Eva Demski - Goldkind

  • Aus dem Klappentext (gekürzt):
    Das vaterlose Einzelkind N., von der Großmutter immer nur "mein Gold" genannt, wächst im großväterlichen Handelshaus im Schatten seiner permanent nur mit sich selbst beschäftigten Mutter auf. Gleich nach dem Krieg ist die Welt in der bayrischen Mittelstadt (vermutlich Regensburg) noch in Ordnung. Mühelos knüpft der Großvater an die vermeintlich unbefleckte Vor-Nazizeit an, als seien Hitler und die Folgen nur ein Betriebsunfall in der Geschichte gewesen. Aber das Geschäft bleibt in der frühen Wirtschaftswunderzeit auf der Strecke. Die Firma geht bankrott, und plötzlich ist das Goldkind ein Niemand. Es folgen freudlose Schul- und Internatsjahre. Unfähig zu mitmenschlichen Beziehungen, affektiv verkrüppelt, stolpert Goldkind N. bei einer Studentendemonstration der 60er Jahre mit ...


    Langsam und beinah bedächtig erzählt das Buch das Leben des N., der in einem Haushalt zwischen drei Frauen - Mutter, Großmutter, Haushälterin - und einem abwesenden Großvater aufwächst. Er ist der Prinz, der zukünftige Geschäftsinhaber, der verhätschelte Mittelpunkt der Familie.
    Das alles ändert sich von einem Tag auf den anderen, als das Geschäft pleite geht und N. ein Kind ist wie jedes andere. Von da an läuft er beständig seinem Selbstbild nach, etwas Besonderes zu sein, und versteht nicht, dass die Welt sich nicht um ihm dreht.
    Ohne Wertung und moralisches Urteil schildert die Autorin, die selbst Jahrgang 1948 ist, Kindheit, Jugend und Studienzeit des Jungen in der Adenauerära. Sein Schicksal ist nicht beispielhaft für diese Generation (Einzelkinder waren eher die Seltenheit), aber das Flair der Zeit ist getroffen.


    Vermutlich wird das Buch für Jüngere, sofern sie sich nicht gerade für diese Epoche interessieren, nicht so reizvoll sein, aber wenn man selbst noch die Nachwehen dieser Jahre erlebt hat, erkennt man einiges wieder: die Bierflaschen mit dem Bügelverschluss, das rote und blaue Einschlagpapier mit dem Dachziegelmuster für die Schulbücher, die Milchkanne, mit der man ins Milchgeschäft ging, den Krug für Bier oder Viez (Apfelwein), den man in der Kneipe füllen ließ und mit nach Hause nahm, usw., aber auch das Schweigen der vorherigen Generation zum persönlichen Erleben des Dritten Reichs, der Verantwortung oder Schuld.
    Darüber hinaus ist der Autorin das Psychogramm eines Menschen gelungen, der zwischen Affenliebe und Gleichgültigkeit aufwächst, und dadurch nicht in der Lage ist, sein Leben selbstverantwortlich in die Hand zu nehmen.


    (Dass N. keinen Namen hat, störte mich, daher habe ich ihn kurzerhand "Norbert" genannt, was ein gängiger Vorname in dieser Zeit war.)


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)