Anthony Boucher, J. Francis McComas (Hrsg.) - Die Esper Greifen ein

  • Kurzmeinung

    HarryF
    Kurzgeschichtensammlung mit einer sehr schwachen Titelstory, ausgerechnet von Paul Anderson.
  • Bereits seit meiner Jugend bin ich dem Literatur-Genre Science-Fiction verfallen. Obwohl ich relativ langsam lese, habe ich in dieser Zeit eine Vielzahl von berühmten, bekannten und weniger bekannten Autoren kennengelernt. Viele davon fand ich in einer Taschenbuchserie, die der Heyne-Verlag vor Jahren (ich weiß nicht genau, ob das heute auch noch so ist) veröffentlichte.


    Hierbei bediente sich der Verlag aus dem seit 1949 in den USA erscheinenden „Magazine of Fantasy & Science Fiction“, in dem monatlich auf 160 Seiten eine Auswahl an neu erschienenen Kurzgeschichten von bekannten und unbekannten Autoren vorgestellt wird. Weitere Infos hierzu unter https://www.sfsite.com/fsf/.


    >> Das Buch


    Der mir nun vorliegende fünfte Band aus dieser Heyne-Serie mit dem Titel „Die Esper greifen ein“ ist bereits 1963 erschienen (ich besitze glücklicherweise die Originalausgabe) und enthält acht (Kurz-)Geschichten. Die Titelgrafik ist eine, mit den Stories in keiner Beziehung stehende, surrealistischen Darstellung von zwei Greifvögeln, die in eine Art römischen Umhang gekleidet sind und vor einer stilisierten Abbildung einer Stadt oder eines Turmes stehen. Der Einband ist in grün gehalten und für das heutige Geschmacksempfinden eher wenig ansprechend. Aber es geht ja hier auch nicht um das Cover, sondern den Inhalt.


    >> Einige Beispiel-Stories


    Ray Bradbury / Es war einmal…


    Für mich gehört Ray Bradbury zu den besten Kurzgeschichten-Schreibern der Welt und so ist „Es war einmal…“ auch eine der wenigen echten Kurzgeschichten im klassischen Stil in diesem Buch. Beginnend mitten in einer Handlung, eine relativ kurze Szene beschreibend, bleibt das Ende der Geschichte offen und lässt dem Leser Spielraum zum Nachdenken. Und hierzu animiert sie allemal. Ein alter Mann spaziert lange nach einem nicht näher definierten Atomkrieg durch die Straßen und teilt den jungen Leuten, die die Zeit vorher nicht kannten, seine Erinnerungen mit. Leider ist es in der Zwischenzeit auf staatliche Anordnung hin verboten, über die Zeit vorher zu sprechen. Zuwiderhandlungen werden streng bestraft. Daher versetzt er die Passanten mit simplen Anspielungen auf die vergangene Zeit in entsetzen. Einem auf einer Parkbank rauchenden jungen Mann nennt er einfach ein paar Zigarettenhersteller von damals, worauf dieser ihn verprügelt. Einer jungen Frau beschreibt er in blumigen Worten das Öffnen einer vakuumverschlossenen Kaffeepackung und sie ergreift entsetzt die Flucht. Eines Tages wird der alte Mann in eine Wohnung gebeten und dort trifft er auf eine „Untergrundorganisation“, die von der alten Zeit hören möchten. Um seine Erinnerungen zu behalten schicken sie ihn per Zug in eine Gegend, wo es noch nicht verboten ist, über die alten Zeiten zu sprechen. Doch im Zug darf er noch nicht auffallen, daher überlegt er sich einen Trick… – Dies ist für mich eine der besten Geschichten in diesem Buch. Sie macht nachdenklich und gemahnt einen daran, dass sich Moralvorstellungen aufgrund äußerer Einflüsse sehr schnell ändern können. Aber die Story ist auch ein Plädoyer gegen staatliche Allmacht und Kadavergehorsam. Das Ende ist optimistisch und entlässt einen zufrieden.


    Shin’ichi Hoshi / Hobby eines Barbesitzers


    Er besitzt eine Bar und sein Hobby ist es, Roboter zu bauen. Lange hat er an seinem Kunstwerk gearbeitet, einer Maschine mit dem Aussehen eines jungen hübschen Mädchens. Sie soll die Gäste zum Trinken animieren und kann daher selbst Flüssigkeiten aufnehmen, die im Fuß des Roboters gespeichert und wieder entnommen werden können. Ein junger Gast verliebt sich in den schönen, aber nicht sehr intelligenten Roboter, ohne zu wissen um was es sich da handelt. Als sie sein Werben verständlicherweise nicht erhört, will er sie vergiften und flößt ihr eine ganze Packung Tabletten ein, natürlich ohne Wirkung. Leider verteilt der Wirt am Abend aber die Getränke, die dem weiblichen Roboter von den Gästen ausgegeben wurden. – Eine typisch asiatische Geschichte mit einer Prise Humor und Augenzwinkern.


    John J. Wells & Marion Zimmer Bradley / Überleben!


    Die Mannschaft eines Bergarbeiter-Raumschiffes hat ihre Arbeit auf einem fernen Planeten bald erledig, als sie erfährt, dass die Erde nach der Explosion unserer Sonne zerstört wurde. Da die gesamte Crew aus Männern besteht, stellt sich für den Captain die Frage des Überlebens der Menschheit eigentlich nicht mehr. Für ihn ist somit die Menschheit bald ausgestorben. Der Eingeborene Arzt Fanu denkt da anders und ermöglicht es, dass Männer gebären können. Es kommt zu langen Diskussionen über moralische Grundsätze, doch bald finden sich die ersten Arbeiter, die bereit sind, der Zivilisation eine Chance zu geben. – Mein erster Gedanke nach dem Lesen dieser Geschichte war: Ein typischer Feministinnen-Roman! Jetzt kann der Mann auch mal die Qualen einer Geburt durchmachen!


    Doch dann stellte ich fest, dass es hier ja um etwas ganz anderes geht, nämlich um festgefahrene Moralvorstellungen und deren Überwindung in Notsituationen. Die Geschichte halte ich für überaus gelungen, da sie gleichzeitig ein leidenschaftlicher Aufruf zur Toleranz ist und die Homosexualität als eine Chance zu neuem Denken erkennt, natürlich ohne dazu aufzurufen. Was soll an homosexuellen Neigungen falsch sein? Ist es nicht vielmehr ein verknöchertes Weltbild, das diese Menschen zu Außenseitern macht? Eine sehr gelungene Kurzgeschichte.

    Ron Goulart / McNamars Fisch


    Von Ron Goulart habe ich schon einiges gelesen und er besticht immer wieder durch verrückte Ideen, so auch hier. Es ist eine recht verzwickte Geschichte um McNamara, der sich von einem arroganten, sprechenden Fisch, den er einst am Strand aufgelesen hatte, Ratschläge holt. Als er glaubt seine hübsche Frau gehe fremd, versucht er auch dieses Problem mit dem Fisch zu lösen. Max, der Freund der Familie hingegen wird von McNamaras Frau beauftragt, herauszufinden, was ihr Mann so treibt, denn auch sie glaubt er geht fremd. Es stellt sich nach und nach heraus, dass der Fisch ganz schön intrigant ist… – Eine absolut verrückte Story, in der sprechende Fische und die Anwendung von Zaubermittelchen so etwas wie Alltäglichkeiten sind. Obwohl die Handlung in einer dekadenten englischen High-Society-Siedlung der heutigen Zeit spielt, fühlt man sich etwas an eine Mischung aus Harry-Potter-Romanen und Philip-Marlow-Krimis erinnert. Sehr amüsant!


    Poul Anderson / Die Mission der Fremden


    Obwohl ich Poul Anderson als Roman-Autor sehr gerne lese, liefert er hier – meiner Meinung nach – die schwächste Geschichte des Buches ab. Es ist leider auch die längste. In einer nicht allzu fernen Zukunft ist die Menschheit in den Entwicklungsstand des 18. Jahrhunderts zurückgefallen. In den USA herrscht ein Bürgerkrieg, der sehr stark an den Sezessionskrieg erinnert. Die verfeindeten Truppen sind müde und auf beiden Seiten hofft man auf ein baldiges Ende. Beobachtet wird die Erde von einem außerirdischen Forschungsteam, den Espern. Ihre Stützpunkte auf der Erde werden von den Menschen als heilige Orte angesehen und sie gelten als eine Art weise Mönche, die völlig neutral sind. Dennoch kommt es eines Tages zur Eskalation, als die Menschen feststellen, dass die Esper nicht unverwundbar sind. Als die Esper eines Tages dann Position beziehen, bedeutet dies das Ende ihres Forschungsauftrages, aber noch lange nicht das Ende des Krieges. – Man wird das Gefühl nicht los, einen Roman aus den amerikanischen Bürgerkriegszeiten zu lesen. Langeatmige Beschreibungen machen ein flüssiges Lesen nur schwer möglich. Das SF-Thema kommt bis kurz vor dem Ende nur unterschwellig vor und man ist sich lange nicht klar, was das ganze mit Science-Fiction zu tun haben soll. Und so habe ich mich eher durch diesen Teil des Buches gequält, zumal es eigentlich keine Kurzgeschichte, sondern eher ein kurzer Roman ist. Da habe ich schon deutlich Besseres von Poul Anderson gelesen.


    >> Fazit


    „Die Esper greifen ein“ ist eine Kurzgeschichtensammlung deren Qualität eher im Mittelfeld liegt. Der Lesespaß wird insbesondere durch Poul Andersons Geschichte stark reduziert, obwohl auch einige echte Highlights vorkommen. Somit kann ich das Buch nur mit Einschränkungen empfehlen.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „The Magazine of Fantasy and Science Fiction - Die Esper Greifen ein“ zu „Anthony Boucher, J. Francis McComas (Hrsg.) - Die Esper Greifen ein“ geändert.