Simone Keil - Das Mädchen mit dem Porzellangesicht

  • Klappentext


    London, 1888. In einer kalten Novembernacht wird in einem Backsteinhaus in Covent Garden die kleine Miyo geboren. Für ihren Vater, den Puppenmacher Kazuki Kobayashi, ist sie das größte Glück auf Erden. Das Leben könnte wunderbar sein, wenn Kobayashi nicht einst einen Vertrag mit einem dubiosen Advokaten geschlossen hätte, der ihm Wohlstand und Ansehen sichert, sein Kind aber einer ungewissen Zukunft ausliefert...


    Der Puppenmacher kommt zu dem einzig logischen Schluss: Er muss Miyo verstecken, um ihr Leben zu retten. Dazu fertigt er eine ganz besondere Porzellanmaske an, ein feines, aber regungsloses Gesicht, das er sonst für seine Puppen entwirft. Die Maske soll seine Tochter vor dem Advokaten verbergen. Doch die Ausdruckslosigkeit verdammt Miyo zu einem Leben in Isolation – nur wenige machen sich die Mühe, hinter die kalte Fassade der Porzellanmaske zu blicken. Aber in anderen Außenseitern findet Miyo treue Freunde, die sie auf ihrer abenteuerlichen Flucht vor dem teuflischen Advokaten begleiten. Und endlich findet sie auch die Liebe, nach der sie sich schon immer gesehnt hat.


    Meine Meinung


    Hier hat mich der Titel neugierig gemacht und der Klappentext dafür gesorgt, dass ich es unbedingt lesen wollte! Steampunk lese ich viel zu selten und auch der "Vertrag mit dem Advokaten" hat mich neugierig gemacht. In letzter Zeit scheint das Thema öfter aufzutauchen: ein Vertrag mit dem Teufel, dem Dämon, dem Bösen, der immer eine Hinterlist in seinen Vereinbarungen versteckt, bei denen man nur verlieren kann.


    Der Schreibstil hat mich dann auch direkt in diese ruhige, atmosphärische und ja. leidvolle Geschichte eintauchen lassen. Die Atmosphäre war direkt getragen von einer sanften Melancholie, in dem wir einen Blick in Mr. Kobayashis Heim werfen. Zu seiner schwermütigen Frau, die gerade ihre gemeinsame Tochter Miyo zur Welt bringt, zu seiner eigenen Einsamkeit inmitten der Fremdheit von London und seiner Zuflucht, den wundersamen Puppen, die in seiner Werkstatt entstehen.

    Die Menschen haben keinen Sinn mehr für kunstvolle Arbeiten, für Arbeiten, die Geduld und Zeit brauchen, um zu etwas Besonderem zu werden.
    Zitat

    Wir lernen auch bald den zwielichtigen Vertragspartner kennen, der bei Mr. Kobayashi eine Schuld einfordert, die er nicht zu geben bereit ist!
    Um Miyo zu schützen, fertigt ihr Vater deshalb eine Porzellanmaske an, die sie fortan vor dem Suchenden versteckt hält - doch das Leben hinter dieser Maske, die keine Regung zulässt, drückt sehr auf das Gemüt der gesamten Familie.

    Diese Geschichte überzeugt vor allem durch ihre starke Präsenz der Themen, die traurig und bedrückend sind, mal unheilvoll und auch gruselig bizarr, wenn wir die Hintergründe des Sammlers kennenlernen. Eine diabolische Seele, die einige grausige Details aufwartet.

    Aber auch das Schicksal der kleinen Miyo wird von grausamen Ereignissen bestimmt. Einsamkeit lässt ihr fröhliches Wesen verstummen, die Gefangenschaft hinter der Maske ihre Neugier auf die Welt verblassen... und auf ihrer Reise muss sie einige schlimme Erlebnisse hinter sich bringen, bis sie den Mut findet, ihren eigenen Weg zu gehen.

    Keines blickt auf, als rote Striemen aufplatzen, als Blut über Beine rinnt, weiße Wolle sich hellrot verfärbt. Besser sie als ich. Besser sie als wir.
    Zitat

    Es ist sehr zart und gefühlvoll geschrieben, während die schaurigen Momente eher nüchtern an einem vorbeistreichen; aber manche Szenen gingen definitiv unter die Haut! Auf große Erklärungen wird verzichtet, aber das war auch für mich nicht nötig, weil die Magie der Maske für mich einfach selbstverständlich war und alles andere sich passend gefügt hat.
    Ein paar kleine Logikfehler sind mir zwar zwischendurch aufgefallen, die ich nicht so ganz einordnen konnte, über die ich dann aber einfach hinweg gegangen bin.

    Der Charme der Zeit im viktorianischen London wurde sehr anschaulich beschrieben, auch durch die kleinen geschichtlichen Ereignisse, die immer wieder Erwähnung finden.
    Durch die technischen Apparaturen oder auch Angestellten sowie Details aus dem Steampunk Genre hat die Autorin eine tolles Setting geschaffen, und obwohl der Fokus immer auf den Moment gelegt wurde, ohne sich zu sehr mit dem drumherum aufzuhalten, hat man ein gutes Gespür für die Ereignisse entwickeln können.

    Eine wirklich berührende Geschichte, die trotz der düsteren Aussichtslosigkeit kleine Hoffnungsschimmer versprüht. Freunde kann man an allen Orten finden und sie sind so unterschiedlich wie das Leben selbst. Ebenso können tiefe Täler durchschritten werden, wenn man den Mut findet, weiter zu gehen und sich den Glauben an die Liebe, die Güte und das Gute bewahrt.


    Mein Fazit: 4 Sterne

    Weltenwanderer

  • Ein modernes Märchen <3


    "Das Mädchen mit dem Porzellangesicht" ist ein neuzeitlicher Fantasyroman im Stil alter Märchen und Legenden. Es gibt viele klassische Motive, gemischt mit einigen genreübergreifenden Stilmitteln. So gibt es Anklänge an historische Romane, aber auch Elemente aus dem Steampunk und eine gewisse Gesellschaftskritik wie bei zeitgenössischen Romanen steckt auch noch drin. Vor allem die historischen Anspielungen haben mir persönlich gut gefallen. Ich finde es immer wieder faszinierend, wer zur gleichen Zeit gelebt hat, wenn man die Personen gefühlt ganz anders einordnen würde.

    Auch die Steampunkanteile mit den mechanischen Menschen fand ich richtig gut gemacht. Ich glaube, diese "Roboter" waren in der ganzen Leserunde die beliebtesten Figuren!

    Ich habe ein bisschen gebraucht, um mich sprachlich hineinzufinden, da die Sprache ganz anders ist, als man es sonst liest. Sie ist fast lyrisch und liest sich anfangs etwas schwergängig. Aber man findet sich hinein und irgendwann habe ich es gar nicht mehr besonders wahrgenommen.

    Man sollte sich bewusst sein, dass dieses Buch hier ziemlich schmalbrüstig für ein Fantasybuch ist. Es gibt nicht viel Worldbuilding (was eh überflüssig wäre, da es Urban Fantasy ist, also in unserer Welt spielt) und es werden nicht alle Fragen bis ins Detail aufgeklärt. Mich hat das nicht gestört, ich habe es einfach hingenommen, weil es in dieser Welt eben so ist. Aber ich weiß, dass es andere Leser:innen gestört hat. Diskussionsbedarf gibt es dabei vermutlich am meisten am Ende. Es ist eine ebenfalls sehr klassische Märchenlösung - vielleicht ein bisschen vorhersehbar, aber passend zum Buch. Vermutlich fehlen dem ein oder anderen Lesenden trotzdem Details. Hier hat es sich die Autorin evtl. ein bisschen leicht gemacht. Mich hat es - wie gesagt - weniger gestört und ich würde das Buch trotzdem, wenn auch mit kleineren Abstrichen, empfehlen.