Kurt Appaz - 1975 Im Jahr der Weiber

  • Der Autor:
    Kurt Appaz wurde 1956 geboren. Nach einer dürftigen Schulkarriere absolvierte er in verschiedenen Randgruppen der Gesellschaft seine informelle Ausbildung zum Schriftsteller. Unter seinem eigentlichen Namen veröffentlicht er seit vielen Jahren erfolgreich Kinder- und Jugendbücher.


    Meine Meinung zu diesem Buch


    Hamburg ‚75
    Jungs, war das gemütlich
    da schien noch ein richtiger Mond in der Nacht
    die Musik haben wir noch mit der Hand gemacht


    Diese Textzeilen fielen mir spontan ein als ich den Titel des Buches las. 1975, da segelten Appaz, Kerschkamp, Lepcke, Ratte und der Ami mit Pauken und Trompeten durchs Abitur. Was lag also näher, als alles stehen und liegen zu lassen und mit einem klapprigen VW-Bus in Richtung Frankreich zu fahren – sechs Wochen lang die vermeintlich große Freiheit kennen zu lernen. Aber nach der Lektüre musste ich feststellen, dass der Text des Liedes vom „Teufelsgeiger“ Lonzo irgendwie doch nicht auf das Buch passte.


    Die Jungs fahren los, treffen viele junge Menschen und man begleitet sich jeweils ein Stück des Weges um sich dann wieder (auf Nimmerwiedersehen?) zu trennen. Die Jungs haben nur Augen für die Mädchen, kiffen, saufen, kotzen um danach wieder neu zu saufen, kiffen, Mädchen aufzureißen und weiter zu kotzen und sich in ihren stinkenden Klamotten und Schlafsäcken einem tiefen Erschöpfungsschlaf hinzugeben.


    Es hat sich bis heute nichts geändert! Junge Menschen auf der Suche nach dem, was genau gar nicht näher definiert werden kann. Eine Suche, die wohl nie zum Ziel führen wird. Sie versuchen auszubrechen, graben sich bei diesem Versuch aber immer weiter ein in ihre Illusionen, ohne irgendeinen Realitätsbezug.


    Aber Abbaz beschreibt auch eine Zeit, in der Rockmusik noch Rockmusik war. „Child in Time“ war nicht irgendein Song, nein, man lebte damals diese Musik. Der Name „Alexis Corner“ war Kult, genau wie dessen Musik – ein genialer Bluesmusiker, den heute kaum noch jemand kennt. Led Zeppelin in ihrer ganzen Genialität sind wieder präsent. Vielleicht kann man dieses Buch nur dann „fühlen“ wenn man in der damaligen Zeit gelebt hat, wenn man damals die ganze Radikalität der Jugend in sich gehabt hatte. Das nostalgische Gefühl beim Lesen dieses Buches empfand ich als unbeschreiblich. Lange verschüttete Bilder kamen wieder zum Vorschein und der Satz „als unsere Träume zu Alpträumen wurde“ gewann eine ganz neue Bedeutung.


    Abbaz schreibt auch über eine Zeit, als solche Kunstwesen wie „Boy-Groups“ oder „Paris Hilton“ nicht mal ansatzweise Gedankenfragmente am Horizont waren und er zeigt uns aber auch, wie wir uns verändert haben und nun in unserer Welt spießbürgerlicher Beamtenmentalität festsitzen. Der Schwung unserer Jugend ist weg, so wie vieles aus der damaligen Zeit auf dem Dachboden des Lebens abgelegt wurde und erst langsam vom Staub der Zeit befreit werden muss. Das Buch ist der ideale Staubwedel für dieses Unterfangen.


    Sie erleben erste Drogenexzesse, sie verstehen nicht, dass die Mädchen sie verlassen, denn das Recht zum Verlassen haben doch eigentlich nur sie. Hinter ihren großen Klappen verbergen sie nichts weiter als ein rührende Unsicherheit.


    Ein Buch für alle, die sich gern wieder erinnern möchten, die bereits sind, sich auf eine Reise in die eigene Erinnerung zu begeben.


    Sehr lesenswert, vielleicht nicht für alle, in jedem Falle aber für die, die in den Fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren wurden.

  • Ich habe beim Lesen selten so viel gelacht wie bei diesem Buch. Und auch noch nie ein Buch so schnell gelesen. In 4-5 Stunden war ich damit durch.


    Kollektiv durch das Abitur rasseln, sich einen VW Bus besorgen und mit seinen Freunden eine Tour nach Frankreich machen.


    Ob sich nun "Alt-70er" wieder an ihre wilde Zeit erinnern möchten, oder Jugendliche heute Lust haben ein wenig auszusteigen.
    Dies ist ein guter Ratgeber, wie man es schafft mit 5 bzw 4 Leuten in einem Bus einige Woche zu überleben.
    Auch wenn man heute noch einige mehr Tricks benötigt, aber es geht.
    Denn schließlich habe ich mich in dieser Geschichte ein Stück weit wiedergefunden.


    Ein Trip mit Freunden, der einen in eine ungewisse Zukunft führt.
    Und wenn man weiß, dass der Trip in drei Wochen vorbei ist, kann man auch den gewissen Humor an den Tag legen.
    Auch wenn man ganz schon tief in der Sch... steckt.
    Um am Ende wieder von der knallharten Realität eingeholt zu werden.


    Absolut lesenswert.
    Allerdings solltet ihr eine nich allzu negative Einstellung zu Drogentrips haben. Denn diesen geben sich die Freunde des Öfteren hin.

    Im Leben kann man auf vieles verzichten. Außer auf Katzen und Bücher!


    :study: Der Drachenbeithron von Tad Williams
    :musik: Die Bücherdiebin von Markus Zusak


    mb-db

  • Hat mir ausgesprochen gut gefallen! Lustischer Titel, ungewöhnliches Cover - sowas springt einem mir in der Buchhandlung natürlich ins Auge.


    Im Grunde genommen nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Begebenheiten und Begegnungen in den Sommerferien einer Handvoll halbwüchsiger Bengels, die gerade durchs Abitur gefallen sind und jetzt erstmal zur Erholung durch Frankreich touren, besticht das Buch vor allem durch Unverblümtheit und Authentizität. Sex, Drugs & Rock'n'Roll, so in etwa könnte man den Inhalt beschreiben, und auch wenn das furchtbar oberflächlich klingt - es sind nette Jungens, die wir da begleiten, und irgendwie hat man die ganze Zeit das Gefühl, man kennt das doch alles von irgendwo her, auch wenn man nicht in den 70ern Abitur gemacht hat, sondern eine gute Weile später.


    Es gibt hier nicht viel Handlung oder gar Abwechslung. Einer Reise durch Frankreich im VW-Bus. Von einem Campingplatz zum nächsten. Und dann wie gesagt: Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Das Buch zeichnet vor alleim ein Stimmungsbild, und das sehr gekommt. Einerseits ist dieses Abiturientengefühl wohl immer und überall das gleiche (offenbar auch, wenn man durchgefallen ist). Andererseits bekommt es hier einen wunderbaren Retro-Touch der Flower-Power-Zeit, der dieses Lebensgefühl ganz besonders gut transportiert.


    Die Jungs halten sich für echte Hippies - Kiffen, Frank Zappa, freie Liebe und so... und begegnen auf ihrer Reise Leuten, die viel mehr Hipppie sind, was unseren Helden viel Bewunderung abringt. Und auch ein wenig Stolz, ebenfalls "dabei" zu sein, dazu zu gehören. Und irgendwie wäre man dann selbst gerne dabei gewesen - ja, ist es beim Lesen sogar auch!


    Diese Rezension wird dem Roman in keinster Weise gerecht. Es fällt schwer, das Buch und die Atmosphäre zu beschreiben, die mich beim Lesen regelrecht aufgesogen hat. Es ist eins der wenigen Bücher, die ich als viel, viel zu kurz empfinde, weil ich gerne noch ein gutes Stück Zeit mehr mit den Leuten darin verbracht hätte.


    Kurt Appaz ist ein Pseudonym, wie unschwer zu erahnen ist, wenn man den Nachnamen mal rückwärsts liest. Unter seinem richtigen Namen schreibt <a Wolfram Hänel Kinder- und Jugendbücher. Und hoffentlich auch bald - egal unter welchem Namen! - noch mehr für Erwachsene.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Vielen Dank für die erneute Vorstellung, LilleBelle :applause:


    Irgendwie denke ich, das könnte auch T.C. Boyle geschrieben haben. Ich habe dieses Buch gleich mal auf den Wunschzettel gesetzt. :thumleft:
    Im November habe ich mir aber ein Buchkaufverbot auferlegt :roll:

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Irgendwie denke ich, das könnte auch T.C. Boyle geschrieben haben.


    Nein, das denke ich nicht.
    Appaz ist um Längen besser. :wink:

    Im Leben kann man auf vieles verzichten. Außer auf Katzen und Bücher!


    :study: Der Drachenbeithron von Tad Williams
    :musik: Die Bücherdiebin von Markus Zusak


    mb-db

  • Ich habe das Buch mittlerweile auch gelesen. Mir hat es gut gefallen: Sex and Drugs in den 70er Jahren in Frankreich. Die Jungs fahren von Hannover in den Sommerferien durch Frankreich mit einem klapprigen VW Bus. Von Campingplatz zu Campingplatz, immer auf der Suche nach Haschisch und Mädchen. Sie fühlen sich wie echte Hippies, tragen lange Haare und werden deshalb misstrauisch beäugt. Sie wollen alles anders machen als ihre Eltern, aber als es Probleme gibt,

    müssen die Eltern her.


    Das Buch lässt sich sehr schnell lesen und es gibt immer wieder etwas zu lachen. Die Zeit und das Lebensgefühl scheint mir sehr gut beschrieben zu sein - allerdings kann ich das nicht wirklich beurteilen, da ich die Zeit nicht miterlebt habe. Allerdings sehe ich meine Eltern jetzt mit anderen Augen - bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. 8-[ :lol: