottesfürchtig und verständnisvoll).
Yann Queffélec (geboren 1949, Literaturkritiker beim Nouvel Oberservateur) erhielt für diesen Roman Frankreichs bekanntesten Literaturpreis, den Prix Goncourt.
Marie