Heike Melzer – Versteckte Köder

  • Klappentext/Verlagstext
    Likes, Shopping, Candy Crush – wo verstecken sich Belohnungsreize in unserem Alltag und wie abhängig sind wir?

    Belohnungsreize sind allgegenwärtig. Soziale Netzwerke, Onlineshopping, Sexualität, Ernährung, Gaming: Geködert werden wir überall. Ungesteuerter Dauerkonsum und emotionale Enthemmung nehmen zu. Belohnungsaufschub, Fokussierungsfähigkeit, Frustrationstoleranz und Impulskontrolle werden zum Problem. Die Neurologin und Sexualtherapeutin Heike Melzer deckt auf, wo sich Belohnungsreize im Alltag verstecken, was sie bewirken und wie wir die Kontrolle zurückgewinnen. Fundiert und praxisnah gibt sie erhellende Einblicke in die Risiken und Chancen im Umgang damit. Ein notwendiges Buch, das hilft, den Alltag in Zeiten des Überflusses selbstbestimmt zu gestalten.


    Die Autorin
    Heike Melzer ist Neurologin, ärztliche Psychotherapeutin und Business-Coach. Sie führt eine Praxis für Paar- und Sexualtherapie in München und auf Sylt. Sie ist gefragte Dozentin, Referentin und Interviewpartnerin. 2018 erschien ihr Buch Scharfstellung. Die neue sexuelle Revolution.


    Inhalt

    Heike Melzer beschreibt als Basiswissen zunächst, wie Belohnungsreize auf unser Gehirn wirken, wie der Dopaminstoffwechsel abläuft und warum schlechte Angewohnheiten, Trampelpfaden ähnlich, sich nur schwer wieder reduzieren lassen. Insbesondere die kindliche Hirnentwicklung ist ihr ein Anliegen, für die dreidimensionale Aktivitäten erforderlich wären, die heute durch intensive Nutzung von Tablets und Smartphones nicht mehr gewährleistet seien. Ziel ihre Buchs ist, versteckte Haken sichtbar zu machen und Auswege zu zeigen aus Suchtverhalten, das auf der ständigen Verfügbarkeit von elektronischen Geräten und Internetzugang beruht. Aus ihrer therapeutischen Tätigkeit berichtet sie, dass Impulsivität und mangelnde Steuerungsfähigkeit nicht nur charakteristisch für die Hirnentwicklung Jugendlicher seien, sondern dass nach einer Plateauphase im Erwachsenenleben durch hirnorganische Veränderungen im Alter die Impulskontrolle wieder abnehmen kann.


    Konkret zeigt Heike Melzer an anonymisierten Patientengeschichten Ernährung, Sexualität, Spiel, Soziale Medien und Shoppen als Suchtverhalten. In ihren Beispielen treten Spiel- und Sexsucht als männliches Verhalten auf, Shoppen als Eskapismus von Frauen, während ungesunde Ernährung wider besseres Wissen eine Sonderrolle einnimmt, weil dafür kein Internetzugang erforderlich ist. Das Medien- und Smartphone-Verhalten einiger Patienten erlebt die Neurologin mit Entsetzen, u. a. wenn Internetnutzung die Plattform für Spielsucht, Mehrfach-Dating und Pornografie-Konsum liefert. Interessant fand ich den Hinweis auf den mühsamen Weg, bis Spielsucht endlich als Suchterkrankung nach ICD-10 anerkannt wurde, offenbar verzögert durch einflussreiche Branchen und Interessengruppen, die Sucht-Merkmale negierten, von denen sie finanziell profitierten.


    Heike Melzer argumentiert spürbar als Sexualtherapeutin – zumeist männlicher – sexsüchtiger Klienten, die durch suchtartiges virtuelles Doppelleben ihr berufliches, privates und soziales Leben komplett zerstört hatten. Ein kritischer Blick fällt auf die „fünf Köpfe“, die die fünf mächtigsten IT-Konzerne gründeten, und die Folgen des Behavioral Targeting (Auswahl verhaltensbasierter Inhalte). Für Melzer sind mangelnde Impulskontrolle als Auslöser für Suchtverhalten Erwachsener und ADHS zwei Seiten einer Medaille. Wer sich bereits mit der Hirnentwicklung in der Pubertät oder ADHS befasst hat, wird in „Versteckte Köder“ problemlos einsteigen können.


    Fazit
    Ein wichtiges, inhaltlich anspruchsvolles Buch, in dem zumeist männliche Süchte und ihre sozialen Folgen breiten Raum einnehmen. Der wissenschaftliche Hintergrund zum Einstieg setzt Toleranz für den Fachwortschatz voraus, die Patientengeschichten sind niederschwelliger zu lesen.


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