Fine Gråbøl – Welches Königreich / Ungeenheden

  • Klappentext/Verlagstext

    Kopenhagen, Hochsommer: Fünf Jugendliche und die namenlose Erzählerin leben nach längeren Aufenthalten in der Psychiatrie in einem betreuten Wohnheim, das ihnen den Weg zurück in den Alltag erleichtern soll. Die Abläufe sind einfach, aber nicht selbstverständlich: kochendes Wasser ist für Tee, nicht zur Selbstverletzung gedacht und ein offenes Fenster ist keine Einladung zum Sprung. Während des fliegenden Wechsels aus Diagnosen und Bezugspersonen formiert sich eine fragile, aber zutiefst berührende Wohngemeinschaft. Kann es eine hinreichende Sprache für die Erkrankungen der Psyche geben, und weiter, Fahrpläne für das Gewöhnliche? Fine Gråbøls Blick für die Widersprüche innerhalb des psychiatrischen Systems und die Versehrtheit der Menschen darin ist nuanciert und zeugt von feinstem literarischem Fingerspitzengefühl.


    Die Autorin

    Fine Gråbøl (1992) studierte an der Kopenhagener Schreibschule und debütierte 2021 mit Welches Königreich. Ihr Roman wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem wichtigsten dänischen Literaturpreis für Debüts.


    Inhalt

    Fine Gråbøls namenlose Icherzählerin lebt in einer Übergangs-Wohngemeinschaft für psychisch kranke Young Adults zwischen 18 und 23 nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie. Für dieses spezielle Klientel gibt es im mehrstöckigen Haus insgesamt nur 5 Zimmer, die entsprechend begehrt sind. Die junge Frau leidet am Borderline-Syndrom mit Panikattacken und Tendenz, sich selbst zu verletzten, und hat eine dramatische Vorgeschichte. Aus Sicht der Erzählerin verfolgen wir die ebenfalls dramatischen Schicksale ihrer vier Mitpatient:innen. Die zwei Männer und drei Frauen auf ihrer Station erkennen einander auf den ersten Blick: Männer sind hier schizophren, Frauen Borderlinerinnen oder Zwangsgestörte.


    Sehr eloquent beschreibt die Patientin den Alltag in der Einrichtung, deren Pflegepersonal besonders qualifiziert ist, Schlafstörungen zu lindern. Sie sind offenbar der erste Schritt zu einer Verschlechterung des labilen Gleichgewichts. Eine erneute Aufnahme auf einer psychiatrischen Station würde wie eine Spirale den Zustand unaufhaltsam verschlimmern. Erstaunlich, wie scharfsichtig die junge Frau die Widersprüche ihrer Therapie durchschaut, das „psychiatrische Machtverhältnis“, aber auch die geschäftliche Seite der Finanzierung der Einrichtung und Bewilligung von Erwerbsunfähigkeitsrenten. Sie ist überzeugt, dass die Isolation durch betreute Lebensweise die Heilung zwar verzögert, als Teil eines fragilen Balance-Aktes jedoch unverzichtbar ist. So erkennt sie, dass die Teilnahme von zwei Bewohnerinnen an einer Therapiegruppe außerhalb des Hauses auch der Emanzipation der jungen Frauen von ihrer Wohnform dient.


    Fazit

    Gråbøls Icherzählerin traue ich zu, eine grundsätzliche Psychiatrie-Kritik ebenso eloquent zu formulieren wie einen Entwurf fürs Sozialgesetzbuch, für einen Roman sehr ungewöhnlich!


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